Kolonnen- (Reihen-) und Karreetänze.

Kontertanz, Française, Lancier.

[238] Unter Kontertanz (frz. Contre dans oder Gegentanz) versteht man im allgemeinen jeden Tanz, bei dem sich die Tänzer in Reihen oder Karrees einander gegenüberstehen. Diese Art Tänze sollen in der Normandie entstanden sein und sich von Frankreich aus nach England und Deutschland verbreitet haben. Besonders trug zur Einführung des Kontertanzes ein von Rameau im Jahre 1745 verfaßtes Ballett »Les Fetes de Polymnie« bei. Der in demselben vorkommende Kontertanz fand bei dem Publikum viele Freunde und Nachahmer; er wurde sowohl in den vornehmen Salons, als auch auf den Tanzböden von allen Gesellschaftskreisen getanzt. Ursprünglich waren die Kontertänze nicht so lang als jetzt, sie bestanden nur aus einigen Figuren. Später reihte man mehrere solcher Tänze aneinander und so entstanden unsere mehrtourigen Figurentänze, wodurch die alten ehrwürdigen Figurentänze, wie Menuett und Gavotte, die durch ihre Noblesse und Grazie unsere Vorfahren erfreut hatten, verdrängt wurden. Im Jahre 1760 wurde die Fançaise zuerst in Deutschland getanzt, und seit 1806 besteht sie in der jetzigen Form.


Aufstellung und Kommando. Beim Kontertanz stehen die Tänzer in 2 Reihen einander gegenüber; zuweilen wird auch eine Karreeaufstellung beliebt. Wir können dieser Aufstellung für den eigentlichen Kontertanz nicht das Wort reden, weil der Tanz seinen Charakter dadurch verliert, in Reihen getanzt schöner aussieht, und weil auch die Tänzer vielmehr zum Tanzen kommen. Die beiden Reihen stehen in[238] der Längsrichtung des Saales. Ist die Zahl der Tänzer zu dieser Aufstellung zu groß, so stellt man mehrmals zwei Reihen hintereinander. Durchaus falsch und zu verwerfen ist eine Aufstellung, bei welcher 2 Reihen in der Längsrichtung und 2 Reihen in der Querrichtung des Saales stehen und so ein Karree bilden. Die Entfernung der Tänzer, besonders der in der Querreihe stehenden, ist dann so groß, daß die Tänzer sich bei der vorgeschriebenen Schrittzahl nicht genügend nähern können, oder die Schritte müssen auf Kosten der Schönheit und des Anstandes übermäßig groß ausgeführt werden, und das Tanzen artet dann gewöhnlich in ein Laufen aus. Bei der Aufstellung bezeichnet man in jeder Reihe die Paare abwechselnd als 1. und 2. Paar, wobei natürlich darauf zu achten ist, daß sich immer 1 und 2 aus beiden Reihen einander gegenüberstehen. Es kommt aber auch vor, daß auf der einen Seite alle ersten und auf der anderen alle zweiten Paare stehen. Beim Karreetanze, wobei 4 Paare vorhanden sind, stehen 1. und 2., 3. und 4. einander gegenüber; vom 1. Paare rechts hat das 3. Paar seinen Platz.

Wenn nun der Herr des 1. und die Dame des 2. Paares beginnen, heißt das Kommando: »Erster Herr und zweite Dame vor und zurück!« Für dieses umständliche Kommando haben wir ein einfacheres eingeführt und jahrelang erprobt. Wir bezeichnen die Paare einfach mit Nummern. Der Herr empfängt die Nummer des Paares, welche aber auch zugleich seine Einzelnummer und die Einzelnummer der ihm gegenüber tanzenden Dame ist.


Also:

Der Herr des 1. Paares mit der Dame des 2. Paares heißen No. 1.

Der Herr des 2. Paares mit der Dame des 2. Paares heißen No. 2.

Der Herr des 3. Paares mit der Dame des 2. Paares heißen No. 3.

Der Herr des 4. Paares mit der Dame des 2. Paares heißen No. 4.


Das vorstehend genannte Kommando würde also nach unserer Bezeichnung heißen: »No. 1 vor und zurück!« Soll ein Paar die Bewegung ausführen lautet das Kommando: »1. Paar vor und zurück!« Bei einer größeren Gesellschaft, welche in vielen Karrees tanzt, ist die gesamte Wirkung der[239] Figuren eine viel größere, wenn betreffs der No. eine einheitliche Aufstellung stattfindet. Der Tanzleiter kann z.B. anordnen, daß alle 1. Paare der Karrees mit dem Rücken dem Orchester zugewandt sind oder auch demselben das Gesicht zukehren.


Ehrenplatz bei der Aufstellung. Sind bei einem Balle bevorzugte Personen anwesend, so beehrt man dieselben nicht nur durch den ersten Platz bei der Polonaise, sondern man überläßt ihnen auch den Ehrenplatz bei den Figurentänzen. Welches ist hier der Ehrenplatz? Unstreitig der, welcher der zu ehrenden Person Gelegenheit gibt, zuerst zu tanzen. Da nun bei den Figurentänzen, wie beim Kommando gezeigt wurde, No. 1 den Tanz beginnt, so ist also für den Herrn im ersten und für die Dame im zweiten Paar der Ehrenplatz. Es kommt öfter vor, daß die Ehre, das erste Paar zu sein, von mehreren Paaren beansprucht wird. Das Vordrängen wirkt kleinlich und manchmal anmaßend. Die Platzregelung wird sich bei gebildeten Leuten durch Feingefühl und gütliche Verständigung leicht bewerkstelligen lassen. Hauptsache ist und bleibt dabei, daß der Platz des ersten und zweiten Paares nur von solchen Personen eingenommen wird, die sicher sind in der Reihenfolge der Figuren und möglichst gut und schön tanzen.


Entfernung. Bei der Aufstellung in Reihen oder im Karree darf die Entfernung der gegenüberstehenden Paare voneinander nicht mehr als 5 bis 6 Schritte betragen. Beim Kontertanz dürfen nicht mehr als 8 Paare, bei der Lancier nicht mehr als 4 Paare in einem Karree zusammenstehen.


Gehen oder tanzen. Der Kontertanz sollte getanzt werden; da die Ausführung dieses Tanzes im leichten graziösen Tanzschritt, dem leichten und heiteren Charakter desselben besser entspricht. Zu warnen ist jedoch vor Ausartung und Ausgelassenheit. Es ist nun aber in manchen Gegenden und Zirkeln Mode geworden, bei den Figurentänzen ohne Ausnahme den Gehschritt anzuwenden. Fragt man sich nach dem Grunde, so wird man kaum einen andern dafür finden können als, daß es aus Bequemlichkeit geschieht, aus Unkenntnis oder auch, um seine Mangelhaftigkeit im Tanzen nicht zu verraten.[240] Man wolle aber bedenken, daß ein allen Anforderungen der Tanzkunst entsprechender Gehschritt auch korrekte Übung und Energie erfordert und besser für einen Tanz mit majestätischem Charakter, der Lancier, paßt.


Körperhaltung. Der Körper ist leicht und elegant aufgerichtet zu halten. Die Füße stehen nach auswärts, und die Arme werden in den guten Armhaltungen gehalten und geführt. Das Gesicht ist während des Tanzens dem Partner zugewendet.


Musik, Tempo, Vorspiel. Dem Charakter des Kontertanzes entsprechend, soll die Musik dazu leicht und gefällig sein. Damit die einzelnen Schritte und Figuren recht hübsch und korrekt ausgeführt werden können, ist ein zu schnelles Tempo zu vermeiden, doch hüte man sich auch in ein schleppendes Tempo zu verfallen. Das Tempo wird durch die erste Tour angegeben; es muß nämlich das Tempo der übrigen Touren, ganz unbekümmert um die Taktart, mit dem Tempo der 1. Tour übereinstimmen. Die ersten 8 Takte der 1. Tour bilden das Vorspiel, die Einleitung zum Tanz. Während derselben werden die Vorbereitungen, die Verbeugungen ausgeführt; die Unterhaltung muß aufhören; die Aufmerksamkeit ist nunmehr auf das Kommando gerichtet und darf während des ganzen Tanzes nicht erlahmen. Die erste Tour wird zweimal, die übrigen Touren viermal durchgespielt. Einen großen Anteil an dem guten Gelingen eines Figurentanzes haben die Musiker. Bei ihnen liegt es, durch Auswahl schöner Kompositionen und künstlerisch vollendeter Ausführung derselben, besonders inbezug auf Tempo und Rhythmus, die Tänzer zu beleben und fortzureißen, daß sie mit Begeisterung tanzen.


Verbeugungen. Bei Wiederholung des Vorspiels zur 1. Tour werden in ruhiger und eleganter Weise, von sämtlichen am Tanz teilnehmenden Personen drei Verbeugungen ausgeführt. Die erste Verbeugung gilt der Dame, die man zum Tanz aufgefordert hat, die zweite der Dame zur linken und die dritte der Dame gegenüber. Die Verbeugungen werden von den Damen erwidert. Jede Verbeugung erfordert eine Dauer von zwei Musiktakten. Während der beiden letzten[241] Takte stehen die Tänzer still, oder der Herr bietet der Tänzerin die Hand, je nach dem Anfang der Tour. Bei dem Vorspiel zu den übrigen Touren werden die Verbeugungen nicht wiederholt. Die 8 Takte Vorspiel sollen hier den Tänzern das Tempo angeben und ihre Aufmerksamkeit erregen, damit sie den Anfang der Tour in korrekter Weise ausführen können.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 238-242.
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