Lebensgefahr auf dem Schaalsee

[71] So war ich den ganzen Winter hindurch hin- und hergefahren. Als das Eis schon stark im Auftauen und der Weg durch das Wasser sehr verdorben war, wagte ich noch einige Mal mich glücklich über den Schaalsee, uneingedenk, daß der Krug so lange zu Wasser gehe, bis er bricht. Ermutigt durch einen unbedeutenden Frost, den es die Nacht getan hatte, unternahm ich das Wagestück,[71] nochmals mich mit Schlittschuhen auf das Eis zu wagen, welches unter meinen Füßen prasselnd platzte. Schon war ich nur noch eine unbedeutende Strecke vom jenseitigen Ufer bei Seedorf, als es unter mir einbrach und ich bis über den Kopf ins Wasser stürzte. Eine geraume Zeit schwamm ich auf demselben herum und dem Ufer zu. Schon hatt ich eine Menge Seewasser eingeschluckt und war im Sinken, als meine Füße auf einen großen Stein trafen, worauf ich – bis an den Hals im Wasser – stehen blieb. In dieser Todesangst fing ich an, aus allen Kräften um Hülfe zu rufen. Zu meinem Glück hatten einige Holzhacker mich von fern zwischen den Eisschollen zappeln sehen, aber gezweifelt, daß es ein Mensch sein könne, da hier und da schon ganze Flächen eingebrochen waren; aber als sie mich so erbärmlich um Hülfe rufen hörten und sogar meine Stimme erkannten, so eilten sie zu meiner Rettung herbei. Sie banden in der Geschwindigkeit einige am Ufer liegende Wellen zu einer Art von Floß zusammen, womit einer von ihnen auf mich zurudern wollte. Da es ihn selbst aber nicht trug, sondern einsank, so hieben sie zwei Stangen ab, banden sie zusammen und ruderten damit das Floß auf mich los, welches ich erklamm und so glücklich gerettet wurde.

Sowie ich ans Land gebracht war, wollte einer dieser Leute gleich Vaterstelle an mir vertreten und würde mir einen tüchtigen Denkzettel aufgeworfen haben, wenn der andere es zugelassen hätte.

Um mich zu trocknen, ging ich zu bekannten Leuten in Seedorf, wo der Herr Kantor am Folgetage Gelegenheit nahm, über meinen Unfall und überhaupt über die Gefahren auf dem Eise andern zur Warnung zu sprechen. Mir war es nur bange vor den Schlägen meines Vaters, ohne die es nicht abging, sobald er den unbesonnenen Streich erfuhr, der ihm nicht verschwiegen bleiben konnte, da ich ein Buch verloren hatte, die andern mir aber durch die Nässe unbrauchbar geworden waren. Indessen kam ich diesmal noch mit heiler Haut davon.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 71-72.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers