Plötzliche Feuersbrunst zu Zarrentin

[58] Am Sonntage vor Ostern des Jahres 1775, als meine Pflegeeltern in die Kirche gegangen waren, um zu kommunizieren, brach auf einmal bei dem Nachbar neben dem Katen, worin ich krank lag, Feuer aus. Auf einmal trieb mich der Dampf aus dem Bette, und schon glaubt ich mich für verloren, da das Feuer meine Kammer ergriffen hatte, als ich zum Glück das offene Fenster erblickte, durch welches ich mich glücklicherweise drängte. Hätte die allwaltende Vorsehung mich nicht beschützt, so wär ich ohne Zweifel das Opfer des Feuers geworden, denn kaum war ich zum Fenster hinaus, so prasselte der Katen funkensprühend zusammen. Da ich nirgends jemanden gewahr wurde, so kroch ich auf allen Vieren nach dem nahe gelegenen Backofen, in dem ich mich verbarg, weil ich nicht weiter kommen konnte. Kaum war ich hinein, so gingen auch die umstehenden Bäume in Flammen auf, wodurch mir der Ausgang vereitelt wurde. Die Angst, in der ich war, als ich ringsum[58] und neben dem Backofen alles in Flamme sah, kann ich nicht beschreiben, und da ich zum Unglück heiser war, so konnt ich nicht einmal um Hülfe rufen!

Eben ist der Geistliche im Begriff, die Kommunion auszuteilen, als der Feuerlärm alles in Schreck versetzt und in wilder Unordnung aus der Kirche treibt. In Zeit von weniger als einer Viertelstunde liegen schon vierzig Häuser nebst Scheunen und Ställen in Asche, und nur mit äußerster Anstrengung gelingt es, dem weitern Fortgange des Feuers Einhalt zu tun. Bei der Ankunft meiner Pflegeeltern war ihr Haus fast schon gänzlich niedergebrannt und außer der alten, tauben Großmutter nur wenig mehr zu retten, und sogar das, was ins Feld gerettet worden war, ging verloren und wurde gestohlen.

In der Angst hatte niemand an mich gedacht, und erst gegen Abend ward ich vermißt. »Daß Gott erbarm«, rufen meine Pflegeeltern, »wo ist denn unser Christoph? Gewiß ist der arme Junge mit verbrannt!« – Man eilt nun zur Brandstelle, durchsucht die Asche, findet keine Spur und kömmt endlich an den Backofen. Wie groß war ihre Freude, als sie mich entdeckten; triumphierend wurd ich herausgezogen und für diesen Augenblick der Verlust ihres Eigentums vergessen; ein Beweis, daß sie mich wirklich recht herzlich liebten.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 58-59.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers