XVII. Friedensschluß und Heimkehr.

[179] »März war es geworden, der Schnee begann zu schmelzen und die Sonne lachte wieder. Mir war zumut, als wäre ich aus langem Winterschlaf zu neuem Leben erwacht, und im vollsten Mitempfinden jubelte ich das Graben-Hoffmannsche Lied:


›Nun fangen die Weiden zu blühen an,

Schon zwitschert ein Vöglein dann und wann,

Und ist's auch der holde Frühling noch nicht

Mit dem schönen Grün und dem Blütenlicht,

Wer weiß, über Nacht

Kommt er mit Macht,

Mit all seiner Lust und Pracht,

Jauchze, mein Herz,

Jauchze nur, jauchze, mein Herz!‹
[179]

Der Frieden winkte und mit ihm das Wiedersehen, Frühling, Glück und Liebe! Sollte das Herz da nicht jauchzen in jubelndem Hoffen und in überströmendem Dankgefühl gegen Gott!

Der Waffenstillstand war bis zum 12. März verlängert, da die Friedenspräliminarien unterzeichnet sein sollten. Nun brachen wir mit herzlichem Dank für die Gastfreundschaft unsere Zelte auf dem Lande ab und kehrten in die Heimat zurück, denn der Friede wurde ja schon am 5. März abgeschlossen.«

Aus den Briefen meines Vaters, die aus jener Zeit stammen und eine genaue Beschreibung seines Rückmarsches, der Quartiere und der Gegend enthalten, möchte ich das herausnehmen und zusammenstellen, von dem ich glaube, daß es vielleicht auch für weitere Kreise Interesse bietet.

Mein Vater schrieb: »Am 15. Februar brach ich mit meiner Division von Orleans auf. Wir durchschritten auf unserem Wege nach Beaugency die blutgetränkten Schlachtfelder des 8., 9. und 10. Dezember, und noch jetzt waren die Spuren jener heftigen Kämpfe genau erkennbar, namentlich bei Meung und bei Beaugency selbst. Die vielen Schützengräben und Geschützemplacements der Franzosen waren noch nicht eingeebnet, und die zerschossenen Baulichkeiten bezeichneten die Brennpunkte der einzelnen Kampftage. In einem nahe der Loire gelegenen Hause nahm ich mein Quartier. Alles war ganz gut, aber der Kamin wie der Herd rauchte entsetzlich. Die freundliche Wirtin meinte achselzuckend, daran wären nur die Herren Preußen schuld, denn die hätten ihr im Dezember vom anderen Ufer der Loire her den Schornstein vom Hause geschossen.

So mußte ich selbst nun darunter leiden, daß meine eigenen Batterien hier hinübergeschossen hatten.

Unser Marsch ging weiter über Blois nach Tours. Es war die erste französische Stadt, die mir wirklich schön erschien. Breite, reinliche Straßen, geschmackvolle Häuser, großartige Kathedralen, und auf den umliegenden Höhen ein wahrer Kranz von freundlichen Villen und stattlichen Schlössern. Auf den Straßen alle Läden geöffnet und zierlich gekleidete Damen, die da promenierten. Nachdem ich monatelang nur verlassene Orte, zerstörte Gebäude und oft recht verkommene Menschengestalten gesehen hatte, war es mir hier in Tours, als ob ich mit einem Schlage in eine andere Welt versetzt sei.

Weiter ging es bei prächtigem Marschwetter, meine Quartiere waren immer recht gut, meist in alten Schlössern. In besonders schöner Erinnerung ist mir das reizende Château Gidonnière geblieben, eine Viertelmeile[180] nördlich von Chartres. Der Mittelbau ist sehr alt, schon König Franz I. hat da lange gewohnt, und wir hatten dort ein ausgezeichnetes Quartier. Hier erhielten wir am 5. März den Befehl zum Rückmarsch. Meiner Division war der Weg über Vendome-Pithiviers-Nemours auf Troyes zugewiesen, wo wir am 25. in Aufstellung längs des rechten Ufers der Seine einrücken sollten.

