Das Vorstellen.

[101] Als Grundregel beachte man dabei, daß der Jüngere dem Älteren, der Geringere dem Vornehmeren, der Herr der Dame, der später Ankommende dem bereits Anwesenden vorgestellt wird.[101]

Zu diesem Zwecke führe der Vorstellende den Vorzustellenden vor denjenigen hin, mit dem er bekannt gemacht werden soll; der Vorzustellende trete bis auf eine Entfernung von 1–2 Schritten, je nachdem derselbe einen mehr oder minder großen Respekt verlangen kann, an den Betreffenden heran.

Der Vorstellende nennt Titel und Namen recht deutlich. Die beiden miteinander bekannt gemachten Personen machen gleichzeitig eine Verbeugung, wobei der Geringere dem Vornehmeren versichern kann, daß es ihm eine große Ehre sei, den Beteffenden kennen gelernt zu haben, und die Formalität der Vorstellung ist beendet.

Wenn vorauszusetzen ist, daß der beiderseitige Verkehr ein weniger zeremonieller sein wird, oder wenn im Range Gleichstehende miteinander bekannt gemacht worden sind, genügt es wohl auch sich des »Vergnügens« zu versichern, daß die neue Bekanntschaft bereitet und unter Umständen reicht ein einfaches: »Freut mich sehr« oder »Sehr angenehm« auch schon aus.

Ein Vornehmer kann dem Geringeren beim Vorstellen wohl auch die Hand reichen, aber nicht umgekehrt. Etwas anderes ist es, wenn zwei Personen, die sich brieflich längere Zeit kennen und schon einen gewissen vertraulichen Ton angeschlagen haben, jetzt auch persönlich einander kennen lernen. In diesem Falle können sich beide freundschaftlich die Hand reichen, wie überhaupt es immer auf die Umstände ankommt, wie man sich im einzelnen Falle zu benehmen hat.

Wird in einer kleineren Gesellschaft ein neu Hinzukommender den Anwesenden vorgestellt, so führe man ihn an einen Platz, auf welchem er sich in möglichst gleicher Entfernung von jedem Einzelnen befindet, stellt ihn vor, nennt sodann die Titel und Namen der Anwesenden und zwar, wie sie der Reihe nach sitzen oder stehen, ohne auf Rang und Stand Rücksicht zu nehmen; der Vorgestellte macht eine Verbeugung und nimmt hierauf sofort seinen Platz ein. – Will man in einer sehr kleinen Gesellschaft die Sache sehr zeremoniell machen, so stellt man einzeln vor und überläßt[102] es dem Vorgestellten, vor jedem Einzelnen eine Verbeugung zu machen. –

Letzteres Verfahren ist jedoch nnr in einer sehr kleinen und sehr gewählten Gesellschaft anwendbar. Besteht diese vielleicht schon aus 8–10 Personen, so nenne man die Namen ohne Unterbrechung hintereinander.

Wenn die Zahl der Anwesenden eine noch größere ist, so nenne man deren Namen überhaupt nicht, sondern stelle nur den Eintretenden vor, da dieser selbst beim Besitze des besten Gedächtnisses nicht im Stande wäre, alle Namen auf einmal zu behalten.

Man kann den zu einer größeren Gesellschaft Hinzukommenden in diesem Falle mit einem einzelnen, dessen Rang und Würde es erheischt, – oder aber, da eine größere Gesellschaft sich in Gruppen zu teilen pflegt, mit einer dieser Gruppen bekannt machen, es aber im übrigen den Anwesenden wie neu Hinzutretenden selbst überlassen, ob sie durch Vorstellung seitens eines Bekannten oder durch eigene Vorstellung miteinander bekannt werden.

Stellt man sich selbst vor, so geschehe es unter einer verbindlichen Redensart, auch muß hierbei ein geeigneter Moment abgewartet werden. Es ist keinenfalls schön, im Gespräch begriffene Personen durch die eigene Vorstellung zu unterbrechen. – Man sei sehr vorsichtig, da man leicht den Schein der Aufdringlichkeit auf sich lenken könnte.

Die Höflichkeit erfordert es, daß man seinen eigenen Namen nennt, nachdem sich uns jemand vorgestellt hat, – aber auch nur den Namen; denn das wird jeder einsehen, daß es sich nicht gerade schön anhören wird, wenn jemand seinen eigenen Titel nennt, oder sich selbst die Bezeichnung »Herr« oder »Fräulein« beilegt.

Eine Ausnahme hiervon bildet der Umstand, daß eine verheiratete Dame ihren eigenen Namen nennt, in diesem Falle wird sie die Bezeichnung »Frau« vor denselben zu setzen haben, auch kann man z.B. beim Vorstellen einer Person auf einen angesehenen Verwandten hinweisen, also: »Herr Meyer, Sohn des Herrn Geheimrat Meyer«.[103]

Wenn man unter mehreren Personen einige vorstellt, die man selbst nur flüchtig kennt, so kann es vorkommen, daß einem der eine oder andere Name entfällt; die Höflichkeit erfordert es, daß in solchem Falle der Betreffende durch Nennung seines eigenen Namens zur Hülfe kommen muß.

Man kann in die Verlegenheit kommen, einen älteren Herrn mit einer jüngeren Dame bekannt machen zu müssen. Wenn nun noch gar der Umstand hinzutritt, daß der Vater dieser Dame vielleicht der dienstlich Untergebene dieses Herrn ist, so weiß man häufig sich nicht recht schicklich aus der Affäre zu ziehen. Man tut in diesem Falle am besten, eine zeremonielle Vorstellung vermeidend, zu sagen: »Fräulein H., gestatten Sie mir, Sie mit Herrn Y. Direktor der Z.-Bank bekannt zu machen«.

Beim Begegnen auf der Straße ist es schicklich, einen sich uns unterwegs Anschließenden dem mit uns Gehenden vorzustellen, auch wenn sich ein Bekannter im öffentlichen Lokal an unsern Tisch setzt, solches zu tun. Wenn man dagegen sich zn völlig Unbekannten, vielleicht in Ermangelung eines freien Tisches, setzt, so ist eine Vorstellung unnötig und erst dann angebracht, wenn sich zwischen beiden Parteien ein Gespräch entspinnen sollte.

Im Theater ist ein Vorstellen nur im Foyer angebracht, im Zuschauerraum unterlasse man es, oder lasse es wenigstens nicht während der Vorstellung geschehen; an Orten, die nicht dazu bestimmt sind, daß Einzelne miteinander in Verkehr treten, z.B. in einer Kirche, darf das Vorstellen überhaupt nicht stattfinden.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 101-104.
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