Die äußere Erscheinung.

[5] Der sicherste Maßstab für die eigene Erscheinung ist die eingehende Beobachtung anderer. Mit der größten Strenge strebe man danach, das abzulegen, was an anderen wenig anziehend erscheint, und wähle gute Muster, um sich nach denselben zu bilden.

Ruhig, fest und natürlich sei die Haltung bei beiden Geschlechtern. Dur Oberkörper ruhe leicht auf den Hüften und der Rücken sei gerade und aufrecht. Das Haupt bewege sich anmutig auf dem Halse, frei und ehrlich sei der Augenaufschlag, fest und sicher der Blick. Ein Herr darf wohl um sich schauen, einer Dame aber würde dies übel anstehen; sie sehe gesetzt vor sich hin, sonst läuft sie Gefahr, einen unfeinen, kecken Eindruck zu machen.

Der Schritt der Herren sei fest und gemessen; aber nicht polternd und geräuschvoll. Für Damen empfiehlt es sich, ganz besonderes Gewicht auf das Erreichen eines anmutigen, leichten Ganges zu legen. Einwärtsgehen muß ebenso streng vermieden werden, wie plumpes, scharfes Auftreten mit dem Absatze oder dem ganzen Fuße.

Beim Stehen lehne man sich nicht an. Niemals lasse man es sich beikommen, den Sessel eines anderen als Stütze zu benutzen oder so Stellung zu nehmen, daß ein Teil der Anwesenden Gelegenheit hat, unsere Kehrseite zu betrachten. Bei einer Unterhaltung im Stehen hüte man sich, zu dicht an andere Personen heranzutreten;[5] das hat für die meisten Menschen etwas ungemein Lästiges und verstößt gründlich gegen die gute Sitte.

Auch beim Sitzen sei man achtsam. Nachlässiges-Zurücklehnen, Wippen mit dem Stuhle, unruhiges Hin- und Herrücken, Schlenkern mit den Beinen ist keineswegs guter Ton; vom Reiten auf dem Sessel, wie vom Ausstrecken, Spreizen und Übereinanderschlagen der Beine ganz zu schweigen. Frei und aufgerichtet sei die Haltung auch beim Sitzen, ohne in beängstigende Steifheit zu verfallen. Ein leichtes zeitweiliges Anlehnen oder graziöses Kreuzen der Füße am Knöchel kann, wenn es schön und geschickt gemacht wird, vom guten Tone nicht beanstandet werden.

Hastige und auffallende Bewegungen sind stets unschön und machen einen wenig seinen Eindruck. Für Damen ist es am sichersten, so wenig wie möglich zu gestikulieren. Ein lebhaftes Mienenspiel und hübsche abgerundete Gesten geben zwar der Unterhaltung einen großen Reiz, wer aber nicht wirklich Schönes und Anmutiges darin leistet, sitze lieber still, das ist einfacher und ungefährlicher.

Angewohnheiten sind bei Herren wenig anziehend, bei Damen schrecklich; darum sei man streng gegen sich und lege alles ab, was einer üblen Gewohnheit auch nur von weitem ähnlich sieht. Dahin gehört das nervöse Spiel der Finger an der Tischdecke, den Fransen oder Quasten der Möbel, das Drehen der Daumen oder des Schnurrbartes, das Trommeln auf der Tischplatte oder am Fenster u. dgl. m. Am schlimmsten freilich ist das unleidliche Zerren und Würgen an der eigenen Kleidung oder gar an derjenigen des Nachbarn. Aber auch das Durchwühlen der Haare und das Herumfahren im Gesichte haben nichts Anziehendes und können uns den lieben Nächsten gründlich verleiden. Nichts ist schöner und stimmt besser mit seiner Sitte, als eine gleichmäßige Ruhe aller Glieder und Muskeln.

Auch des Lebens notwendige Äußerungen, wie Niesen, Räuspern, Husten, Gähnen u. dgl. werden für viele eine Klippe, an denen ihre Lebensart unbarmherzig zerschellt. Es ist dringend nötig, sich mit ihnen in einer Weise abzufinden, die unseren Begriffen von Anstand entspricht.

Die Zeit, wo man dem Niesen allgemeine Beachtung zollte und es sogar durch Zurufe noch besonders auffallend machte, ist überwunden, und heute halten wir es für seiner und geschmackvoller, es in Gesellschaft, wenn es irgend angängig, zu unterdrücken. Geht das Geräusch aber nicht mehr zu verhindern, so mache man es wenigstens hinter dem Taschentuche oder der vorgehaltenen Hand ab und unterwerfe hiernach seine Kleidung einer schnellen Musterung, um etwa[6] entstandene Unsauberkeiten sofort tilgen zu können. Die Anwesenden aber geben sich den Anschein, als hätten sie den Vorfall gar nicht bemerkt.

Vom Husten und Räuspern gilt ebenfalls, es so lange wie möglich zu unterdrücken. Geht dieses jedoch nicht mehr, so mache man es recht leise ab und zwar auch hinter der vorgehaltenen Hand oder dem Taschentuche. Letzteres hat den Vorteil, daß man nötigenfalls sogleich hineinspeien kann, ohne viel Aufsehen zu erregen. Spucknäpfe vertragen sich mit dem guten Tone schlecht, und sind daher fast gänzlich ausgestorben; gerade vor sich hin zu speien kann aber wohl höchstens noch dem allereinfachsten Bäuerlein in Hinterpommern einfallen.

Das Gähnen kann sehr leicht unterdrückt werden, wenn man bei fest geschlossenem Munde den Atem durch die Nase entweichen läßt; aber auch hierbei wird es ratsam sein, die Hand vorzuhalten.

Über den diskreten Gebrauch des Taschentuches, das unpassende Reinigen oder Benagen der Nägel in Gegenwart anderer, das leidige Verzerren des Gesichtes in tausend unschöne Falten, das Summen und Trillern von Melodien zum Schrecken der lieben Mitmenschen u. dgl. unpassende Dinge mehr, wollen wir uns nicht zu sehr ins einzelne verbreiten, sondern nur nochmals darauf hinweisen, daß alles Störende und Auffällige unterbleiben muß, um einer seinen, wohlerzogenen Art Platz zu machen.

Ein beschränkter Mensch von tadelloser Haltung wird stets einen vorteilhafteren Eindruck hervorbringen, wie ein geistreicher Kopf, dem seine Manieren unbekannt sind. Besonders das weibliche Geschlecht möge es sich angelegen sein lassen, jene Anmut zu erstreben, welche, unabhängig von der Schönheit, eine Frucht fleißiger Selbsterziehung ist und die Herzen sicherer bezaubert, als alles andere. Die vollendet seine Dame wird stets anmutig sein und gegen ihre schöneren, ungewandteren Schwestern siegreich das Feld behaupten.

Neben der Haltung kommt für die äußere Erscheinung nichts so sehr in Frage, wie der Anzug. Ordnung und Sauberkeit seien der Hauptschmuck unseres Körpers; die Kleidung aber sei praktisch und schön. Wie wenig die jeweilige Mode diese Devise verbildlicht, wird jeder aufmerksame Beobachter einsehen.

Trotzdem ist man genötigt, sich ihr einigermaßen anzupassen, um nicht aufzufallen. Herren haben dabei wenigstens den Vorteil, keinem so raschen Wechsel ausgesetzt zu sein, wie Damen; aber auch diese können bei einigem guten Willen zu jeder Zeit dasjenige herausfinden, was ihre natürliche Anmut und Schönheit hebt und längere[7] Zeit dem Wechsel widersteht. Nichts ist thörichter, als etwas anzuziehen, nur eben weil es »modern« ist. Lieber die Mode, als den guten Geschmack vernachlässigen.

Neben der schönen und praktischen Seite kommen aber bei der Auswahl des Anzuges auch die Persönlichkeit und die Verhältnisse in Betracht. Nur keine jugendlichen Schnitte und Farben für alte Leute und umgekehrt! Kleine, starke Personen werden gut thun, karrierte Muster und helle Farben zu vermeiden, dagegen können diese großen, schlanken nur zum Vorteil gereichen. Rosa und mattblau sind vorzugsweise für die junge Damenwelt reserviert, während violett und dunkelgelb dem vorgeschrittenen Alter gehören. Für den Sommer wähle man leichtes, helles Zeug und dünne Handschuhe; der Winter jedoch erfordert dicke, dunkle Stoffe, warme Handschuhe und eine eben solche Kopfbedeckung. Auch achte man darauf, den Sommerhut nicht zum Wintermantel, oder die wollenen Handschuhe zum Frühjahrskleide zu tragen; denn nur wenn alles im Einklange steht, kann der Anzug einen hübschen und seinen Eindruck machen. Aufs sorgsamste hüte man seine Kleidungsstücke, um sie stets in tadelloser Sauberkeit zu erhalten. Das giebt ihnen ein elegantes Aussehen und erspart viele kostspielige Erneuerungen.

Auch dem Augenblicke sei die Toilette angepaßt. Daher erscheine man beim Morgentrunke nicht im Gesellschaftsanzuge, auf der Straße nicht in Schleppkleidern und auf dem Wochenmarkte trage man keine hellen Glacéhandschuhe. Bei Ausflügen und auf Reisen aber gelte vor allem der Grundsatz, »praktisch, bequem und hübsch,« darum sei bei diesen Gelegenheiten die Kostbarkeit ganz ausgeschlossen.

Für Herren empfehlen sich durchschnittlich dunkle Sachen mehr, wie helle. Karrierte und gestreifte Muster sehen ebenso wenig sein aus, wie Kravatten in besonders auffallenden Farben. Der einzige Schmuck der Wäsche sei ihr blendendes Weiß und ihre musterhaft saubere Herrichtung. Gestickte oder bunte Oberhemden können keinen Anspruch auf das Prädikat, »fein« machen.

In Schmucksachen sei ein Herr außerordentlich enthaltsam. Pfundgehänge an der Uhrkette, ringbeladene Finger, aufdringliche Stulpenknöpfe und Kravattennadeln machen einen entschieden unfeinen Eindruck. Von Ringen kann vor dem guten Tone, außer dem Trauringe, nur ein Siegelring gerechtfertigt werden. Man trägt ihn am Zeigefinger der linken Hand oder an der Uhrkette. Die wenigen Schmucksachen aber, die ein Herr anlegt, seien echt; denn Talmigold und Glasflüsse vertragen sich nicht mit seiner Lebensart.

Auch für die Damenwelt möchten wir den echten Juwelen das Wort reden, wenigstens für alle diejenigen, welche über die erste[8] Jugend hinaus sind. Den ganz jungen Mädchen aber raten wir, statt trügerischer Nachahmungen, Phantasieschmuck zu wählen. Bei Gelegenheit der echten Steine betonen wir, daß Diamanten nur von Frauen getragen werden; selbst am Hochzeitstage gestattet der gute Ton sie der Braut nicht.

Beim Anlegen von Schmuck hüte man sich streng, des Guten zuviel zu thun. Die Meinung, daß die zehn Finger ausschließlich dazu da sind, um die Staffage für Ringe abzugeben, ist leider noch sehr verbreitet, aber wir mahnen dringend, die Zahl dieser Kleinode auf drei zu reduzieren. Das ist der allerhöchste Satz, der von einer wirklich seinen Dame unter keinen Umständen überschritten werden darf. Siegelringe eignen sich nicht für eine Frauenhand und finden besser ihren Platz an der Uhrkette oder auf dem Schreibtische. Außerdem warnen wir noch vor der Geschmacklosigkeit, Schmuckstücke verschiedener Art gleichzeitig anzulegen.

Damen, wie Herren, aber mögen es sich zur festen Regel machen, des Morgens und auf der Reise recht wenig Schmuck anzulegen; denn das Gegenteil macht einen kleinbürgerlichen, unfeinen Eindruck. Auch bei Landpartieen und Gebirgstouren enthalte man sich der Schmucksachen; es könnte leicht ein oder das andere kostbare Stück verlorengehen. Dann die Luft mit Klagen zu erfüllen und die ganze Gesellschaft mit Sachen zu beunruhigen, ist ganz und gar nicht guter Ton. Aus demselben Grunde trägt man beim Schwimmen, Schlittschuhlaufen und Turnen keinen Schmuck.

Auf Handschuhe und Schuhe legt der Deutsche im allgemeinen viel zu wenig Wert, und doch geben dieselben dem Anzuge erst das Gepräge echter Feinheit und Vollendung. Sie dürfen weder zu groß noch zu klein sein; denn ersteres sieht nachlässig und wenig elegant aus, letzteres hat aber auch nichts Ansprechendes und nimmt außerdem der Haltung die Natürlichkeit und Elastizität. In der Farbe müssen sie schlicht und anspruchslos, in der Form elegant sein. Außerdem achte man darauf, sie dem Anzuge und den Verhältnissen anzupassen. Im allgemeinen gilt der Satz, daß die Handschuhe stets heller als das Kleid sein sollen, doch ist derselbe nicht mehr unumstößlich, seit auch der schwarze Handschuhe salonfähig wurde. Zerrissene oder unsaubere Hand- und Fußbekleidungen aber bedürfen keiner weiteren Rüge; sie gehen, wie alle Unordnung, gegen Schicklichkeit und Lebensart.

Die Haartracht sei bei Herren einfach und schlicht. Künstlich gekräuselte Locken, mit Pomade oder Öl durchduftet, sind geradezu furchtbar, und nur ein ausgesprochener Geck kann auf solche Geschmacklosigkeit verfallen.[9]

Damen ist Nachhilfe vermittelst Brennscheere oder Lockenwickel erlaubt; besonders in unserer Zeit, wo die Mode dem welligen, losen Haare vor dem glattanliegenden so entschieden den Vorzug giebt. Immer aber strebe man eine gefällige, kleidsame Haartracht an, denn dieselbe ist für die Anmut und Schönheit des Gesichtes und Kopfes außerordentlich wichtig.

Über Perücken, falsche Zähne u. dgl. künstliche Ersatzmittel hier ein Urteil zu sprechen, wäre nicht angezeigt. Wir beschränken uns auf die Bemerkung, daß der gute Ton nichts gegen sie einwenden kann, wenn sie einen Nutzen haben und außerdem den Zweck verfolgen, dem Nächsten den Anblick von Schäden zu ersparen, die das Schönheits- und Schicklichkeitsgefühl oft gröblich verletzen. Wenn aber ein eitler Greis sein weißes Haupthaar mit einer dunklen Perücke bedeckt, so ist das ebenso unschicklich, als wenn eine sonst normale Figur sich künstlicher Polsterungen bedient, um den Eindruck größerer Üppigkeit hervorzubringen. Wer immer jedoch irgend welcher Aushilfen bedarf, vergesse nicht, daß dreifache Reinlichkeit am Platze ist, um diese Dinge auf dem Niveau guter Lebensart zu erhalten.

Hierbei sei es uns gestattet, einen kleinen Abstecher zu Schminke, Puder und sonstigen Schönheitsmitteln zu machen. Für das starke Geschlecht kommt dieser Punkt überhaupt gar nicht in Frage; denn ein Mann verfällt unfehlbar der Lächerlichkeit, läßt er sich dergleichen beikommen. Den Damen aber empfehlen wir zur Verbesserung und Erhaltung des Teints fleißige Waschungen des ganzen Körpers, Bäder und Abreibungen. Seife sollte man nicht in das Gesicht bringen, denn sie leistet dem fatalen »Glänzen« Vorschub. Dasselbe versuchen viele Damen mit Reispuder zu bekämpfen, wogegen sich vom Standpunkte guter Lebensart nichts einwenden läßt, wenn es mit Geschick und Verständnis geschieht. Lächerlich aber wirkt entschieden ein clownartig bemehltes Gesicht, das in seiner unendlichen Komik auch wohl keinerlei Anspruch auf guten Geschmack und seine Art macht. Schminke eignet sich nur für das Theater; im Privatleben ist es entschieden unschicklich, sich ihrer zu bedienen. Dasselbe möchten wir von gefärbten Augenbrauen und Lippen behaupten.

Wollen wir nun noch ein Wort von der Verwendung des Wohlgeruchs als Toilettenmittel sagen, so sei festgestellt, daß derselbe die Probe vor dem seinen Ton wohl aushält, vorausgesetzt, er ist nicht so aufdringlich, wie Moschus oder Patschouli. Je zarter und seiner das Parfüm ist, desto besser.[10]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 5-11.
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