Das Wetter war meistenteils schön, der Weg im Tal der Loire, wo die Felsen oft dicht an den Fluß herantreten, sehr malerisch. Eigen ist die Art, wie die Leutchen in Vendome sich ihre Wohnungen in den Felsgrotten eingerichtet haben; wie Schwalbennester kleben sie anscheinend an den Felsvorsprüngen, mitunter 2–3 Etagen übereinander.

In Troyes feierten wir den Geburtstag Seiner Majestät und kamen am 24. März nach Montierender, in den Landstrich der Haute-Marne, den ich mit meiner Division bis zum 5. Mai besetzt hielt. Ich machte von diesem Quartier aus einen Abstecher über Epernay nach Reims. Die erhabene Großartigkeit der Kathedrale mit ihren schönen gotischen Formen, den schlanken Säulen und den hohen Kreuzgewölben imponierte mir sehr. Die Mittagsonne, die durch die farbigen Fenster hineinstrahlte, beleuchtete ganz eigenartig den hohen Altar, die vielen alten Gemälde und den weihevollen Raum. Das alles zusammengenommen wirkte höchst effektvoll und harmonisch.

Aber noch etwas ganz anderes interessierte und erfreute mich in Reims sehr. Als wir mit Herrn Mumm, dem Champagnerfabrikanten, in seinen gewaltigen Kellerräumen umherwanderten und er uns das Werden seines edlen Getränks durch alle Stadien hindurch vorzeigte, sprach ich ihm meine Verwunderung aus, daß nach einem solchen Kriege seine Keller noch derartig gefüllt seien.

Da gab mir Herr Mumm die Versicherung, daß von preußischen Truppen nicht eine Flasche Sekt requiriert wäre, ›und das verdanken wir Ihrem Könige‹, fügte er hinzu, ›der hat, als er hier ankam, jede Requisition verboten.‹

Tief bewegt hat mich dieser Tage ein Brief von meinem alten 61. Regiment, der mir den heldenmütigen Kampf der Braven von Dijon mit allen Einzelheiten schilderte. Natürlich wußte ich schon von diesem todesmutigen Sturm auf das Fabrikgebäude, aber es tat mir wohl, daß das Regiment in alter Anhänglichkeit mir eine so genaue Schilderung des Kampfes sandte. Sie wissen, wie mein altes Herz noch an den 61ern hängt. Wer hätte solch eine erschütternde Tragödie voraussehen können, als wir die Nägel in die Fahne einschlugen, die unter Heldenleibern begraben werden sollte! Sie schickten mir das Gedicht: ›Die Fahne von[181] Dijon‹, das mit den Worten endigt: ›Du hast die preußischen Siege mir ohne Wort erklärt.‹ Das Gedicht hebe ich auf, es soll in mein Kriegstagebuch eingereiht werden.

Am 6. Mai ging unser Marsch weiter. Je näher wir der Meuse kamen, desto anmutiger wurde die Gegend. Neuf-Château, das wir am 10. erreichten, liegt amphitheatralisch und sehr reizvoll auf den scharfen Talrändern des Flusses ausgebaut. Von hier aus fuhr ich nach dem 14 Meilen entfernten Domremy la Pucelle. Der nach Norden führende Weg folgt dem breiten Tal der Maas, das meist von steilen, bewaldeten Höhen eingeschlossen wird, die verschiedene Schlösser krönen.

