Das Fortgehen.

[104] Kommen und gehen hat auf eine gleich höfliche Art zu geschehen.

Entfernt man sich von einer einzelnen Person, der man einen Besuch gemacht hat, so gehe man auch sogleich fort, nachdem man sich empfohlen hat, es ist unhöflich, immer wieder ein neues Gespräch zu beginnen.

Sobald ein Fremder bei uns anwesend, darf man sich nicht ohne dringende Veranlassung aus dem Zimmer entfernen.[104] Geschieht es dennoch, so muß man mindestens recht höflich um Entschuldigung bitten.

Behandelt uns der Besuchte höflich, so lasse man selbst auch die Höflichkeit nicht außer Acht, insbesondere darf man ihm den Rücken beim Fortgehen nicht zuwenden; er wird uns auch gewöhnlich bis zur Tür begleiten, die wir rückwärts öffnen. Das Schließen überlassen wir dem Besucher. Unschicklich ist es, den Hut im Beisein des Anderen aufzusetzen.

Ist das Zimmer ein langes und werden wir nicht bis zur Tür begleitet, so kann man sich nach einer Verbeugung geradewegs zur Tür begeben, dort angekommen nach nochmaliger Verbeugung die Tür rückwärts verlassend, diese wieder schließen.

Beim Verlassen des Hauses reinige man sich nicht in der Zerstreutheit die Stiefel an den Fußmatten.

Es ist unschicklich aus einer Privatgesellschaft fortzugehen, wenn noch Höherstehende anwesend sind, da es diesen zukommt, das Zeichen zum Aufbruch zu geben.

Haben sich die Honorationen entfernt, so halte man sich nicht zu lange mehr auf, folge ihnen aber nicht gleich auf dem Fuße nach.

Nun kommt es wohl auch vor, daß honoris causa Personen geladen werden, die sich bald wieder entfernen. In diesem Falle hat der Gastgeber die Gesellschaft zu bitten, sich durch den Fortgang der Betreffenden nicht stören zu lassen. In der Regel wird erst ein heiterer, ungezwungener Ton Platz greifen, nachdem gewisse Respektspersonen gegangen sind.

Ist aber einmal das Zeichen zum Aufbruch gegeben, so entferne man sich mit den anderen, wobei gewöhnlich die persönlichen Freunde des Hausherrn und Verwandten den Schluß zu machen pflegen.

Man bedenke vorher genau, was man mit nach Hause zu nehmen hat, daß man nichts vergesse, sehe anch darauf, nicht Hut, Stock oder Schirm eines anderen mitzunehmen. Geschieht es dennoch und man bemerkt es gleich, so gebe man sofort den Gegenstand unter höflicher Entschuldigung seinem rechtmäßigen Eigentümer zurück. Wenn man zu[105] Hause angekommen, das Versehen erst bemerkt, so behalte man den Gegenstand nicht tagelang im Hause, sondern bringe oder schicke ihn recht schnell mit einer höflichen Entschuldigung zurück.

Hat man einen Gegenstand vergessen, so kann man sich ihn, so lange man sich noch im Hause befindet, wohl ausbitten, hat man das Haus aber bereits verlassen, so komme man bei anderer Gelegenheit wieder vor, um die Sache abzuholen, dann aber auch nicht in aller Frühe, so daß es den Anschein gewinnt, als sei man um den Gegenstand bange.

Das Wiederabholen vergessener Gegenstände wird von gewissen Leuten dazu mißbraucht, um bei dieser Gelegenheit wiederum die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.

Bei Sachen von größerem Werte und zumal solchen, die leicht verloren gehen oder zertreten werden können, z.B. Brillanten, Goldsachen usw. mag eine Ausnahme gestattet sein. Niemals aber behaupte man, den Gegenstand dort zurückgelassen zu haben, sondern frage, ob derselbe dort zurückgeblieben sei; wird nämlich das Verlorene nicht wiedergefunden, so tritt eine peinliche Verlegenheit für beide ein.

Bei einem allgemeinen Aufbruch kommt es auf die Umstände an, ob man sich nur vom Herrn und der Dame des Hauses oder von jedem Einzelnen verabschiedet. Jedenfalls hat man aber ersteren in höflichen Worten seinen Dank für freundliche Aufnahme und liebenswürdige Unterhaltung auszusprechen, wie umgekehrt der Gastgeber seinen Dank für die Ehre des Besuches ausspricht.

Zuweilen wird man plötzlich aus einer Gesellschaft abgerufen. In diesem Falle verabschiede man sich, um nicht zu stören, nicht förmlich, sondern teile nur dem Herrn oder der Dame vom Hause den Grund des Wegganges mit; – ist solches nicht tunlich, so übertrage man der Dienerschaft eine diesbezügliche Bestellung.

Es ist selbstverständlich, daß man sich in diesem Falle bei passender Gelegenheit entschuldigt. Beim Abschied empfiehlt man sich zuerst der Dame, dann dem Herrn des Hauses.

Beim Fortgehen muß man natürlich die in jedem Hause vorhandenen besonderen Umstände beim Verabschieden in[106] Betracht ziehen; keinenfalls aber dürfen die allgemeinen Gesetze der Höflichkeit außer Acht gelassen werden, insbesondere hat der Hausherr seinen Gast, vor allen Dingen aber Damen bis zur Zimmertür, ja nach Umständen aber auch bis ins Vorzimmer, an die Treppe, oder diese hinunter bis an die Haustür zu begleiten.

Die Garderobe im Zimmer anzulegen, ist nicht erlaubt und nur allenfalls den Damen gestattet.

Beim Fortgehen, besonders wenn es schon spät geworden ist, vielleicht sogar nach Mitternacht, ist jedes Geräusch zu vermeiden. Man hat langsam und sachte die Treppen hinunter zu gehen, darf weder durch unzeitige Scherze andere zum Lachen bringen noch sonstigen Allotria treiben. – Ebenso ist es unschicklich, die Treppe hinaufzurufen nach einem andern und ihn zu fragen, ob er noch oben sei. – Überhaupt gebietet es die Höflichkeit, sich in allen Stücken möglichst zu beherrschen und nicht durch ein lautes, geräuschvolles Benehmen die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich zu lenken.

Nach einem bekannten Sprichwort ist jeder Arbeiter seines Lohnes wert, und wenn man den Dienstboten dadurch, daß man eine Gesellschaft gibt, eine Extra-Arbeit verursacht, so entschädige man sie auch besonders dafür.

Das pflegt nun aber oft nicht zu geschehen, und man überläßt es den Gästen, diesen Ausgleich durch das Trinkgeld herbeizuführen.

Die wunde Seite dieser Anschauungsweise wird jeder leicht herausfinden, da es ja einerseits den Herrschaften bei den Kosten, welche die Gesellschaft an und für sich verursacht, auf eine kleine Bonifikation für die Dienstboten nicht ankommen kann, anderseits aber mancher Gast seitens der letzteren nur nach dem Trinkgelde taxiert wird.

Man halte die Sache einfach so, daß man die Dienerschaft während der Gesellschaft zu größter Aufmerksamkeit verpflichtet, dieselbe aber sofort verschwinden läßt, wenn die Gäste sich zum Fortgehen rüsten.

Verläßt man eine sogenannte »geschlossene Gesellschaft«, z.B. einen Klub, so ist ein förmliches Verabschieden nicht nötig. Man sagt allenfalls persönlich näher[107] Bekannten adieu, empfiehlt sich auch vielleicht den Komitee-Mitgliedern geht dann aber ruhig fort.

Es ist unschicklich, die abgelegten Kleidungsstücke ins Lokal zu holen, um sie dort anzuziehen. Einerseits würde man auf eine recht deutliche Art den noch Dableibenden zeigen, daß man fortzugehen beabsichtigt, andererseits aber das Lokal zu etwas benutzen, wozu die Garderobenräume eingerichtet sind.

Beim Verlassen des Lokals betrage man sich ebenfalls recht ruhig, rufe nicht etwa anderen zu, ebensowenig winke oder telegraphiere man mit den Händen, bleibe nicht vor dem Lokal, laute Gespräche führend, stehen, sondern gehe sofort nach Hause, wenn man einmal gehen will.

Entfernt man sich aus einer öffentlichen Gesellschaft, Konzert, Theater, Ball oder aus der Kirche, so verrate man nicht übergroße Eile, dränge sich auch nicht durch. An öffentlichen Orten haben alle gleiche Rechte, daher ist ein Vordrängen der einzelnen Personen unschicklich.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 104-108.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Barfüßele

Barfüßele

Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon