A B C

[99] In London heißen die Aschingers: A B C (wenn man von den schon feudaleren Lyons absieht). Dort geht ein Lunch im Blitztempo – die ganz Eiligen bleiben bereits an der Theke und essen im Stehen, indes die neuesten Citywitze kursieren. Das Quick-quick hat bei uns auch Einzug gehalten. Dem Junggesellen spart es Zeit, der Verheiratete braucht nicht nach Hause zu hetzen. In Hut und Mantel werden Würstchen und Pilsner rasch verzehrt – kein Mensch denkt daran, Garderobe abzugeben-Tische zu suchen – time is money.


A B C

Unser ganzes Tagesprogramm bekommt allmählich so eine A B C-Note – leider. Auch im Laden nimmt im Ausland kaum ein einziger Herr mehr den Hut ab, es handle sich denn um ein kleines Luxusgeschäft, das gerade von kauflustigen Damen bevölkert ist. Hotelhalle rechnet zur Straße – das Haupt darf bedeckt bleiben. Dafür gilt das Aufbehalten des Hutes im List bei Anwesenheit einer Dame als Gipfel der Unschicklichkeit!


A B C

[99] Ist die Hast noch so groß – immer und immer wieder mahnt eine imaginäre Leuchtschrift: zuerst die Damen. Wir wollen ruhig bei unserer Wohlerzogenheit bleiben, die uns den Platz im vollgepfropften Abteil einer müden Lady (bitte, nicht nur hübschen und jungen!) einräumen läßt, obwohl man in Neuyork oder London das Gegenbeispiel in abschreckendster Form beobachten kann. Der Yankee betrachtet die Durchschnittsfrau als Arbeitskollegin – fährt sie zur Bahn, ist sie vermutlich berufstätig, ergo braucht sie keine Rücksichtnahme! Für uns ein noch zu brutaler Standpunkt – auf dem Kontinent sind junge Männer mit Recht noch stolz darauf-wenn sie für ihre Dame aus dem Tohuwabohu vor dem belagerten Büfett die besten Leckerbissen ergattern, die letzte Zigarette opfern, ihr den gesicherten Eckplatz im Restaurant erkämpfen und zu ihren Gunsten an Garderoben gern zurückstehen dürfen. Laßt uns weiterhin so altmodisch sein![100]


Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 99-101.
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