In Domremy fand ich die ersten Erinnerungen an das wirkliche Dasein der Jungfrau. Da ist das Haus ihrer Eltern, in dem sie geboren, noch ganz in seiner ursprünglichen Form erhalten, und in den niedrigen Zimmern ist die erste Statue, die von ihr gemacht ist, aufgestellt. Freilich ist die Pucelle da weder schön noch künstlerisch aufgefaßt. Es ist eine kniende Figur, und über dieser tritt ein Balken aus der Decke, der anscheinend zur Befestigung eines Bettes gedient haben mag. Unendlich viel Splitter sind aus diesem Balken herausgeschnitten und als Andenken mitgenommen. Ich tat ein gleiches und schickte Euch das Stückchen Holz mit, bewahrt es auf, es soll zu meinen Erinnerungen aus Frankreich getan werden. Hinter diesem Raum liegt das Schlafzimmer der Jungfrau, eigentlich nur eine Kammer mit einem sehr kleinen Fenster. Rechts und links dieses alten Gebäudes sind jetzt zwei große Häuser erbaut, in dem einen werden arme Mädchen unentgeltlich unterrichtet, in dem anderen sind die noch vorhandenen Andenken an die Jungfrau aufbewahrt. Unter diesen fand ich auch eine Nachbildung ihrer Fahne, die allerdings anders aussieht, als Schiller sie beschreibt. Auch ein sehr schönes, ansprechendes Bild von der Pucelle sah ich dort, ein angenehmer Gegensatz zu den verschiedenen Bildern und Statuen, die von ihr existieren und die meist steif, sogar oft unsympathisch sind. Ich kaufte eins dieser hübschen Bilder, und ist dies ebenfalls für meine Sammlung bestimmt. Zwei Tage darauf rückte ich in Mericourt ein. Das Quartier war freundlich, und der Garten steckte voll Nachtigallen, deren flötender Gesang mich oft genug aus dem Schlaf weckte. Dort blieben wir bis Ende Mai, und während ich hier meine Truppen in ihren verschiedenen Quartieren aufsuchte, hatte ich viel Gelegenheit, das reizende Moseltal kennen zu lernen, auch das schöne Remiremont, wo General Manstein sein Quartier hatte. Buschige Höhen mit freundlichen Landhäusern umgeben die Stadt; fährt man weiter, so gewinnt die Gegend einen entschiedenen Gebirgscharakter, sie erinnert an eine Schweizerlandschaft[182] ohne Gletscher. Auch nach Nancy fuhr ich von hier aus, mein alter Waffenfreund, General von Zastrow, nahm mich mit meinen Begleitern hier auf das liebenswürdigste auf und zeigte mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Überall trafen wir hier auf Erinnerungen an den prachtliebenden Stanislaus Leszczynski, dem Nancy sein schönes, vornehmes Äußere verdankt.

Am 30. langte der Befehl an, daß unser Ausmarsch am 1. Juni erfolgen sollte. Zum allgemeinen Vergnügen ließ ich am Abend des 31 einen großen Zapfenstreich, ganz nach unseren preußischen Formen, auf Mericourts Straßen und Plätzen umherziehen. Das war wirklich ein wahrer Volksjubel. Meine Soldaten freuten sich auf den Heimmarsch, und die Einwohner freuten sich, daß sie uns los wurden – und in dieser Jubelstimmung umarmte sich alles.

Einige Tage darauf hatte ich die Freude, in Suneville noch ein paar Stunden mit meinem lieben Schwiegersohn zusammen zu sein, der nach seiner schweren Erkrankung Gott sei Dank wieder ganz frisch und heiter aussah. Er fuhr mit seinem General Budritzky durch Suneville und war auf dem Wege nach Berlin. Ich hatte drei Tage Urlaub genommen, um in Begleitung des Generals Blumenthal die Stadt selbst einmal in Ruhe zu besehen und zugleich die Stätten aufzusuchen, an die sich für mich unvergeßliche Kampfeserinnerungen knüpften.

Es war mir von meinen verschiedenen Offizierkorps der Wunsch ausgesprochen worden, den Offizieren und Soldaten der 18. Division, die in Frankreich den Heldentod gestorben waren, ein gemeinsames Denkmal zu setzen, und zwar bei Verneville auf der Höhe, von wo aus ich am 18. August das Gefecht der Division geleitet hatte.

Infolgedessen war in Metz mein erstes, eine Konferenz mit dem dortigen Architekten abzuhalten betreffs der Herstellung eines solchen Denkmals. (Am 23. April 1872, dem schleswig-holsteinschen Ehrentage, wurde das Denkmal enthüllt in Gegenwart einer Deputation der Division.)

Einen Lieblingswunsch, die Namen sämtlicher Offiziere und Leute der Division, die in Frankreich gefallen waren, in Marmortafeln einmeißeln zu lassen, mußte ich leider aufgeben, denn es waren 73 Offiziere und 1735 Mann, da hätte das Einmeißeln allein über 2000 Taler gekostet, das überstieg unsere Kräfte. So verabredeten wir denn, in irgendeiner, noch zu bestimmenden Art auf drei Seiten des unteren Sockels das Andenken an die entschlafenen Kameraden zu ehren und auf die Frontseite eine entsprechende Widmung zu setzen. In das Fundament des Denkmals soll ein eiserner Kasten eingelassen werden, in dem[183] Pergamentrollen liegen, auf denen jeder Truppenteil den Namen, die Charge und den Todestag jedes einzelnen Offiziers und Soldaten genau aufnotiert hat.

Nachdem unsere Denkmalsbesprechung zum Abschluß gekommen war, fuhr ich mit Blumenthal auf unser altes Schlachtfeld hinaus. Der Weg nach St. Hubert war in bester Ordnung, die umherliegenden Gräber sauber hergerichtet und mit Kreuzen versehen. Als wir vor meinem alten Quartier in St. Hubert hielten, trat die Tochter des Wirts heraus und fragte, ob wir die Stuben sehen wollten, in denen der preußiche General Wrangel neun Wochen gewohnt habe. Sehr überrascht und erfreut war sie nun, als sie in mir ihren früheren Hausbewohner erkannte.

In den Stuben war wenig verändert, die alten zerbrochenen Möbel standen auf demselben Platze, und in dem Zimmer des Grafen Moltke, meines Ordonnanzoffiziers, fand ich noch an der Wand die aufgezeichneten Vorpostenstellungen meiner Division. Diese Wandzeichnungen wurden von den Wirten in höchsten Ehren gehalten, da sie den zahlreichen Besuchern des Schlachtfeldes stets sehr wichtig mitteilten, daß der berühmte Graf Moltke eigenhändig diese Zeichnungen angefertigt habe. Engländer hatten ihnen, im Glauben, daß es der Feldmarschall sei, eine hohe Summe dafür geboten, die Leutchen hatten die Zeichnungen aber nicht hergeben wollen. Beim Scheiden mußte ich auf Bitte meines Wirtes ihnen meine Photographie geben und meinen Namen an die Tür meines ehemaligen Zimmers schreiben.

Von hier aus fuhren wir über Moscou, das man bereits angefangen hatte wieder aufzubauen, nach Leipzig. Auch hier war man an der Neugestaltung tätig. Weiter ging es um das blutgetränkte Wäldchen von La Folie nach Chantrenne, dem Brennpunkte des Kampfes meines rechten Flügels, und dann nach Verneville. Wir bestiegen dort die Höhe nördlich des Dorfes, von wo aus ich das Gefecht der Division am 18. August geleitet hatte, und überzeugten uns an Ort und Stelle, daß dies der günstigste Platz für unser Denkmal sein würde.

Welche seltsamen Gefühle regten sich bei mir, als ich alle diese Orte wiedersah, auf denen der Kampf damals so wild getobt hatte und wo ich so manchem werten Freund, so manchem braven Holsten, der verblutend dalag, zum letzten Male die Hand gedrückt hatte!

Nach einem frugalen Frühstück in der Dorfschenke fuhren wir durch das Bois de la Cusse, dem mit schweren Opfern verteidigten Stützpunkte meines linken Flügels, über die wellenförmigen Höhen, auf denen meine Artillerie die furchtbaren Verluste erlitt, nach Champenois, das noch in seinen verkohlten Trümmern dalag.[184]

Von dort führte uns der Weg vorbei an dem noch unbewohnten L'Envie, über die Höhe mit den drei abgehauenen Pappeln, in die tief eingeschnittene Schlucht von Chatel, dem Tummelplatz des Bataillon Reibnitz. Die dortigen Barrikaden, die Schanzen und Schützengräben waren verschwunden, und statt der verängstigten Einwohner sah ich jetzt die Leute behaglich vor den Häusern ihre Pfeife rauchen. Viele von ihnen erkannten mich und begrüßten mich herzlich.

