Die erste Ankunft in Wien,

im Jahr 1747 im Monat April

[96] Nach Abzug der Reisekosten und Equipierung für mich und meinen Freund Schell blieben mir noch ungefähr 300 Dukaten im Beutel; ich teilte dieselben mit ihm redlich. – Er blieb nur vier Wochen in Wien und reiste nach Italien, wo er bei dem Palavicini'schen Regiment als Oberlieutenant angestellt wurde.

Ich fand meinen Vetter, den berühmten Pandurenobrist, Franz Freiherrn von der Trenck, in Wien im Arsenalarrest, und eben im schwersten Prozeß verwickelt. Sein Vater (meines Vater Bruder) war Obrist und Kommandant in Leitschau, besaß auch in Slavonien die Herrschaften Pletern, Prestowacz und Pakraz und hatte seit der Belagerung Wiens die brandenburgischen Dienste verlassen und dem Hause Österreich 60 Jahre gedient.

Die Ehre meines Familiennamens fordert mich auf, auch von meinem Vetter etwas zu sagen; und was ich sagen werde, ist so wahr, daß mir gewiß niemand auf Erden das Schweigen gebieten soll.

Mein Vetter stand eben im Revisionsprozeß. Kaum war ich in Wien angelangt, so führte mich sein Agent, Herr von Leber, an den Hof und zu seiner Majestät dem Kaiser und dem Prinzen Karl. Beide kannten seine Verdienste wie die boshaften Ränke seiner niederträchtigen Feinde. Sogleich erhielt ich offene Erlaubnis, ihn im Arrest zu besuchen, und die Aufmunterung, ihm auf jede mögliche Weise beizustehen.

Bei der zweiten Audienz sprach der Monarch mit mir auf eine Art, die mich ganz in das Interesse meines bedrängten Blutsfreundes verwebte, und befahl mir, in allen Vorfällen Zuflucht bei ihm zu suchen. Er selbst nannte seinen Kriegsrichter einen boshaften Mann; dieser war der Graf Löwenwalde, der ärgste Feind der Trencks, welchen man, ebenso wie seinen Beisitzer, gewählt hatte, um als Männer ohne Verdienst den besten Patrioten zu mißhandeln.

Gleich gewann die Sache eine andere Gestalt, die hintergangene Monarchin wurde aufgeklärt, Trencks Unschuld schien im[97] Revisionsprozeß im vollen Licht. Man wies nach, daß sein angeordnetes Kriegsgericht, welches 27000fl. gekostet hatte, parteiisch und ungerecht verfahren war und daß 16 Offiziere, die er zumeist wegen schlechter Handlungen von seinem Regiment kassiert hatte, falsche Eide abgelegt hatten.

Merkwürdig ist, daß man in der Wiener Zeitung ankündigte:

»Alle diejenigen, welche wider den Trenck etwas zu klagen hätten, sollten sich melden, und täglich, so lange der Prozeß dauerte, einen Dukaten Diäten empfangen.«

Man kann sich hieraus leicht vorstellen, wie groß die Zahl der Kläger anwuchs und aus was für Leuten sie bestanden. Diese Diäten haben 17000 fl. gekostet.

Nun fing ich aber an, mit dem Doktor Gerhauer im Revisionsprozeß zu arbeiten; bald gewann die Sache ein anderes Aussehen. Da es aber fast so weit kam, daß man das ganze Gericht nebst dem damals allgewaltigen Hofkriegsrat von Weber hätte kassieren müssen, mischte sich leider die Staatsklugheit in den Prozeß. Die Monarchin ließ dem Trenck antragen, er solle um Gnade bitten; in diesem Falle sollte alles beglichen sein und er sogleich seine Freiheit erhalten. Prinz Karl, der Wien kannte, riet mir, ich solle meinen Vetter zu diesem Schritt bewegen. – Umsonst! Er fühlte seinen Wert und seine Unschuld zu gut und forderte trocken weg Recht. Und gerade das erzwang sein Unglück.

Bald wurde ich gewahr, daß mein Vetter das Opfer sein würde. Er war reich; seine Feinde hatten bereits über 80000 fl. ausgeteilt, das ganze Vermögen war in ihren Händen, man hatte ihn bereits zu grob mißhandelt und kannte ihn zu gut, um nicht alles von seiner Rache zu fürchten, sobald er seine Freiheit erhalten würde.

Mein Herz war über sein Schicksal gerührt, und da er bereits, seinem feurigen Temperamente gemäß, bei herannahendem Siege öffentliche Drohungen andeutete, seine Gegner hingegen den Hofbeichtvater auf ihrer Seite hatten, Hofränke zu spielen wußten und alles für sich fürchten mußten, so machte ich ihm bei guter Laune den brüderlich gemeinten Vorschlag, er solle aus dem Arrest entfliehen und dann in Freiheit sein Recht der Monarchin erweisen. – Ich machte ihm den ganzen Plan dazu, welcher[98] mir leicht auszuführen möglich war, und er schien vollkommen entschlossen.


Etliche Tage nach dieser Unterredung wurde ich zu dem Feldmarschall Graf Königseck, Gouverneur in Wien, gerufen. Dieser ehrwürdige Greis, dessen Asche ich noch verehre, sprach und handelte in diesem Falle als Vater und Menschenfreund. Er riet mir, meinen Vetter zu verlassen und gab mir deutlich genug zu verstehen, daß mein eigener Vetter mich selbst verraten, den ganzen Anschlag gemeldet habe und mich seinem Ehrgeiz opfern wollte, um hierdurch sein reines Gewissen zu rechtfertigen und zu zeigen, daß er nicht entweichen, sondern sein Schicksal und sein Recht abwarten wollte.

Bestürzt über diese Handlung eines Blutsverwandten, für den ich mein Leben freudig gewagt hätte und den ich mit dem redlichsten Herzen von seinem Untergange zu retten suchte, beschloß ich, ihn zu verlassen. Glücklich war ich noch, daß der rechtschaffene Feldmarschall die Sache mit einer väterlichen Vermahnung unterdrückte. Ich erzählte diesen schwarzen Undank Ihro K. Hoh. dem Prinzen Karl von Lothringen, der mich aber bewog, neuerdings zu meinem Vetter zu gehen, mir nichts merken zu lassen und mich seiner Sache nach Möglichkeit anzunehmen.


Hier muß ich meinen Lesern eine kurze Schilderung vom eigentlichen Charakter dieses Trenck beibringen. Er war ein Mann von außerordentlichen Talenten; seine Ruhmsucht war unbegrenzt, sein Diensteifer für die Monarchin sogar fanatisch, seine Kühnheit bei allen Unternehmungen unnachahmlich, sein Verstand arglistig, sein Herz böse, rachgierig und unempfindlich, sein Geiz aber bis zum höchsten Gipfel glaubbarer Möglichkeit schon im 33sten Lebensjahre, da er starb, herangewachsen. Verbindlichkeit wollte er niemand auf Erden schuldig sein; und wirklich war er fähig, seinen besten Freund in die Ewigkeit zu befördern, wenn er sich ihm verpflichtet glaubte oder sich seines Gutes bemächtigen konnte.

Nun wußte er, daß ich ihm tätige Dienste geleistet hatte; seinen Prozeß glaubte er bereits gewonnen, weil er mit den Revisionsrichtern[99] einen Kontrakt über 30000 fl. geschlossen hatte, wohin ich die vom Baron Lopresti, seinem Freunde, empfangenen Gelder hingetragen hatte. Ich kannte alle seine Geheimnisse: folglich war in seinem mißtrauischen, bösen Herzen mein Untergang beschlossen.

*


Kaum 14 Tage nach diesem mir gespielten Verräterstreich geschah folgende merkwürdige Begebenheit. Ich ging abends von ihm aus dem Arsenal nach Hause und trug einen Stoß Prozeßakten unter dem Rock, die ich für ihn ausgearbeitet hatte. Gegen 25 Offiziere, die gegen ihn klagten, waren damals in Wien, die mich alle als ihren ärgsten Feind ansahen, weil ich ihn zu verteidigen arbeitete; folglich mußte ich in allen Winkeln auf meiner Hut sein. Man hatte ohnedies in ganz Wien ausgesprengt, ich sei heimlich vom König in Preußen geschickt, um meinen Vetter aus dem Arrest zu befreien. Er hingegen hat bis zu seinem Tode standhaft behauptet, daß er niemals in seinem Leben an mich nach Berlin geschrieben habe; folglich war der Brief, der mich dort unglücklich machte, unfehlbar untergeschoben und von meinem Feinde Jaschinsky geschmiedet worden ... Nun ging ich aus dem Arsenal über den Hof spazieren; bald folgten mir zwei Leute in grauen Kapuzen-Röcken auf dem Fuße, sie traten mir vorsätzlich auf den Fuß, sprachen laut und schimpflich von dem hergelaufenen preußischen Trenck. Ich merkte deutlich genug, daß sie Händel suchten, wozu ich damals leicht zu bewegen war; denn niemals ist man mehr zum Raufen aufgelegt, als wenn man nichts zu verlieren hat und mit seinem Zustande unzufrieden lebt. Ich hielt sie beide für kassierte Trenck'sche Offiziere aus dem Kreise seiner Kläger, suchte aber dennoch auszuweichen und ging auf den Judenplatz zu.

Kaum war ich in der Straße, so folgten sie mir mit starken Schritten nach; ich wandte mich um – und in diesem Augenblick empfing ich einen Degenstich gegen die linke Brustseite, wo die Prozeßakten, die ich unter dem Rock trug, mir allein das Leben retteten. Der Stich ging durch das Papier und hatte nur etwas mehr als die Haut durchstochen. Gleich sprang ich zurück, zog[100] den Degen; die beiden Herren aber liefen davon. Ich folgte, einer strauchelte und fiel; ich packte ihn beim Kragen, die Wache kam herzu. Er sagte, daß er Offizier beim Kollowrat'schen Regiment sei und wies auf seine Uniform. Ich hingegen mußte in Arrest.


Anderntags kam der Platzmajor zu mir und hielt mir vor, ich hätte mutwillig Händel mit zwei Offizieren, dem Lieutenant von F ... g und dem Lieutenant K ... n gesucht. Freilich hatten die feinen Herrn nicht gesagt, daß sie mich meuchelmörderisch in die andere Welt schicken wollten. Ich war allein, hatte keine Zeugen gegen zwei, mußte also Unrecht haben und blieb sechs Tage im Arrest.

Kaum war ich zu Hause, so ließen sich zwei Offiziere bei mir melden und forderten Satisfaktion für die ihnen zugefügte Beleidigung. Gleich war ich bereit und versprach, binnen einer Stunde vor dem bestimmten Schottentor zu erscheinen.

Da man mir nun die Namen nannte, erkannte ich zwei starke Fechter, die oft zum Trenck ins Arsenal kamen, wo fast täglich mit Rapieren gefochten wurde. Ich ging also zu meinem Vetter, um Hilfe zu suchen, erzählte ihm den Vorgang, und weil ich meine Gegner kannte, so bat ich ihn, mir 100 Dukaten zu geben, damit ich allenfalls entfliehen könnte, falls einer auf dem Platz bliebe.

Bis dahin hatte ich mein eigenes Geld für ihn verwandt und keinen Groschen von ihm erhalten oder verzehrt. Wie erstaunte ich daher, als der böse Mann mir höhnisch lächelnd zur Antwort gab:

Haben Sie Händel ohne mich angefangen, mein lieber Vetter, so führen Sie sie auch ohne mich aus!

Im Hinausgehen rief er mir noch nach: – Den Nasendrücker will ich noch für Sie bezahlen!

Weil er sicher glaubte, ich würde nicht vom Platze zurückkommen.

Nun lief ich bald verzweifelt zum Baron Lopresti; dieser gab mir 50 Dukaten und ein Paar Pistolen. Hiermit eilte ich fröhlich zum bestimmten Kampfplatz.

Ich traf daselbst ein halbes Dutzend Offiziere von der Garnison[101] an. Weil ich in Wien wenig Bekannte hatte, folgte mir ein 80jähriger Spanier, ein Invalidenhauptmann namens Pereira, als Sekundant nach, dem ich bei dem eiligen Hinauslaufen zufällig begegnete, auf Befragen die Ursache sagte, und der nicht von meiner Seite gehen wollte. Der Lieutenant K ... n war der erste und wurde in wenigen Augenblicken stark verwundet. Hierauf bat ich die Augenzeugen, weitere Folgen zu verhüten – ich hätte Satisfaktion genug. Herr Lieutenant F ... g trat aber mit Drohungen hervor und wurde mit einem Stoß in den Unterleib expediert. Hierauf sagte des ersten Sekundant, der Lieutenant M ... f:

Ich würde Sie anders empfangen, wenn Sie es mit mir zu tun hätten!

Gleich sprang mein 80jähriger Sekundant mit spanischen Augenbrauen, die ihm bis über die halbe Nase hingen, mit braunem Rock und Strümpfen, mit bebendem Kopf und Händen hervor und rief mit drohender Stimme:

Halt! Der Trenck hat gezeigt, daß er ein braver Kerl ist. Wer ihn ferner angreift, der hat es mit mir zu tun!

Alles lachte über den drohenden Ohnmächtigen, der kaum den Degen in der erstorbenen Hand eines zum Grabe taumelnden Greises halten konnte. Ich sagte:

Freund! Noch bin ich gesund und kann mich selbst verteidigen. Bin ich hierzu unfähig gemacht, dann tritt du an meine Stelle. So lange ich noch den Degen führen kann, werde ich mit Vergnügen alle diese Herren, einen nach dem anderen, nach Möglichkeit bedienen!

Ich wollte einige Augenblicke rasten, aber der stolze und durch die Niederlage seines Freundes erbitterte M ... f griff mich an und ging mir so wütend auf den Leib, nachdem er bereits an der Hand verwundet war, daß ich ihm noch einen Stoß in den Unterleib beibrachte. Und da er gegen mich anrannte, um mit mir zu sterben, schlug ich ihm die Klinge aus der Hand und warf ihn mit der Hand auf die Erde. Nun hatte niemand mehr Lust zu raufen. Meine drei Feinde fuhren blutig in die Stadt zurück, und da M ... f tödlich verwundet schien und mir die Jesuiten und Kapuziner die Freistatt versagten, flüchtete ich mich auf den Kahlen Berg in das Kloster. Hier schrieb ich[102] sogleich an den Obrist Baron Lopresti; dieser kam zu mir, ich erzählte ihm den Vorgang, und durch seine Vermittlung durfte ich binnen acht Tagen frei in Wien erscheinen.

Der Lieutenant F ... g hatte venerisch Blut im Leibe, seine nicht eben gefährliche Wunde wurde hierdurch bedenklich, und er ließ mich bitten, ihn zu besuchen. Er bat mich um Verzeihung und gab mir deutlich genug zu verstehen, ich solle mich künftig vor meinem Vetter hüten.

In der Folge habe ich erfahren, daß dieser böse Mann ihm eine Kompanie und 100 Dukaten versprochen hatte, wenn er mit mir Händel suchen und mich in die Ewigkeit schicken wollte. Der Mensch stak in Schulden, suchte sich einen Gehilfen in dem Lieutenant K ... n, und wenn mich nicht zufällig die Trenck'schen Prozeßakten geschützt hätten, so wäre ich durch den ersten Verräterstoß in die Ewigkeit befördert worden. Freilich hatten also diese beiden feinen Herrn Ursache, die Schandtat zu leugnen und vorzugeben, ich hätte sie in der Straße angegriffen, und mich erst nach fehlgeschlagenem Meuchelmord vor die Klinge zu fordern.


*


Nun konnte ich mich nicht mehr entschließen, meinen undankbaren und gefährlichen Vetter wiederzusehen, welcher meinen Tod beschlossen hatte, weil ich alle seine Geheimnisse kannte, da er sich schon im Triumphe seines Prozesses, den ich geführt hatte, frei glaubte und mir keine Verbindlichkeit schuldig sein wollte. Dies war eigentlich bei allen seinen großen Eigenschaften sein Charakter: Alles seinen Privatabsichten, besonders seinem Geiz aufzuopfern, der bereits im 33sten Lebensjahre, da er starb, so hoch gestiegen war, daß er bei einem Vermögen von 11/2 Millionen täglich nur 30 Kr. verzehrte.

Kaum wurde nun in der Stadt bekannt, daß ich ihn verlassen hatte, so suchte der General Löwenwalde, sein ärgster Feind und Präsident seines ersten Inquisitionskriegsgerichts, mich zu sprechen; er versprach mir alles Glück und alle Protektion, wenn ich ihm die Geheimnisse aufdecken wollte, welche im Revisionsprozeß vorgefallen wären.[103]

Hier lernte ich nun den akkredierten Bösewicht und schändlichen Blutrichter in Wien kennen, fertigte ihn aber mit Verachtung ab, deckte Verrätereien und Spitzbubenstreiche boshafter Richter und böser Menschen auf in diesem so arglistig verwickelten Prozeß, und beschloß, lieber in Indien mein Brot zu suchen als in einem Lande zu bleiben, wo unter dem Szepter der besten Monarchin die rechtschaffensten Männer, die besten Soldaten und Patrioten von eigennützigen oder mißgünstigen Bösewichtern unglücklich gemacht werden konnten. Denn sicher ist es, und ich kann es noch gegenwärtig erweisen, daß eben der Trenck, welcher wirklich mein ärgster Feind war, dessen ganze Gemütsanlage meine ewige Verachtung verdiente, in sich selbst der beste Soldat in der kaiserlichen Armee gewesen ist, der Gut und Blut mit dem standhaftesten Diensteifer für seine Monarchin aufgeopfert hatte, der mehr als seine Pflicht für sie erfüllte und wirklich bis zum schmählichsten Tode dem Staat große Dienste geleistet hat, auch unverrückt würde geleistet haben, wenn sein Reichtum und seine Verachtung gegen den H.K.R.v.W ... r und Löwenwalde ihn nicht in die Klauen solcher Leute gestürtzt hätten, die ihr Ansehen, ihre Habsucht nur durch Ränke bei Hofe zu erhalten wußten. Hätte mein Vetter diesen einen Teil seiner Beute geteilt und der Arglist besser auszuweichen gewußt, er wäre gewiß nicht auf dem Spielberge gestorben. Seine Kläger waren meistens schlechte und bestochene oder halb verzweifelte Leute; und die Klagen selbst, die man gegen ihn anbrachte, waren nie von solcher Art, daß man einen so brauchbaren Mann auch nur eine Stunde mit Arrest hätte bestrafen sollen. Seinen ganzen Prozeß habe ich geführt, sein ganzes Herz, alle seine Handlungen lagen offen vor meinen Augen; folglich darf ich diese Versicherung meinen Lesern öffentlich in meinen Schriften mitteilen, wo Ehre und Wahrheit gegen alle Parteilichkeit Bürgschaft leisten.


Nun war ich aber einmal entschlossen, Wien auf ewig zu fliehen. Alle Freunde meines Vetters mißtrauten und verließen ihn wegen des mir erzeigten Undankes. Ihro königl. Hoheit der Prinz Karl wollte mich zur Aussöhnung überreden: Er gab mir ein Empfehlungs schreiben an den General Brown, welcher damals[104] die Armee bei Genua kommandierte. Ich wollte aber in Indien mein Glück suchen und reiste im August 1748 von Wien nach Holland.

Nun hatten inzwischen die Feinde meines Vetters keinen Widerstand zum Siege; er wurde verurteilt und auf den Spielberg gebracht, wo er zu spät bereute, daß er den treuen Rat eines scharfsichtigen Freundes verachtet und verraten hatte. Ich habe ihn bedauert; sicher ist es auch, daß viel mehr seine Richter und Feinde ein so verächtliches Schicksal verdient hatten. Er selbst hat aber auch noch in der letzten Todesstunde mir seinen ewigen Haß gezeigt und noch jenseits des Grabes durch sein Testament mein Unglück zu besiegeln gesucht, welches die Folge meiner Begebenheiten aufdecken wird.

Ich floh Wien, und wollte Gott, ich hätte es auf ewig geflohen! Mein Schicksal führte mich aber durch Umwege wieder dahin, wo ich schon von der Vorsehung zum Gefäß des Zornes, der Ungerechtigkeit und der Verfolgung bestimmt war. Meine Rolle sollte in Europa und nicht in Asien gespielt werden; deshalb traf ich auf meiner Reise in Nürnberg das russische Corps an, welches damals nach Holland marschieren und auf deutschem Boden Frieden machen sollte. Graf Liewen, ein Verwandter meiner Mutter, war der Kommandierende General. Major Butschkow, den ich in Wien als russischen Residenten kennengelernt hatte, überredete mich, ihm meine Aufwartung zu machen, und ich präsentierte mich. Mein Vortrag gewann sein Herz. Von diesem Augenblick an war er mein Freund und Vater. Er überredete mich, in russische Dienste zu gehen und ernannte mich zum Hauptmann im Tobolsk'schen Dragoner-Regiment. Ich mußte aber bei ihm bleiben, in seiner Kanzlei arbeiten, und sein Vertrauen, seine Achtung für mich waren unbegrenzt.


Der Frieden erfolgte. Wir marschierten ohne Schwertstreich nach Rußland zurück und blieben mit dem Hauptquartier zu Prosnitz in Mähren.

In Krakau schickte mich der Kommandierende General Liewen, mein besonderer Beschützer, mit 140 Kranken auf der Weichsel nach Danzig, von wo wir mit russischen Schiffen nach Riga transportiert wurden. Ich bat ihn um diese Gnade, weil[105] ich gern mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in Preußen sprechen wollte.

Bei unserer Ankunft in Elbing übergab ich mein Kommando dem Lieutenant von Platen und ritt nebst einem Bedienten in das Bistum Ermland, wo ich in einem Grenzdorf die Zusammenkunft bestimmt hatte.

Inzwischen kam mein Bruder in Ressel zu mir; meine rechtschaffene Mutter hingegen hatte das Unglück, auf der Reise zu mir, unweit ihres Gutes, um geworfen zu werden, brach den Arm, kehrte mit meiner Schwester zurück, und ich habe sie in der Welt nicht wiedergesehen.

So verfolgte mich das Schicksal in allen Unternehmungen, und in diesem Jahre 1749 begegneten mir allein so viele Zufälle, so viel Glücksveränderungen, die für einen Robinson schon Stoff genug zum weitläufigsten Roman abgeben würden.

Nun war ich in Danzig, und hier ereignete sich eine Begebenheit, die zu den merkwürdigsten meines Lebens zählt und die mir noch Freude macht, so oft ich an diese Szene denke. Ich machte daselbst Bekanntschaft mit einem preußischen Offizier, der ein geborener Preuße war, dessen Namen ich hier aber wegen seiner Familie nicht nennen will, die ich verehre. Dieser besuchte mich täglich, und wir ritten bei schönem Wetter oft in die Vorstädte spazieren.

Mein treuer Bedienter hatte Freundschaft mit dem seinigen geschlossen. Wie erstaunte ich aber, da derselbe mir eines Tages mit Freude und Verwirrung sagte:

Herr! Hüten Sie sich vor der Falle, die Ihnen gelegt wird! Der Lieutenant N ... will Sie vor das Tor locken, sodann fangen, in einen Wagen werfen und in preußische Hände liefern!

Ich fragte, woher er das wisse? Er gab zur Antwort, der Bediente des Offiziers habe ihn davon benachrichtigt, weil er mich lieb habe und mich vor Unglück warnen wolle. Nun kam ich bald hinter das Geheimnis. Ein paar Dukaten entdeckten mir den ganzen Anschlag, für den bereits Tag und Stunde bestimmt waren. Nämlich: Der preußische Resident Reimer hatte den Lieutenant überredet, das größte Schelmenstück an mir, seinem Freunde und Wohltäter, auszuüben. Er sollte mich in die Vorstadt, Langfuhr genannt, hinauslocken. Daselbst liegt an der[106] Straße ein Wirtshaus auf preußischem Boden; hier sollten 8 Werbeunteroffiziere im Hof auf mich lauern. Sobald ich in das Haus treten würde, sollte ich überfallen, in einen Wagen geworfen und nach Lauenburg in Pommern gebracht werden. Zwei Unteroffiziere waren beritten, um den Wagen bis an die Grenze zu begleiten, und die anderen hätten mich geknebelt, damit ich im Danziger Territorium nicht um Hilfe rufen könne.

Durch meinen treuen Bedienten erfuhr ich nun alle Vorkehrungen genau; ich wußte auch, daß meine Feinde nur mit ihren Säbeln bewaffnet, ohne Schießgewehr hinter dem Tor des Wirtshauses auf mich warten würden, um mir sogleich in die Arme zu fallen und jede Gegenwehr zu verhindern. Die berittenen zwei Offiziere sollten sich aber meines Bedienten bemächtigen, falls er mit den Pferden davonsprengen und Lärm schlagen wollte. Nun hätte ich alle diese Anstalten leicht vereiteln können und brauchte nur den Spaziergang abzuschlagen, wenn er mir angetragen würde. Mein Ehrgeiz reizte mich aber zu tun, was wirklich geschah, um mir zugleich selbst an Verrätern eine entzückende Genugtuung zu verschaffen.

Gegen Mittag erschien nun Herr Lieutenant N ..., speiste bei mir wie gewöhnlich und war tiefsinnig, auch ernsthafter als gewöhnlich; er ging gegen 4 Uhr weg, nachdem ich ihm vorher versprechen mußte, am folgenden Tage früh nach Langfuhr zu reiten. Meine Zusage machte seine Gesichtszüge fröhlich, während ich den Verräter genau beobachtete, dessen Schicksal schon in meinem Herzen beschlossen war.

Kaum war er fort, so ging ich sogleich zum russischen Residenten, Herrn von Scheerer, einem redlichen Schweizer; ich meldete ihm, was vorging und fragte an, ob ich zu meiner persönlichen Verteidigung 6 Mann von meinem Kommando brauchen dürfe, entdeckte ihm auch zugleich meinen ganzen Entwurf. Er riet mir ab; da ich aber nicht zu überzeugen war, sagte er:

Tu, was du willst, ich weiß nichts davon und will nichts verantworten!

Gleich eilte ich zu meinen Leuten, wählte 6 Mann und führte sie im Dunkeln zu dem preußischen Wirtshaus, wo sie sich gegenüber im Korn versteckten und Befehl erhielten, auf den ersten Schuß hin mir mit gespanntem Gewehr zu Hilfe zu eilen (diese[107] Gewehre brachte ich ihnen heimlich im Wagen hinaus); dann sollten sie alles fangen, was sie könnten, bei Gegenwehr aber Feuer geben.

Indessen war ich in allem auf meiner Hut, um nicht etwa durch falsche Nachricht ins Garn gelockt zu werden. Durch aufgestellte Kundschafter erfuhr ich früh um 4 Uhr schon alles; auch, daß der preußische Resident Reimer mit Postpferden hinausgefahren sei. Ich selbst hatte meine und meines Bedienten Pistolen sicher geladen, meine Terzerolen im Sacke und meinen türkischen Säbel bereit. Den Bedienten des Lieutenants hatte ich zur Dankbarkeit in meine Livree aufzunehmen versprochen, und ich war seiner Redlichkeit versichert.

Gegen 6 Uhr früh trat nun der Herr Lieutenant mit fröhlichen Blicken in mein Zimmer, lobte das schöne Wetter und versicherte mir viel Vergnügen bei einer schönen Wirtin in Langfuhr. Ich war gleich fertig, wir setzten uns zu Pferde und ritten jeder mit seinem Bedienten zum Tor hinaus. Wir waren noch etwa 300 Schritte von dem Wirtshaus entfernt, wo man auf mich lauerte, als mein edler Freund mich aufmunterte, bei so schönem Wetter zu Fuß zu gehen und die Pferde führen zu lassen – vermutlich, damit ich sicherer zu fangen wäre. Gleich war ich bereit, stieg vom Pferde und sah des Verräters Auge angesichts der sicheren Beute vor Freude funkeln.

So gingen wir vorwärts. Im Wirtshaus lag der Herr Resident von Reimer im Fenster und rief mir zu:

Guten Morgen, Herr Hauptmann! Herein, herein da! Soeben ist das Frühstück fertig!

Ich lachte ihn höhnisch an und antwortete:

Ich habe keine Zeit!

Und ging vorwärts. Mein Führer wollte mich nötigen, nahm mich beim Arm, um mich hineinzuführen. Nun verließ mich die Geduld, und ich gab ihm eine Ohrfeige, daß er fast zur Erde sank, sprang hierauf zu meinen Pferden zurück und wollte aufsitzen.

Gleich prellten die Preußen aus dem Tor heraus und liefen mit Geschrei auf mich los; ich schoß aber den ersten, der sich mir näherte, auf die Haut. Im selben Augenblick brachen meine Russen hervor und schrien mit gespanntem Gewehr:[108]

Stuy, stuy! Jebionnamat!

Der Schrecken der wehrlosen Preußen, die unerwartet überfallen wurden, ist leicht zu erraten. Alles lief davon, ich bemächtigte mich in der ersten Bestürzung des Anführers, sprang in das Haus, um den Residenten zu fangen; dieser entwischte aber zur Hintertür und ließ mir nur seine weiße Perücke zurück.

Meine Russen hatten indessen 4 Gefangene gemacht; gleich ließ ich durch meine Mannschaft die Straße besetzen und einem jeden 50 Prügel geben. Ein Fahnenjunker namens Casseburg gab sich zu er kennen und sagte, daß er mit meinem Bruder studiert habe und bat um Gnade, weil er zu diesem Straßenraub beordert war. Sein Vortrag rührte mich und ich ließ ihn gehen. Hierauf zog ich den Degen und rief dem Lieutenant zu, er solle sein Leben verteidigen. Der Mensch war aber so bestürzt, daß er den Degen zog, aber nur um Verzeihung bat, alles auf den Residenten schob und sich gar nicht verteidigen konnte. Zweimal warf ich ihm den Degen aus der Faust; endlich nahm ich den russischen Korporalsstock und prügelte ihn, solange ich konnte, ohne daß er an Gegenwehr dachte. So ist der Verräter allezeit zaghaft, wenn sein Anschlag fehl geht. Übel zugerichtet, verließ ich ihn kniend auf der Erde zu meinen Füßen und rief ihm zuletzt zu:

Schurke! Jetzt erzähle deinen Kameraden, wie der Trenck Straßenräuber zu züchtigen weiß!

Das Volk war inzwischen zusammengelaufen. Ich sagte ihnen kurz den Vorfall, denn der Angriff war wirklich auf Danziger Gebiet geschehen. Die elenden Menschen wären beinahe vom Pöbel gesteinigt worden, ich hingegen marschierte mit meinen Russen siegreich vom Schlachtfelde, aber gleich in den Hafen. Wir gingen zu Schiffe, die bereits auf uns warteten, und 3 oder 4 Tage hernach mit meinem ganzen Kommando unter Segel nach Riga.

Zu verwundern ist, daß dieser so wichtige Vorfall sowohl von den Danzigern wie von den Preußen verschwiegen gehalten wurde. Keine Zeitung sprach davon; keine Satisfaktion ist gefordert worden, und vermutlich war man schamrot über einen so schimpflich ausgeschlagenen Angriff. Unter der Hand habe ich erfahren, daß der große Friedrich durch den unfehlbar falschen[109] Bericht des Residenten Reimer gewaltig gegen mich aufgebracht war. Und die Folge hat gezeigt, daß mich sein Zorn in allen Winkeln der Erde suchte, bis ich endlich, 5 Jahre nach dieser Begebenheit, dennoch in Danzig in seine Gewalt geriet und mit allen möglichen Martern bestraft wurde, die eine gerechte Notwehr gewiß nie verdiente.

Es hat zwar damals gleich der preußische Minister Herr von Goltz bei dem Kanzler Graf Bestuchew Klage über dieses Scharmützel geführt, aber keine Satisfaktion erhalten, weil mein Verhalten in Rußland gebilligt wurde, da ich mich als Russischer Hauptmann gegen Räuber verteidigte.

Übrigens wird mich bei Durchlesung dieser Geschichte mancher vernünftige Leser tadeln, weil ich der Fallgrube des Lieutenants von N ... hätte stillschweigend ausweichen und ihn mit dem Degen zur Verantwortung zwingen können. Ich habe aber in allen Fällen viel lieber die Gefahr gesucht, als daß ich ihr ausgewichen wäre. Mein Ehrgeiz war dabei gekitzelt; ich wollte mich dabei zugleich an treulosen Freunden rächen, und da ich überall von Preußen verfolgt wurde, auch zeigen, daß ich keinen fürchte und mich zu verteidigen weiß.

Den Bedienten des Verräters nahm ich in meine Dienste; er war ein rechtschaffener Mensch. Ich verschaffte ihm im Jahre 1753 eine gute Heirat in Wien; fand ihn nach meinem 10jährigen Magdeburger Gefängnis im Elend; nahm ihn wieder zu mir, und er ist im Jahre 1779 bei mir in Zwerbach gestorben.


*


Nun war ich in offener See auf der Reise nach Riga; ich hatte viel gegessen, ehe ich auf das Schiff ging. Wir waren kaum von der Danziger Reede abgesegelt, so stieg ein Wetter auf, es stürmte gewaltig; ich arbeitete die halbe Nacht mit, wurde seekrank, legte mich auf mein Lager, war aber kaum eingeschlummert, als mich der Schiffer weckte und die vergnügte Botschaft brachte, daß wir sogleich in den Hafen von Pillau einlaufen würden.

Wie erschrak ich über diese Nachricht! Ich lief auf das Verdeck, sah die Festung vor mir und die Lotsen bereits nahe vor[110] unserem Schiffe. Hier war nun kein anderes Mittel, als uns im Sturm mit Gefahr auf See zu halten oder in preußische Hände zu geraten, weil mich die ganze Garnison in Pillau persönlich kannte.

Ich redete dem Schiffer zu, er solle das Schiff in die hohe See wenden und nicht einlaufen. Er wollte absolut nicht; – ich eilte in das Schiffszimmer, ergriff meine Pistolen, trat an das Steuerruder und zwang ihn mit Todesdrohung, auf See zu bleiben. Meine Russen fingen an zu murren, keiner wollte im Sturm der Gefahr entgegengehen, aber keiner wagte mich anzugreifen; die Pistolen schreckten, und meine beiden Bedienten standen mir redlich bei.

Kaum hatten wir eine halbe Stunde mit dem Sturme gekämpft, so legte sich derselbe, und wir liefen am folgenden Tage glücklich in den Hafen von Riga ein.

Der Schiffer aber war unversöhnlich und verklagte mich bei dem damaligen Gouverneur, dem alten ehrwürdigen Feldmarschall Lacy. Ich mußte erscheinen und verantwortete mich mit der trockenen Wahrheit; worauf der Gouverneur erwiderte, ich hätte aber durch meine Tollkühnheit Ursache sein können, daß 160 Russen ersoffen wären. Ich antwortete lächelnd:

Ew. Exzellenz, ich habe sie alle lebendig hierher gebracht; und für mich war es ratsamer, in die Hände Gottes als in die Gewalt meiner Feinde zu geraten. Überdies dachte ich in diesem Augenblick, da es um meine Selbsterhaltung ging, gar nicht an die Gesellschaft, die bei mir war. Und ich wußte auch, daß sie alle Soldaten sind, die den Tod so wenig fürchten wie ich!

Die Antwort gefiel; ich war absolviert, und der edle Greis gab mir selbst eine Rekommandation nach Moskau an den Kanzler mit.


General Liewen war indessen bereits mit der Armee in Rußland eingerückt und eben in Riga. Ich ging zu ihm, er empfing mich liebreich, nahm mich mit sich auf sein Gut 4 Meilen von Riga, Annaburg genannt. Ich blieb einige Tage bei ihm; er gab mir Ratschläge und alle möglichen Vorschriften, um in Moskau, woselbst damals der Hof war, mein Glück zu befördern.

Ich sollte versuchen, eine Kompanie bei einem Kürassierregiement[111] zu erhalten. Die Rittmeister derselben hatten damals in der Armee Majorsrang. Niemals riet er mir aber, bei dem sibirischen Tobolsk'schen Dragonerregiment zu bleiben, wo er mich indessen angestellt hatte.

Gott lohne es diesem wackeren Mann! Sein Name, sein Andenken wird mir allezeit verehrungswürdig und seine Asche heilig sein. Er ruhe in Frieden unter den Geistern der ehrlichen Männer und meiner Wohltäter.

Ich reiste nun nach Riga und von da in Gesellschaft des Ingenieur-Obristlieutenants von Weismann nach Moskau. Bei meiner Ankunft in der Residenz wurde ich nach Aushändigung meiner Empfehlungsschreiben vom Kanzler Graf Bestuchew auf das beste empfangen. Oettinger war sein Hausfreund, dessen Freundschaft ich auf der Reise gewonnen hatte. Dieser trug das seinige bei, und ich bemerkte gleich, daß ich Achtung und Beifall gefunden hatte.

Kaum war ich etliche Tage in Moskau, so begegnete ich dem Grafen Hamilton, der, mit dem Rittmeister von Bernes in Wien mein Freund, und dessen General damals als kaiserlicher Botschafter am russischen Hof akkreditiert war. Eben dieser Graf Bernes war im Jahre 1743 kaiserlicher Gesandter in Berlin, da ich bei dem großen Friedrich in höchster Gnade stand; er hatte mich daselbst schon bei Hofe persönlich gekannt. Hamilton präsentierte mich diesem echten und aufgeklärten Menschenfreunde, der mich nach einigen Unterredungen so liebgewann, daß er mich von den russischen Diensten befreien und mit bester Empfehlung nach Wien schicken, mir auch eine Kompanie bei seinem Regiment geben wollte. Meines Vetters Schicksal hatte mich aber bereits abgeschreckt, und ich wäre damals lieber nach Indien als nach Österreich gereist.

Der Gesandte lud mich zum Essen ein und sein Busenfreund, der englische Gesandte Lord Hyndfordt, war gleichfalls bei der Tafel. Welch ein Glück für mich! Dieser erhabene Staatsmann kannte mich genau aus Berlin und war zugegen, als mich der König mit dem Ausdruck beehrte: C'est un matador de ma jeunesse! – Er wußte, wozu ich taugte und fähig war. Und da er Menschen kannte, so war er auch mein Freund, mein Vater, mein Lehrer. Er nahm mich sogleich auf die Seite und fragte:[112]

Was machen Sie in diesem Lande, Trenck?

Ich suche Brot und Ehre, war meine Antwort, – weil ich in meinem Vaterlande beides verloren habe, ohne ein Verbrechen begangen zu haben.

Er fragte weiter:

Haben Sie Geld?

Nein, mein ganzes Vermögen, das ich gegenwärtig besitze, besteht aus ungefähr 30 Dukaten.

Nun, sagte er, – folgen Sie meinem Rat. Sie haben alle Eigenschaften, um in Rußland ihr großes Glück zu machen. Man verachtet aber hier den Armen und sieht nur auf den äußeren Glanz, ohne Verdienste noch Talente und Fähigkeit zu achten. Sie müssen reich scheinen. Ich werde Sie nebst Bernes hier in die hiesige große Gesellschaft einführen und in allem unterstützen, was Sie brauchen. Schöne Livree, Handpferde, Brillanten an den Fingern, in Gesellschaften groß mitspielen, stolz, trotzig mit den Ministern sprechen, bei den Damen frei sein und sich Ihrer natürlichen Gaben bedienen, um gefällig zu werden: das sind die Mittel für einen Fremden, um hier alles zu erhalten, was man will. Für alles übrige lassen Sie mich sorgen!

Die Unterredung und Instruktion dauerte lange; Bernes kam dazu. Und, kurz gesagt, beide wirklich großen Männer beschlossen, mich glücklich zu machen.

Wie wenige junge Leser, die fern von ihrem Vaterland in fremden Staaten Brot suchen, können sich eines so günstigen Zufalls rühmen! Vereinigte sich hier nicht alles wunderbar, um mir die bisher erlittenen Drangsale zu vergüten und mich wieder so hoch zu erheben, wie ich tief gefallen war? Zufällig mußten diese beiden Männer in Moskau zusammentreffen, die in Berlin die Gesandschaftsposten zu eben der Zeit bekleideten, da ich unter die Günstlinge des großen Friedrich gerechnet, daselbst wegen meiner erlernten Wissenschaften schon die Aufmerksamkeit fremder Minister reizte. Beide Männer waren zugleich Busenfreunde unter einander; beide waren Menschenkenner, großmütig und wohltätig, standen zugleich im ersten Kredit bei Hofe, und ihr Urteil entschied über Verdienst; ihre Höfe waren mit dem russischen alliert, und der Staatskanzler, Graf Bestuchew, lebte mit ihnen in unbegrenzter Vertraulichkeit.[113]

Nun wurde ich sogleich in allen Gesellschaften, nicht als ein fremder Dienstbettler oder Tobolsk'scher Hauptmann, sondern als der künftige Millionenerbe des reichen Trenck in Ungarn, als ein ehemaliger Liebling des Königs in Preußen, zugleich aber auch als ein würdiges Mitglied der ersten Gelehrten präsentiert. Ich verfertigte ein Gedicht auf den Krönungstag der Kaiserin Elisabeth. Hyndfordt wußte es anzubringen, präsentierte mich sodann selbst nebst dem Kanzler bei der Monarchin, die mich ihrer Gnade versicherte und mit einem goldenen Degen, der 1000 Rubel wert war, beschenkte. Gleich wurde die Achtung für mich allgemein, in allen Häusern von der Bestuchew'schen Partei.

