Türme, Denkmäler und öffentliche Gebäude,

[88] welche bestiegen werden können, auf die der moderne Knigge empfehlend hinweisen muß, und zwar im Interesse derjenigen, welche selbst nie daran denken, sie zu besteigen.

Will man sommerliche Besucher für ganze Vormittage los sein, wie dies wohl der sehnlichste Wunsch jedes zärtlichen Verwandten und gastfreundlichen Mannes ist, so frage man sie bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht[88] zuvörderst einen Überblick über Stadt und Umgegend verschaffen möchten. Man schildere solchen als geradezu bezaubernd, besonders wenn dies nicht der Fall ist, und die Besucher werden darauf eingehen. Hierauf schicke man sie auf irgend eine Höhe, die zu erreichen so anstrengend ist, daß die Besucher auch für den folgenden Nachmittag genug haben. Auch dies ist vorteilhaft.

Ist man einer dieser Besucher, so merke man die Absicht, werde aber nicht verstimmt, um den Freund nicht zu erzürnen, da man ihn doch noch für das Parterre der Stadt nötig hat.

Ist man klug, was man als Besucher allerdings nicht zu sein pflegt, so sage man, man besteige sofort das Siegesdenkmal, das Rathaus, den Aussichtsturm oder was man sonst erklimmen soll, bleibe aber unten und gehe in ein zu ebener Erde gelegenes Wirtshaus, wo man über die Herzlosigkeit des Verwandten bei kühlem Getränk bequem den Kopf schütteln kann.

Hat man die Höhe erklettert, so finde man die Stadt und Gegend, aus der Vogelperspektive betrachtet, ungemein interessant, um wenigstens etwas von der Mühe des Steigens zu haben. Dies thue man, wenn man gefragt wird. Unter zwei Augen kann man dann die Wahrheit sagen und dazu Beleidigungen laut werden lassen, um den Ärger über den erlittenen Ungenuß zu erleichtern.

Ist man im Sinne des Frankfurters, der von dem Verfasser des »Faust« sprach, ein Hiesiger und braucht einen Sporn, um doch endlich einmal die Stadt vom Turm etc. aus anzusehen, so denke man sich, man treffe vielleicht einen Sachsen oben und beginne hoffnungsvoll den Aufstieg. Reist dieser Blütentraum, so wird man sich gut unterhalten wie überall, wo ein Sachse ist.

Oben angekommen hat man vielleicht das Begehren, Fragen beantworten zu müssen, die man nicht beantworten[89] kann. Dann sage man den anwesenden Fremden, daß man hier geboren sei. Alsbald wird man einsehen, daß man seine Geburts- oder zweite Vaterstadt garnicht kennt.

Werden am folgenden Tag die Verwandten einen anderen Turm oder ein anderes städtisches Bauwerk besteigen, wie man es ihnen raten wird, so ist man ein Glückspilz, den dann Ägyptens König, wenn er ihn besuchte, gleichfalls sofort verlassen würde, um sich schnell einzuschiffen, weil ihm vor der Götter Neide graute. Aber gewöhnlich lassen sich die Verwandten nicht auf eine zweite Besteigung ein, und man ist ein Pechvogel.

Zu den beliebten Sommerunterhaltungen ist das


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 88-90.
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