Reden und Unterhaltung.

[28] Nach dem oben Mitgeteilten drängt es mich, zu diesem Abschnitt als ersten Grundsatz die Worte anzuführen:

Vor allem sei aufrichtig und wahr in deinen Worten. Zweideutigkeiten klingen im Munde eines jungen Mädchens doppelt unangenehm.

Du brauchst nicht immer die Wahrheit auszusprechen, wenn nichts dadurch erreicht wird, aber was du sagst, das sei die Wahrheit.

Hüte dich auch vor lächerlich übertriebenen Ausdrücken, die oft gar nicht am richtigen Platze angewendet werden und nur abschwächend wirken. Dahin gehört z.B.: furchtbar nett, entzückend, himmlisch, ja womöglich: gottvoll.

Gebrauche auch niemals burschikose Ausdrücke; ich muß gestehen, es berührt mich jedesmal peinlich, wenn ein junges Mädchen sich »famos« amüsiert usw. Sei jedoch andrerseits nicht zu wählerisch in deinen Worten; das gesunde Gefühl muß dich hierbei leiten, niemals eine gewisse Gefallsucht und Ziererei.

Bemühe dich, ein reines, gebildetes Deutsch zu sprechen. Einige Wörter und Ausdrücke sind aus dem Lexikon des guten Tones gestrichen, dürfen deshalb nicht gebraucht werden. So sage z.B. nicht,[28] wenn dir bei Tisch etwas angeboten wird: ich bin satt, ich habe genug, ich kann nicht mehr, sondern einfach; ich danke.

Unhöflich ist auch zu fragen: Was? oder Wie? Sage vielmehr: Was gefällig oder Wie beliebt? Willst du etwas sagen von dir ur einer anderen Person, so nenne diese an erster Stelle, also nicht; Ich und meine Freundin. Es verrät dieses immer eine gewisse Unbescheidenheit.

Sprich überhaupt unaufgefordert nur äußerst wenig von dir, besonders aber nicht zu deinem Lobe.

Gerechtfertigte Komplimente nimm einfach und bescheiden hin, etwa mit den Worten: »Sie sind zu gütig« ... Es ist einfältig, ein uns zugesprochenes Talent einfach leugnen zu wollen.

Wenn du andern zu einer Leistung Glück wünschst, so geschehe es mit Wärme und Herzlichkeit, doch nicht in zu übertriebener Weise. Solch übertriebene Komplimente wie auch Schmeicheleien werden zartfühlende Personen eher verletzen als erfreuen

Mache dich nie über den Nächsten lustig; spottsüchtige Menschen sind selten gute Menschen, und es ist nichts peinlicher, als in einer Gesellschaft zu verkehren, von der man weiß, daß jeder unbedeutende Verstoß belacht und bekrittelt wird. Von den groben Fehlern, die sich so leiht in die Unterhaltung einschleichen, üblen Nachreden, Verleumdungen, will ich hier nicht reden; sie sind nicht nur gegen die gute Sitte, sondern sogar sündhaft.

Meide sogar den Schein dieser Fehler; flüstere[29] und kichere im Beisein anderer nie mit deinem Nachbarn heimlicherweise.

Wenn du dich mit jemand unterhältst, so wende ihm deine ganze Aufmerksamkeit zu; zeige dich nicht geistesabwesend oder gar gelangweilt.

Beschäftige dich auch während seiner Rede nicht mit anderen Dingen. Unter »Freundinnen« jedoch braucht es hierin nicht so streng genommen zu werden.

Nie darfst du älteren Personen in die Rede fallen, weder um ihre Aussage zu bekräftigen noch um ihnen zu widersprechen. Glaubst du letzteres tun zu müssen, so bitte vorher um Erlaubnis. Sodann bezeichne jene Aussage nicht als eine Unwahrheit, sondern einen möglichen Irrtum usw.

Stimmt man dir nicht bei, so schweige; es sei denn, daß deine Rechtfertigung durchaus notwendig sei. Das wäre z.B. der Fall, wenn du oder andere dir Nahestehende einer häßlichen Tat angeschuldigt würden. Immer aber bleibe höflich und bescheiden.

In Gegenwart von älteren Personen soll ein junges Mädchen nie das große Wort führen. Antworte jedoch nicht mit einem knappen Ja oder Nein. Wenn du an einer Unterhaltung teilnimmst, hast du auch in taktvoller Weise für ihre Weiterführung Sorge zu tragen.

Es ist nicht angenehm, wenn ein junges Mädchen sich übertrieben schüchtern und blöde benimmt; gegen diese Schwächen mußt du ankämpfen, sonst beraubst du dich eines der schönsten geistigen Genüsse, indem in der Unterhaltung, wenn sie richtig gepflegt wird,[30] das Geistes- und Herzensleben der beteiligten Personen sich uns offenbart.

Stellt man dir neugierige Fragen, so gib eine kurze, bündige Antwort. Absolutes Stillschweigen könnte hier verletzend sein.

Sei heiter, aber lache nur, wenn du eine Veranlassung dazu hast. Dein Lachen sei immer mäßig, nie schallend und ausgelassen; nach dem Lachen beurteilen viele den ganzen Menschen.


Was sollen wir reden?

Das ist eine schwierige Frage, und ehe ich sie dir direkt beantworte, will ich eine kleine Episode aus meinem Leben erzählen.

Nachdem ich das »Examen fürs höhere Lehrfach« bestanden, setzte ich unter Leitung tüchtiger Lehrer meine wissenschaftliche Ausbildung auf Wunsch der Eltern fort. Und aufrichtig: je mehr ich sah und hörte, desto mehr erkannte ich, wie gering mein Wissen und Können war.

Vater wurde in eine große Stadt versetzt, – und wie es eben Sitte ist – mußten auch meine Schwestern und ich »Antrittsbesuche« machen, denen dann der Gegenbesuch und danach die oft gefürchteten Einladungen folgten. Eines Tages wurden Antonia und ich in einer der ersten Familie von der Tochter des Hauses zum Tee geladen. Wir kamen hin wurden in die Salons geführt, nämlich in zwei große durchgehende Zimmer, wo an kleinen, runden Tischen für je vier und vier serviert wurde. Was letzteres angeht, habe ich nur behalten, daß zehnmal mehr[31] Porzellan da war als nötig; – die Unterhaltung wurde sehr lebhaft geführt. Aber worüber! Diese jungen Mädchen wagten sich an Dinge, die ihrem Gesichtskreis und auch ihrer Fassungskraft eigentlich noch fremd waren: Politik, die schwierigsten Probleme usw. ... So ging's an meinem Tische zu. Nachher wechselten wir die Plätze, und nun ging's aus dem Regen in die Traufe. Die Dienstbotenfrage und die Toilette und Eigenheiten der Anwesenden! Über Lektüre wurden Urteile gefällt, die nimmer selbst gebildet, nur nachgeplaudert wurden, kurz – als Toni und ich abends heimkehrten, wußte ich Mama auf ihre Frage, wie wir uns amüsiert, nichts zu zu sagen als: »Ach, ganz jämmerlich.«

Und das hatte allein seinen Grund darin, daß der Tochter des Hauses, die in diesem Mädchenkreise den Ton angab, das Verständnis für eine geeignete und angemessene Unterhaltung fehlte und sie sich in einem gewissen Nimbus und angeblich geistreichen Wesen gefiel.

Negativ wäre deine Frage nun schon beantwortet. Also nur keine Unterhaltungen über Dinge, die du nicht verstehst. Wenn andere ältere Personen solche führen, so ist deinerseits Aufmerksamkeit und reges Interesse wohl am Platze.

Mit unaufgefordertem Urteil sei recht sparsam.

Rede auch nicht von Dingen, die in andern eine unangenehme oder peinliche Empfindung hervorrufen. Sprich in keiner fremden Sprache, wenn nicht alle Anwesenden sie verstehen.[32]

Die caritativen Bestrebungen der Jetztzeit, deine und andere kleine Erlebnisse, eure Beschäftigungen im häuslichen Kreise, Erinnerungen an die Kindheit, eure Lektüre, Kunst und alles derartige bietet hinreichend Stoff zur Unterhaltung. Die Wahl bleibt dem uns on Natur eigenen Gefühl für das Schöne und gesellschaftlich Zulässige überlassen.


Einen wichtigen Punkt, der auch unter den Abschnitt »Reden« fällt und doch das gerade Gegenteil bedeutet, darf ich hier nicht übergehen: die Verschwiegenheit. Verschwiegenheit ist eine der unentbehrlichsten Tugenden im gesellschaftlichen Leben.

Erzähle nie anderen, was dir unter dem Siegel des Geheimnisses anvertraut worden, auch nicht, wenn du überzeugt bist, daß es von keinerlei Nachteil sein wird. Ein Wortbruch bleibt immer ein Wortbruch; und was dir klein und unbedeutend erscheint, ist in den Au gen anderer oft groß und bedeutend.

Lasse auch nicht durch deine Mienen wissen, daß du etwas weißt, es aber nicht sagen darfst; solche Geheimnistuerei steht einem jungen Mädchen nicht an.[33]

Quelle:
Tante Lisbeth: Anstandsbüchlein für junge Mädchen. Regensburg 4[o.J.]., S. 28-34.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon