»Urahne – Großmutter – Mutter und Kind –«

[118] Wir kamen aus zweitausend Meter Höhe. Vor uns eine blendend gewachsene Jungenfigur, welche die tollsten Kapriolen auf Schneeschuhen vorführte. Meine Begleiter wurden unruhig: »Donnerwetter, ein rassiger Fratz.« »Ich wette, blonder Wuschelkopf und braune Augen.« »Nach den Beinen zu schließen, muß es eine der Tänzerinnen aus dem ›Casino de Paris‹ sein, die neben uns im Palace ...« »Wollen wir sie nicht überholen, um genau festzustellen –« »Sie ist verteufelt schnell und scheinbar ein kleiner Satan, denn sie tut, als ob wir Luft für sie wären.« »Eine Frau muß den Angriff wagen, komm, sei lieb und fahr vor.« Gesagt – getan. Ich erledigte alles wunschgemäß. Bei meiner Rückkehr bestürmte man mich a tempo: »Na, wie, kastanienrot, blendende Zähne, vierundzwanzig – verrückt, höchstens neunzehn??« Ich erwiderte wahrheitsgemäß: »Einzelheiten stimmen. Alter gegen sechzig!« Man fiel auf den Rücken.

Diese hohe Fünfzigerin war unerhört! Und gerade – nun kommt das paradox Scheinende – ihr Alter fast das Reizvollste an ihr. Meine zunächst enttäuschten Begleiter machten ihre Bekanntschaft, und eine Woche später wurde mir von dem einen vertrauensvoll berichtet: »Von dem neunzehnjährigen Wuschelkopf wäre ich à la longue vielleicht enttäuscht gewesen, von dem sechzigjährigen nicht!«


»Urahne - Großmutter - Mutter und Kind -«

Das Zeichen der Zeit! Es gibt keine alten Frauen mehr – die Sehnsucht, jung zu bleiben, erfüllbar! Richtet euch danach, ihr Generationen, die Wege sind euch gewiesen, die Mittel in eurer Hand. Wenn ihr es erreicht, daß man von dem Kind sagt: »Trotz ihrer fünfzehn Lenze ist sie eine vollendete, kleine Lady'«, und von der Urahne: »Dieser scharmante Backfisch soll sich einmal umdrehen«, dann sind wir der Unsterblichkeit bedenklich nahe gerückt![118]


»Urahne - Großmutter - Mutter und Kind -«

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 118-119.
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