Damals waren die Sitten noch so roh in Rußland, daß jeder fremde Gesandte, welcher Ball oder Tafel gab, zum Kanzler Bestuchew schicken mußte, der die Gesellschaft aufschrieb, welche er einladen durfte. Alles wurde nach Familien entschieden, und wo Bestuchew war, durfte sich kein Woronzoff'scher Freund sehen lassen. Ich war Hausfreund bei dem österreichischen und englischen Gesandten, folglich in allen Gesellschaften gesucht und geschätzt.

Bald wurde ich der Liebling der Kanzlerin, wie ich besser unten erzählen werde. Es fehlte mir also nichts mehr, um alles zu erhalten, was ich suchte.


*


Da ich zugleich in der Ingenieurkunst sehr fein zeichnete und freien Zutritt in des Kanzlers Hause, auch bald im Kabinett mit dem vollkommensten Vertrauen hatte, arbeitete ich mit dem Obristlieutenant Oettinger, welcher damals der erste Architekt in Rußland war. Ich zeichnete den eben neu zu erbauenden Bestuchew'schen Palast in Moskau in verschobener Perspektive so schön, daß ich mir allgemeine Ehre erwarb, und war noch nicht einen Monat in Rußland, als ich bereits mehr Ehre und Achtung genoß, mehr Nationalkenntnisse besaß, mehr Bekanntschaften hatte als viele, die jahrelang in Hauptstädten ihr Kapital verschwenden.

Lord Hyndfordt war mein Vater, mein treuester Führer. Ihm[114] brachte ich an jedem Tage redliche Nachricht von meinen Handlungen und Beschäftigungen. Er gab sich die Mühe, mich zu unterrichten; und da er in Staatsgeschäften grau wurde, und in mir den Keim zur Erweiterung dieser Kenntnisse entdeckte, so habe ich ihm allein das Licht zu danken, wozu er in mir die ersten Funken anfachte. Er kannte die Ränke aller europäischen Höfe, alle Familien und Parteikabalen, die Schwächen der Monarchen und die Triebfeder aller Regierungsformen. Von ihm lernte ich Rußland im Grunde kennen. Des großen Peters Entwürfe für die Zukunft waren ihm bekannt; den schlesischen Frieden im Jahre 1742 hatte er gemacht; er war Friedrichs vertrauter Freund und kannte sein Herz und alle Quellen seiner Größe genau. Sein Verstand war durchdringend, seine Seele erhaben, britisch groß, ohne Nationalstolz; und seine praktische Welterfahrung wußte das Gegenwärtige mit der Zukunft so zu verbinden, daß ich als sein aufmerksamer Schüler seit 36 Jahren fast alle Hauptrevolutionen im europäischen Staatskörper habe vorhersagen können. Und wenn ein Minister an irgend einem Hofe zu Fall gebracht wurde, so konnte ich bestimmen, wer seine Stelle ersteigen werde.

Kurz gesagt, dieser große Mann war mein Führer und Lehrmeister. Fast täglich brachte ich einige Stunden in seinem liebreichen munteren Umgange zu; und den größten Teil der Bildung meines Herzens, der tiefen Einsichten in die Ursprünge der Vorurteile und dessen, was man persönliche Verdienste nennt – all dieses habe ich zumeist dem rechtschaffenen Hyndfordt zu verdanken. Er weissagte mir zwar oft bei Gelegenheit, daß mein Vorwitz, mein brausendes Geniefeuer, mein Haß gegen Eigenmacht und Laster, und besonders die gewiß auf ewig beschlossene Verfolgung des unversönlichen Königs Friedrich gegen mich, besonders sein verborgener Einfluß auf die Lenkung der meisten Höfe, der Gebieter und Gebieters-Gehilfen in Europa, mich noch mit mancher zornesschwangeren Wolke bedrohten. Er bedauerte mein grausames Schicksal im voraus, versicherte mich, daß der Monarch, der meine Talente, aber nicht mein Herz kenne, mich überall hindern würde, mein Glück zu machen, damit ich ihm in keinem Falle schaden könne.

Hyndfordt bildete überhaupt mein Herz ganz republikanisch,[115] lehrte mich den Wert erhabener Seelen schätzen, Tyrannen verachten, allen Schicksalen trotzen, nach wahrer Seelengröße streben, großen Gefahren mutig entgegengehen und nur solche Männer verehren, die Mut genug haben, sich dem Strome der Eigenmacht, des Fanatismus oder der Unwissenheit stolz entgegenzustellen.

Graf Bernes war ein Philosoph mit piemontesischer Scharfsicht, mehr zurückhaltend, aber ein nicht weniger ehrlicher Mann als Hyndfordt. Er liebte mich unbegrenzt, und keine Minute wurde versäumt, welche ich in dieser Gesellschaft zubringen konnte. Mein aufgeweckter Geist, meine großen Kenntnisse gefielen; der Stoff zu unseren Unterredungen war dennoch unerschöpflich. Ich lernte in Moskau wirklich mehr praktische Kenntnisse als in der Berliner hohen Schule unter den Voltaire, Maupertuis, Jordan und La Mettrie.


*


Kaum war ich 6 Wochen in Moskau, so ereignete sich eine Begebenheit, die ich hier erzählen kann, weil von den Hauptpersonen dieser gespielten Rolle niemand mehr lebt als ich allein. Liebesintrigen gehören in einem Roman – deshalb verschweige ich alles Abenteuerliche in diesem Buche, das zum Nachdenken, aber nicht zum Lachen reizen soll. Niemand wird glauben, daß ich ein Frauenfeind war oder bin. Trotz meiner feurigen Jugend aber floh ich jede tierische Ausschweifung, suchte mir etwas für mich allein oder wurde gesucht und genoß in allen Ländern, wo ich war, die Freuden der Liebe und Freundschaft zugleich, die ich beide zu erwecken, zu erhalten und zu verdienen wußte. Weder in London, Paris, Rom, Venedig, noch Berlin hat mich gewiß jemand in liederlichen Häusern oder Gesellschaften gesehen.

Die schwersten Eroberungen waren für mich die reizendsten, und die Edelste und Schönste überall die Wahl für meine Gesellschaft. Weiber der ersten Klasse bildeten mich als Jüngling und hielten mich in Ehrfurcht vor Ausschweifungen zurück. Weiber lehrten mich männliche Sitten im verfeinerten Weltgeschmack; Weiber unterstützten mich im Unglück mehr als Männer;[116] meine wenigen erlebten guten Tage habe ich Weibern zu verdanken; Weiberumgang empfehle ich meinen Kindern, um ihre persönlichen Eigenschaften herauszuarbeiten und sich für die wichtigsten Geschäfte zu bilden; Weiber, schöne und muntere Weiber erquicken noch gegenwärtig meine mit Altersschwächen, Weltekel und Schwermut kämpfende Seele ...

Nur allein mein russisches Glück im Labyrinth der Venus muß ich hier erzählen, weil die Bekanntmachung zur Aufklärung und Verbindung meiner Geschichte notwendig ist:


Bei einer großen Tafel in Lord Hyndfordts Palast saß ich neben dem schönsten Mädchen des Landes aus einer der ersten Familien, welche eben einen 60jährigen und an die 300 Pfund wiegenden russischen Minister in ihrem 17ten Lebensjahre heiraten sollte.

Ihr Auge verriet mir, daß ihr Herz mich an die Stelle des feisten Bräutigams wünschte. Ich war kühn, beklagte ihr Schicksal – und erhielt mit Erstaunen die erste Antwort:

O Gott! Können Sie mich aus diesem Unglück erretten? Ich entschließe mich zu allem, was Sie wollen!

Man urteile, wie einem Manne meiner Gattung im 24. Jahre bei einer solchen Erklärung zu Mute war. Der Gegenstand war göttlich schön, die Seele, das Herz noch ganz Unschuld, eine Aristokratin aus den ersten Häusern. Aber das Verlöbnis war bereits bei Hofe geschehen und kein anderes Mittel blieb zu ihrem Besitz als Flucht, Entführung und alle mögliche Gefahr. Der Ort war nicht günstig für eine Unterredung; – genug, unsere Seelen waren schon vereinigt. Ich forderte Gelegenheit zu näherer Erklärung, und schon am folgenden Tage wurde sie mir im Troitzer Garten bestimmt.

Wie unruhig verstrich die wartende Nacht!

Das schlaue Mädchen hatte alles so gut veranstaltet, daß wir mit Hilfe ihrer Kammerjungfer, die eine Georgierin war, über drei Stunden ganz frei und allein mit einander sprechen konnten.

Wie geschwind verflossen diese! Wie viel tausend Trauerstunden im Magdeburger Gefängnis hat mir aber die Erinnerung und Wiederkäuung dieser glücklichen drei Stunden versüßt!

Ein ehrfurchtswürdiges Mädchen, mit schauderndem Haß[117] gegen ihren künftigen Mann erfüllt, die sich mit weinenden Augen, mit feurigem Temperament und mit der ersten unwiderstehlichen Empfindung einer auflodernden Liebe, mit unbegrenztem Vertrauen meiner Leitung, meinen Armen, meiner Willkür überließ – und zwar mit der Bedingung: daß ich sie entführen und vor ihrem verabscheuten Bräutigam retten sollte.

Welche Feder kann eine solche Szene mit der Beredsamkeit schildern, die uns beide damals alles beschließen, und endlich in berauschter Betäubung schweigen machte! Ich ziehe den Vorhang zu, hinter den ich allein sah. – Genug, unser ewiges Bündnis wurde geschlossen, und von diesem glücklichen Tag an hatte ich offene Gelegenheit, durch Beistand ihrer treuen Georgierin und durch Eingang in ihren Garten ganze Nächte in ihrer entzückenden Gesellschaft zuzubringen.

Die Abreise des Hofes von Moskau nach Petersburg war aber erst für das nächste Frühjahr bestimmt, und der Hochzeitstag mit ihrem Ungeheuer schon für den 1. August beschlossen. Von Moskau ist es aber unmöglich, aus dem Reiche zu entfliehen; wenn wir es wagten, war unser Unglück unausweichlich. Die Vernunft und die Lage der Sache zwangen uns zur Geduld. Indessen war fest beschlossen, daß wir in Petersburg keinen Tag verschieben wollten, um uns in einem Lande auf ewig zu vereinigen, wohin keine Nachspähung folgen konnte.

Dem fatalen 1. August konnten wir auf keine mögliche Art, trotz aller Ränke, ausweichen. Die Hochzeit wurde mit Pracht vollzogen, die Braut aber blieb mein, und der Bräutigam lag im Lehnstuhl, denn im Bette konnte der Fettwanst gar nicht liegen ...

Meine Freundin wußte auch die Sache so listig einzurichten, daß mir der Zugang ebenso offen blieb wie im Hause ihrer Mutter. Sie hatte ihr Schlafzimmer so gewählt, daß ich mich demselben in allerlei Gestalten näherte, und zwar selten bei der Tür, wo Portier und Schildwachen standen, wohl aber bei dem Fenster, welches gegen den Garten fast zu ebener Erde war, den Zutritt fand.

So lebten wir gegen 3 Monate im ungestörten Glück, allein mit den Anstalten zu unserer künftigen Flucht beschäftigt. Sie gab mir all ihren Schmuck, auch etliche tausend Rubel, die sie im[118] ledigen Stande besaß, nebst den Hochzeitsgeschenken ihres Gemahls, allgemach in Verwahrung; und wir sehnten uns nur nach der Petersburger Reise, um alles Abgeredete zu vollziehen; welches auch unfehlbar erfolgt wäre, wenn mein widriges Schicksal mir nicht abermals den tödlichsten Streich, der nur zu denken war, zugedacht hätte.


Meine Freundin hatte mit mir zusammen im Hause der Kanzlerin l'Hombre gespielt. Sie klagte sehr über Kopfschmerzen, bestellte mich auf den folgenden Tag in den Troitzer Garten, drückte mir nur beim Einsteigen in den Wagen die Hand außerordentlich stark – und von diesem Augenblick an habe ich sie nur auf der Totenbahre wiedergesehen.

Sie war in der derselben Nacht in Phantasien geraten, kam auch nicht mehr zu Verstand; sie starb am 6ten Tage, da eben die Blattern ausbrechen wollten; in ihrer Raserei hatte sie unseren ganzen Liebeshandel entdeckt, nur mich um Rettung und Hilfe von ihrem Ungeheuer angerufen. Und, kurz gesagt, das edelste Geschöpf der Erde starb. Ich verlor alles, was zu verlieren möglich ist, und mußte nunmehr auch alle meine Entwürfe ändern.

Nur Lord Hyndfordt wußte als einziger das Geheimnis; ihm allein verhehlte ich nichts, und der ehrwürdige Greis bestätigte mich immer in meinem Vorsatz. Er sagte: Für ein solches Mädchen würde er vielleicht als Hyndfordt eben das tun, was ich beschlossen hatte.

