Der ver»herr«lichte Chauffeur.

[127] Im Siebzig-Kilometer-Tempo jagten wir hintereinander her – zweimal hatte mich der Mensch schon überholt – aber jetzt hinter der Fähre werde ich einen Vorstoß riskieren, der ihn in den Schatten wirft – ich mit meinem »Sechszylinder«, das wäre ja gelacht!

Wie blasiert dieser Mann dasitzt, tut so, als ob ich Luft für ihn sei. Er gehört bestimmt zur Kategorie der Frauenfahrerverächter. Aber das stört mich nicht, im Gegenteil – nun will ich es ihm gerade beweisen ...

Das erstemal holte er mich richtig tückisch und hinterrücks, gleich hinter Pasewalk. Eigentlich waren wir noch halb in der Stadt, in der man höchstens dreißig Kilometer fahren darf – man hätte ihn ebensogut anzeigen können. Man ist ja immer zu gutmütig, aber – offen gesagt – seine phantastische Eleganz er schlug mich! So im Vorbeijagen erhaschte ich sein Profil: kleine Valentinonase, todschicke sandfarbene Wildlederkappe, grauseidenen Staubmantel, »dernier cri«. Als sein Vorderrad eine knappe Meterlänge Vorsprung hatte, lächelte er dünn zu mir herüber, so als ob er sagen wollte: »Schimmerlose Anfängerin.« Kindisch sind diese »Herren der Schöpfung« – wegen einer Meterlänge, im Dreißig-Kilometer-Dorf Triumphe zu feiern!

Ich habe es geschafft! Ich zitterte vor Erregung, um ein Haar wäre es schief gegangen, ein Ausweichen schien unmöglich, im letzten Augenblick riß ich den Wagen herum und beschimpfte den Kerl wahnsinnig, daß er so rücksichtslos in der Mitte ... aber dabei – mein Himmel, der Kerl ist eine Frau, genau so wie ich – nur mit Valentinonäschen, Lederkappe und Seidenmantel. Nichts mit Nelken, Black Bottom, Golfpartie – der Ostseeflirt war ein Reinfall!
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Der ver»herr«lichte Chauffeur

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 127-129.
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