Die Heirat.

[152] Durch die Ehe wird die Bestimmung des Menschen besser erfüllt, als durch Ehelosigkeit. Es ist deshalb ratsam, lieber früher, als zu spät an die Schließung des Ehebundes zu denken. Sagt doch auch das Sprichwort »Jung gefreit, hat selten gereut«.

Was ist der Mann, so lange er ehelos bleibt? Ein einsames, egoistisches Wesen, das an niemand, und an dem niemand hängt. Der unverheiratete Mann irrt umher nach Glück und Ruhe und findet sie nicht. Kunst und Wissenschaft, Glanz und Reichtum, Ehrgeiz, nichts kann sein Herz befriedigen. Er steht einsam und verlassen und gehört niemandem an. Mit der Verheiratung wird der Charakter des Mannes ruhiger und bestimmter, der Egoismus seines Herzens ist gemildert und seine Familie knüpft ihn näher an den Staat.

Was ist ein Mädchen, so lange es ehelos bleibt? Mit der Verheiratung beginnt ein neuer Abschnitt des weiblichen Lebens. Das letzte Ziel, des Mädchens höchster Wunsch, der letzte Zweck ihrer Bestimmung ist erreicht. Ihre Verhältnisse sind sicherer, ihre Pflichten wichtiger geworden.

Da eine Heirat für das ganze Leben bindet, so will sie wohlüberlegt sein.[152]

Eine harmonische, zufriedene, glückliche Ehe macht das positivste aller Güter des Lebens aus. Leider lehrt uns die Erfahrung, daß dieses Gut nur wenigen Menschen zuteil wird.

Für manche ist die Ehe nichts als eine schickliche Versorgung bei der sie möglichst viel gewinnen und genießen, wenig dafür geben wollen. Die Ehe ist ein gegenseitiger Vertrag, beide Teile verpflichten sich, das ihrige zu einem glücklichen Lebensbund beitragen zu wollen.

Um die Ehe glücklich zu machen, die Freuden des häuslichen Lebens zu schaffen und zu erhalten, muß ein unablässiges Bestreben herrschen, seine Eigenheiten abzulegen und sich aneinander zu gewöhnen. Vor allen Dingen dürfen Ehegatten sich nichts übel nehmen und miteinander grollen. Durch gegenseitiges freies Aussprechen müssen alle Meinungsverschiedenheiten und streitigen Punkte beseitigt werden.

Jeder muß immer denken, die Zärtlichkeit des andern sei noch zu erwerben; jeder muß immer handeln wie in den ersten Tagen der Bekanntschaft; einer muß sich um des andern Willen vergessen, und so werden sich beide ineinander wiederfinden.

Hauptsächlich kommt es bei einer Heirat auf die Gattenwahl an. Kein im Leben begangener Fehler rächt sich mehr als der einer falschen Gattenwahl.

Um sich vor Schaden zu schützen, ist vor allen Dingen nötig, sich im Geheimen nach Charakter, Eigenschaften und den besonderen Verhältnissen der oder des Auserwählten zu erkundigen.

Wem es beim Heiraten um eine zufriedene, glückliche Ehe zu tun ist, der sei bedacht, eine solche Wahl zu treffen, daß zwischen ihm und seiner künftigen Gattin sich möglichst wenig Ungleichheiten finden, in Gemütsart, in Stand und Herkunft, in betreff des Vermögens.

Die Gemütsart bei Ehegatten muß eine in Harmonie stehende sein.

Beide seien ein Herz und ein Sinn. Kontraste bringen Uneinigkeit. Ist z.B. der Mann aufgeweckt, liebt die Geselligkeit, die Frau aber ruhig, will alleine sein, so ist keine friedsame, glückliche Ehe möglich. Der Mann will zurückgezogen[153] leben, die Frau liebt die Gesellschaft und Lustbarkeiten aller Art. Der Mann ist sparsam, die Frau ist freigebig oder umgekehrt; der Mann ist von sanfter, friedfertiger Gemütsart, die Frau ein aufbrausender Poltergeist, der gewohnt ist, im Hause herumzutoben, die ohne Zanken und Wettern, sich nicht bei Gesundheit erhalten kann usw. Wo bleibt da die Einigkeit, die Zufriedenheit, das Glück? Eheliche Glückseligkeit ist eine zusammengesetzte Wirkung von der Beschaffenheit beider Gatten. Einer davon alleine, und wenn er ein noch so vollkommener Mensch wäre, macht es nicht aus.

Stand und Herkunft. Was diese betrifft, lehrt die Erfahrung, daß hierin ungleiche Ehen selten glücklich sind und daß über kurz oder lang nachfolgende Reue die eheliche Eintracht und Zufriedenheit stören. Ganz besonders, wenn ein Ehegatte dem andern an Geist und Bildung unterstellt ist. Familienzwistigkeiten sind meist Folgen solcher Mißheirat.

Vermögen. Heiraten nach Vermögen können auch zum Unglück führen, besonders wenn es nur allein auf dieses abgesehen ist. Vorhaltungen, Berechtigung höherer Ansprüche stellen zu dürfen usw., können leicht Uneinigkeit und Kränkungen bringen. Der unvermögende Teil müßte schon Rang nnd Ansehen dafür bieten, das Gleichgewicht zu halten.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 152-154.
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