Das Begegnen.

[108] Steht man z.B. unten an einer Treppe, und es kommt eine Person herunter, so trete man auf die rechte Seite. – Die Höflichkeit muß durch einen Gruß erwidert werden, für den seinerseits der Untenstehende dankt und gleichgiltig bleibt es dabei, ob man den Betreffenden kennt oder nicht.

Dasselbe Verfahren hat man zu beobachten, wenn man oben steht und es kommt jemand die Treppe herauf. Beim Begegnen auf der Treppe, haben die Herren den Damen, jüngere den älteren Personen die breitere Seite der Stufen zu überlassen, selbst aber auf die schmale Seite zu treten.

Auf der Straße muß die zu ehrende Person stets an der Häuserseite gehen. Der Respekt fordert es, daß der Herr die Dame, der Jüngere den Älteren mit dem für Fußgänger gefährlicheren Fahrdamm nicht in Berührung kommen läßt.

Auf schmalen Stegen, Fußwegen usw. hat man die Respektsperson vorher passieren zu lassen, um dann erst seinen Weg fortzusetzen. Es ist nicht schicklich, mit all' und jedem, den man nur von ungefähr kennt, auf der Straße beim Begegnen[108] ein Gespräch anzuknüpfen und dieses durch die zur Phrase gewordenen Frage: »Wie gehts?« einzuleiten.

Will man auf der Straße Personen überholen, so gehe man an ihrer linken Seite vorbei.

Begegnet man mehreren zusammengehenden Personen, so gehe man nicht zwischen ihnen hindurch, sondern an der Seite vorbei; übrigens erfordert es die Höflichkeit, wenn man mit mehreren Personen nebeneinander geht, nicht darauf zu warten, bis Entgegenkommende Platz machen.

Geht man in Gesellschaft anderer, so kann man beim Begegnen einer Person, die sich uns anzuschließen beabsichtigt, wohl einen Augenblick stehen bleiben, um sie dem Begleiter vorzustellen. Man kann auch seinen Begleiter bitten, langsam weiter zu gehen, um einen Augenblick mit dem Betreffenden zu sprechen, keinenfalls darf dieses aber zu lange währen. – Hat man den Begleiter wieder eingeholt, so verrate dieser keine Neugierde zu erfahren, wer der Betreffende gewesen, was mit ihm gesprochen worden sei usw.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 108-109.
Lizenz:
Kategorien: