Beilage E.

[147] (v. Hundt-Radowsky, [Jh.] Hartw. über Herrn Regierungsrath Grävells Werk: Neueste Behandlung eines Preußischen Staatsbeamten etc. etc. Leipzig, 1819. Klein 8° pag. 47–57).

Ich habe Herrn Regierungsrath Grävells Betragen in mancher Hinsicht hart und bitter getadelt; es sei mir aber auch jetzt erlaubt, über das Verfahren der Herren Minister wider ihn Einiges zu bemerken. Als man ihn als Regierungsrath in Merseburg anstellte, wollte man doch ohne Zweifel, daß er in diesem Verhältnisse nicht allein von dem Publikum, sondern auch von seinen Collegen geachtet werden sollte. Hierzu war das Benehmen der Herren Minister gegen ihn durchaus nicht geeignet. Jeder Vorgesetzte erniedrigt sich selbst, indem er seinen Unterbeamten herabsetzt und besonders dann, wenn er den letztern selbst an den ihm angewiesenen Platz stellte. Dies geschah offenbar von den Ministerien der Finanzen und des Innern in dem an das Königl. Regierungspräsidium zu Merseburg[147] erlassenen Schreiben vom 13. Julius 1817. In diesem Schreiben traten die Minister weit über die Schranken ihrer Befungnisse hinaus; denn sie warfen Herrn Grävell nicht allein als Beamten Anmaßlichkeit im officiellen Betragen und Mißgriffe vor, zu denen er sich hinreißen ließe; sie beschuldigten ihn auch in rein menschlicher nicht amtlicher Hinsicht der Rechthaberei und einer gewissen Ungeschliffenheit des Betragens, die ihn unangenehm auszeichne, und die sie nicht näher bezeichnen. Wenn Herr Grävell als Staatsbeamter seine Pflichten gehörig erfüllte, so kümmerte die Minister es garnicht, ob er diese oder jene menschliche Schwäche im außeramtlichen Betragen zeigte oder nicht. Der Regierungsrath ist nicht der Höflichkeitscontrolle des Ministers unterworfen. So wenig wie der Vorgesetzte das Recht hat, sich in die Kindererziehung des Untergeodneten zu mischen, so wenig hat er die Befugniß, ihn wegen seines geselligen Betragens zu hofmeistern. Die Ministerien warfen Herrn Grävell in jenem Schreiben Ungeschliffenheit in den Manieren vor und dachten wahrscheinlich nicht daran, daß sie hierdurch selbst keinen starken Beweis von Geschliffenheit lieferten. Sie durften von Herrn Grävell, den sie als Regierungsrath angestellt, folglich als einsichtsvollen und geistgebildeten Mann befunden hatten, füglich erwarten, daß er sie verstehen würde, wenn sie auch in etwas feinern Worten und Wendungen ihm ihre Ansichten äußerten. Hr. Grävell war mit dem Regierungspräsidium in Merseburg aufs Äußerste verfallen; das wußten die Ministerien. Dessen ungeachtet[148] erließen sie jenes für ihn höchst beleidigende Schreiben an das Präsidium. Das war so wenig der Klugheit gemäß, als es überhaupt von Schonung und Zartgefühl zeugte; daß der Präsident, Directoren und Räthe der Merseburger Regierung Familien, Freunde und Vertraute hatten, konnten die Ministerien doch wohl beherzigen, und vernünftiger Weise einsehen, daß der Inhalt ihres Schreibens sich von Munde zu Munde in Merseburg und der Umgegend verbreiten, wie ein Schneeball sich unendlich vergrößern, und Herrn Regierungsrath Grävell in seiner amtlichen Stellung höchst nachtheilig sein würde. Ich will so wenig den gedachten Ministerien ihre Weisheit bestreiten, als ich sie ihnen beneide; aber in andern Ländern beobachtet man in ähnlichen Fällen ein mehr schonendes Verfahren: Hat ein Beamter einen Fehler oder ein Versehen begangen, weshalb eine Rüge nöthig ist, so wird diese unmittelbar ihm zugefertigt, mit dem Bedeuten an die sich beschwerende Gegenpartei:

Daß an den N.N. bereits wegen der in Bezug genommenen Handlungen das Nöthige verfügt worden.

Auf diese Weise wird der Bestrafte nicht der Gegenstand des Triumphs und der Schadenfreunde seiner Gegner, und sein amtliches Ansehen bleibt auch bei dem Publikum ungekränkt. Freilich glaub ich nicht, daß die Mitglieder der Merseburger Regierung bei gehörigem Nachdenken sehr über jenes Ministerialschreiben können gefrohlockt haben; denn was ihrem Collegen widerfuhr, das dürfen sie auch bei ähnlicher Veranlassung erwarten. Allein die erste Freude[149] über den Sieg konnte sie leicht zu vertrauten Äußerungen gegen Andere verleiten, wodurch selbst ihr eignes Ansehen geschwächt werden mußte. Was soll aber das Publikum von einer Regierung denken und halten, deren Mitglieder man gleich Schulknaben herabsetzt? Die Minister scheinen in jenem Schreiben vor Zorn gar nicht zu Athem gekommen zu sein, und es ist für den Gebildeten sehr unerfreulich, sie in einer so unfreundlichen Haltung einem Manne gegenüber zu sehen, den sie selbst an seinen Posten gestellt hatten, und dessen Ansehen zu erhalten ihre Pflicht war.

Hr. Grävell handelte ganz unrecht, da er diejenigen Vorwürfe, welche die Minister ihm in amtlicher Hinsicht machten, seiner Injurienklage zum Grunde legte. Offenbar hätte er jene wirklich höchst beleidigenden Ausdrücke und Redensarten, als: »er zeichnet sich durch Rechthaberei und eine gewisse Ungeschliffenheit der Manieren unangenehm aus;« »er will, wie aus der Fassung seiner hier eingereichten Rechtsfertigungsschriften ersichtlich ist, überall (also auch im geselligen Leben) belehren, zurechtweisen, den Klügern und Unterrichtetern spielen, und die Meinung beherrschen« zum Klagegrunde wählen sollen.

Diese Beschuldigungen wurden ihm nicht bloß als Staatsbeamten gemacht, sondern sie waren mit einer solchen Allgemeinheit ausgedrückt, daß sie ihn auch als Menschen schmerzhaft berühren mußten. Wenn er hierauf seine Klage gegründet hätte, so wäre dieselbe unstreitig von dem königlichen[150] Kammergerichte in Berlin angenommen worden; allein hier machte er einen Fehlgriff, und da war es wohl natürlich, daß er abgewiesen wurde. Über das Kammergericht kann er sich also, nach meiner Ansicht, gar nicht beschweren. –[151]

Quelle:
Scheffner, Johann George: Nachlieferungen zu meinem Leben. Nach bestem Wissen und Gewissen, stets mit kräftigem Wollen, oft mit schwachem Können, Leipzig 1884, S. 147-152.
Lizenz: