Vorträge und Aufführungen.

[127] Wer auch nur ein kleines Lichtchen hat, der wird es leuchten lassen und in der Gesellschaft irgend einen Vortrag zum besten geben. – Man verfalle nicht in den Fehler, garnicht wieder aufzuhalten. Auch lasse man sich durch den gespendeten Beifall nicht dazu verleiten. Manchmal wird von der geladenen Gesellschaft nur applaudiert, nicht aus Dank für das Gebotene, sondern aus Dank dafür, daß der Spielende endlich mal aufgehört hat. Man kann es also getrost aussprechen, daß der von einem nicht zahlenden Publikum gespendete Beifall manchmal nichts anderes ist, als eine konventionelle Lüge.

»Singe, wem Gesang gegeben!« sagt ein bekanntes Sprichwort. Stimmbegabte Damen und Herren sollten ihr Talent in den Dienst der Unterhaltung stellen. Manche, die nicht das Geringste von dem haben, was man unter Stimme versteht, bilden sich dennoch ein, Talent zu besitzen. Ihre Darbietungen bilden eine Belästigung der Hörer.

Auch deklamatorische Vorträge sind geeignet, zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen. Nur glaube niemand, wenn er eine gute Deklamation von jemandem gehört hat, daß derselbe gute Effekt erzielt werden muß, wenn er selbst in einer anderen Gesellschaft diese Nummer zum besten gibt. Zum guten Deklamieren gehört mehr als nur den Wortlaut eines Gedichtes zu kennen.

Manchmal werden Leute, die viel Talent besitzen, zur Unterhaltung der Gesellschaft eingeladen. Wer aber weiß, daß man ihn seiner Unterhaltungsgabe wegen schätzt, der bilde sich nichts darauf ein, lasse sich auch nicht erst lange zu einem Vortrag nötigen, sondern gebe das, was er geben[127] will, gern und freudig. Die Gesellschaft soll dann aber auch den Betreffenden nicht ansehen wie einen Unterhaltungsdomestiken, sondern ihm zeigen, daß er gleichberechtigt der Gesellschaft angehört.

Zuweilen finden auch in geschlossenen Gesellschaften Aufführungen irgend welcher Art statt. – Man wird dann wohl die Plätze derartig arrangieren, daß die Stühle in Reihen hintereinander stehen.

Den vornehmeren Mitgliedern der Gesellschaft kommen die mittleren Plätze in der ersten Stuhlreihe zu, sonst kann die Placierung in zwangloser Weise geschehen. Höchst unartig wäre es, sich garnicht um einen passenden Platz zu bemühen und dadurch Interesselosigkeit an dem zu verraten, was Auge und Ohr geboten werden soll.

Auf eine sorgfältige Einstudierurg lege man besonders Gewicht.

Wenn z.B. ein sogenanntes »lebendes Bild« von einem Sachverständigen arrangiert und alle Einzelheiten in Bezug auf plastische Stellung, Haltung, Kostüm und Beleuchtung berücksichtigt worden sind, so werden selbst Dilettanten in diesem Genre ganz Vorzügliches leisten. – Hat aber das Arrangement jemand übernommen, der in diesem Genre nicht die nötige Sachkenntnis besitzt, so wird sich das ganze Bild immer nur als eine Gruppe von Menschen in bunten Kostümen präsentieren, nie aber das Bild ein künstlerisches sein.

In noch größerem Maße ist dieses zu berücksichtigen, wenn Tänze irgend welcher Art zur Aufführung gelangen. Es ist nicht genug, wenn die Mitwirkenden die gewöhnlichen Rundtänze, allenfalls Française und Lancier tanzen können, um auch im Stande zu sein, eine Tarantella oder sonst einen Nationaltanz zu tanzen; das will erlernt und von einem Fachmann, dessen jahrelange Praxis ein Gelingen des Ganzen garantieren läßt, einstudiert sein. – Im andern Falle würde man den Zuschauern immer nur den Anblick herumhüpfender; lebender Figuren bieten, in deren Bewegungen weder Rythmus noch Plastik, weder Charakter noch Symmetrie liegt, und alle Mühe und Kosten wären vergebens gewesen.[128]

Wenn aber Lehrer und Schüler ihr Möglichstes getan hahen, dann möge die Gesellschaft auch wiederum bedenken, daß man keine Künstler von Beruf vor sich hat, daß den Dilettanten nicht die Routine der Schauspieler oder Ballettänzer eigen sein kann und, man möge dem Fleiße, der bei der Einstudierung aufgewendet worden ist, auch den Dank und die Belohnung zollen, welche sie verdienen.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 127-129.
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