Der Staatsanwalt

[36] genannt.

Der Staatsanwalt hat die schöne und gewiß seltene Eigenschaft, daß er täglich Unzähligen eine Freude macht und zwar allen, welche nichts mit ihm zu tun haben. Um dies nach Gebühr würdigen zu können, muß man nur einmal etwas mit ihm zu tun gehabt haben.

Man mache sich also keines Vergehens schuldig, durch welche man mit ihm in Berührung kommt. Diese Berührung ist auch dann keine angenehme, wenn man sich nur des Vergehens schuldig gemacht hat, ein einfacher und ganz unschuldiger Zeuge sein zu müssen. Dies ist insofern ein Vergehen, als man nicht weiß, wie man durch die Schneidigkeit des Staatsanwalts in des Teufels Küche kommt, welche ein höchst ungemütlicher Aufenthalt ist.

Man sei mit einem schneidigen Staatsanwalt nicht verwandt oder befreundet, da er es in diesem Fall ablehnen wird, die Anklage zu erheben, wodurch man einem noch schneidigeren Staatsanwalt anheimfallen wird.

Ist man eines Staatsanwalts Schulkamerad und dann sein Korpsbruder oder in anderer Weise sein Jugendfreund gewesen und hat man als solcher mit ihm geschwärmt, Ideale gepflegt und Schwüre ewiger Treue ausgetauscht, so wird man – falls er eine Anklage erhebt – ohne weiteres für schuldig erachtet und dank seiner Tüchtigkeit unschuldig verurteilt werden. Stellt sich dies dann glücklicher Weise heraus, so wird er sich auf das Tiefste bedauern.[36]

Will man einen Menschen kennen lernen, der noch etwas unfehlbarer als der Papst ist, so suche man, einen Staatsanwalt kennen zu lernen. Dann aber versuche man nicht, sich von seiner Unfehlbarkeit zu überzeugen, um sich nicht die ganze Freude mutwillig zu verderben.

Man spiele weder Skat, noch ein anderes Spiel mit ihm. Denn wenn man nicht verliert, so ist man in seinen scharfsichtigen Augen ein Falschspieler, im andern Fall aber nur ein Stümper, was natürlich vorzuziehen ist.

Man merke sich auch, daß der Staatsanwalt jeden Ehebruch mit alleiniger Ausnahme des etwa von ihm selbst begangenen für ein Verbrechen hält. Man lasse sich also nicht erwischen.

Grundverschieden von dem Umgang mit dem Staatsanwalt ist der mit dem


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 36-37.
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