Der Ball.

[252] Ball, von dem franz. bal, ital. ballo tanzen abgeleitet, bezeichnet entweder die zu einem Tanzfest vereinigten Personen, das dort stattfindende Tanzen oder auch das Tanzfest selbst.

Die Benennung Ball für Tanzfest ist ohne Zweifel franz. Ursprungs, da der Tanz bei den Alten nur gymnastischer oder theatralischer Art war, keineswegs nur zur Belustigung diente, also von unseren heutigen Bällen ganz abwich.

Die Franzosen haben es in der eigentlichen Tanzkunst unstreitig am weitesten gebracht, und das Zeitalter Ludwig XIV., mit den schönen Menuetts und Gavottes, welches dem ganzen übrigen zivilisierten Europa ein Vorbild des guten Geschmacks wurde, gab den schon bestehenden Tanzfesten mit dem neuen Namen Ball auch eine neue Gestaltung, die sich bald in alle Welt verbreitete. Gegenwärtig wird der schöne Name Ball in sehr liberaler Weise angewandt. Jede kleine oder größere Gesellschaft, die fröhlich nach den Klängen des Pianos tanzt, hält einen »Ball« ab, und doch sollte Ball, seinem Ursprünge entsprechend, nur als Bezeichnung dienen für eine zu dem bestimmten Zwecke des Tanzens eingeladene, ballmäßig gekleidete Gesellschaft, welche sich in einem großen wohlbeleuchteten Saale vereinigt hat und nach den Klängen einer schönen Orchestermusik und nach einer Ball- oder Tanzordnung[253] und anderen feststehenden Bedingungen und Vorschriften dem edlen Tanze huldigt, den Tanz zur Kunst erhebt. –

Ball! welche Wonne! Welche Fülle der Zukunftsfreude liegt in diesem Worte, wenn die Mutter der Tochter den Besuch des ersten Balles anzeigt. In ewiger Ferne scheint der große Tag zu liegen, und das junge Mädchenherz würde vor Erwartung und Sehnsucht zerfließen, würden nicht durch die wichtigen Vorbereitungen Sinne und Gedanken auf andere Dinge gelenkt. Nach dem Studium der Modejournale tritt für die Phantasie und die flinken Finger eine Zeit fleißigen Schaffens ein, und so hat diese schöne erwartungsvolle Zeit der Vorfreude auch eine nützliche Betätigung für die junge Dame im Gefolge. Doppelt groß ist die Freude am Ballabend, wenn die Freude und der Stolz wegen des als so chik bewunderten Kostümes noch erhöht wird durch das Bewußtsein, selbst daran geschaffen zu haben.

Der langersehnte Tag ist da, das junge Mädchen betritt zum ersten Male den Ballsaal. Da geht sie hin, die schlanke, zierliche Gestalt mit den Rosen auf den Wangen und in den Haaren. Freudestrahlend blickt ihr die liebende Mutter nach und nimmt mit Genugtuung wahr, daß die reizende Tochter die Blicke aller jungen und alten Herren auf sich zieht. Schon schwirren die Töne des ersten Walzers durch den Saal. Wie Zauberwellen klingen sie ihrem Ohr, Herz und Fuß belebend. Bald wiegt sich das junge Mädchen in den Armen eines Tänzers. Das Herz schlägt heftig, die Wangen glühen, die Wonne, die Freude spiegelt sich in ihrem Gesicht. Sie ist »schön«. Tanz folgt auf Tanz. Sie wird immer engagiert. So verrinnen schnell die schönen Stunden, Stunden, die den Menschen aus dem Erdenleben emporheben zu höheren Sphären. Die Freude der Jugend erweckt auch bei den Alten neue Lust am Leben; die Sorgen des Berufes werden für einige Zeit vergessen. Alles gibt sich der Freude hin, alles ist entzückt und beglückt, fühlt sich emporgehoben aus dem alltäglichen Leben in eine neue Welt. Ja – auf dem Ball herrscht göttliches Leben! Gibt es doch Engel und Göttinnen im Himmel des Ballsaales. Nur zu schnell sind die schönen Stunden verrauscht. Am andern Tage, in den[254] nächsten Wochen, ist das Herz des jungen Mädchens noch voll des Erlebten. Die schönen Walzermelodien klingen noch fort in den Ohren. Die Freuden des Tanzes, der Unterhaltung, die ganze Wonne des Balles wiederholt sich in einzelnen Momenten in ihrer Phantasie. Mutter und Tochter lassen in beseligendem Gespräch die schönen Stunden sich im Geiste wiederholen und sind immer wieder beglückt von den Freuden des Balles.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 252-255.
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