Marie Loew.
Frankfurt a.M. Kassel.

[71] Auszug aus dem Kasseler Theaterarchiv:


Marie Loew, geb. zu Heidelberg 1807, erhielt eine musikalische Erziehung und machte besonders auf der Harfe so schnelle Fortschritte, daß sie schon mit 13 Jahren sich öffentlich mit Auszeichnung hören ließ. Da sie auch mit einer schönen Stimme begabt war, bildeten Schleyder von Wartensen und Schelble dieselbe sorgfältig aus; sie betrat 1829 die Bühne zu Frankfurt a.M. als Agathe im »Freischütz«. Ihre gute Schule und wahrhaft schöne Stimme erwarben ihr bald Ruf und Engagements zu Magdeburg, Braunschweig, Bremen, Aachen und Leipzig; sie gastierte in Mannheim, Darmstadt und Kassel; in letzter Stadt ist sie seit 1837[71] als Hofsängerin angestellt. Zu ihren gelungensten Partien gehören: Die Norma, Jessonda, Valentine in den »Hugenotten«, Romeo und Rebecca im »Templer und Jüdin«. Durch regen Eifer, beharrlichen Fleiß, richtige Auffassung und vorzugsweise reine Intonation, bei bescheidenen Ansprüchen, vermag sie sich den ungeteilten Beifall des Kasseler Publikums, welches auch ihr Harfenspiel stets mit großem Beifall aufnimmt, zu erhalten. Ihre Mitwirkung in der Kirche findet um so größere Anerkennung, als ihre schöne, weiche und dabei kräftige Stimme und ihr einfacher Vortrag sich für Kirchengesang besonders eignet.

Folgen Daten des Auftretens usw.


Marie Loew.

Mit 13 Jahren also schon war sie als Konzertvirtuosin und Lehrerin der Harfe in Frankfurt a.M. beim Cäcilienverein engagiert. Ihre beiden Schwestern, Emilie, die ältere, und Lilli, die jüngere, begleiteten sie nach dort, wo sie im Schutze einer befreundeten Familie ihr Leben einrichteten. Emilie war »die Polizei« im Hause des anmutigen schwesterlichen Kleeblattes, wie sie in jeder Familie fast in irgendeiner Person zu finden ist. Ich selbst wurde später so genannt, als man die Ähnlichkeit unserer beiden Charaktere erkannte.

Alle drei Mädchen lernten dort, was zu lernen nötig befunden ward, und übten sich auch im praktischen Hauswesen. Marie zeichnete sehr gut und machte prachtvolle Stickereien, wie sie eben Talent, Fleiß und Ausdauer zu allem besaß. Das weitere sagte uns schon der Kasseler Bericht.

In Leipzig lernte sie Richard Wagner, seine Familie, Brockhaus und Avenarius, dessen Verwandte, kennen. Er war täglich bei den Geschwistern Loew zu Gaste und brachte Marien all seine schweren, unsanglichen Jugendkompositionen. Emilie, »die Polizei«, schickte ihn fort, wenn er es zu toll trieb und Marien den Hof machte; doch ließ er sich durch die Hinauswürfe nicht schrecken und kam tagtäglich wieder. Er selbst nannte Marie Loew in späteren Jahren noch seine »erste Flamme« und erinnerte sich vieler Szenen, die ihr selbst schon längst entfallen waren. Jedenfalls ging's heiter zu, wenn er bei ihnen war. Beide begegneten sich 1836 in der Magdeburger Zeit wieder, wo M. Loew unter seiner Direktion und[72] auch mit Wilh. Schröder-Devrient »Norma« und »Romeo und Julia« sang, und wo sich eine kleine komische Episode ereignete.

M. Loew, die sich als Desdemona in Rossinis »Othello« das Weidenlied im letzten Akt selbst auf eigener Harfe begleitete, sprach von der Bühne herab mit Richard Wagner, der die Oper dirigierte. Im Orchester ging's nämlich einmal kunterbunt drunter und drüber. Desdemona sah, daß Wagner zurückblätterte, während das Orchester schon weit voraus war, und rief ihm von oben zu: »weiter, weiter«. Das Publikum verstand »Feuer, Feuer« und floh von seinen Plätzen. Eine Panik entstand, doch wurde das Publikum alsbald beruhigt, und die Oper konnte weitergespielt werden. In Königsberg wieder zusammen engagiert, verkehrten sie freundschaftlich mit ihm und seiner Gattin, Minna Planer, von der sie viel Gutes zu erzählen wußte. Gleich darauf ging sie nach Bremen, wo sie nicht nur eine ausgezeichnete Fachstellung innehatte, sondern auch in den ersten Patrizierfamilien verehrt und geliebt wurde. Dann kam sie nach Kassel, unter Spohrs Direktion. Spohr, der sie hoch schätzte, komponierte ihr viel für die Harfe und eine Arie in seinem Klingemannschen »Faust« – die ich später selbst oft in Konzerten gesungen habe. – Eine ganz besondere Auszeichnung für sie bestand darin, daß Spohr ihr das Adagio der 1. Arie der »Jessonda« des schöneren Klanges halber um einen halben Ton in die Höhe transponierte, was er für niemand sonst getan hätte.


Einen Brief L. Spohrs lasse ich hier folgen:


V.H., den 10. März 1843.


Hochgeehrtes Fräulein.


In Anerkennung Ihres schönen und in Deutschland so seltenen Talentes der Virtuosität auf der Harfe, bitte ich, die beifolgenden Duette für Harfe und Violine als ein Andenken an den Komponisten freundlichst annehmen zu wollen. Möchten dieselben Ihnen eine Veranlassung sein, mich und andere recht bald einmal wieder Ihr schönes Talent bewundern zu lassen!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster

Louis Spohr.[73]


Später stellte er ihr noch folgendes Zeugnis aus:

Daß Fräulein Marie Loew, die eine Reihe von Jahren als Sängerin bei unserm Hoftheater angestellt war, daß sie ferner als Virtuosin auf der Pedalharfe in unsern Konzerten häufig mit allgemeinem Beifall aufgetreten ist, wird der Wahrheit gemäß attestiert.

Dr. Louis Spohr.

Kassel, den 12. April 1847.


Alle diese Musikalien sind gleich den Wagner-Kompositionen ein Raub der Umzüge und Zeit geworden.

Außer sämtlichen dramatischen Partien sang M. Loew aber auch die Königin der Nacht und Konstanze in der Entführung, wie damals üblich war, und alles untransponiert. Egoismus und Arroganz, die so vielen Nichtskönnern zu eigen, fehlten ihr leider gänzlich. So stellte sie ihr Licht stets unter den Scheffel, und es wurde nur dort von ihr gesprochen, wo sie eben singen und siegen konnte. Da ihr feines Wesen jedwede Reklame sorglich mied, ist's auch nicht zu verwundern, daß sie außerhalb Kassel nur wenig bekannt gewesen, um so mehr als sie nur selten an anderen Theatern gastierte, was »von oben herab« ohnehin nicht gern gesehen wurde.

An Goethe hatte sie von Frankfurt aus Empfehlungen, doch machte sie in ihrer Bescheidenheit keinen Gebrauch davon, was sie natürlich zeitlebens bereute. Sie sang unter Weber, Spohr, Marschner, Richard Wagner, Heinrich Dorn; Spontini kannte sie ebenfalls, der ihr noch in späteren Jahren ein ausgezeichnetes Zeugnis als Gesanglehrerin schrieb. Zu Kollegen hatte sie die Schröder-Devrient, Malibran, Pistor und Sonntag. Ihre Stimme war ein schöner, satter Sopran, dem keine Fehler anhafteten. Trotz aller Anstrengungen, Gemütsbewegungen und Schicksalsschlägen behielt noch ihre Stimme bis zum 77. Jahr, kurz vor ihrem Tode, den ungetrübten Klang, die Fülle, den Glanz der Jugend. Atemtechnik, Triller und Koloraturen waren das Vollkommenste, was man hören konnte, und letztere wurden nicht nur mit Verve,sondern oft mit geradezu klassischer Grandezza gesungen. Ein Beweis, wie durch richtige Behandlung, Organe jedem Alter zu spotten vermögen.

Ende des Jahres 1847 lernte Marie Loew den Heldentenor, Carl August Lehmann, kennen. Ihre Schwester Lilli war an den Kasseler Hofschauspieler Pauli verheiratet gewesen und nach kurzer Ehe gestorben. Den Kindern die Mutter zu ersetzen, ging Emilie zu ihrem Schwager Pauli. – M. Loew reichte Carl August Lehmann die Hand zum Bunde, verließ das Kasseler Hoftheater und beendete hiermit – leider nur zu vorzeitig – ihre Karriere als Sängerin.

Mit diesem Bunde setzte sie sich anstatt der Myrthen-, eine Dornenkrone aufs Haupt, die ihr erst sehr viel später wieder abgenommen werden sollte. Die Wunden, die sie ihr drückte, spielen in mein Leben hinein; von ihnen kann ich mehr erzählen als von dem verhältnismäßig kurzen Glück ihrer Künstlerlaufbahn.


Marie Loew
Marie Loew
Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 71-75,77.
Lizenz:
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