Erste Jahre der Ehe.

[13] Schreibt sie an ihre Freunde, so stellt sie sich glücklich und fängt verräterische Tränen mit dem Schnupftuch auf, daß sie nicht aufs Papier fallen. Ihren neuen Namen aber mag sie nicht darunter setzen, er ist ein ängstlicher, gramvoller Name, ein großes unübersehbares Feld, bepflanzt mit Kummer. Wenn sie ihm nach Tisch muntere Gedichte vorliest, schläft er ein, was nie geschah, da sie noch Mamsell Schulze war. Sein Pfeifchen Tabak, eine Partie Domino oder Piket, ein rechtzeitig gedeckter Tisch sind jetzt die Freuden, die ihm genügen. Sie wird nicht aus ihm klug. Seine Liebesversicherungen und seine Besorgnis um ihre Gesundheit und dann wieder seine Kälte; sie kann das nicht zusammenreimen.

»Ein Mädchen, wie ich war,« schreibt sie, »gesund, so äußerst propper bis zur Uebertreibung, wie es oft meine Mutter nannte. Was ist ihm, was hat er gegen dich? Meine Jugend, mein warmes Blut! Das Gefühl, so uns die Natur gab, es forderte Gerechtigkeit. Wie oft weinte ich ganze Nächte durch! Wie oft war mein Kopfkissen so naß von Tränen, daß ich still aufstand, mir ein Tuch zu holen und solches überbreitete. Ihn fragen? Mich beklagen? Nein, das konnte ich nicht. Ist's wirklich Abneigung, ist's Abneigung? Ich stellte mich, als ob ich fest schliefe und im Schlaf meinen Arm auf seine Brust gelegt hätte.«

Er benimmt sich darauf sehr zart, aber auch kühl. Sie möchte auf und davonlaufen.

Von dieser Zeit an war ich jeden Morgen eher auf wie er. Inzwischen bekam ich so ein kränkliches Aussehen, als ob ich wirklich eine junge Frau gewesen wäre. Man scherzte darüber in Gesellschaft: H.i.K., die in Hamburg gewöhnliche Gesundheit, und die heißt: »Hänschen im Keller«, wurde oft getrunken. Mein Männchen nahm's als bekannt an und bezeugte sich so froh dabei, daß jeder hätte schwören sollen, es wäre wahr und daß bald nach Neujahr ein junger Kummerfeld würde angezappelt kommen. Wie mir dann dabei zumute war, läßt sich leicht erraten. Ich, die ich nie zur Eifersucht den geringsten Hang hatte, fühlte nun sich so was in mir regen. Genau beobachtete ich ihn in Gesellschaft mit anderen Damen. Wenn die Gesellschaften auseinander[14] gingen, er der einen freundlicher sein Kompliment machte als der anderen, der sorgsam den Salopp umgab, jener den Fächer hielt, diese das, jene was anderes fragte, dann zu mir nicht freundlich und nicht ernst sagte: »Bist du fertig?« oder »Nun, kommst du? Der Wagen ist ja vor!«, ha, da arbeitete es in mir. Oder wenn er jeder in den Wagen half, nur mir nicht mehr, weder beim Ein- noch Aussteigen, o Gott, so wünschte ich mir oft das Ende meiner Tage. Alles fraß ich in mich und beobachtete gegen ihn die größte Aufmerksamkeit. Wie den ersten Freitag nach unserer Trauung, ging ich ihm jedesmal, so oft ich ihn nach Hause kommen hörte, entgegen. Auch das wurde ihm lästig. »Was soll das? Laß mich! Werde mich schon allein auskleiden. Kann das Hebeln (Gezier oder Kosen) nicht leiden.«