Die Nacht brachten wir in Metz zu und besahen uns am anderen Tage die herrliche Kathedrale, die Esplanade mit Neys Denkmal usw. Nachher fuhren wir nach St. Quentin. Wie hat sich da alles verändert und was soll noch alles geschehen!

Noch an demselben Abend kehrte ich zu meiner Division zurück, und tags darauf am 8. Juni kamen wir nach Frauenberg. Die Blies bildet hier die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland. Mitten auf der Brücke war ein Triumphbogen errichtet, den die verschiedensten Sinnsprüche schmückten. Am jenseitigen Ufer standen dichte Menschenmassen zur Begrüßung versammelt. Nach einer kurzen Ansprache überschritt ich mit der Tete der Truppen unter freudigen Jubelrufen der Leute die Brücke.

Das war beglückend, dieser herzliche Empfang, der uns hier wurde, und in ähnlicher Art ging es weiter. Alle Orte, durch die wir kamen, hatten ein Festgewand angelegt, und selbst die ärmste Hütte war geschmückt. Gesänge der Schuljugend, Böllerschüsse, Glockenläuten tönte uns von allen Seiten entgegen, und unwillkürlich dachte ich an die Worte des Max Piccolomini:


O schöner Tag, wenn endlich der Soldat

Ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit,

Zum frohen Zug die Fahnen sich entfalten

Und heimwärts schlägt der sanfte Friedensmarsch!«


Ja, es war eine herrliche Zeit, als sie nun heimkehrten, unsere geliebten Krieger! In den ersten Tagen des Juni durfte ich meinen Mann wieder umarmen, und wenn ihn der Adjutantendienst auch viel in Anspruch nahm, so blieben doch noch immer etliche Stunden für uns übrig, und die genossen wir glückstrahlend und dankbar.

Am 16. Juni war der Einzug in Berlin. Wer den miterlebt hat, vergißt nie die feierlichen Jubelstunden, als die lorbeergeschmückten deutschen Krieger in die Heimat zurückkehrten. Festesrauschen, flatternde schwarz-weiß-rote Fahnen, mit Waldesgrün und Blumen geschmückte Straßen, jauchzende Volksmengen, das war überall im jungen deutschen Reich das gleiche Bild beim Einzug der Truppen, das in dem überwältigenden Eindruck in der Reichshauptstadt gipfelte.[185]

Zeitig in der Morgenfrühe war ich mit meiner Mutter nach Berlin gefahren, viele Stunden mußten noch bis zum Einzug vergehen, und doch wogte schon auf den Straßen eine unabsehbare Menschenmenge im Festgewande, Lorbeerkränze und Blumen in den Händen. Es war eine jauchzende Freude, die wie ein elektrischer Strom durch alle diese Tausende von Menschen flutete und frohes Strahlen in Herz und Augen weckte.

Das unsichtbare Band, das sich in schwerer Kriegszeit durch die gemeinsame Sorge zwischen hoch und niedrig, arm und reich, jung und alt geknüpft hatte, wurde heute durch das gleiche Dank- und Glücksgefühl noch verstärkt. Die Menschen, die sich noch nie gesehen hatten, redeten einander an, teilten dies oder jenes mit, fragten, jubelten, und alles drehte sich doch nur um das eine Wort: Unsere Truppen! Es ist mir immer sehr unsympathisch gewesen, in ein Gedränge zu geraten und mich durchwinden zu müssen, aber heute war auch das Freude, denn das gleiche, stürmisch pulsierende Leben, das diesen Menschenknäuel in Bewegung brachte, zog auch mir alles beherrschend durch Herz und Gedanken und erhöhte die begeisterte Stimmung, in der ich schon am Morgen erwacht war. Endlich hatten wir unser Haus Unter den Linden erreicht und uns unsere Balkonplätze gesichert.

