»Schönes Fräulein, darf ich's wagen ...?«

[114] Daß das Alleinsein stark macht, behauptet zwar Bismarck, doch werden nicht alle freudigen Herzens sich diese Moral für Höhenmenschen zu eigen machen und deshalb gar oft in die Verlegenheit kommen, die Gewissensfrage zu stellen: »Soll ich oder soll ich nicht? – ansprechen, nämlich!«

Unter uns Gentlemen setzen wir voraus, daß diese Methode, eine uns fesselnde Frau in unseren Bannkreis zu ziehen, nicht ideal zu nennen ist. Aber manchmal sind die Ereignisse stärker als wir. Eine Rundfrage in England hat kürzlich ergeben, daß sich die Ladies nicht prinzipiell und unter allen Umständen gegen unformelles Bekanntwerden aussprechen – »es käme stets auf das Wie und den Weran!«

Ein Mann von Welt, der Zeichen zu deuten weiß, wird sich nie einem peinlichen Refus aussetzen, sondern nur dann das Äußerste auf offener Straße oder an drittem Orte wagen, wenn 100% Sicherheit vorliegen. Geist und Charme, Instinkt und Auftreten haben hier das entscheidende Wort. Niemals darf eine Dame in Verlegenheit gebracht werden, darf die Umwelt auch nur ein Atom des Vorgangs verspüren. An Taxi- und Tramhaltestellen sind Kavalierdienste Anknüpfungspunkte. Ist die Promenade exponiert, wird man sich Hausnummer merken und dem Portier ein »douceur« in die Hand drücken ... Falls beim exklusiven Tanztee oder im Theaterfoyer eine Annäherung auffallen würde, hilft uns die allwissende Vermittlung des »letzten Mannes« – der seiner Kollegin nötige Instruktionen weitergeben kann.

Antiquiert und lächerlich ist die Zeitungsannonce. Sie führt fast nie zum Ziel; die Chance, daß der bekannte Partner sie liest, ist gleich Null. Hingegen wird ein dezenter Blumengruß, sobald es sich um alleinsitzende Frauen handelt, das Schicklichkeitsgefühl nie verletzen. Unter allen Umständen bleibt der Feinfühlige mit seiner Person so lange im Hintergrund, bis die Situation geklärt ist und die Vorposten ihre Pflicht erfüllt haben.[114]

Noch eins: Geschmacklos ist, sich hinter einem »nom de guerre« zu verschanzen: nur Offenheit kann in wichtigen Sekunden die klaffende Kluft der Anonymität einer wirklichen Dame gegenüber zu einem haltbareren Gesprächsthema überbrücken.

Anders ist es nur, falls Rücksichten zu üben sind, ein Flirt auf Stunden sich anbahnt oder in fremden Städten, fernen Ländern Abenteuer auf uns einstürmen – dann, nur dann darf man ungestraft als Harun Al Raschid Augenblicke des Rausches genießen, ohne den bitteren Nachgeschmack der Ernüchterung befürchten zu müssen.


»Schönes Fräulein, darf ich's wagen ...«

Wie amüsant ist doch die unendliche Skala der Erscheinungsformen der Frau, die uns eine Annäherung von selbst erleichtert und nahelegt. Fast geht sie in das Lager der eigentlichen Lady über, macht jedenfalls dicht davor »Halt« und wandelt sich nur dem Begriff und der Wertsumme nach, wenn es sich um den letzten Schritt, den der Ehe oder eines Vermögens, handelt.

Der Don Juan aus Profession wird auch in ihm völlig unbekannter Umgebung blitzschnell herausempfinden, ob Geld mitspricht, ob Banknoten allein entscheiden, wie weit und wie hoch er gehen darf. Die Metropolen aller Länder haben ihre Brennpunkte, das Dorado der Geisha. Die »oberen Zehntausend« unter diesen nennen stolz ein Appartement in einem Luxushotel ihr eigen, es gilt, sich nicht verblüffen zu lassen Paris, Rom, New York, London haben den Typ der »Probefreundin« erfunden; gebildete, hochstehende Künstlerinnen, Mannequins, Studentinnen, deren Bekanntschaften man mit Hilfe vornehmer Agencen machen kann, die meist ihr eigenes Heim haben und in Literatur, Sport und »in der Welt, in der man sich nicht langweilt«, zu Hause sind.

Ob so oder so, auch im Zeitalter der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Potenz wird die Frau jegliche Methode der Huldigung schließlich doch tolerieren, wenn sie nicht herabsetzt, sondern hebt und – den eigensten, inneren Wünschen entgegenkommt![116]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 114-117.
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