Schließlich mag sie keinen Menschen mehr sehen, geht auch ihrem Mann aus dem Wege und sitzt Tage und Nächte hindurch in ihren Schmerz gehüllt. Jetzt will sie nur noch seine erste Haushälterin und Magd sein. Als er einmal besonders ungezogen gegen sie ist, kommt es zu einer Aussprache. In einem langen Briefe spricht sie ihrem Gatten das ganze Herzeleid einer ungeliebten Ehefrau aus. Folge davon ist die Vereinbarung eines reinen Freundesverhältnisses. – Doch kommt nachher alles anders, und es wird ein Kind erwartet. Aber durch die Folgen eines albernen Scherzes in einer Gesellschaft bei dem Lizentiaten Dresser wird sie um das Glück, Mutter zu werden, für immer gebracht. Sie ist beim Nachtisch gerade in einem sehr ernsthaften Gespräch mit dem H. Dr. Schützer begriffen, da ließ ihr anderer Nachbar aus einem mitgebrachten Kästchen eine gedrehte Schlange vor ihr vorbeispringen, und ein »ebenso absurder Herr«, der sich hinter ihrem Stuhl aufgestellt hatte, erschreckt sie gleichzeitig in derselben Weise. Sie lebte nicht nach der Mode, kannte nichts von all den Narrheiten und hatte gegen Mäuse, Ratten und ähnliches Getier einen unüberwindlichen Abscheu. Sie fühlt einen gewaltigen Schmerz an der linken Seite. Ihr Mann ist heftig erschrocken und kann sich kaum eines Ausbruchs seines Unwillens enthalten. Sie verbeißt ihren Schmerz möglichst, um ihn zu beruhigen. In der Weinlaune machen einige noch den sinnreichen Scherz: »Eine junge Frau! Wenn da was rückgängig gemacht wäre!« Sie ärgert sich noch obendrein, ihr wird schlimmer, sie muß schleunigst nach Hause fahren, wo sie dann unter rasenden Schmerzen lange mit dem Tode ringt. Ihr Retter wird der Arzt Dr. Dahl, der schon ihr Medikus bei Ackermann gewesen, wo sie ihn nicht hatte bezahlen dürfen.[15]

Soviel ich ausgestanden hatte und so nahe am Rande des Grabes ich stand, so erholte ich mich vermöge meiner guten, gesunden Natur bald wieder. Ich ging zu Ende des November schon wieder in meinem Haushalt herum. Auf die Angst, die mein lieber Mann mit mir ausgestanden, wollte ich ihm nun auch eine unvermutete Freude, und das zu seinem Geburtstag, machen, der bald einfallen sollte. Ohne ihn daran zu erinnern oder etwas zu sagen, lud ich einige von unseren Bekannten ein, nämlich H. Dr. Bensen, H. Professor Nölting, H. Dr. Schiebeler, der nun auch in Hamburg war, H. Sekretär Dreyer und die zwei Brüder Bernegaa. Mein Männchen war beim Buch an seiner sauren Arbeit, wie ich sie nannte. Des Morgens machte ich mir die Haare zurecht. Das befremdete ihn, und er frug mich, ob ich ausgehen wollte. »Ja! Will in der Nachbarschaft Frau von Rumor besuchen, war so oft in meiner Krankheit bei mir.« Mein Männchen glaubte meiner kleinen Lüge. Wäre ich schon einmal so schwer krank gewesen, würde er mir nicht geglaubt haben, eher eine Visite zu machen, als in der Kirche gewesen zu sein und Gott mein Dankopfer zuerst zu bringen. »Bleibst doch nicht da?« »Nein, Lieber, 6 Uhr bin ich schon zu Hause.« Des Abends kamen meine Herren. Wir freuten uns alle, was mein Mann sagen würde, eine Gesellschaft von 6 Herren bei mir anzutreffen. Mein Mädchen im Haus hatte meine Befehle, und daß er nichts argwohnen sollte, so ließ ich die Speisen außer dem Haus verfertigen. Gleich nach 6 Uhr kam denn mein Wilhelm. Wir tranken eben den Kaffee und Tee. Schon hatte er vernommen, daß Besuch da sei, er trat ein oder steckte vielmehr vor Verwunderung den Kopf in die Stubentür und brachte ein »Guten Abend, meine Herren!« zum Vorschein, das mich herzlich belustigte. »Willkommen, Lieber, findest du mich nicht in guter Gesellschaft? Sieh, so geht's, da sitze ich oft manche Woche allein, und dann kommt's Gute alles auf einmal.« Mein Mann, trotzdem er sich zwang, kam's ihm doch seltsam vor und gab mir einige Male einen Blick, mich gern allein zu sprechen. Die Herren hatten ein jeder seine besondere Ursache, warum sie heute gekommen, die denn alle sehr wahrscheinlich und wie eine Sache, die von ungefähr[16] eintraf, hervorschien. Endlich, da das Winken von Kummerfeld nicht aufhören wollte, ging ich zum Zimmer hinaus, und er folgte mir. Kaum war er mit mir allein, so sagte er: »Sage mir nur, Liebe, wo kommen die alle heute hierher?« »Ja, da fragst du mich zu viel; aber das fügt sich manchmal so.« »Bleiben sie denn da zum Essen?« »Das kommt auf dich an, wenn du willst.« »Ja, was geben wir ihnen? Höre, Kind, sie sind vernünftig und wissen, daß man in der Eile nicht für so viele gleich warm Essen hernehmen kann. Wollen sie fragen, ob sie mit kalter Küche vorlieb nehmen wollen. Vorrat dazu ist im Hause. Aber auch Wein genug?« »Ja, dafür ist gesorgt. Nun laß uns munter sein.« Wie wir ins Zimmer kamen, machten die Herren Aufstand, um wegzugehen. Nach einigem Nötigen sagten sie dann, sie wollten bleiben. Gegen 9 Uhr gab mir mein Mädchen das verabredete Zeichen, daß alles in Ordnung war. Kurze Zeit darauf sagte ich: »Kommt, Kinderchen, wir wollen unten im Zimmer unser Butterbrot essen, hier ist's so eng.« »Aber unten ist's kalt.« »Ei, was, wollen wir nicht alle noch junge Leute sein, wollen uns warm schwatzen und lachen und mit Wein einheizen. Kommt!« Aber da sagte Kummerfeld: »Wenn du dich nur nicht erkältest; du bist noch nicht ganz wohl.« »Oh, so wickle ich mich in Pelz und Fußsack! Kommt nur!« Wir gingen hinunter, und da stand die Tafel in vollkommener Ordnung. Mein Kummerfeld stutzte. »Was heute meine Frau vorhat? Muß sie wohl gewähren lassen, obwohl ich nichts begreife.« Wir wurden munter. Nur mein Mann sann und sann hin und wieder und blieb in Gedanken. Wir alle machten uns darüber in Mienen lustig. Nun endlich, wie er den Braten zerlegte, eilte ich und steckte mit meinem Mädchen die 18 Wachslichter an, die auf den Armleuchtern an der Wand waren. Nun wurde es mit einemmal um so viel heller, er sah auf, und nun trank ich ihm eine Gesundheit zu, die ich auf eine bekannte Melodie gemacht hatte:


Ja, lebe, bester Freund!

Oh, wer fühlt mein Vergnügen!

Ihr Freunde halft mir heut,

Den guten Mann betrügen.[17]


Doch sieh die Ursach' an,

Warum ich es getan!

Am Tage der Geburt –

Von dir, mein bester Mann!


Kaum daß ich zu Ende singen konnte, so war ich gerührt. Mit Tränen fiel er mir um den Hals und küßte mich und dankte mir. Freude war allgemein. Hatte gar nicht an seinen Geburtstag gedacht. Und nun wurde beschlossen, daß alle die Herren, so lange wir zusammen lebten, am 12. April, den 13. September und den 2. Dezember immer unsere Gäste sein sollten. H. Sekretär Dreyer hatte auf diesen Tag ein Epigramm gemacht. Hier ist's:

»An Madame Kummerfeld! Den 2. Dezember 1768 an dem Geburtstag ihres Gatten.


Dein Freund, dein Kummerfeld, er müsse lange leben.

Was man sonst wünschen kann, ist ihm in dir gegeben:

In dir, die du ihm alles bist.

Dein Lächeln täglich seh'n, in deinen Armen liegen,

Die Welt, der Himmel hat kein Glück und kein Vergnügen,

Das diesem vorzuziehen ist.«


Bis gegen 3 Uhr in der Nacht waren wir beisammen; mein lieber Mann voll Dank gegen mich und unsere Freunde, daß sie mir halfen, ihn so angenehm zu überraschen. Wie glücklich ich war, meinen Wilhelm so glücklich zu wissen! Nie glaubte weder das eine noch das andere von uns, daß je unsere wahre Zufriedenheit abzunehmen imstande sei.

Wir schlossen das alte Jahr und traten ins neue 1769. in einer so glücklichen Verfassung, daß wir nicht Ursache hatten, die Vornehmsten und Reichsten in Hamburg zu beneiden. Die Maskenbälle, die angefangen hatten, mußte ich alle mitmachen. Mein Mann begleitete mich auf alle und war oft unwillig, wenn ich nicht alle englischen Tänze mittanzte. Doch wie hätte ich auch in größtem Zirkel Vergnügen ohne ihn haben können, da er nicht tanzte? Merkwürdiges begegnete uns nichts, und wir hatten Tage, Wochen und Monate, wo wir uns immer die liebste Gesellschaft waren und blieben. Mein Mann klagte nicht über mich, ich nicht über ihn.[18]

Ackermann hatte das Theater wieder übernommen. Mit seinem Haus sowohl, als verschiedenen von der Gesellschaft hatten wir Umgang. Ich sagte zu meinem Mann: »Wenn ich keinen Umgang mit ihnen unterhielte, könnte man mir den Vorwurf machen, ich hätte vergessen, daß auch ich sonst bei dem Theater war. Das wünschte ich doch nicht.« Nie soll mich mein Glück stolz machen, so wie mich Armut nie erniedrigen soll. Ackermanns, so oft es ihre Zeit oder die Zeit ihrer zwei Töchter erlaubte, waren bei mir, und ich suchte ihnen so gut wie möglich Freude und Vergnügen zu verschaffen. H. und Mad. Ackermann bestanden darauf, daß sowohl mein Mann wie ich freien Eintritt in ihr Schauspielhaus haben sollten. Kummerfeld wollte nicht. Ackermann sagte: »Wenn Sie es nicht annehmen, so komme ich mit meinen Kindern nie wieder in Ihr Haus. Bin Ihrer Frau von altersher vielen Dank schuldig. Das freie Entree sollen Sie haben, daß Sie in Mainz nicht das Engagement nach Wien annahmen. Nein, den redlichen Streich, den Sie an mir bewiesen, habe ich Ihnen noch nicht vergessen, auch nicht belohnen können. Nehmen Sie also nun das zur Wiedervergeltung an!« Also, wir nahmen's. Für mich war's angenehm und der einzige öffentliche Ort, wo ich allein hinging, aber wo mein Kummerfeld mich auch jedesmal des Abends abholte.

Sonst sah sie ihre Beziehungen zum Theater als gänzlich beendet an. Im Weimarer Band berichtet sie von einem Briefe Chr. H. Schmids aus Erfurt vom 9. Dezember 1769. Er begann mit den Worten: »Madame! Auch nach dem traurigen Zeitpunkte, da die deutsche Bühne durch Ihren Abgang verwaist ward, ist Ihr Andenken bei allen Liebhabern des deutschen Theaters unvergeßlich. Wer kann ›Romeo‹ und ›Minna‹ lesen, ohne an die Demois. Schultzen zu denken?« Er richtet an sie die kühne Bitte um einige Nachrichten von ihrem Leben, um einige interessante Anekdoten von dem Wiener und Hamburger Theater für seine Geschichte des deutschen Theaters. Aber sie war der rauschenden Welt abgestorben; sie fühlte ganz die stille häusliche Ruhe im Bürgerstande und lehnte höflich ab.

Sie war jetzt so glücklich. Wegen ihrer Munterkeit nannte man sie bald Mad. Freudenfeld. Durch den Tod eines älteren Kollegen ihres Gatten verbessern sich seine Einkünfte. Er hatte als jüngster von den drei ältesten Bankschreibern jenem vor 30 Jahren[19] vom Schlage getroffenen Mann jährlich 1000 Taler auszahlen müssen. Von der sehr ansehnlichen Abgabe der Zuckerbäcker an die Herren von der Bank hatte er ferner bisher 24 Hüte Zucker hergeben müssen. Trotzdem war ihnen freilich davon für die eigene Haushaltung und für Präsente reichlich genug geblieben. Diese Besserung ihrer finanziellen Verhältnisse ist ihr nicht sehr wichtig. Sie ist zufrieden. Als sie ihr kleines Häuschen verlassen soll, um ein größeres zu beziehen, ist es ihr, als ob sich die Seele vom Körper trennen sollte. Aber Anfang 1770 wird doch ein neues Haus in der Neuen Straße gekauft. Auch in den neuen Verhältnissen bleibt sie aber einfach und bescheiden.

W.H.: Mit keiner Stafette ließ ich aus Frankreich Pasteten holen; auch wurden keine indianischen Vogelnester verzehrt, noch Ragouts von Karpfenzungen und mehr dergleichen Ingredienzien, die dazu kamen, bei den berühmtesten Köchen bestellt. – Die Mode in Kleidung von damals war nicht so oft der Veränderung unterworfen wie heutzutage. Aber demungeachtet machte ich auch die wenigen sehr selten mit. Sie mußten bequem sein und mir nicht zur Last fallen, wenn ich sie mitmachen sollte. Das war von jeher meine Meinung bei der Kleidung, die ich außer dem Theater trug. Die wenigen Kleider, die ich mir während meiner Ehe machen ließ, waren alle nur von Taft, die ich kehren konnte, wenn sie alt wurden, wie ich wollte. Wie die von Stoffatlas usw., die ich mitgebracht, alle wurden, kaufte ich keine dergleichen an ihre Stelle wieder. Meinen Schmuck, der nur Granaten in Gold gefaßt war, hatte mir mein Mann heimlich machen lassen.

Lange Kleider trug sie nur deshalb immer, weil Wilhelm Röcke und Kontuschen nicht an ihr leiden mochte, wenn sie mit ihm ausging. Und an öffentlichen Orten, auf Spaziergängen oder Promenaden, in großen Gesellschaften ließ sie sich ja nie ohne ihn sehen. Darin war sie altfränkisch. Den weiten Kirchgang [W] machte sie auch bei schlechtestem Wetter zu Fuß. Sogar bei Staatswochenbettenvisiten benutzte sie keinen Wagen, und das war ein starkes Stück gegen die Etikette. Ihren Bedienten nahm sie auch nie mit auf den Wagen, später schaffte sie ihn überhaupt ab. Wenn sie bei der Ankunft der durchlauchtigsten Herzogin von Mecklenburg-Schwerin und der durchlauchtigsten Prinzessin Ulrika von M.-S., die sie ihre fürstliche Freundin nennen durfte, ihre erste untertänige Aufwartung zu machen die Gnade hatte, ja, dann nahm sie des Meldens wegen einen Bedienten auf ihren[20] Wagen, aber nie den ihrigen. Ihr Friseur mußte seinen Puderrock ausziehen und hinten aufsteigen; denn er tat auch Lohnbedientendienste. Dem gab sie lieber für das eine Mal seine Mark Dienst. Denn bei der ersten Auswartung erhielt sie jedesmal den gnädigen Befehl, Dienstags und Freitags des Morgens ungemeldet zu kommen. Dann blieb sie oft von 10 bis nach 1 Uhr. Wie hätte sie so lange den Wagen unten stehen lassen mögen bei der Menge Neugieriger auf dem Jungfernstiege, die sehen wollten, wer wegführe. Den Anblick hatte sie jedesmal bei der ersten Auswartung. Da ging sie lieber bescheidenlich und unbemerkt zu Fuße.

Wenn man sich wundert, daß sie nicht mehr fährt, so zeigt sie wohl ihr blechernes Kästchen mit den Perlen, das sie an trübste Stunden ihres Lebens erinnere und vor Uebermut schütze. Natürlich duldet sie [W] das sehr beliebte Hazardspiel nicht gern in ihrem Hause. Das höchste war die Marke zu vier Schilling im Whist, Triset vier Schilling, Tarok die Marke einen Dreiling. In steifen Gesellschaften, wo man hoch spielte, ließ sie die Leute ihren L'hombre spielen, zog aber für ihre Person ihren Arbeitsbeutel aus der Tasche. Am Arme durfte sie diesen nicht hängen haben. Ihr lieber Gemahl fand, das ließe nicht. Bei sich zu Hause setzte sie die hohen, mittleren und bescheideneren Spieler gruppenweise zusammen und konnte mit ihrem Mann da oder dort einspringen im Falle einer Absage. Denn rasch nachzuladen, war unmöglich; man mußte seine Freunde wenigstens acht Tage vorausbestellen. Seltsam kam es ihr im Anfang vor, daß sie oft vier oder sechs Wochen vorausgebeten wurden und die Invitierkarten nach der Reihe am großen Spiegel im Ankleidezimmer steckten.

Die Vergnügungen nach ihrem Geschmack waren anderer Art. Da wollte sie an einem gewissen Tag des Juni ihren Geliebten überraschen, hatte sich ein neues blaues Kleid machen lassen und fuhr ihm bis zur alten Rabe entgegen. Dort nahm sie ihn samt seinem Begleiter in Arrest. Und weil das Wetter so schön war, hatte sie ein Fahrzeug auf dem Wasser bestellt. Da hielten sie nun unter dem angenehmsten Abend ein Freudenmahl. Oder sie läßt ihren als Dame verkleideten Hund Minion schöne Alexandriner-Glückwünsche zu ihres Mannes Geburtstag überbringen. Sie schließen:


»Du weißt, ich liebe dich ohn' alle San Façon,

Und du, du liebst mich auch, mich (ach!) deinen Minion.«


Anderen macht sie so gern eine Freude. Bei der Einfahrt zu Ackermanns Theater wurde sie, die zu Fuß ohne Schirm gekommen ist, vom Platzregen in eins der kleinen Häuserchen gescheucht. Da findet sie bei einer Faßbinderswitwe mit fünf Kinderchen die bitterste Armut, die sie wie ein realistisches Bühnenbild beschreibt. Von dem Jammer erschüttert, gibt sie ihre ganze Barschaft. Daß Kummerfeld das nachher in der Theaterloge billigt, bringt ihr den oft grilligen Mann wieder besonders nahe.

[21] Den 19. August 1771 starb Dr. Schileber, »dessen Tod«, schreibt Karoline, »meinem Mann und mir sehr nahe ging. War ein rechtschaffener Mann. Auch H. Ackermann starb den 13. November. Mußte Ackermann manche Zähre nachweinen, hatte ihn so lange gekannt, er mich, sah ihn wie meinen Vater an und als ob einer meiner nächsten Verwandten gestorben wäre. Gewiß hätte ich Trauerkleider anziehen mögen, wenn es sich geschickt hätte.«

In dieser Zeit sollte sie mit ihrem Wilhelm noch auf eine besonders neue Weise verbunden werden. Bon Kindheit an fromm und mit Gedanken über Bestimmung, Endzweck, Fortgang und Bestand der Welt sowie über Gottes Allmacht beschäftigt, war sie den Freimaurern nähergetreten. Man hatte sie geprüft und würdig befunden, Schwester zu heißen. Diesen heiligen Namen hätte sie um keinen fürstlichen Titel vertauschen mögen. Sie hatte sehr hohe Begriffe von dem Orden. Sein Heiligtum sollte unter Umständen einem Monarchen verschlossen bleiben und wenn er Herr der halben Welt wäre. Ihre Sprache wird biblisch-feierlich, wenn sie von ihm spricht. Ganz in den heiligen Tempel kann sie freilich als Frau nicht eintreten. Als nun zwei Damen der Botheschen Familie aus Hannover auf der Durchreise ihre Gäste sind, erfährt sie von ihnen, daß jene geheimnisvollen Geschenke damals von den Herren der Loge oder den Masongs stammen. Also von ihren lieben Brüdern, dachte sie bei sich, krank oder feierte ihre Gesundheit für sich selbst und sagte laut nur: »Ja, solche Handlungen sind nur die fähig. Ihr Mann, der durch sie immer viel Gutes von der Loge gehört, erklärt jetzt zu ihrem Entzücken, beitreten zu wollen. Als Mädchen hatte sie sich immer schon gewünscht, einen Masong zum Mann zu haben. Er läßt sich nun anmelden, tritt aber auf seiner Frau Veranlassung erst Herbst 1771 ein, nachdem einige charakterlose Mitglieder, deren Zugehörigkeit ihr ein großes Aergernis gewesen, daraus entfernt sind.«

Nach der Abreise ihrer Freundinnen war ein Brief von ihrem Bruder Karl gekommen. Er war von Koch abgegangen und wollte, bis er ein neues Engagement hätte, nach Hamburg zu Besuch kommen. Die Freude der Schwester war groß. Sie fuhr ihm mit ihrem Gatten am 4. Juli 1771 entgegen. Drei Jahre hatten sich die Geschwister nicht gesehen. Er wohnte bei ihnen im Hause und wurde zu allen Anverwandten geführt, die ihm mit Liebe und Achtung begegneten und ihm alle die Aufmerksamkeit erzeigten, ihn zu sich ins Haus zu laden, so daß Karoline vollkommen zufrieden sein konnte. Den 24. Oktober reiste er wieder ab. Er war als Ballettmeister bei H. Seyler engagiert, der in Weimar an dem herzoglichen Hof engagiert war. Der Abschied ging Karoline sehr nahe.[22]

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 13-23.
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