2.

[196] Das Schauspiel war vorzüglich. Laube hatte ausgezeichnete Kräfte vorgefunden, und Kräfte aller Arten boten sich dem Meister an. Es ist fast unglaublich, wieviel starke Talente sich hier zusammendrängten. Friedrich Mitterwurzer, mit dem Laube viel experimentierte, der im Fache hin- und herschwankend bald dies, bald jenes spielte, während seine Gattin, die von Laube an die rechte Stelle gesetzt und das muntere Fach innehatte, damals schon viel versprach. Mitell, der vorzügliche Bonvivant; Richard Kahle, Rhetoriker par excellence und Liebling der Studenten, als Intrigant; Herr von Leman, ein besonders feiner Chargenspieler; Engelhardt, ein ebenso ausgezeichneter Komiker; Herzfeld – Held; Frau Herzfeld-Link, jugendliche Heldin; Georg Link, Naturbursche; Emil Claar; Josef Nesper, kleinere Rollen, der aber nichts zu spielen bekam und bald fortging. Clara Ziegler, Heroine, wurde dann durch Frau Straßmann-Damböck ersetzt; Hermine Delia, Salondame; Frau von Moser-Sperner, Sentimentale. Wahrlich ein stolzes Ensemble, das sich nach Laubes Rücktritt an alle ersten Hoftheater zerstreute.[196]

Einer Clavigovorstellung erinnere ich mich ganz besonders, über der Laubes Geist schwebte. Es wurde wunderbar gespielt. So erschütternd wirkte die letzte Szene im dritten Akt, daß viele Ungebildete lachten, dann aber das ganze Publikum in Beifallstürme ausbrach. Eine ähnliche Wirkung erlebte ich später in Paris, in Molières: »l'Avare« im Théâtre-français, als Coquelin den Geizigen gab. Während ich tief ergriffen unter dem tragischen Eindruck menschlicher Leidenschaft fast erschauerte, lachten viele andere, bis auch hier der Beifall sich in Stürmen Luft machte. »Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas.«

Laube, der noch eine Menge junger Talente auf Lager hatte, konnte natürlich nicht einem jeden seine Rolle vorkauen, denn manche begriffen nicht, andere wieder waren nachlässig. Er verfiel auf den unglückseligen Gedanken, sich einen Vortragsmeister in Alexander Strakosch zu engagieren, der selbst ungarisch-deutsch sprach, bei dem nun alle lernen sollten, mußten, aber nicht wollten. Ich weiß nicht mehr genau, wieso auch Emil Claar in das Verhältnis Laube-Strakosch trat, doch waren die Folgen für alle drei äußerst verhängnisvolle, von denen ich später berichten werde.

Kaum war ich vierzehn Tage in Leipzig gewesen, als man mich von Berlin aus benachrichtigte, daß Herr von Hülsen selbst nach Leipzig käme, um mich zu sprechen. Um was es sich handelte, konnte ich mir denken, und um voreiligem Gerede vorzubeugen, er suchte ich ihn, mich ihn im Hotel aufsuchen zu lassen. Aus Briefen an meine Mutter entnehme ich das Weitere.


Leipzig, 13. Juni 1869.


Meine liebe, liebe Mama!


Als ich gestern zu Herrn von Hülsen kam, wurde ich mit den Worten: »ah, wir sind ja alte Bekannte« empfangen. »Nicht wahr, Sie haben mir schon etwas vorgesungen und mir sehr gefallen. Warum haben wir uns denn damals nicht geeinigt?« – »Weil ich nicht wollte.« – »Richtig, Sie wollten nicht.« – »Ist es nicht besser, Herr General-Intendant, daß Sie mich jetzt, wo ich was gelernt habe, selber holen, als wenn ich damals als Anfängerin in Berlin geblieben wäre?« – Er war vollkommen meiner Ansicht, möchte mich nun am liebsten gleich mitnehmen,[197] will, wenn es nötig ist, die Konventionalstrafe bezahlen, will mit Laube offen und ehrlich reden und alles versuchen, mich loszumachen. – – – – – –

Laube ging aber nicht darauf ein. Erst als mir Regisseur Seidl den Rat gab, auf dem Berliner Gastspiel wenigstens zu bestehen und Laube zu bitten, mich das Geld verdienen zu lassen, sagte Laube unter der Bedingung zu, daß von meinem Abgang nie mehr die Rede sein dürfe. Das versprach ich und hielt es auch. Doch halfen mir weitere unvorgesehene Ereignisse mich meines Kontraktes zu entbinden.


Leipzig, 24. Sept. 1869.


Mein liebes, liebes Mamachen!


