Abenteuer auf dem Harz

[140] Ich war angewiesen, zu Zellerfeld bei einem gewissen Schichtmeister Mineralien zu holen, womit der Herr Bergrat Voigt kabinetterweise einen einträglichen Handel trieb; deswegen nahm ich meinen Weg über Sangerhausen, Stolberg, Friedrichshöhe, wo ich von dem Fürst von Bernburg ein Geschenk erhielt, setzte meinen Weg mit einem Fuhrmann fort bis Hasselfelde, wo ich Gefahr lief, arretiert zu werden. Nämlich ich hatte meinen Schubkarren auf seinem Wagen, und bei einem Wirtshause war der Fuhrmann angefahren, sein Pferd zu tränken; ich ging in die Stube und ließ mir ein Glas Bier[140] geben. Indes war der Fuhrmann fortgefahren, in der Hoffnung, ich werde ihm folgen, ich aber bin in der Meinung, der Fuhrmann spannt aus; unbekümmert sitz ich in der Stube, als zwei Dragoner hereintreten, mich anreden, woher ich komme und was meine Geschäfte wären; ich bedeutete ihnen, aber sie fragten nach meinem Paß, den ich auf dem Karren hatte, lief hinaus und fand weder Karren noch Fuhrmann; der eine redete mich stark an und deutete mir an, ich sei Arrestant. Zu meinem Glück war der Fuhrmann bekannt, und ich erhielt zu meinem Trost die Nachricht, daß er auf den Abend wieder zurückkomme; er war in den Wald gefahren und hatte Kohlen geladen; glücklich kam er zurück, und ich war freigelassen.

Meine Tagreise war dadurch verspätet, und ich hatte auch einen großen Umweg gemacht; Rothesütte, Hohegeiß und Braunlage waren weit entlegen, weshalb ich mir einen Wegweiser mitnehmen mußte. Dieser brachte mich auf einen Waldweg, auf dem ich, wie er sagte, mich nicht verirren könnte. Ich ging daher unbesorgt fort bis in die späte Nacht, wo es so dunkel wurde, daß ich keinen Weg mehr erkannte und haltmachen mußte. Ich stopfte mir eine Pfeife Tabak und schlug mir Feuer an, wodurch ich so verwirrt wurde, daß ich nicht mehr wußte, wo ich hergekommen war. Auf gutes Glück ging ich daher wie ein Mühlbursche einem Bache nach, der mich nach einer Mühle leitete, worin ich erfuhr, daß ich nur noch eine halbe Stunde bis nach Hohegeiß hätte. Während ich meinen Weg dahin fortsetzte, brüllten mich plötzlich zwei mit Prügeln bewaffnete Kerls mit einem fürchterlichen »Wer da« an. Auf meine Antwort: »Gut Freund!« frugen sie mich, woher ich käme und was ich hier noch so spät zu tun hätte. Ich sagte ihnen, ich ging' meinen Geschäften nach! – »So«, erwiderte der eine, »hast du Geld?« – »Ach, nur wenig!« war meine Antwort, unter welcher ich meinen Beutel zu verbergen suchte, in dem ich noch zwei Reichstaler sieben Groschen[141] hatte. »Nun, so gib's«, rief ein anderer, »wir haben gar keins« – und – riß mir den Beutel aus der Hand und liefen damit waldein. Zum Glück hatt ich in meiner innern Rocktasche noch den für den Schichtmeister bestimmten Brief mit einem Louisdor. Als ich nach Hohegeiß kam, lag alles im tiefsten Schlafe. Kaum hatt ich an die Türe des Wirtshauses angepocht, so fiel mich unter fürchterlichem Gebell ein großer Hund an und biß mich in das Bein. Auf mein Hülferufen kam der Hausknecht ans Fenster, rief ihn von mir ab und öffnete mir dann die Türe zum Einlaß. Als Licht angeschlagen war, zog ich den Stiefel aus und fand, daß mich der Hund blutig gebissen hatte. Zum Glück befand sich unter den auf der Streue liegenden Gästen ein Balsamhändler von Königssee, welcher mir seine Hülfe anbot, mir die Wunde auswusch und, nachdem er Hundshaare mit Balsam daraufgelegt hatte, mir verband, worauf ich mich auch auf die Streue legte und den Anwesenden meine gehabten nächtlichen Unfälle erzählte. Der Schmerz der Wunde und der Gedanke an meinen Verlust ließen mich nicht schlafen. Früh war mein Bein so angeschwollen, daß ich nicht auftreten konnte und also dableiben mußte. Der Wirt war so gefällig, auf seine Kosten einen Boten mit dem Briefe an den Schichtmeister nach Zellerfeld zu schicken und durch ihn die fraglichen Mineralien abholen zu lassen. Während meines dreitägigen Aufenthalts erfreut ich mich der sorgsamsten Pflege der Wirtsleute und erhielt von allen Seiten Geschenke, welche meinen Verlust fast übertrafen. Erfahrung macht klug, deswegen war ich vor meiner Abfahrt so vorsichtig, nur vier Groschen Geld in der Tasche zu behalten, das übrige aber zwischen die Mineralien zu packen. Ich kam noch glücklich bei Tage über den Harz, wegen der Schmerzen an meinem Fuße war es mir aber nicht möglich, Nordhausen zu erreichen, ohne Vorspann zu nehmen, welches ich am folgenden Tage, von Dorfe zu Dorfe, bis Ringleben tat, wo ich einen Teil meiner Ladung bei dem[142] Herrn Landkommissär Voigt einsetzte und mit dem Reste weiter bis an das fürstliche Jagdhaus bei Ettersburg fuhr. Nachdem ich mich hier ein Weilchen ausgeruht und mir eine Pfeife Tabak angezündet hatte, macht ich mich in der Dunkelheit wieder auf den Weg. Schon war ich eine geraume Zeit gefahren, als ich ein Licht gewahr wurde, welches ich für ein Licht vom Weimarschen Stadtturme hielt und nicht aus den Augen ließ. Ich fuhr und fuhr bergauf, bergab, acht Stunden lang, ohne nach Weimar oder einen andern Ort zu kommen; wohl zehnmal war ich in Graben gefallen, daß mir alle Glieder am Leibe schmerzten. Endlich hört ich es vier Uhr schlagen, und die Morgendämmerung ließ mich erkennen, daß ich mich beim Weimarschen Spittel befand.

Hierbei muß ich bemerken, daß das Feueraufschlagen bei Nacht für einen Alleinreisenden nicht ratsam ist, denn gewöhnlich dreht man sich dabei und geht oft zurück, wo man hergekommen ist. Das Feueranschlagen war schuld, daß mir von den Räubern mein Geld abgenommen wurde und daß ich mich verirrt hatte.

So nahe ich dem Ziele meiner Reise war, so mußt ich doch noch einen Schreck überstehen, welcher mir mein Gesicht voller Blasen zuzog, und dies war nichts anders als ein Weiberhemde, welches zum Trocknen auf den Gartenzaun gehängt war und von mir für ein Gespenst gehalten wurde, bei dessen Anblick mir die Haare zu Berge stiegen. Nur mit Anstrengung gewann die Vernunft die Überhand über meine Furcht und trieb mich an, das scheinbare Gespenst näher zu untersuchen und mich dadurch zu beruhigen.

Der Herr Bergrat wollte sich über die Erzählung meiner Reiseabenteuer krank lachen und war so gütig, mir meinen gehabten Verlust doppelt zu vergüten.

Bei jeder neuen Reise, die ich für ihn machte, warnte er mich, vor Weiberhemden und Hundebissen auf meiner Hut zu sein.

Endlich trat in Gotha ein Mineralienhändler auf, welcher[143] seine Geschäfte ins Große trieb, wodurch der Absatz des Herrn Bergrats vermindert wurde, welches ihn veranlaßte, diesen Handel ganz aufzugeben.

Meine Frau war, nach abgelegtem Ammendienste, als Köchin angenommen worden, und da sich mir binnen Jahresfrist kein anderer Dienst in Weimar dargeboten, so teilte ich mein Spargeld mit meiner Frau und reisete wieder ab, mir auswärts einen Dienst zu suchen.

Fußnoten

1 Vom geschlachteten Vieh zum Trocknen aufgehängte Blasen.


Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 144.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der deutsche Gil Blas
Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers