Schiebeler.

[195] H. Ekhof kam mit mir nicht aus, mit seiner ganzen Beredsamkeit, ließ sich auch in 14 Tagen und länger bei uns nicht sehen. Und es war mir lieb; denn der Anblick von dem erregte nur meine Galle. Mein einziges, was ich hatte, war meine Korrespondenz. Sonst wäre ich unsinnig geworden; denn auch nicht einmal wußte ich, wo ich Bücher zum Lesen herbekommen sollte. Kannte niemand. – Kurz vor dem Fest ließ sich H. Ekhof wieder sehen und brachte mir einen großen Brief. »Von wem ist er?« »Von H. Schiebeler, der in Göttingen studiert hat, wie wir da waren.« »So!« Ich breche auf und ziehe eine Ode an mich heraus, die H. Schiebeler hatte drucken lassen, las solche auf die Hälfte und ward rot, konnte nicht weiter lesen. »Bescheidenes Mädchen,« sagte Ekhof, »ich will's auslesen.« Wie er fertig war, denn es war auch ein Brief von Schiebelern an mich dabei, sagte ich zu Ekhof: »Als Poesie betrachtet, ist die Ode schön. Aber das Bild, das Schiebeler entworfen, bin ich nicht und wohl keine, die ich kenne, beim Theater. Hätte Schiebeler weniger geschmeichelt, würde ich ihm antworten. Aber darauf kann ich nicht. Antworten Sie ihm für mich! Sagen Sie ihm wieder, was ich gesagt, und setzen noch hinzu, ich ließe ihm danken für seinen guten Willen und Meinung. Das würde ich nie werden, was ich in seiner Ode schon sein soll. Mich aber zu bestreben, besser zu werden, als ich bin, werde ich gewiß keinen Eifer und Fleiß vorbeigehen lassen.« Ekhof versprach mir's und sagte noch: »Nein, Mademoiselle, Sie verdienen mehr wie das.« »Nun, Ekhof, schweigen Sie still! Aber noch eine Bitte an Sie! Schiebeler hat Ihnen ohne Zweifel auch ein Exemplar geschickt?« »Ja!« »Nun, so versprechen Sie mir, solches keinem zu zeigen! Man möchte denken, ich bildete mir was darauf ein, machte mich eitel oder stolz. Auch sagen Sie keinem was davon! So viel versichere ich Sie, daß das, was Sie mir gegeben, soll nicht einmal mein Bruder sehen.« Ekhof frug mich, ob ich in Göttingen denn nichts zugeschickt bekommen oder gelesen. »Ja« sagte ich, »vieles. Doch weil es immer viele Kritik[196] auf meine Mit- und Neben-Kameraden war, habe ich alles verbrannt. Sollte nicht in unrechte Hände kommen. Mich freut kein Lob zum Nachteil meines Nächsten. Und jedem Ehrliebenden muß es wehe tun, sich auf Kosten anderer loben oder tadeln zu hören.« Ekhof versprach mir, einige, die ich vielleicht nicht gelesen, zu bringen, und er hielt Wort. Doch was half mir meine Bescheidenheit, die, so wahr Gott Gott ist, nicht erkünstelt war? Diese Ode gab zu dem bittersten Verdruß Anlaß. Hier will ich sie abschreiben von Wort zu Wort.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 195-197.
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