Die Freundin.

[159] »– aber sie ist doch nicht seine Frau!« –

»Sie sind über vier Jahre befreundet, man kann sie ruhig miteinladen!«

»Illegitime Angelegenheiten unterstütze ich prinzipiell nicht; warum heiraten sie nicht?«


Die Freundin

»Ja, warum heiraten sie nicht?« – ein sich von Lippen zu Lippen fortpflanzendes Echo der glücklich oder meistens nicht glücklich Verheirateten. Es geht um – die Freundin! Seit Jahrzehnten wird sie zur Diskussion gestellt. Fiel erbarmungslos durch. Sie war gesellschaftsunfähig. Und selbst, wenn sie gestern noch auf »du« und »du« und ganz intim mit ihrer jung verheirateten Schulkameradin war und in einem vertraulichen »tête-à-tête« ihr Geheimnis kundgab, rückte diese unwillkürlich ein wenig beiseite, schien äußerlich noch sehr interessiert, bewunderte den Mut und die Entschlossenheit ihrer reizenden Kumpanin, ließ da und dort die Gefahren einer »wilden Ehe« durchblicken – verabschiedete[159] sich schließlich mit gemachter Herzlichkeit und sagte abends zu ihrem Mann: »Weißt du – die Gaby, sie hat einen Freund – es wird ja nicht der erste sein, eigentlich ist sie eine unmögliche Person!«

Heute hat sich »die Freundin« durchgesetzt. Man hat eine solche Propaganda für sie gemacht, daß es beinahe schon zuviel ist und manche Ehefrauen sich zurückgesetzt glauben. Der das Leben kennende vernünftige Mensch urteilt mit Überlegung. Der junge Mann, der, erst im Anfang der Laufbahn stehend, einen Haushalt gründen sollte, hat das Recht, sich zu attachieren. Das junge Mädchen, das meist mit Anfang Zwanzig selbständig tätig ist und die natürliche Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe empfindet, mangels Geld oder sonstiger Hindernisse nicht gleich zu heiraten imstande ist, wird nicht mehr über die Achsel angesehen, wenn sie in der nötigen Diskretion und der vollkommenen Unauffälligkeit mit einem Freund gemeinsam Jugendzeiten verlebt.

Das oft falsch und ungenau angewandte Zitat Goethes wird mehr denn je in die Praxis umgesetzt: »Drum prüfe, wer sich ewig bindet!« Beugt Enttäuschungen vor! »Die Freundin bringt es an den Tag,« das, was ihr in der Frau sucht, was gefällt, was euch abstößt. Wie könnt ihr ein weibliches Wesen beurteilen und verstehen, wenn ihr es niemals kennen, lieben und verstehen gelernt habt? Ihr habt das Recht auf die Freundin, aber auch die eherne Pflicht, sich ihrer anzunehmen, ihr zu helfen und ihr getreulich zur Seite zu stehen, solange das Schicksal euch zusammenschmiedet, was oft bindender und ernster zu nehmen ist als ein gesetzlich unterzeichneter Kontrakt am grünen Tisch.

Aber – und nun kommt das große »Aber« – »prüft« nicht zuviel! Nicht heute »braun« und morgen »blond«. Wechselt nicht die Freundin wie eure Wäsche, verschleudert euch nicht im Massenkonsum, und sucht nicht nur in der Frau physische Befriedigung, sonst haben die Freundinnenverächter recht, und ihr degradiert nicht nur sie, sondern auch euch und die Zeit, die uns weitestgehend entgegenkommt.

Willkommen die Freundin – die, so wie sie sein soll, prädestiniert ist, mit euch die verlockendsten Jahre des Lebens in einem irdischen Paradies zu verbringen und Hand in Hand mit euch von den sogenannten illegitimen Pfaden hinüber auf legitime zu wandeln. Die Statistik spricht für euch und ergab die interessante Tatsache, daß die nachweislich glücklichsten und ungeschiedenen Ehen zu 60 Prozent auf vorangegangenem Freundschaftsverhältnis basierten. – Wir akzeptieren die »Freundin«![160]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 159-161.
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