[93] Havana und Kuba, Brasil und Virginia – es sind Zaubernamen geworden, die ein geheimes Reich erschließen, dessen Pfade eigentlich eines Führers bedürften nach Art der »ars amandi« Meister Ovids.
Wer weiß im Grunde Genaues von den tausendfältigen Eigenheiten und Naturen der Papyrosse und gerollten Tabake, der Provenienzen und Mischungen, die ebenso wichtig sind wie die Merkmale des russischen und chinesischen Tees? Dabei ist es im Grunde nicht einmal nur Geldfrage. Die Diktatur der Importe entspringt einer Komponente von Snobismus, Servilität, Kennerschaft und Aristokratentum. Nicht jedem sagen die sündhaft teuren Kästchen mit romantischen Aufschriften das gleiche, unter zehn Rauchern wird kaum einer Qualität zu würdigen und das Aroma zu genießen wissen.
Gesteht es, wenn euch die noch duftig-feuchte, gegen das Ende zu bitter schmeckende »Echte« nicht behagt, nichts ist gefährlicher als Protzentum auf Kosten von Gesundheit und Geldbeutel. Gewaltig ist der Unterschied zwischen dem Kenner, der in liebevoller Pflege sein Havana-Assortiment, etwa die kleine »Bock«, »Henry Clay«, »Corona«, »Partagas« oder »Romeo y Julieta« in einem Spezialbehälter auf Lattenrost zart und nachgiebig hält, und dem Gesellschaftsusurpator mit seinen wahllos angehäuften Schätzen, deren Wert nach Tausenden zählt.
Auch mit wenig Geld kannst du Verwöhnteste befriedigen. Gewöhne dich daran, bestimmte Sorten von ersten Häusern zu beziehen und dabei zu bleiben. Eine in Hamburg gedrehte Havana tut bei deinen Gästen die gleichen Dienste wie eine in durchsichtiger Hülle ruhende 3-Mark-Versündigung. Bist du selbst – zu deinem Glück – Nichtraucher, achte auf kleine Kniffe:
Deutsche sind Farbenraucher – je heller das Deckblatt, desto größer die oft unberechtigte Begeisterung. Zwei bis drei Formate sind vonnöten, darunter ein schmales, ein voluminöses und ein Coronas. Ausländer, Künstler und Geistesarbeiter begehren die schwere, aber würzig-süße Brasil, Südländer die lange Virginia – keine italienische und französische, nein die unansehnlich-runzlige österreichische – indes für den Mitläufer etliche Zigarillosorten nicht fehlen sollten.
Hier einige nichtdeutsche regierende Häuser im Staate Nikotiniens: Abdulla, Philip Morris, Simon Arzt, Nestor Gianaclis, Muratti, Laurens. Hoch in Mode bei den »Upper-ten« ist speziell die Morriszigarette, jedoch wäre es leichtfertig, die Auslandsware stets zu bevorzugen, ist doch zum Beispiel die hier als Luxusgeschöpf auftretende »Camel« in Wirklichkeit ein Allerweltskind, nur durch den Zoll zur falschen Prinzessin geworden. Willst du gelegentlich nicht Landläufiges vorsetzen, greise zu Orienttabaken; nicht sogenannte ägyptische – Ägypten hat selbst gar keinen Anbau und verarbeitet nur – sondern türkisch-mazedonische, wie sie die tüchtige Regie der Türkei liefert. Auch die besten Sorten der österreichischen Regie sind lecker – nur Hände weg von den Giften der staatlichen Manufakturen Italiens und Frankreichs. Dort verlange man importierte Erzeugnisse.
Hast du wahrhafte Ladies in deiner Behausung eingeladen, versuche, falls der Raum es gestattet, ihnen ein rauchfreies Plätzchen zu reservieren, sie werden dafür Dank wissen. Pfeifenrauchende Eindringlinge werfe kurzerhand die Treppe hinunter. Frönst du persönlich diesem im Freien ergötzlichen und verständlichen Laster, so verschone Schlaf- und Wohnzimmer mit Knast oder »kaltem Ozon«. Als höflicher Mann fügst du dem Rauchsortiment ein paar Damenzigaretten schmaler Form bei – die unter der Flagge »Russen« segelnden, sowie blumige Spezialitäten unserer hervorragenden heimischen Fabriken sind das Richtige.
Legst du schließlich darauf Wert, nicht nur glimmendes Stroh, sondern edlen Tabakduft zu inhalieren, so lasse dein Eigentum nicht frei herumliegen – bewahre es fern von der Heizung im trockenen Wandschrank auf, als Feuchtigkeitsnachschub in unmittelbare Nähe rohe Rüben oder saftige Kartoffeln. Die deutsche Zigarre von Mittelqualität muß knistern, Havanatabake verlieren bei Auszehrung Bukett und Aroma.
Unter vier Augen noch ein Trick: Lerne mit der Handmaschine Zigaretten zu stopfen, was im Süden jeder kann – die herrlichsten Tabake geben billige Zigaretten ab. Überhaupt nicht zu schlagen ist der Künstler, der mit Blitzesschnelle zwischen den Fingern aus hauchdünnem Papier und goldfarbenem »Herzegowina« einen Papyros dreht, der in Güte von keiner Bockzigarette übertrumpft wird.
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