Er war bei diesem Vorfall fast ebenso gerührt wie ich; er empfand meinen Schmerz im vollen Gewicht eines Freundes, und ohne seinen Zuspruch hätte ich mir unfehlbar an ihrem Grabe die Kugel vor den Kopf geschossen. Nie war ich so bestürzt wie bei diesem Streiche des gegen mich rasenden Schicksals; und bei keinem Menschen auf der Erde kann man wohl die Tücke, den Wechsel des Glücks gewaltsamer bemerken, auch bewundern lernen, als bei mir. Es erhob mich allezeit schnell bis zum höchsten Gipfel glänzender Hoffnung, um mich wieder desto tiefer fallen zu lassen. Und wenn man meine ganze Geschichte durchgelesen haben wird, dann bleibt es sicher noch unentschieden, ob ich wirklich bei allen meinen erlittenen Widerwärtigkeiten[119] mehr unglücklich als glücklich war. Ich mußte aber durch alle diese Erfahrungen vorbereitet werden, um die folgenden großen Schicksalsschläge mit Standhaftigkeit erdulden zu können. Hätte ich nicht zuvor auch große Freudenstunden genossen, deren Andenken mich in betrübten Tagen angenehm beschäftigte, wenn ich fähig war, meine herumirrenden Gedanken aus dem Labyrinth der Trübsal loszureißen und sie in träumender Berauschung an dieselbe als eine noch zu fühlende Wirklichkeit zu heften; so würde ich gewiß nicht in der Folge 10 Jahre lang hindurch ein Sokrates im Mageburger Kerker gewesen sein.

Ich sage deshalb in meinen Gedichten:


Im Übel selbst steckt noch ein Preis,

Wenn man ihn nur zu finden weiß.


Die Geschichte mit dieser Dame wurde in Moskau ziemlich ruchbar; der dicke Herr Gemahl hat mich aber nichts vom mindesten Unwillen merken lassen. Er war auch zu dumm, um die Ausdrücke in ihrer letzten Phantasie im wahren Verstande zu begreifen. Das, was ich von ihr in Händen hatte und mir mit vollem Rechte zufiel, betrug an Wert gegen 7000 Dukaten. Lord Hyndfordt und Graf Bernes sprachen mir das Eigentumsrecht zu, und ihr Herz hatte mir gewiß noch mehr zugedacht.


*


Nun folgte aus dieser Begebenheit sogleich eine andere, die für mein Glück weit wichtiger war. Die Gräfin Bestuchew war die klügste und geschickteste Dame des damaligen Hofes. Sie entschied viele Staatssachen, und ihr zwar arglistiger und eigennütziger, dabei aber schwacher und kleindenkender Gemahl war nur der Namensträger ihrer unumschränkten Gewalt; weil die mehr als gute Elisabeth vieles unbedenklich ihrem Ministerium überließ. Es war also die Gräfin damals eigentlich die wichtigste Person in der Monarchie, auf welche besonders alle Augen der fremden Minister gerichtet waren.

Übrigens war ihr Ton gebieterisch, ihr Betragen majestätisch, und sie war die einzige verheiratete Dame, welche den Namen führte, daß sie ihrem Manne treu sei. Vielleicht weil sie als eine[120] geborene Deutsche klüger und vorsichtiger als die russischen Damen zu genießen wußte. Wie ich aber in der Folge erfuhr, war ihre Tugend nur eine Folge des Stolzes und der Kenntnis des Nationalcharakters. Der Russe will herrschen, er will seiner Sklavin Geld, Vermögen und demütige Dankbarkeit; findet er Widerstand, so droht er gleich mit Prügel, oder dem Manne das Geheimnis zu entdecken.

Fremde durften unter Elisabeths Zepter gar nicht, ohne vom Kanzler eingeführt, weder bei Hofe noch in Gesellschaft erscheinen. Ich und der Kammerjunker Sievers waren damals die einzigen Deutschen in russischen Diensten, welche die Erlaubnis hatten, überall einzutreten. Meine besondere Protektion, die ich vom englischen und österreichischen Gesandten genoß, gab mir doppelte Vorteile dazu. Der seltsame Vogel wird am meisten gesucht, auch bewundert.

Graf Bestuchew war unter der vorigen Regierung russischer Resident in Hamburg; in dieser kleinen Gestalt hatte er die junge schöne Witwe des Kaufmanns Böttger geheiratet. Unter Elisabeth stieg er bis zur Würde des ersten und mächtigsten Staatsministers; Madame Böttger wurde so die erste Dame in Rußland. Sie war zu der Zeit, da ich sie kannte, im 38ten Jahre, folglich nicht mehr Schönheit, aber ein liebenswürdiges aufgewecktes Weib, die einen durchdringenden Verstand besaß, keinen Russen leiden konnte, die Preußen besonders protegierte, und vor deren Haß damals jedermann zitterte.

Ihr Umgang war so, wie er gegen Russen in ihrer Lage sein mußte, hochmütig, zurückhaltend und mehr satirisch als liebreich. Sie zeigte mir bei allen Gelegenheiten ganz besondere Achtung. Ich war zur Tafel eingeladen, so oft ich wollte; ich hatte auch die vorzügliche Ehre, oft allein mit ihr und dem Obristlieutenant Oettinger den Kaffee zu trinken, wobei sie mir allezeit zu verstehen gab, daß sie meine Verbindung mit der jungen N ... bemerkt habe. Ich leugnete allezeit standhaft, ob mir gleich Geheimnisse vorgehalten wurden, die sie von niemand anderem als von meiner Freundin selbst konnte ausgekundschaftet haben. Meine Verschwiegenheit gefiel, wogegen der Russe gern prahlt und groß spricht, wenn er das Glück hat, einer Dame zu gefallen.[121]

Sie wollte uns glauben machen, daß sie uns nachgespäht, unsere Augensprache verstanden und unser Geheimnis längst erraten hatte. Ich wußte aber nicht, daß die Kammerjungfer meiner Freundin bereits wirklich in ihre Dienste getreten und schon längst eine von ihr bezahlte Kundschafterin war.


Ungefähr 8 Tage nach dem Tode meiner Freundin geschah der Hauptauftritt, wo mich Ihre Exzellenz nach dem Essen in ihr Zimmer zum Kaffee führte. Immer bedauerte sie meinen Schmerz, meinen Verlust, meinen bemitleidenswürdigen Zustand, der mir alle meine gewohnte Lebhaftigkeit entrissen und mein ganzes Wesen verändert habe. Sie äußerte einen so lebhaften Anteil an meinem Schicksal, so viele und so nachdrückliche Wünsche, es zu verbessern und mich glücklich zu sehen, daß ich an dem Eindruck nicht zweifeln konnte, den ich auf ihr Herz gemacht hatte.

Die Gelegenheit ergab sich bald, mich dessen zu versichern; aus ihrem Munde erfuhr ich, was sie für mich empfand. Unsere Vereinigung war in einem Augenblick geschlossen. Bescheidenheit, Treue und Verschwiegenheit waren die Bedingungen; und feuriger bin ich in meinem Leben nicht geliebt worden, als von dieser scharfsichtigen Frau, die mich ganz an sich zu fesseln wußte.

Behutsamkeit war hier die Hauptsache; sie wußte aber schon Gelegenheit zu machen. Der Kanzler schätzte mich und vertraute mir wirklich alles an; er gab mir sogar Arbeit in seinem Kabinett. Ich war den ganzen Tag im Haus, und nunmehr war kein Gedanke mehr, daß ich zum Regiment als Rittmeister gehen sollte. Man bestimmte mich für Staatsarbeit; der erste Schritt sollte die Kammerjunkerstelle bei Hofe sein, was in Rußland eine sehr bedeutende Stellung ist. Kurz gesagt, meine Aussicht in die Zukunft war so glänzend wie möglich. Dem Lord Hyndfordt allein hielt ich nichts verborgen; er gab mir alle Ratschläge, freute sich mit mir, wollte aber von allem, was er mir zur ersten Equipierung beigetragen hatte, auch da ich nun im Wohlstand lebte, nichts zurück nehmen.

Bald wurde man meinen Kredit im Hause des Ersten Ministers gewahr; die auswärtigen Gesandten suchten meine Bekanntschaft[122] und Freundschaft. Herr von Goltz tat wirklich alles Mögliche, um mich zu gewinnen, fand aber einen ehrlichen Mann. Gerade damals fing man an, um die russische Allianz zu buhlen. Preußens Untergang sollte geschmiedet werden. Alle Höfe arbeiteten, und niemand kannte die Ministerial-und Familienparteien an diesem Hofe besser als ich.

Meine Freundin wurde ein Jahr nach unserer Bekanntschaft ebenfalls ins Garn gelockt; zuletzt geriet sie mit ihrem Manne, dem Kanzler, in die Hände des Büttels. Denn sicher ist es, daß Bestuchew im Jahre 1756 auf der Folter mit der Knutpeitsche zum Geständnis gezwungen wurde. Appraxin, der Kriegsminister, hatte gleiches Schicksal; die Gemahlin seines Bruders, der damals Gesandter in Polen war, wurde durch falsche Verräterei eines gewissen Lieutenants Berger, nebst 3 anderen und ersten Damen des Hofes, vom Büttel an einen Pfahl gebunden, gepeitscht und gebrandmarkt; dann wurde ihnen die Zunge aus dem Halse geschnitten.

Dies geschah im Jahre 1741 bei Elisabeths Thronbesteigung, und widerfährt den ersten Männern im Staate. Was hat nun wohl der Fremde zu erwarten, falls er von einem Mächtigen verfolgt wird, und seiner Willkür überlassen ist?


Niemand hatte gewiß in so kurzer Zeit bessere Gelegenheit als ich, alle Geheimnisse eines Staates zu entdecken. Besonders unter der Anleitung eines Hyndfordt und Bernes, unter der Regierung einer guten, aber kurzsichtigen Monarchin, deren erster Minister ein schwacher Kopf war, dessen ganzen Willen seine witzige und herrschsüchtige Frau unumschränkt lenkte; die hingegen aus wirklich rasender Liebe für mich, einen Fremden, welchen sie nur seit einigen Monaten kannte, alle ihre Wohlfahrt geopfert hätte.

Man konnte sie damals mit vollem Recht als die wirkliche Regentin von Rußland betrachten. Friede und Krieg lagen in ihrer Hand; und wenn ich klüger, oder weniger aufrichtig gewesen wäre, dann hätte ich mir in solcher Stellung Schätze sammeln und in Sicherheit bringen können. Die Hälfte aller Geschenke, die sie mir gewaltsam aufdrängte, habe ich gewiß ihrem Sohn geliehen und verloren. Sie war freigiebig wie eine Königin,[123] und obgleich sie innerhalb eines Jahres über hunderttausend Rubel für ihren liederlichen Sohn an seine Schuldner zahlen mußte, wovon der Vater nichts erfuhr, so hätte ich für mich doch mehr auf die Seite legen können. Eigennutz war nie mein Fehler, und je reicher ich war, desto mehr verschwendete ich im Wohltun an Hilfsbedürftige, wurde betrogen und vergaß mich selbst oft so weit, daß ich Mangel litt ...


In diesem Wohlstande, in dieser glänzenden Lage und Aussicht in meinem 24ten Lebensjahre zeigte mir nun das Schicksal abermals seine Tücke. Mein Glück in Rußland mißfiel dem großen Friedrich, der mir jetzt in allen Winkeln der Erde nachspürte und dem mein Betragen in Moskau für sein Interesse verdächtig erschien. Folgender Streich widerfuhr mir, den ich umständlich vortrage, weil er im ganzen Reich und bei allen auswärtigen Ministern öffentlich bekannt wurde, und damals viel Bewegung bei Hofe verursachte.

Lord Hyndfordt bat mich einst, ich möchte ihm den Aufriß von Kronstadt schön zeichnen und in Ordnung bringen. Er gab mir dazu den gestochenen Grundriß und drei andere gezeichnete Ansichten von Kauffahrtei-Kriegsschiffen und abgetakelten, im sogenannten Mittelhafen, mit Benennung eines jeden Schiffes.

Dies geschah ohne jeden Verdacht noch Gefahr, weil der Hafen von Kronstadt kein Geheimnis ist und seine gravierte Zeichnung in allen Läden zu Petersburg öffentlich verkauft wird; auch war England Rußlands genauester Alliierter!

Lord Hyndfordt sitzt eben in Betrachtung meiner Arbeit, da Herr von Funk, der sächsische Gesandte und sein Hausfreund, bei ihm eintritt. Er zeigt ihm meine Zeichnung, Funk ersucht ihn, ihm die Kopierung zu erlauben, die er persönlich ausführen wolle. Hyndfordt gibt ihm meinen Plan, welcher mit meinem Namen gezeichnet war.

Funk trägt ihn nach Hause, und da er etliche Tage nachher mit der Kopierung beschäftigt ist, so kommt Herr von Goltz, der preußische Minister, der unweit von seinem Hause wohnte und öfters freundschaftliche Besuche abstattete, zu ihm. Funk trägt kein Bedenken, zeigt ihm meine Arbeit, und beide bedauern, daß der König an mir einen brauchbaren Mann verloren[124] habe. Endlich bittet Goltz den Funk, er möchte ihm erlauben, diesen Riß für ein paar Tage nach Hause mitzunehmen, um den seinigen nach diesem auszubessern. Funk, der in sich selbst der edelste Menschenfreund, der rechtschaffenste Mann war und nichts Böses vermutete, der mich zugleich brüderlich liebte, auch in allen möglichen Fällen meine Gesellschaft suchte, gab ihn ohne Bedenken her.

