Neue Dienstantretung und baldiger Dienstaustritt

[231] Noch war ich nicht ganz wiederhergestellt, als ich in einer Zeitung las, daß ein gewisser Landedelmann zu L ... bei Querfurt einen Hausverwalter suche, der servieren, rasieren und auch frisieren könne. Der Wunsch, gleich wieder in lohnende Tätigkeit zu treten, veranlaßte mich, die Reise dahin zu unternehmen, und ich hatte das Glück (oder vielmehr das Unglück), von ihm engagiert zu werden. Denn ob mir gleich ein ansehnlicher Jahrgehalt zugesichert wurde, so hätt ich doch gern schon am dritten Tage die Stelle wieder aufgegeben, da ich erfuhr,[231] daß ich in diesem Jahre schon der achte Dienstbote wäre, von denen die meisten ihren Lohn im Stiche gelassen hätten, um sich nur der sklavischen Behandlung und dem Arreste zu entziehen, dem sie daselbst ausgesetzt waren. Wirklich macht ich selbst gar bald die unangenehme Erfahrung, daß meines Bleibens bei dieser Herrschaft nicht von langer Dauer sein könnte. Für eine Ohrfeige, die ich ausgeteilt hatte, wurde Gerichtstag gehalten, und ich wurde um vierzehn Reichstaler zwölf Groschen gestraft.

Den ganzen Tag über war die Gutstüre verschlossen, und ohne Vorwissen der Herrschaft durfte niemand weder aus- noch eingehen. Vergebens zog der Arme die Schelle, in der Hoffnung, daß in solch einem angesehenen Hause ihm ein Geschenk oder Almosen gereicht werden würde; hier fand kein Trostloser Hülfe. Das männliche war vom weiblichen Geschlechte getrennt, so daß sich beide in einem Hause fremd blieben, indem es nicht einmal erlaubt war, miteinander zu sprechen, wenn nicht etwa die Herrschaft etwas mündlich befehlen ließ. Das Brot und sonstige Kost wurde täglich von der gnädigen Frau unmittelbar selbst den Dienstboten zugeteilt, und der freie Trunk bestand in Gänsewein. Wollte man sich nicht den Vorwurf der Verschwendung zuziehen, so durfte man nicht einmal nach einem Trunk Bier ausgehen, und wollte man dies ja, so mußt es vorher der hohen Herrschaft gemeldet werden. Für alles war man verantwortlich, das geringste Versehen wurde mit Arreste bestraft, und wurde irgend etwas beschädigt, so mußte sich's der Domestik von seinem Lohne abziehen lassen, es mochte durch seine Schuld geschehen oder nicht geschehen sein. Überdies waren anzügliche Worte die gewöhnliche Anrede dieser gestrengen Gebieter. – Indes, man sagt, alles Unrecht findet zu seiner Zeit seine Bestrafung, und dies ging auch bei dem Herrn von D. in Erfüllung, indem er die heftigsten Schmerzen an seinem Körper ausstehen mußte und endlich gar verblindete. Wer meine Lebensbeschreibung[232] bis hieher gelesen hat, wird das, was ich tat, voraussehen; ja, ich nahm meine Entlassung selbst und dankte Gott, als ich mich aus dieser Erdenhölle erlöset sah.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 231-233.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers