»Tanzen Sie denn gar nicht?«

[142] Pfeiler und Wände von Festsälen und Hotelhallen sind an Ballabenden die Rückendeckung der Mutlosen – dort drücken sich die »Marktbeobachter« herum, solche, die erst einen Rippenstoß von zarter Hand brauchen, um Hemmungen zu überwinden, und solche, denen das Vergnügen anderer Mißbehagen bereitet. Wir wollen die Kategorie stimmungstörender Verneiner nicht länger unterstützen! Tanz kann letzte Loslösung von Mühen und Sorgen des Alltags bedeuten, auch dann, wenn man nur als Schlachtenbummler sich zwischen die Parteien mischt.

Opposition gegen verjüngende Kraft des Rhythmus ist Kampf gegen Windmühlenflügel – laßt euch von dem inneren Gleichklang der Grazie des modernen Tanzes mitreißen und erfüllen, einerlei, ob er »English waltz«, Quickstep, Blue, Fox oder Tango heißt. Frauen tanzen gern und leidenschaftlich – bei uns und anderswo – macht es ihnen nach, ihr Temperamentlosen, um eine weitere Brücke zu schlagen, die die schmale Kluft zwischen den Geschlechtern überdacht.

Feingefühl und Takt, Anpassungsfähigkeit und Selbstvertrauen haben dabei ein Wort mitzureden. Die Damen dürfen nie merken, daß Nichttänzer vor handen sind, so geschickt haben diese ihren Posten als Causeur und Ballsaalkiebitz auszufüllen. Für die Einladung im Privatheim gilt nach wie vor das ungeschriebene Gesetz, daß der erste Tanz eines jeden der Hausherrin gehört – die ungestüme Jugend sollte darauf nie vergessen.


»Tanzen Sie denn gar nicht«

Tanzen ist keine Turnstunde. Machen sich Anzeichen von Überhitze bemerkbar, ist im Namen der Hygiene und Ästhetik Zurückhaltung geboten. Weiße Glacéhandschuhe bleiben daheim im Seidenkästchen für ganz offizielle Festlichkeiten – ein Paar reicht für den ganzen Lebenslauf. Halte rechten Kurs auf dem Parkett, rase nicht planlos von Steuerbord nach Backbord, behandle Puder und Robe deiner Partnerin wie eine zerbrechliche Porzellandose, nichttanzende Gatten und Begleitpersonen mit der unerläßlichen Wertschätzung. Benütze die Tänzerin nicht als Prellbock, sondern opfere deine Lackpumps fremden Tritten – entschuldige dich süß lächelnd, wenn der Absatz eines kleinen Damenschuhs deinen Fuß durchbohrt.

Wer wagt, kann beim Tanz – buchstäblich im Handumdrehen alles gewinnnen![142]


Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 142-143.
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