Meine alltägliche Beschäftigung hat seit zwei Tagen einen Stillstand erfahren, indem ich an einer ziemlich argen Halsentzündung darniederliege, mich aber auf dem Wege der Besserung befinde. Mein Gekritzel sagt Dir, daß ich liegend schreibe. Sonst aber bin ich ganz wohl, bei gutem Appetit und hoffe, die ganze Geschichte bald los zu sein. Gestern mittag schickte ich mein Attest zu Laube, der sich sogleich selbst auf den Weg machte, um es Direktor Behr zu zeigen. Die ganze Familie Behr wohnt in zwei kleinen Stübchen am Rosental, weil sie die große Wohnung erst im Oktober beziehen können, essen aus dem Gasthaus und sitzen sehr ungeniert gemütlich (wie wir manchmal) bei Tische, als


herein mit gemessenem Schritt

Heinrich Laube tritt!


Mein Attest in der Hand hält er es mit weitaufgerissenen Augen Behr mit den Worten: »da haben wir die Pastete, jetzt sind wir erschossen!« entgegen.

Es war so komisch, daß ich trotz meiner Heiserkeit furchtbar habe lachen müssen, als Behr es mir heute erzählte, der sich über die Töne wunderte, die ich dabei zu Gehör brachte. Bald sprach ich im höchsten Diskant, bald im tiefsten Baß. Die ganze Regie hat mich heute schon besucht, es wundert mich nur, daß »Heinrich« (Laube) noch nicht da war.[198]

Ich bezweifle, daß Du mein Geschreibsel lesen kannst, außer Du setzest Dir 99 Vergrößerungsbrillen auf, auch dann lieferst Du noch ein Kunststück. – In diesem Monat habe ich schon 15mal gesungen. Die Gerolstein macht mir jetzt viel Spaß. Frau Krebs-Michalesi und Deine alte Kollegin Günther-Bachmann haben mir große Elogen gesagt, und letztere ist sehr kritisch. Wenn ich im letzten Akte entsetzt sage: »Sie haben eine Frau und vier kleine Kin – – –? her mit dem Federbusch!« bekomme ich jedesmal einen Applaus, und das letztemal habe ich so mitgelacht, daß ich aufhören mußte zu sprechen.

Im ersten Akt macht unser Komiker Engelhardt schon einen Witz, der – wie ich glaube – Berliner Ursprungs ist. Wenn ich ihn als Großherzogin freundlich frage: »Wie heißen Sie?« er verschämt die Frage unbeantwortet läßt, und erst auf meine zweite Frage: »Wie heißen Sie?« mit: »och Lehmann« antwortet, so kannst Du Dir das Gelächter denken. – Übrigens fühle ich mich sehr wohl in meinem Schlafwinkel. Die liebe Sonne scheint den ganzen Tag in mein Bett; meine lieben Berls besuchen mich, und zu meiner Liegerei fehlt mir nichts als unsre graue Mietzekatze. – – –

Laube hat schon seit einiger Zeit Händel mit Kritik, Bürgermeister und Theatervorständen. Laube ist ein schwacher Mensch, denn er läßt sich von dem »Vortragsmeister Strakosch« auf der Nase herumtanzen. Er und Claar rühren für Laube unaufhörlich die Reklametrommel, was Laube doch nicht nötig hat. Es fangen schon an, sich Parteien für und gegen Laube zu bilden, und überall werden Stimmen laut gegen die Unsauberkeit der andern, die Laube wahrscheinlich einmal wird schwer büßen müssen. – –

– – – Ich bin oft bei Laubes; Frau Iduna hat mich fest in ihr Herz geschlossen und busselt mich immer ab, wenn ich komme. Sie ist eine gar liebe gescheite Frau, und ich bin gern in ihrer Gesellschaft. Auch wird es Dich interessieren, zu hören, daß mir der alte, aber immer noch schöne und elegante Emil Devrient sehr den Hof macht. Er sagte mir neulich nach den Hugenotten, er habe noch keine so noble, hoheitsvolle Königin gesehen, und nannte mich »Künstlerin!« Nun, das bin ich noch[199] lange nicht, aber ich strebe darnach, es zu werden. Trotz seiner 70 ist er ein recht koketter und verliebter alter Herr! – – –

Tausend Grüße für Dich, liebes Mamachen und alle unsre Freunde von Deiner


Lilli.


Es war eine recht starke Angina, an der ich litt, also schlimmer, als ich meiner lieben Mutter schrieb. Ich hatte im Rienzi den Friedensboten – eine Lieblingsrolle von mir – zu singen und mit den Friedensboten aus der Versenkung aufzutreten. Als ich den Chor beginne, um mich einzusingen, fühle ich starke Schmerzen und eine plötzliche Heiserkeit. Mit schnellem Entschluß flüstre ich dem nächststehenden Knaben – einer sehr musikalischen kleinen Anfängerin, die schon auf Proben für mich gesungen hatte – zu, sie möge vortreten und singen, und schiebe sie bei dem Vorspiel einfach vor. Kapellmeister Schmidts Gesicht festzuhalten, wäre der Mühe wert gewesen! Als er aber die Situation begriff und die kleine »Mühle« sich ihrer heiklen Aufgabe mit großem Geschick entledigte, klärte es sich dankbar lächelnd wieder auf. Ferdinand Groß, unser ausgezeichneter Rienzi, sang die Riesenrolle während der Messe elfmal in einem Monat.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 196-200.
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