Abgang von Karlshafen und Einzug

in die Meierei zu Tietelsen

[24] Während meiner Krankheit hatte der Vater sich mit den Vorkehrungen zum Einzug in seine Meierei beschäftigt und, zur Anlegung der Stärkemanufaktur, ein paar Säcke Weizen und Kartoffeln angeschafft, welche damals außerordentlich geraten waren.

Kaum war ich genesen, so mußte ich mit meinem Bruder mich zum Abgang nach Tietelsen anschicken, wo wir künftig uns wenigstens drei Kühe halten, jährlich unsre Schweine und anderes Vieh schlachten, Holz in Überfluß, alle Woche unsern Braten und – mit einem Worte – die besten Tage von der Welt haben würden.

Unvergeßlich ist mir der Montagsmorgen, wo wir unsern bisherigen braven Wirtsleuten unser Lebewohl sagen und dem Vater nach seinem angeblichen Paradies folgen mußten. Unterweges dahin machte uns derselbe auf die treffliche Weide und außerordentliche Waldung aufmerksam, in welche man sein Rind- und Schweinevieh treiben könne; er schilderte uns den Nutzen, welchen die Buchen wegen des Öls und die Eichen wegen der Schweinemast gewährten; aber er verschwieg uns, daß man zum Ankauf des Viehes Geld haben müsse, daß nur in strengen Wintern, aber nicht im Sommer das Holz aus den mit Morast umgebenen Wäldern geschafft werden könne und daß mehr davon verfaule, als geschlagen werde.[24]

Endlich kamen wir in das gerühmte Paradies, das, von andern Häusern isoliert, ringsum mit Leede umgeben war.

Schon in den ersten Tagen unsers Einzugs wurde der Vater gewahr, wieviel ihm fehle und daß er mit unsrer Hülfe allein seine Glücksplane nicht ausführen könne. Er beschloß daher, noch einen Sturm auf das Herz unsrer Mutter zu wagen, um sie zu bewegen, mit den übrigen Geschwistern zu uns zu ziehen und durch ihre Hülfe das Geschäft in Gang zu bringen. Nachdem er daher mir und meinem Bruder unsre Arbeiten während seiner Abwesenheit angewiesen und uns bei einem Freunde in einstweilige Beköstigung verdingt hatte, machte er sich ungesäumt, von unsern guten Wünschen begleitet, auf den Weg.

Der herannahende Winter und die verschiedenartigen Einwohner des Orts, die aus Franzosen, Juden und Katholiken bestanden, machten, daß wir uns wenig aus dem Hause wagten und sehnsuchtsvoll der Ankunft unserer Mutter und Geschwister entgegensahen.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 24-25.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der deutsche Gil Blas
Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers