Weiterreise

[170] Hier trennte sich endlich die Gesellschaft, und einige nahmen diesen, andere jenen Weg; mein Herr aber beschloß, mit der Post nach Utrecht zu reisen. Als er das Einschreibegeld bezahlen wollte, wurde er, zu unserm beiderseitigen Schrecken, gewahr, daß seine Geldbörse weg war. Ich erbot mich, nach dem Bauerhofe zurückzugehen, mein Herr meinte aber, daß es ungewiß wäre, ob ich die Börse fänd oder ob sie nicht schon gefunden wäre; deswegen war nun guter Rat teuer. Die Münzsorten, die ich bei mir hatte, waren hier nicht mehr gültig; dem Herrn war es zu schimpflich, einen andern Passagier seine Geldverlegenheit merken zu lassen; es blieb mir daher kein Ausweg, als meine Taschenuhr für drei Dukaten einem Mitreisenden unter der Versicherung zu verpfänden,[170] daß ich sie gleich nach unsrer Ankunft in Amsterdam wieder einlösen wolle.

Dieses Geld reichte gerade hin, die Reisekosten bis Amsterdam zu bestreiten. Mit Sonnenuntergang kamen wir, ohne irgendeinen Aufenthalt, schon vor dem Utrechter Tor an, weil wir auf den Stationen äußerst schnell befördert wurden. Gewöhnlich kam der neue Postillion schon reitend aus dem Stalle, ein zweiter spannte an, und ein dritter nahm das Geld in Empfang.

Bei der Brücke hielt unser letzter Postillion an und rief: »Wer nach Amsterdam will, der steige ab.« Wir hatten keine Zeit zu verlieren, denn indem wurde schon die Glocke geläutet, welche den Abgang der Treckschuit andeutete, auf der wir zum Glück noch zu rechter Zeit ankamen, da mein Herr mir den Koffer dahin tragen half.

Von dieser Nachtreise kann ich nichts Merkwürdiges anführen, als daß wir noch einige Lebensmittel, aber nichts zu trinken hatten und oft Nebenabgaben bezahlen mußten, zu deren Entrichtung der höfliche Schiffer auch die Schlaflustigen ermunterte.

Noch vor Tagesanbruch landeten wir zu Amsterdam und fanden schon eine Menge lauernder Tagelöhner am Ufer, vor deren zuvorkommender zweideutiger Dienstfertigkeit man nicht genug auf seiner Hut sein konnte. Einer von ihnen, der es uns ansehen mochte, daß wir fremd waren, erbot sich, unsern Koffer zu tragen und uns in ein gutes Logis zu bringen. Mein Herr ließ es sich gefallen. Er führte uns über eine Gracht (Brücke), dann durch eine lange Straße wieder über eine Brücke und in eine Seitengasse, so daß wir endlich stillstanden und ihn frugen, ob es noch lange daure, ehe wir an Ort und Stelle kämen. Er entschuldigte sich, daß in den Hotels, vor welchen wir vorbeigekommen wären, die Türen vor acht Uhr nicht geöffnet würden. Endlich stand er vor einem Hause still, das ein sehr verdächtiges Schild hatte; er ergriff die Klingel und wollte schellen. »Halt, Kerl«, rief ich, »hier sollen wir logieren?« – »Ja«, war die Antwort. »Halunke,[171] dich soll ja das Wetter regieren«, erwiderte mein Herr, während ich mit dem Stock auf ihn eindrang, dessen Hieben er sich durch eine schnelle Flucht entzog. Vor diesem Hause konnten wir nicht stehen bleiben, daher mußte mein Herr sich entschließen, mir den Koffer bis in die Warmoesstraat in die »Krone des Engels« tragen zu helfen, wo wir eingelassen wurden.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 170-172.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers