Trägheit.

Im allgemeinen bezeichnet man die Trägheit als ein Laster.

Die Trägheit läßt sich einteilen in Trägheit des Geistes und des Körpers, und es hält oft schwer, die erstere von[11] mancher Tugend zu unterscheiden. Ist es z.B. nicht eine Tugend, friedfertig, duldsam und widerspruchsfrei zu sein? Ganz gewiß! Diese scheinbare Tugend ist oft nur eine Trägheit des Geistes, mit der die Menschen andere für sich denken lassen und in den Tag hineinleben. Sie sind dann natürlich auch unfähig zu irgend einem selbständigen Handeln und nehmen alles so hin, wie es kommt.

Anders ist es mit der körperlichen Trägheit.

Dieser ist ein unverkennbares Zeichen auf die Stirne gedrückt, und es gehört in der Tat nur wenig Erfahrung dazu, um einen körperlich trägen Menschen als solchen zu bezeichnen.

Führt die Trägheit des Geistes zu einer Apathie gegen alles schöne, gute und edle, zu einer Blasiertheit gegen alle unschuldigen Genüsse, und was die Hauptsache ist, zu einer geistigen Unmündigkeit, so führt die Trägheit des Körpers wiederum zu einer zerrütteten Gesundheit, auch wohl zu ungünstigen Vermögensverhältnissen. Der körperlich träge Mensch ist nur schwer im Stande, etwas zu erwerben. Auch ist ein schon vorhandenes Vermögen in den Händen eines trägen Menschen schlecht aufgehoben; denn es ist eine ebenso große Kunst, sich auf einer Position zu erhalten, als sich zu ihr hinaufzuschwingen, zu beiden ist eine Rührigkeit des Körpers und Geistes erforderlich.

Nicht mit Unrecht wird also die Trägheit des Geistes sowohl als die des Körpers ein Laster genannt. Die Folgen desselben sind von schwer zu berechnender Tragweite, nicht allein in materieller Hinsicht sondern auch in Bezug auf die Befolgung der Regeln des Wohlanstandes.

Es gibt Menschen, welche mit der Konvenienz nicht gerade auf einem Kriegsfuße leben, sie empfinden ihre Notwendigkeit durchaus nicht als ein Bedürfniß; aber auch brauchen sie sich zu ihrer Befolgung keinen Zwang aufzuerlegen, – man sagt, solche Leute seien nonchalant, – ja was ist denn die Nonchalance anders als eine gewisse Trägheit?

Das Gegenteil der Nonchalance, die Affektation, die Ziererei ist allerdings geradezu abstoßend, aber auch die Nonchalance selbst ist, obwohl verträglicher als ihr Gegenstück,[12] keine Tugend. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die goldene Mittelstraße immer die beste, und diese einzuschlagen, möge das Bestreben eines jeden sein, der sich im gesellschaftlichen Um gang eines feinen Auftretens befleißigen will.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 11-13.
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