Weltenbummlers Vademekum.

[119] Seit Gullivers Zeiten ist das Reisen mit einem dicken roten Strich auf der »Haben-Seite« des Lebenskontos unterzeichnet. Die Römer hatten ihre genau umschriebenen Termine, die sie nach Bajä zu den Thermen führten, Goethe seinen Seelenfahrplan, der ihn pünktlich auf das Datum nach Italien zog, und wir: Kursbuch, Landkarte und Luftlinien.


Weltenbummlers Vademekum

Fest umrissen sind Standardperioden wie:

St. Moritz-Saison! Vornehm zu Weihnachten und Neujahr, Hochbetrieb anschließend bis 15. Februar. Oie internationale Lebewelt verlegt dann ihr Quartier zugunsten der Nachkurgäste an:

Die »Côte-d'Azur«. Hier herrscht bereits seit Ende Januar Fülle und festliches Treiben. Ooch hitzt die Sonne erst, wenn der Karneval in Nizzas Gassen vorbeigerauscht und die erste Blumenschlacht, Ende Februar, geschlagen ist. Von Mentone über Monte Carlo bis Nizza altbewährte Orte für Stammkundschaft: Eleganz und Exklusivität dominieren westlicher in: Juan- les-Pins und Cannes bis Ende März. Es folgt: Biarritz! Bis in den Sommer hinein gleichzeitig mit San Sebastian, das Dorado für Begüterte, denen weder Rolls-Royce-Burgen noch veritable Majestäten Unsicherheit einzuflößen imstande sind.

Meran, die Oberitalienseen und die Genfer-See-Idylle mit Anemonen und Narzissen kennen ihren ersten Höhepunkt zwischen Ostern und Pfingsten. Der wichtigere und international anerkanntere, wie bei Stresa, Villa d'Este, liegt im September.

Londons berühmte »season« beherrscht traditionell Mai und Juni bis zum Wimbledon-Tennisturnier. Nach Paris geht man im Frühjahr und Herbst, nach Rom zu Ostern, wenn die Pilgerfahrten beginnen.

Lido und Venedig haben ihre Glanzzeiten verändert, nicht mehr im milden September, sondern unter brütender Sonnenglut im Scheitelpunkt des August. Etwas später setzt man zu Brioni hinüber, mit Bad, Polo, Tennis und Golf, Tanz und »dolce far niente«.


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Daß die Hochalpen vor Anfang Juli durchschnittlich ungenießbar sind und für Touren seriöser Natur ungeeignet, dürfte jeder wissen.

Willst du deiner Frau Erholung vor dem Sommer gönnen und das Ausland meiden, schenke ihr ein Ticket und Unterbett nach Baden-Baden, Bühlerhöh und Nauheim, Wiesbaden nicht zu vergessen! Dem Sportsmann bieten ebenfalls von Mai bis Juli die Golflinks von Oberhof und Salzbrunn gewünschtes Training.

Nord- und Ostsee florieren zusammen mit Regatten und Tennisturnieren die Sommermonate hindurch!

Nordkap und Fjorde genießt man in warmen Sommermondnächten zwischen Juni und Juli.

Schwieriger wird die Sache, wenn der Oktober vorbei ist!

Selbst Kairo und Sizilien sind erst ab Januar begehrenswert, und am herrlichsten im Februar-März. Das mittlere Italien mit Florenz, Tausendmeterorte (Harz, Riesengebirge), der Winterkurort Semmering sind eine gern gewählte Zuflucht.

Die Heilquellen mit ihren Spezialkuren locken längst nicht mehr nur Rekonvaleszenten oder Kranke, sondern auch Anhänger mondänen Getriebes in Bann, wie: Gastein, Marienbad, Karlsbad, Pistyan, Vichy!

Mit dem ersten Schnee werden Ski und Rodel hervorgeholt, um in die Voralpen zu ziehen und schließlich wiederum an den Sprungschanzen von Garmisch-Partenkirchen, Zella. S., Gstad, Klosters, Pontresina, Chamonix, zu landen.

Ob »pater familias« oder Hausfreund, Interimsgatte oder sorgender Sohn, ein jeder muß in der Tabelle des Kursbuchs die genialsten Verbindungen ebenso gut ausfindig machen können wie den jeweils für Stimmung, Befinden und Mentalität passendsten Au fenthalt. »Alle Wege führen nach Rom«, es brauchen nicht immer die ausgetretenen zu sein, wir weisen hier einige noch von einem kleinen Kreis gehütete: Mondello (Sizilien, bei Palermo), das winterliche Cortina, Cap Antibes (Riviera im August), La Baule (Normandie Juli–August), Bad Saarow (Mai), Baden bei Wien (im Herbst) und Dalmatien mit Zara, Ragusa (April und Spätherbst)![121]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 119-122.
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