Wie die Minuten langsam hinschlichen, bis sie sich zur Stunde gereiht hatten, aber endlich war der ersehnte Augenblick da, und nun hätte man gern wieder jede Sekunde festhalten mögen.

Seine Majestät der Kaiser hatte die Einzugstruppen bereits auf dem Tempelhofer Felde besichtigt, und dann hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt durch die Bellealliancestraße nach dem Askanischen Platz, wo ihnen aus zehntausend Schülerkehlen von einer Riesenbühne herunter der begeisterte Gesang der »Wacht am Rhein« entgegengetönt war.

Und nun ging es durch das herrlich geschmückte Brandenburger Tor, an der Spitze der preußischen Garde und der Abordnungen des preußischen Heeres, der 42000 Mann, der oberste Kriegsherr, unser vielgeliebter Kaiser Wilhelm.

Dicht vor dem Kaiser ritten die drei Paladine, Bismarck, Moltke, Roon.

Das Pferd des Grafen Moltke, des ernsten Schlachtendenkers, scheute vor den wehenden Fahnen, aber er zügelte es mit der Kraft eines Jünglings.

Fürst Bismarck, der große Staatsmann, gängelte gelassen seinen Braunen, freudestrahlend erwiderte er die jubelnden Zurufe der Menge.

Ernst blickte Graf Roon, er hatte auf dem Felde der Ehre einen hoffnungsvollen Sohn verloren, und doch sprach eine freudig gehobene[186] Stimmung aus seinen Zügen. Der Gedanke an die glänzende Probe, die die von ihm ausgestaltete Wehrordnung bestanden hatte, verklärte den Schmerz des Vaters.

Dem Kaiser folgte der Kronprinz. »Unser Fritz« hieß er in den Kriegszeiten. Alle die vielen kleinen und großen Züge, die in den ernsten Monaten des Krieges so ganz besonders die Güte und Herzlichkeit des Hohen Herrn offenbarten, waren damals im Norden und Süden des Reichs, vor allem aber in der Hauptstadt, in aller Mund.

»Unserem Fritz« folgte Prinz Friedrich Karl, der »rote Prinz«, wie er nach seiner Husarenuniform genannt wurde. Durch seine Kriegskunst, seine eiserne Tatkraft und Unerschrockenheit, mit der er die Gefahren und Strapazen des Krieges ertrug, hatte er sich mit die erste Stelle unter den Heerführern erobert.

Im glänzenden Zuge folgten die anderen Prinzen, die deutschen Fürsten und nun die Truppen, an ihrer Spitze die eroberten Feldzeichen, 81 Fahnen und Adler.

Die Musik tönte, die Glocken läuteten und das Volk begleitete den Zug mit immer wieder hallenden tausendstimmigen Jubelrufen.

Am Brandenburger Tor wurden dem Kaiser von Ehrenjungfrauen Lorbeerkränze überreicht. Der Hohe Herr nahm sie, aber behielt sie nicht. Er wandte sein Pferd zu der Tribüne, die mit verwundeten Offizieren besetzt war, und diesen Braven, die für ihren königlichen Herrn und für ihr Vaterland ihr Blut vergossen hatten, reichte er mit huldvollen Worten die Lorbeerkränze.

Weiter ging nun der Zug. Unter den Linden waren in unabsehbarer Reihe die mit Eichenlaub bekränzten Kanonen und Mitrailleusen Napoleons aufgestellt worden, dazwischen erhoben sich Kandelaber mit Feuerbecken, und an den Übergängen hohe Siegessäulen und die Heldenzeit verherrlichende Riesengemälde. Nun zogen sie die Linden entlang!

Kanonenschläge und Glockenläuten, Hurrarufe und schluchzende Jauchzer, Pferdegetrappel und Waffenklirren, alles klang durcheinander. Rauschend zog der Sommerwind durch die Fahnen, und die Sonne lachte herab auf blitzende Helme und Waffen, auf die lorbeergeschmückten Krieger und auf die Rosenfülle, die sich auf sie wie Regen ergoß.

Wie mir das Herz klopfte in jubelnder Lust, und dabei wurden mir die Augen doch feucht in tiefer Bewegung. Mit vollen Händen streute ich dabei Blumen und Lorbeerreiser auf die Vorbeiziehenden. Den Lorbeerkranz aber bewahrte ich noch, der war für meinen gelben Reiter bestimmt. Weit beugte ich mich über die Brüstung des Balkons, als er kam, und im hohen Bogen flog mein Kranz herab, gerade auf den Kopf[187] seines Rappen, der ihn unwillig abschütteln wollte. Mein Mann griff aber noch zur rechten Zeit zu und winkte glückstrahlend, den Kranz in der Hand, zu mir hinauf.

Am Opernhausplatz ließ der Kaiser die Truppen an sich vorbeiziehen, dann ordnete sich alles im weiten Kreise um das noch verhüllte Denkmal König Friedrich Wilhelms III. im Lustgarten. Die französischen Feldzeichen wurden am Fuß des Denkmals niedergelegt. Da fiel die Hülle! Kaiser Wilhelm salutierte mit gezogenem Degen, und die prinzlichen Feldmarschälle grüßten mit ihren Marschallstäben das Standbild des Hohen Großvaters.

Die Truppen präsentierten, die preußischen Fahnen senkten sich, die Trommeln wirbelten, Musikkorps spielten »Heil dir im Siegerkranz«, und 101 Kanonenschüsse dröhnten durch die Luft.

Diesen Schlußakt des Einzuges habe ich freilich nicht sehen können, aber erzählt ist er mir genau, und gehört habe ich auch die Musik und die Trommelwirbel, die Schüsse und die Glockentöne, die jetzt von allen Türmen klangen. Am Standbild schloß die Feier mit dem Choral »Nun danket alle Gott«. Dort stimmten sie ihn an, und das pflanzte sich fort von Menschenwoge zu Menschenwoge, wir alle sangen mit, tief bewegt, dankerfüllt.

Am Abend wanderte ich mit meinem gelben Reiter glückselig stolz durch die Straßen von Berlin. Alles wetteiferte, die siegreichen Truppen zu feiern und zu bewirten. Die Reichshauptstadt erstrahlte im hellsten Lichterglanz, und auf den großen Plätzen waren Tanzböden und Erfrischungshallen für die heimgekehrten Sieger hergerichtet. Heitere und sinnige Inschriften schmückten Fenster und Türen; von Bismarcks Haus aber wehte eine mächtige Fahne mit den Worten Schillers:


»Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,

In keiner Not uns trennen und Gefahr.«


Strahlende Augen, lachende Lippen und ein Winken und Grüßen hin und her, dabei das Herz so voll Dank und Jubel, daß Worte es gar nicht wiedergeben können. So feierten wir den 16. Juni 1871.

Meine Mutter war meinem Vater nach Hamburg entgegengereist und fuhr mit ihm nach Rendsburg, wo mein Vater am 20. Juni an der Spitze seiner 85er unter dem Vortritt der Gewerke und Kriegervereine seinen Einzug hielt.

Auf derselben Stelle, wo er 1849 den ersten Kranz empfing, fand auch diesmal die Anrede des Bürgermeisters und die Überreichung des Lorbeerkranzes statt. Mein Vater aber setzte den Kranz dem Oberst von Falkenhausen auf, dem Repräsentanten des braven Regiments. Das gab[188] einen stürmischen Jubel, und als der sich etwas gelegt hatte, trat die Tochter des Obersten von Jagemann vor, hielt meinem Vater einen zweiten Lorbeerkranz hin und behauptete fröhlich: »Die Holsten wollen aber vor allen ihren Trommler von Kolding bekränzt sehen.«

Auch hier bildete heller Sonnenschein, jauchzendes Volk und ein nicht enden wollender Blumenregen das Gepräge des Tages.

Mein Mann und ich waren mit unserm Töchterchen nach Flensburg gereist, um den festlichen Einzugstag dort mit zu erleben. Der war nicht nur feierlich und großartig, sondern auch herzerquickend.

Von Stadtverordneten geführt, ging der Zug zuerst durch die Ehrenpforte auf den friesischen Bergen, dann durch das Rote Tor nach dem Südermarkt. Dazwischen wurde an den verschiedenen Tribünen haltgemacht, um Willkommengruß und Lorbeerkränze zu empfangen. Der silberne Lorbeerkranz, den mein Vater damals erhielt, wird in unserer Familie als wertes Andenken aufbewahrt.

Die Fahne des Bataillons, dieselbe, die zuerst von den Wällen von St. Quentin herabwehte, war über und über mit Lorbeer und Blumen geschmückt. So ging es unter den Jubelrufen des Volks durch die reich beflaggten Straßen bis zum Nordertor.

Abends fuhren wir durch die hell erleuchtete Stadt. Überall waren Transparente und Inschriften angebracht, die die Gefühle der Einwohner zum Ausdruck brachten. Zwei sehr charakteristische möchte ich hier wiedergeben.

Auf einem Transparent stand:


Was Wrangel sprach beim Ausmarsch, ist gelungen:

»Mit meinen braven schleswig-holsteinschen Jungen

Jag' ich den Teufel aus der Hölle fort.«

Vor seinen Schlägen stürzten unsre Feinde nieder,

Wir sehen jubelnd ihn als Sieger wieder,

So hält der Schleswig-Holsteiner sein Wort.


Und auf einem anderen las man:


Seht nur das junge Regiment, das macht sich,

Das ist auch Nummer vierundachtzig,

Und an der Spitze unser Wrangel,

Da ist an Sieg und Ruhm kein Mangel.


Es war für meinen Vater ein außerordentlich wohltuendes Gefühl, in diesen Tagen der Heimkehr dem ungeheuchelten Ausdruck unbedingter Anhänglichkeit der Holsten an seine Person zu begegnen. Er meinte, das sei wohl größtenteils eine Folge der Erinnerungen von 1848/49. Aus diesem Ton klingt auch sehr bezeichnend ein Toast, der in jenen Tagen auf ihn ausgebracht wurde:
[189]

Wrangel, Sohn aus Heldenstamme,

Schon genannt im Schwedenkrieg,

Deutschen klinget gut dein Name,

Doch den Dänen fürchterlich.

Wrangel, der die Vorhut führte,

Als Bonin die Dänen schlug,

Und der selbst die Trommel rührte,

Bis in Feindes Reihn sie trug.

Auf sein Wohl ein Glas zu leeren,

Lieben Freunde, seid zur Hand,

Unsern Wrangel will ich ehren,

Der so fest bei Kolding stand.


Im August des Jahres ging mein Vater zur Kur nach Kissingen, um sich dort vollständig von dem Anfall auszukurieren, der ihn in Orleans niedergeworfen hatte. Dort traf er mit dem General Tann zusammen, und die beiden Herren konnten an Ort und Stelle, wo sie sich 1866 gegenübergestanden hatten, einen lebhaften Gedankenaustausch über das damalige Gefecht halten.

Etliche Wochen in der Schweiz und in Oberitalien schlossen sich an diese Zeit. Wir begleiteten mit unserm Töchterchen meine Eltern auf der schönen Reise, und erfrischt kehrten wir im September zurück, die Eltern nach Flensburg und wir in unser geliebtes Potsdam.

Noch einmal, wenn auch nicht auf lange Zeit, strahlte uns hier das volle, sorglose Glück, dessen Widerschein noch heute leuchtend in meiner Erinnerung lebt.

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 179-190.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon