Beilage C.

[139] Königl. Preuß. Staats- und Friedenszeitung.

No. 84. Königsberg. Donnerstag, d. 15. Juli 1819.


Königsberg, d. 14. Juli.


Gestern erlitt unsre gut Stadt einen sehr schmerzlichen Verlust. An den Folgen eines schleichenden Nervenfiebers verschied des Abends um 9. Uhr in seinem 58. Lebensjahre der Superintendent Dr. Johann Gottlieb Weiß, Pfarrer der Altstädtischen Gemeinde und Director der höhern Töchterschule. Er war geb. 1762 am 2. März Conradswalde bei Brieg und verlor seine Eltern schon in den Jahren der Kindheit. Wie es oft zu geschehen pflegt, daß die Kraft sich da am gedeihlichsten entfaltet, wo sie mit äußern Hindernissen zu kämpfen hat: so zeichnete sich auch der Vollendete bald vortheilhaft aus. Von seinem Stiefvater, einem Organisten in Brieg, der noch lebt und später von seinem ältesten Bruder, der ebenfalls Organist war, erzogen, fand er Gelegenheit, ein musikalisches Talent zu entwickeln, das die Natur in einem seltenen Grade in ihn gelegt hatte.[139] Er wurde in ein Chorschüler-Institut derselben Stadt aufgenommen und machte jetzt so außerordentliche Fortschritte in der Musik, daß er schon in seinem 11. Jahre Motetten componirte, die er zum Theil noch bei seiner vorjährigen Reise ins Vaterland beim Gottesdienste im Gebrauche vorfand, und seine sittlich musterhafte Führung dabei veranlaßte, daß er sehr bald zum Dirigenten des Chors erhoben wurde, in welcher Eigenschaft er bis zu seinem Abgange vom Gymnasium blieb. Der bekannte Rector Scheller entließ ihn im Jahre 1782 auf die hiesige Universität. Auch hier hatte der Jüngling mit den Schwierigkeiten seiner ärmlichen Lage zu kämpfen und verdankte seinen Unterhalt nur sich und der Kunst, die er jetzt so leidenschaftlich liebte, daß sie ihn fast in der Begleitung eines großen Virtuosen damals in die Fremde geführt und den Wissenschaften entzogen hätte. Doch bald kehrte er zu den ernsteren Studien wiederum zurück und erwählte das geistliche Fach, wahrscheinlich um seiner nahen Verwandtschaft willen mit den höchsten Zwecken der Tonkunst, denn auch ihm stand die einfache, erhabene Kirchenmusik oben an, wie Allen, denen die höhere Bedeutung der Tonkunst wahrhaft aufgegangen ist. Im 29. Jahre seines Alters wurde ihm vom damaligen Minister Braxein das Pfarramt der Kirche in Tharau übertragen, wo er beinahe sieben Jahre hindurch mit inniger Liebe für das Wohl seiner Gemeinde und besonders für die bessere Einrichtung ihrer Schulen wirkte. Die Sorge um das Schulwesen war es, welche seitdem den Verstorbenen[140] ganz vorzüglich beschäftigte und der wir nachher auch in unserer Stadt, seitdem er Mitglied der hiesigen Schuldeputation und des Armen-Kollegiums geworden war, unter der väterlichen Mitwirkung unsres verehrten Magistrats einen heilsamen Einfluß auf unsre Elementarschulen verdanken. Durch Wort und Schrift hat er bis zu seinem letzten Hauche im Segen dafür gewirkt. Die von ihm im Jahre 1804 herausgegebene Fibel brach bei uns gleichsam die Bahn zu einer vernünftigern Methode in der Behandlung des Elementar-Unterrichts der frühesten Kindheit. Schon im Jahre 1798 ward er nämlich an der Altstädtschen Pfarrkirche bei eingetretener Erledigung der dritten Diaconatsstelle, von dem hiesigen Magistrat als Patron zur Gastpredigt berufen und darauf durch Stimmenmehrheit zum Prediger erwählt. – Seine Rede war würdig, eindringlich und mit dem einfachsten Schmuck ausgestattet, weil er immer faßlich und zum Herzen zu sprechen wünschte. In seinen Ansichten suchte er, vom Geiste der Bibel durchdrungen, sich eben so sehr von Neuerungssucht, als von peinlicher Anhänglichkeit an das Hergebrachte befreit zu erhalten; Bescheidenheit, Freimüthigkeit und Ruhe bezeichneten die Pfade seiner geistlichen Wirksamkeit. In diesem Geiste gewann er die Liebe seiner Gemeine und die Achtung der vorgesetzten Behörden. Sein Wirkungskreis erweiterte sich, als er im Jahre 1803 das ihm angetragene Amt bei der Gemeine, welcher er diente und mit demselben zugleich die Superintendentur der Altstädtschen Diöcese annahm. Zugleich[141] gewann er seitdem, da er nach den Verhältnissen dieser Stelle von den Amtsverrichtungen in den Wochentagen entbunden war, noch mehr Zeit für das Schulwesen zu arbeiten. So übernahm er, gedrungen von Vorliebe für diesen Gegenstand im November d.J. 1811 vorläufige Einrichtung einer damals von der hiesigen Stadt gegründeten höhern Töchterschule für einen seiner Freunde aus Kurland, dem die Directorstelle eigentlich bestimmt war, und übergab, da derselbe hier anzuziehen verhindert wurde, dieselbe dem neugewählten Director im J. 1812, angefüllt mit 250 Schülerinnen. Das Vertrauen, welches Eltern und Zöglinge zu ihm gewonnen hatten, nöthigte ihn gleichsam auf allgemein dringendes Bitten, im Januar d.J. 1813 eine Privatanstalt nach den Grundsätzen jener Töchterschule zu errichten, welche nachmals am 8. Januar 1817 von den Behörden in die Verhältnisse einer öffentlichen aufgenommen und dieselbe höhere Töchterschule ist, der er bis zu seinem Tode als Director mit vielem Segen und großem Beifall vorgestanden. Wie er stets das Wohl der aufblühenden Jugend vorzüglich ins Auge gefaßt hatte, so beschränkte sich seine schriftstellerische Thätigkeit mehrentheils auch nur auf ihre Bedürfnisse: das Religionsbüchlein (dessen 4. Auflage erschienen) ist in sehr vielen Schulen und von mehreren Predigern als Leitfaden des religiösen Unterrichts höchst zweckmäßig befunden und wenn seine amtlichen Verhältnisse ihm mehr Muße gestattet hätten, würde er Mehreres, das sich unvollendet unter seinen nachgelassenen Papieren vorfindet,[142] ans Licht gefördert haben. Was er aber zu leisten gewürdiget worden, bleibt ein erfreulicher Beweis, daß Gott es denen gelingen lasse, die es redlich meinen, und die gerechten Thränen auf seinem Grabe zeugen von seinem gemeinnützigen, rechtschaffenen und von Gott sehr begnadigten Leben! – Sein Andenken bleibe uns im Segen! –[143]

Quelle:
Scheffner, Johann George: Nachlieferungen zu meinem Leben. Nach bestem Wissen und Gewissen, stets mit kräftigem Wollen, oft mit schwachem Können, Leipzig 1884, S. 139-144.
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