Kaum hatte ihn Goltz in der Tasche, so fuhr er zum Kanzler, dessen Schwäche er kannte, und gab vor, die Hauptabsicht seines Vortrages sei, ihn zu überzeugen, daß ein Mensch, der einmal seinem Vaterlande, seinem Könige untreu war, welcher ihn mit Wohltaten überhäuft hatte, auch sicher für seinen Eigennutz einen jeden Monarchen betrügen würde, der ihm vertraue. Nun kam er näher auf die Sache zu sprechen; er erwähnte die allgemeine Achtung und den unbegrenzten Zutritt, den ich binnen wenig Monaten im ganzen Reich dadurch erhalten hätte, daß ich als Kind und Hausfreund des Bestuchew'schen Kabinetts angesehen werde.

Endlich, da mich der Kanzler in allem verteidigte, suchte Goltz ihn durch Eifersucht in Empörung zu bringen und erzählte ihm, daß man überall von meinen geheimen Zusammenkünften, sogar im Schloßgarten mit seiner Gemahlin, ungescheut spräche. Das Letztere hatte er ausgekundschaftet, um mir die sichere Falle zu legen.

Er brachte sogar den Herrn von S ... n, des Ministers damaligen Haussekretär, in Verdacht des Einverständnisses mit mir – kurz gesagt, der Kanzler geriet in Unruhe und Zorn. Gleich zog Goltz meine Zeichnung von Kronstadt aus der Tasche mit den Worten:

Ew. Exzellenz nähren eine Schlange am Busen. Hier, diesen Plan habe ich gegen Bezahlung von 200 Dukaten vom Trencks aus Dero Kabinett kopiert erhalten!

Der böse Mann wußte, daß ich zuweilen mit dem Obristlieutenant Oettinger im Kabinett arbeitete, welcher den Bau und die Reparatur aller russischen Festungen unter sich hatte. Der Minister sah, erstaunte und geriet in Wut. Gleich rückte Herr von Goltz näher zum Zwecke. Er vermehrte den Verdacht gegen mich dahingehend, daß Graf Bernes, der österreichische[125] Botschafter, mich gewiß nicht ohne Absichten für seinen Hof so besonders protegiere ...

Der Minister sprach sogleich von Prozeß und Knutpeitsche. Goltz erwiderte: Ich hätte zu viele hohe Freunde; man würde mich sicher losbitten, und dann wäre das Übel nur noch ärger.

Es wurde also beschlossen, mich heimlich aufzuheben und mit aller möglichen Vorsicht nach Sibirien zu schicken.


Nun schwebte ein Wetter über meinem unschuldigen Kopf, da ich in der stolzen Ruhe und Zufriedenheit ein glänzendes Glück erwartete. Und nur Gottes gerechte Vorsehung oder ein ebenso glücklicher Zufall rettete mich vom Verderben.

Kaum hatte Goltz siegreich den Palast verlassen, so begab sich der aufgebrachte Kanzler, voller Zorn und Rache gegen mich im erbitterten Herzen, in das Kabinett seiner Frau, warf ihr mit Erbitterung meinen Umgang vor und erzählte ihr, weil sie ihn auszuhorchen wußte, die Goltz'sche Denunzation. Sie besaß mehr Scharfsicht als ihr Mann und merkte gleich, daß ein Betrug dahinterstecke, weil sie mein Herz kannte und besser als irgend jemand wissen konnte, daß ich keiner elenden 200 Dukaten bedurfte. Der Kanzler war aber nicht zu besänftigen, und meine Arrestierung blieb beschlossen.

Sogleich schrieb sie mir ein Billet ungefähr folgenden Inhalts:

»Freund! Es droht Ihnen ein großes Unglück. Schlafen Sie heute nicht zu Hause; bleiben Sie in Sicherheit bei Lord Hyndfordt bis zu näherer Aufklärung!«

Herr von S ..., ihr Sekretär und Vertrauter, eben der, welcher unlängst russischer Gesandter in Regensburg war, hatte den Auftrag, mich aufzusuchen. Er fand mich nach dem Mittagessen bei dem englischen Gesandten. Man rief mich hinaus; ich las, erschrak über den Inhalt und zeigte ihn dem Lord Hyndfordt. Mein Herz, mein Betragen war vorwurfsfrei; wir vermuteten also eine Verräterei meines Einverständnisses mit der Kanzlerin, eine Wirkung der Eifersucht. Mylord befahl mir, zu meiner Sicherheit in seinem Hotel zu bleiben, bis sich das Rätsel löse. Wir stellten in der Nacht Kundschafter bei meiner Wohnung auf; nach Mitternacht wurde nach mir gefragt, und der Polizeiminister visitierte wirklich das Haus.[126]

Gegen früh 10 Uhr fuhr Lord Hyndfordt zum Kanzler, um Kundschaft einzuziehen. Kaum war er eingetreten, da ihn derselbe schon mit Vorwürfen überfiel, daß er ihm einen Verräter ins Haus geführt habe. Was hat er getan? war die Frage.

Er hat dem preußischen Minister einen geheimen Plan von Kronstadt aus meiner Kanzlei treulos kopiert und ihm denselben für 200 Dukaten zugesteckt!

Hyndfordt erstaunte, er kannte meine ganze Seele. Er selbst hatte von mir an Geld und Schmuck über 8000 Dukaten Wert in Verwahrung, er wußte, daß ich kein Geld achtete, kannte auch die Quelle, aus welcher ich nach Gefallen schöpfen konnte.

Nun fragte er:

Haben Ew. Exzellenz diese Zeichnung des Trenck wirklich gesehen?

Ja, Herr von Goltz hat sie mir vorgezeigt.

Ich möchte sie auch sehen. Ich kenne des Trenck Arbeit. Ich bürge für ihn, daß er kein Schelm sein kann. Hier steckt eine Intrige verborgen. Ich bitte, lassen Sie Herrn von Goltz mit seinem Kronstädter Riß hierher rufen. Der Trenck ist in meinem Hause; ich schütze ihn nicht, wenn er ein Betrüger ist. Gleich soll er hier erscheinen.

Der Kanzler schrieb an Herrn von Goltz ein Billet, er möchte ihn sogleich besuchen und die bewußte Zeichnung mitbringen. Goltz roch den Braten, er wußte als ein schlauer Fuchs vermutlich schon, daß der Polizeiminister mich nicht erhascht hatte und ich in Sicherheit war. Er erschien also nicht und entschuldigte sich. Indessen trat ich in das Zimmer.

Hyndfordt fuhr mich mit britischem Trotz an und fragte:

Trenck! Sind Sie ein Betrüger, so verdienen Sie meinen Schutz nicht. Sie sind hier ein Staatsgefangener. Haben Sie dem Herrn von Goltz den Riß von Kronstadt verkauft?

Man urteile, was ich hierauf antwortete. Hyndfordt begann, alles aufzuklären, nachdem ihm der Kanzler den ganzen Goltz'schen Vortrag mit kaltem Blut erzählt hatte. Man ließ mich abtreten und den Herrn von Funk rufen. Bei seinem Eintritt fragt Hyndfordt:

Freund! Wo haben Sie meinen Riß von Kronstadt, den mir der Trenck kopiert hat?[127]

Funk stammelte:

Ich will ihn gleich holen.

Hyndfordt fragt:

Auf Ehre, ist er bei Ihnen zu Hause?

Nein, Mylord! Ich habe ihn dem Herrn von Goltz auf etliche Tage zur Kopierung geliehen.

Hyndfordt bebte vor Neugierde der Entwicklung entgegen, erkannte sogleich den gespielten Streich, erzählte dem Kanzler den Vorgang, daß nämlich dieser Plan ihm zugehöre und er ihn dem Herrn von Funk geliehen habe. Er verlangte einen Vertrauten aus der Staatskanzlei mit, der Kanzler beauftragte den Ersten Sekretär; mit diesem, mit Herrn von Funk und dem holländischen Gesandten, Herrn von Schwart, der eben zufällig dazukam, um den Kanzler zu sprechen, fuhren sie zum Herrn von Goltz.

Bei Eintritt in dessen Zimmer forderten sie den Riß von Kronstadt zurück. Er brachte ihn hervor und Funk gab ihn dem Lord Hyndfordt zurück.

Nun, sagten der Staatssekretär und Hyndfordt zugleich, – bitten wir, uns auch den Riß von Kronstadt zu zeigen, welchen Ihnen der Trenck verkauft hat!

Hier war seine Bestürzung unbegrenzt. Hyndfordt drang mit britischem Trotz auf kategorische Erklärung für die Ehre des Trenck, den er für einen ordentlichen Mann halte.

Hierauf sagte Herr von Goltz:

Ich habe Befehl von meinem Könige, zu verhindern, daß der Trenck sein Glück in Rußland mache und habe nur die Pflicht des Ministers erfüllen wollen!

Hyndfordt spie vor seine Füße auf die Erde, sagte ihm mehr, als ich hierher zu schreiben wage; und mit dieser Nachricht kamen die vier Herren zum Kanzler zurück. Ich wurde herzugerufen, alle wünschten mir Glück, umarmten mich, deckten mir das Rätsel auf, und der Kanzler selbst versprach mir Belohnung, mit dem schärfsten Befehl, den Gesandten nicht zu beleidigen, weil ich im ersten Feuer des Schmerzes, der gerechten Rache und der öffentlich siegenden Tugend drohte, dem Herrn von Goltz auch vor dem Altar den Hals zu brechen.

Ich wurde besänftigt und speiste zu Mittag beim Kanzler.[128] Mein Blut blieb empört. Er tat alles, mich aufzumuntern. Seine Gemahlin stellte sich gleichgültig, fragte mich aber:

Ob viele Preußen so zu handeln gewohnt wären wie Herr von Goltz? Funk und Schwart waren mit bei der Tafel. Jedermann wünschte mir Glück zum Siege, aber noch kannte niemand den Zufall, welcher mich vor dem Jähzorn und der ungehörten Verdammung des voreiligen Kanzlers gerettet hatte. Diese Richterin saß am Tische und durfte sich nichts anmerken lassen.

Am folgenden Tage schickte mir der Kanzler ein Geschenk von 2000 Rubeln ins Haus mit dem Befehl, mich bei der Monarchin zu bedanken, welche mir dieses Pflaster für die unschuldig erlittene Verfolgung als ein Zeichen ihrer besonderen Gnade schickte.

Das Geld achtete ich zu der Zeit nicht, aber die liebreichste Monarchin der Welt machte mich durch ihre bezaubernde Menschenliebe alles vergessen. Die Geschichte wurde in ganz Moskau bekannt, und Herr von Goltz erschien weder in Gesellschaft noch bei Hofe. Die Kanzlerin beschimpfte ihn persönlich auf eine Art, die ich hier aus Bescheidenheit nicht melden will. Graf Bernes, der schlaue Piemonteser, versicherte mir Rache, ohne daß ich mich darum bekümmern dürfe. Und – was weiter vorgegangen ist, weiß ich nicht. Goltz ist seit dieser Zeit wenig in Gesellschaft erschienen. Nach meiner Entfernung aus Rußland wurde er krank, und starb an der Auszehrung. Requiescat in pace!


*


Sicher aber ist dieser böse Mann schuld an allen meinen in der Folge noch erlebten Unglücksfällen gewesen. Ich wäre in Rußland einer der ersten Männer im Staatsgebäude geworden; Bestuchew wäre gewiß nicht ins Unglück geraten, welches ihm und seiner Familie einige Jahre nach dieser Begebenheit begegnete. Ich selbst hätte gewiß niemals das dem Trenck'schen Namen so gefährliche, so fatale Wien wiedergesehen. Durch Vermittlung des Petersburger Hofes würde ich auch meine in der Folge ererbten großen slavonischen Güter gewiß nicht verloren haben. Ich hätte angenehme ruhmvolle Tage statt der Wiener[129] Verachtung und Verfolgung durchlebt und gewiß nicht 10 Jahre im Magdeburger Kerker geschmachtet, viel weniger jetzt in Zwerbach für das tägliche Brot auf meinem einzigen vor der Raubsucht geretteten Dorf Gedichte und Lebensgeschichte zu schreiben, ein invalider Major geheißen, noch einen armseligen verachteten Schulmeister für meine 8 Kinder abzugeben brauchen.

Die Folge meiner Erzählung wird dieses aufklären. Sicher aber ist es, daß ich bis zu diesem Vorfalle in Moskau niemals den mindesten Haß gegen mein Vaterland noch den Monarchen empfand, ihn auch bei keiner mir wirklich günstigen Gelegenheit dazu habe wirken lassen.

Wie wenig kannte der große Friedrich mein Herz! Er hatte mich ohne ein Verbrechen von mir unglücklich gemacht, mich zum Kerker nach Glatz, unverschuldet und auf bloßen Argwohn hin, verurteilt. Ich floh von dort nackt und bloß; er konfiszierte nur mein väterliches Erbteil. Nicht zufrieden mit diesen Drangsalen, wollte er mir auch nicht gönnen, daß ich in einem anderen Reiche glücklich werden durfte.

Aufgebracht über den Goltz'schen Streich hätte ich damals mein Vaterland in eine Wüstenei verwandelt, falls sich die Gelegenheit dem Willen gefügt hätte. Ich leugne auch gar nicht, daß ich von diesem Augenblick an in Rußland alles Mögliche tat, um die Absichten des kaiserlichen Gesandten Grafen Bernes zu unterstützen, welcher mein einmal angefachtes Feuer zu nähren und mich zu brauchen wußte.

Kaum fing ich an, laut Unterricht, tiefer in die Geheimnisse hineinzusehen, so entdeckte ich bald alle Tatsachen am Hofe; so, daß Bestuchew und Appraxin schon wirklich im preußischen Solde dienten, um der österreichischen Partei die Waage zu halten. Hieraus allein kann man die Gründe ersehen, welche im Jahr 1762 die Petersburger Auftritte verursachten, hingegen auch im 7jährigen Preußenkriege so verschiedene Befehle, Ränke und Widersprüche in der russischen Hilfsarmee hervorbrachten.

Die Kanzlerin selbst, welche seit dem Goltz'schen Streich weit vorsichtiger mit mir umgehen mußte, durchschaute als schlaues Weib alle Kunstgriffe, in welche ihr Mann verwickelt war. Meine Begebenheit riß sie ganz von der bisherigen Partei los.[130] Sie liebte mich mit Herz und Seele, entdeckte mir alle Geheimnisse ohne Rückhalt noch Mißtrauen und blieb bis zu ihrem Unglück, welches während meines Magdeburger Gefängnisses im Jahre 1758 erfolgte, allezeit meine beste Freundin und Korrespondentin. Hier steckt also der Schlüssel verborgen, wodurch ich alles, was bis zum Jahr 1754 und 56 gegen Preußen geschmiedet wurde, besser wußte, auch wissen konnte, als viele Minister der interessierten Höfe, welche die geplante Ausführung ihrer Entwürfe ganz allein zu wissen glaubten. Wie manches hätte ich damals vorhersagen können!

Die wunderbare Fügung meines Schicksals hat es aber anders gewollt.

Ich hätte Rußland nie verlassen sollen. Dies war der Hauptfehler aller meiner Unternehmungen, den ich noch gegenwärtig bereue. Dort habe ich in einem Jahr mehr gelernt, mehr Freudentage und Ehre genossen, als in meinem ganzen übrigen Leben. Ich habe auch allezeit mehr verrichten können als andere junge Leute, weil ich niemals länger als 4 bis 5 Stunden schlief. Wenn ich mich nun auch einen Teil des Tages meinem Vergnügen und dem Hofleben überließ, so blieb mir noch allezeit viel zur Kopfarbeit, zum Umgang mit gelehrten Männern übrig.

In des Kanzlers Betragen fand ich viel Veränderung seit dem letzten Vorfall. Seine Blicke verrieten Aufmerksamkeit gegen meine Worte und mein ganzes Betragen. Er schien mir mißtrauisch und rachgierig; seine Frau beobachtete das gleiche, und es war Zeit, andere Entwürfe zu machen. Ich begann wirklich, eine künstliche, aber zugleich auch höchst gefährliche Rolle zu spielen, da auf einmal ein ganz neuer Auftritt in meiner Komödie hervorbrach und der Vorhang zu meinem Trauerspiele aufgezogen wurde.


*


Mein Vetter, der bekannte Pandurenkommandant, war den 4. Oktober 1749 in seinem Arrest auf dem Spielberg bei Brünn gestorben und hatte mich unter der Bedingung zum Universalerben eingesetzt, daß ich keinem anderen Herrn als dem Hause Österreich dienen sollte. Graf Bernes erhielt die Urkunde zur Antretung der Erbschaft erst im März 1750. Ich wollte von[131] Wien nichts wissen. Das abscheuliche Beispiel eben dieses Vetters schreckte mich, dessen Prozeßquellen und rechtschaffen geleistete Dienste niemand besser als mir bekannt waren, weil ich Augenzeuge seines Schicksals war. Graf Bernes aber stellte mir vor:

Daß das Vermögen meines Erblassers weit über eine Million betrage; daß die Monarchin mir durch seine Rekommandation und Unterstützung gewiß Gerechtigkeit werde widerfahren lassen und daß ich für meine Person ja keine Feinde in Wien hätte. Besser sei es allezeit, eine Million eigenes Vermögen in Ungarn zu besitzen, als in Rußland die glänzendste Aus sicht zu haben, wo ich bereits so viele Glückswechsel gesehen und die Wirkungen der Familienkabalen kennengelernt habe. Kurz gesagt, er schilderte mir Rußland gefährlich und Wien als meinen nunmehr gesicherten Hafen; er versprach mir seinen wirksamsten Beistand, weil sein Gesandtschaftsposten ohnedies in eben dem Jahre zu Ende lief, und fügte hinzu, wenn ich einmal reich wäre, dann könnte ich ja Rußland, Ägypten oder die Schweiz zum Wohnsitz wählen. Überdies könne mich ja auch der König von Preußen nirgends weniger verfolgen als in Österreich. In allen übrigen Ländern werde er sicher Gelegenheit finden, mir Fallgruben zu legen, wie ich es bereits in Rußland erfahren hätte.

Was wäre geschehen, wenn Ihnen die Kanzlerin vom bevorstehenden Unglück keine Nachricht gegeben hätte? Sie wären als der unschuldigste, rechtschaffenste Mann nach Sibirien verschleppt worden. Sie hätten Ihr Recht niemals aufdecken noch verteidigen können, und jedermann hätte Sie in Moskau einen Treulosen, einen Verräter geheißen. Das hat der ehrliche Mann in London nicht zu fürchten. Wollen Sie nun noch in Rußland bleiben?

Hyndfordt stimmte in den gleichen Ton ein, versicherte mich in allen Fällen auf ewig seiner Vaterliebe und schilderte mir London als den sichersten Hafen, falls ich in Wien nicht glücklich sein sollte. Als freier Brite sprach er von der Sklaverei, schilderte mir den gegenwärtigen Hof so, wie ich ihn wirklich schon kannte, und fragte: Was ich wohl in Wahrheit sein, auch vorstellen würde, falls ich das Glück erlangte, dereinst General oder Minister in einem solchen Lande zu werden?

Alles dieses machte mich entschlossen; ich wollte aber, da ich[132] ohnedies Geld im Sack hatte, auf dieser Reise auch Stockholm, Kopenhagen und Holland sehen. Indessen wollte Bernes meine Ankunft in Wien melden und mir einen guten Empfang vorbereiten. Er forderte also meine Entlassung, um meine große Erbschaft anzutreten. Meine Freundin tat alles Mögliche, mich zurückzuhalten, fügte sich aber vernünftig meinen Beweggründen. Ich riß mich sozusagen aus ihren Armen, versprach auf Ehre nach Petersburg als Gast zurückzukehren, sobald ich meine Wiener Geschäfte in Ordnung gebracht hätte. Sie machte schon den Entwurf, daß ich durch ihre Vermittlung bei einer russischen Gesandtschaft Verwendung finden sollte, wo ich meinem Hofe die wirksamsten Dienste leisten könnte. Wir schieden in dieser Hoffnung schwermütig; sie schenkte mir ihr Portrait und eine Tabatiere mit Brillanten besetzt, welch ersteres mir 3 Jahre nachher von dem österreichischen Residenten Abramson bei meiner Arrestierung in Danzig von der Brust gerissen wurde, wie ich im zweiten Teil dieser Geschichte erzählen werde.

Der Kanzler umarmte mich als Freund, als er mich beurlaubte. Sogar Appraxin weinte und hielt mich im Arme fest, da ich Abschied von ihm nahm; er weissagte mir auch nebenbei, es würde mir nirgends mehr so gut gehen wie in Rußland, wo ich so viele und so mächtige Freunde hätte. Ich würde diesen Schritt gewiß bereuen.

Nichts half – obgleich mein Herz Rußland mit Schwermut verließ, obgleich ich alles Wiener Unglück ahnte, so folgte ich doch dem Rate der Hyndfordt und Bernes.


*


Ich reiste von Moskau nach Petersburg. Dort erhielt ich durch den Wechsler Baron Wolf einen Brief von der Kanzlerin, der mich beinahe zurückkehren ließ. Sie schrieb in einem Tone, der mein ganzes Herz erschütterte, suchte mich von Wien abzuschrecken und schoß mir einen Wechsel von 4000 Rubel zur Reise bei, falls ich meinem Eigensinn folgen und mein sicheres Glück mit dem Rücken ansehen wollte.

Ich hatte an Geld und Schmuck gegen 36000 fl. bei mir; folglich schickte ich ihren Wechsel zurück und bat um ihr Andenken,[133] um ihre Gnade und Hilfe für Fälle, wo ich ihrer etwa noch bedürfen könnte.

Ich hielt mich nur wenige Tage in Petersburg auf und reiste zu Lande nach Stockholm.

Empfehlungsschreiben hatte ich von allen Gesandten bei mir. Ich vergaß nur noch zu melden, daß der sächsische Gesandte, Herr von Funk, mein wahrer Freund, untröstlich war, da eigentlich seine Unvorsichtigkeit, meine Zeichnung dem Herrn von Goltz anzuvertrauen, mein ganzes Glück in Rußland zerstörte und mich beinahe ins äußerste Elend stürzte. Im Jahre 1772, also 22 Jahre nach dieser Geschichte, traf ich diesen rechtschaffenen Mann noch in Dresden wieder. Er betrachtete sich als die wirkliche Ursache aller meiner während dieser Zeit noch erlittenen Drangsale und versicherte mir, daß jede Nachricht von meinen ausgestandenen Martern seine Seele mit Vorwürfen durchbohrt habe. Wir wurden nicht müde, vom Vergangenen zu sprechen; es war mir ein wirkliches Labsal, einen solchen Mann noch in der Welt nach besiegten Stürmen wiederzufinden und alte Freundschaft zu erneuern.


Nun war ich in Stockholm. Dort bedurfte ich keiner Rekommandation; die Königin kannte mich noch als Schwester des großen Friedrich aus Berlin. Ich hatte die Ehre, sie als Braut im Jahre 1743 bis Stettin als Offizier der Garde du Corps zu escortieren. Ich erzählte ihr nun mein preußisches und russisches Schicksal ohne Hinterhalt; sie riet mir von einem Aufenthalt in Stockholm aus politischen Gründen ab und blieb bis zum Tode meine gnädige Frau. Ich aber reiste sogleich weiter nach Kopenhagen, wohin mir Herr von Chaise, dänischer Gesandter in Moskau, Geschäfte anvertraut und eine Empfehlung mitgegeben hatte. Ich blieb etwa 14 Tage daselbst und segelte mit einem holländischen Schiff von Helsingör nach Amsterdam.

In Kopenhagen genoß ich die Freude, meinen alten echten Freund, den Lieutenant von Bach, anzutreffen, welcher meine Flucht aus dem Glatzer Gefängnis beförderte, worüber ich bereits geschrieben habe. Er lebte im Elend und hatte Schulden. Ich verschaffte ihm Protektion durch Erzählung seiner Handlung an mir, schenkte ihm 500 Dukaten; und hierdurch hatte er sein[134] Glück dergestalt befördert, daß er mir noch im Jahre 1776 schriftlich herzlich dankte und 1779 als Obrist eines Husarenregiments in Dänemark gestorben ist.


Kaum war das Schiff, auf dem ich mich befand, um nach Holland zu segeln, auf See, so entstand ein Sturm, welcher uns nach Verlust des Besanmastes und des Bugspriets, auch einiger Segel, zwang, zwischen den Klippen bei Göteborg Anker zu werfen.

Ich wurde etliche Tage seekrank; wir lichteten die Anker und fuhren nach Texel. Hier sahen wir bereits die Einfahrt, auch die Lotsenschiffe, da sich abermals ein Sturm erhob und unser Schiff bis in den Hafen von Bahus in Norwegen trieb, wo wir unbeschädigt einliefen. Tags darauf eilten wir wieder mit gutem Winde in die See und trafen endlich glücklich in Amsterdam ein.

Hier hielt ich mich wenig auf, hatte aber daselbst sogleich am Tage nach meiner Ankunft einen besonderen Vorfall, in welchen mich mein Vorwitz verwickelte. Ich sah zu, wie die Harpuniere, welche zum Walfischfang ausfahren, sich mit ihren Harpunen oder Wurfspießen übten. Die meisten waren berauscht; einer unter ihnen, namens Hermanus Rogaar, ihr berühmtester Händelmacher und renommiert im Messerschneiden, trat höhnisch zu mir, spottete über meinen türkischen Säbel, den ich an der Seite trug, und wollte mir endlich einen Nasenstüber geben. Ich stieß ihn zurück; der Kerl warf mir die Mütze vor die Füße, zog sein Messer und forderte mich zum Zweikampf heraus, hieß mich einen aapen Nöcker und fragte, ob ich ein C, ein Garge oder ein Kruys im Gesicht haben wolle – das ist, ob ich einen geraden, einen krummen oder einen Kreuzschnitt forderte.

Ich war einmal in der edlen Gesellschaft – hier war also kein anderes Mittel als raufen oder davonlaufen. Der baumstarke ungeheure Kerl schimpfte und wurde kühner; ich wandte mich zu den Umstehenden und forderte ein Messer.

Nein, nein, rief mein Aufforderer, nimm du nur dein großes Messer, das du an der Hüfte trägst! Ich wette 12 Dukaten, du sollst dennoch deinen Schnitt in die Backen haben!

Gleich zog ich vom Leder. Er ging mir mit seinem Messer[135] zu Leibe. Mit dem ersten Hieb flog aber sein Messer nebst der Hand auf die Erde, so daß das Blut mir gerade auf den Leib spritzte.

Hier erwartete ich nun mein Ende, und vom Pöbel zerrissen zu werden; ich erstaunte aber, da alles jauchzte, mir Vivat zurief und mich den Held, den Überwinder des unüberwindlichen Hermanus Rogaar hieß! Dieser wegen seiner Stärke und Geschicklichkeit allgemein gefürchtete Kerl wurde ausgelacht. Ein Handelsjude, der Zuschauer war, führte mich aus dem Gedränge, und der Pöbel begleitete mich mit Bewunderung bis in meinen Gasthof.

Dieser Zweikampf, welcher mir in Holland Ehre brachte, hätte mich anderswo geschändet. Ein Mann, der einen türkischen Säbel zu führen weiß, wird gewiß an einem Tage hundert Rogaare mit einem Messer in der Faust verstümmeln. Indessen hätte ich auch leicht unglücklich sein und in die Hände des Pöbels geraten können; denn wer sich unter die Treiber mengt, den fressen die Schweine. So hat mir mein Vorwitz öfters Händel zugezogen, denen eine frühzeitige Überlegung hätte ausweichen können. Ich verließ mich allezeit auf mein Glück im Unglück und sah meistens die Gefahr erst dann, wann sie bereits überwunden war.


*


Von Amsterdam reiste ich nach Den Haag. Lord Hyndfordt hatte mich an den britischen Gesandten daselbst, den Lord Holderness, empfohlen; Bernes an den Baron Reischach; Herr von Schwart an den Staats-Gressier Fagel. Vom Kanzler hatte ich ein Schreiben an den Prinzen von Oranien selbst; ich konnte also nicht anders als mit aller möglichen Distinktion empfangen werden. Hätte ich hier nun meine Vorteile genutzt und wäre ich mit meinem Gelde, das ich bei mir hatte, nicht nach Wien, sondern mit meinem offenen Kopfe nach Indien gegangen, wie manche männliche Schwermutstränen hätte ich weniger geweint! Und welch ein sicheres Glück würde ich überall gefunden haben, wo Menschenverstand Geld erwerben und wo Redlichkeit und echte Tugend keine Hofkabalen, keinen Eigensinn eines Despoten zu fürchten hat![136]

Ich fand aber im Haag schon Briefe vom Grafen Bernes, welcher mir den Himmel in Wien versicherte und zugleich die Hofkriegsrätliche Citation zur Erberklärung dieser wichtigen Hinterlassenschaft beischloß. Er meldete mir auch, der Hof habe ihm auf seine Anfrage und Rekommandation hin versichert, daß mir aller Schutz, alle Gerechtigkeit in Wien widerfahren würde. Er riet mir also, meine Ankunft zu beschleunigen, weil die bisherige Administration der Trenck'schen Güter mir gewiß wenig Nutzen verschaffen würde.

Ich folgte dem Rate, eilte nach Wien – und seit diesem Augenblick hatten alle Freuden meines Lebens ein Ende. Ich geriet in ein Labyrinth von Prozessen, in die Gewalt böser Menschen, und alle möglichen Drangsale schlugen über meinem Kopfe zusammen, welche allein ein Buch erforderten, um sie der Welt zur Schande meiner Verfolger umständlich zu schildern.

Seit meiner Abreise von Wien im Jahre 1748 waren nun ungefähr 2 Jahre verflossen, bis ich 1750 wieder daselbst eintraf. Meine Leser werden aber finden, daß man in so kurzer Zeit unmöglich mehr Schicksalsveränderungen erleben kann als die, welcher ich so kurz wie möglich erzählt habe, wobei ich noch sehr viele minder wichtige gänzlich verschwiegen habe, um Raum für erhebliche zu gewinnen.


Der ehemalige Pandurenchef, Franz Freiherr von der Trenck, starb auf dem Spielberge am 4. Oktober im Arrest. Irrig glaubte man in Wien, daß sein Vermögen bei dem Urteile, welches ihn auf den Spielberg schickte, konfisziert worden sei. Nein, er hatte kein Staatsverbrechen begangen, war auch dessen nicht beschuldigt, noch gar etwas bewiesen. Die Sentenz besagt: Seine Güter und sein Vermögen sollten unter der Administration des von ihm selbst gewählten Hofrats von Kempf und Baron Pevaczewitz, seines Freundes, verbleiben, ihm aber alle Jahre die Rechnung seiner Beamten zugeschickt werden. Er war und blieb also bis zum Tode Herr über sein Vermögen. Dafür zeugt auch, daß er am Ende seines Lebens, da er den Tod erwartete, seinen Advokaten, den Doktor Berger, zu sich nach Brünn aus Wien berief; daß er durch denselben die Monarchin bitten ließ, sie möge befehlen, daß ihm der Spielberger Kommandant alle[137] Zeugen und erforderliche Solemnitäten, um ein gültiges Testament aufzustellen, zulassen solle. Sie erlaubte sogar, daß er nach Gefallen zu besserer Verpflegung in seiner Krankheit sich dürfe zu den Kapuzinern bringen lassen. Dies war schon so gut wie Freiheit, die er aber nicht annahm.

Übrigens liegt das kaiserliche Handbillet noch gegenwärtig bei den Akten des judicii Trenckiani delegati, und es lautet:

»Man soll des Trencks letzten Willen auf das allergenaueste pünktlich vollziehen, die Abhandlung beschleunigen und den Erben in allen seinen Rechten schützen.«

Es war demnach niemals die Rede von Konfiskation noch de facultate testandi.

Der Vater dieses auf dem Spielberge verstorbenen Trenck hatte im Jahre 1743, da er als Kommandant und Obrist zu Leitschau in Ungarn starb, als ungarischer Kavalier und Güterbesitzer ein solemnes Testament aufgesetzt, in welchem er mich, als seines Bruders Sohn, seinem eigenen Sohn substituiert, falls dieser ohne männliche Erben sterben sollte. Dieses Testament war vom Domkapitel zu Zips ausgefertigt, von 7 Kapitularen unterschrieben und vom Palatino Graf Palffy ratifiziert, folglich ohne Widerspruch gültig.

Der alte Trenck starb 1743 zu Leitschau; sein Sohn war damals Pandurenobrist im bayerischen Kriege. Der Trenck übernahm die Erbschaft seines Vaters; er starb im Jahre 1749 wirklich ohne Kinder; sogar in casu confiscationis hätte ich die Güter seines Vaters niemals verlieren können.

Mein Vetter wußte alles nur zu wohl. Er war, wie ich bereits erzählt habe, mein ärgster Feind, der mir sogar nach dem Leben getrachtet hatte. Nun will ich auch das eigentliche Rätsel seines arglistigen Testaments entwickeln.


Dieser in sich selbst böse Mann wollte nicht länger im Gefängnis leben. Er wollte auch nicht um Gnade bitten, wodurch er, wie landkundig ist, sogleich seine Freiheit hätte erhalten können. Er war keineswegs als überführter Übeltäter auf den Spielberg verurteilt; seine mächtigen Feinde fürchteten seine Rache mit Recht; er hatte ihnen schon im Arrest in Wien gedroht. Sie fanden aber Mittel, ihm den Willen zu fesseln, deshalb allein[138] war er das Opfer ihrer Kunstgriffe bei Hofe. Sein Prozeß hatte schon viel gekostet; sein Geiz, seine einmal verlorene Hoffnung, den Schaden zu ersetzen oder noch reicher zu werden, erniedrigte seine raubgierige Seele bis zur Verzweiflung. Seine Ruhmgierde war unbegrenzt – und diese konnte nicht besser befriedigt werden, als wenn der Pandur als ein Heiliger stirbt und nach dem Tode Mirakel macht. Dies war wirklich sein Entwurf; denn er war einer der gefährlichsten Atheisten, glaubte nichts nach dem Tode aus Überzeugung und gestattete sich alles, weil er ein böses Herz im Busen nährte.

Hierzu kam noch dieses:

Er wußte, daß ich sogleich nach seinem Tode die Verlassenschaft seines Vaters fordern und auch sicher erhalten würde. Dieser hatte bereits im Jahre 1723 die Herrschaft Prestowacz und Pleternitz in Slavonien von seinen großen, aus Preußen erhaltenen Familiengeldern gekauft; und noch zu seinen Lebzeiten kaufte der Sohn mit 40s000 fl. von des Vaters Kapitalien die Herrschaft Pakratz. Diese drei Herrschaften gingen also direkt auf mich über, worüber er so wenig wie über die restlichen ererbten Gelder, Mobilien und Häuser seines Vaters restieren noch klausulieren konnte. Alles Vermögen, das er selbst erworben hatte, stand in Administration; über 100000 fl. waren schon durch den Prozeß verlorengegangen, und 63 Prozesse und Forderungen waren noch gegen ihn bei Gericht anhängig. Nun wollte er auch gerne für 80000 fl. Legate machen. Wenn ich also nach Wien gekommen wäre und meine Forderungen von seinem Vermögen weggenommen, mich aber seiner 63 Prozesse gegen seine Vermögensmasse nicht angenommen hätte, so sah er wohl ein, daß für seine Legatarien gar nichts übrig bleiben würde.

Er errichtete demnach ein Testament, welches mich noch nach seinem Tode unglücklich machen sollte. Deshalb ernannte er mich allein zum Universalerben, machte gar keine Erwähnung von seines Vaters Testament, welches ihm die Hände gebunden hatte. Er verordnete gegen 80 000fl. Legata und Stiftungen und suchte sowohl durch die vermäntelte Art seines Todes wie besonders durch folgende Bedingungen die Monarchin zur Protektion seines Testamentes zu bewegen: Daß ich[139]

1. die katholische Religion annehmen,

2. keinem anderen Herrn als diesem Hause Österreich dienen sollte, und

3. machte er seine ganze Hinterlassenschaft, ohne das väterliche Vermögen auszunehmen, zum Fideikommiß.

Eben hieraus erwuchs mein ganzes Unglück, und das war seine wahre Absicht; denn noch kurz vor seinem Tode sagte er dem Kommandanten, Baron Kuttulinsky:

Jetzt sterbe ich mit der Freude, daß ich meinen Vetter noch nach meinem Tode schikanieren und unglücklich machen kann!


Sein in Wien geglaubter mirakulöser Tod erfolgte auf folgende Art, wodurch er besonders viele Kurzsichtige ganz für seine Absichten lenkte, die ihn wirklich heilig glaubten.

Drei Tage vor seinem Tode, da er vollkommen gesund war, ließ er dem Kommandanten sagen, er wolle seinen Beichtvater nach Wien schicken, und der heilige Franziskus habe ihm offenbart, er würde ihn an seinem Namenstage um 12 Uhr in die selige Ewigkeit abholen.

Man schickte ihm den Kapuziner, den er nach Wien abfertigte, und lachte mit den übrigen.

Am Tage nach des Beichtvaters Abreise sagte er:

Gottlob! Nun ist meine Reise auch gewiß; mein Beichtvater ist tot, und mir bereits erschienen.

Dieses bestätigte sich am folgenden Tage wirklich. Der Pfaff war gestorben.

Nun ließ der Trenck die Offiziere der Brünner Garnison zusammenkommen, sich als Kapuziner tonsieren, auch in die Kutte einkleiden, hielt seine öffentliche Beichte und dann eine stundenlange Predigt, worin er alle zum Heiligwerden aufmunterte und den größten aufrichtigen Büßer spielte. Dann umarmte er sie alle, sprach lächelnd von der Nichtigkeit der Erdengüter, nahm Abschied, kniete nieder zum Gebet, schlief ruhig, stand auf, kniete und betete wieder, nahm um 11 Uhr mittags am 4. Oktober die Uhr in die Hand und sagte:

Gottlob! Die letzte Stunde naht.

Jedermann lachte über das Gaukelspiel eines Mannes seiner Art. Man bemerkte aber, daß sein Gesicht auf der linken Seite[140] weiß wurde. Hier setzte er sich nun an den Tisch mit aufgelehntem Arm, betete, blieb ganz still mit geschlossenen Augen. Es schlug 12 Uhr, er bewegte sich nicht; man redete ihn an, und er war wirklich tot.

Nun erscholl das ganze Land vom Mirakel: Der heilige Franziskus hat den Panduren Trenck in den Himmel geholt!

Die Auflösung des Rätsels ist aber eigentlich diese, welche mir allein gründlich bekannt ist:

Er besaß das Geheimnis des sogenannten aqua Toffana und hatte beschlossen, nicht länger zu leben.

Seinem Beichtvater, den er nach Wien schickte, hatte er alle Geheimnisse anvertraut und ihm viel Kleinodien und Wechselbriefe mitgegeben, die er auf die Seite schaffen wollte. Ich weiß positiv, daß er einem gewissen großen Prinzen damals seine Wechsel pro 200000 fl. zurückgeschickt und kassiert hat, der mir, als rechtmäßigem Erben, keinen Groschen wiedergab. Der Beichtvater aber sollte außerstande gesetzt werden, ihn jemals zu verraten; deshalb nahm er seine Giftdose mit in dem Leibe auf die Reise und wurde bei der Rückkehr tot gefunden. Er selbst hatte eben dieses Gift genommen und wußte die Stunde seines Todes. Nun spielte er seine tragische Rolle als Heiliger, um dereinst dem Florianus oder Chrispinus den Rang streitig zu machen; da er auf Erden nicht mehr der Reichste und Größte werden konnte, wollte er im Grabe angebetet sein. Versichert war er, daß Mirakel bei seinem Grabe erfolgen würden, weil er eine Kapelle erbaut, eine ewige Stiftmesse gegründet und den Kapuzinern 6000 fl. vermacht hatte.

So starb eigentlich dieser ganz besondere Mann im 34. Jahre seines Lebens, welchem die Natur keine Gabe, kein Talent versagt hatte, der die Geissel der Bayern und der Schrecken der Franzosen war, der mit seinen verächtlich geglaubten Panduren sogar 6000 preußische Gefangene gemacht hat. Er lebte als Tyrann und Menschenfeind und starb wie ein heiliger Schurke.


*


So war nun die Lage des Trenck'schen Testaments, als ich im Jahr 1750 nach Wien kam. Ich erschien nicht, wie einige Verleumder[141] unlängst in Gesellschaft gesagt haben, als ein dienst- und brotsuchender Bettler. Nein, ich hatte die russischen Dienste verlassen, wo ich glücklich war; der kaiserliche Gesandte hatte mich überredet, ein sicheres Glück zu verlassen und in Wien mein Unglück zu finden. Ich brachte von meinem russischen Gelde noch gegen 20000 fl. bar Geld und in Schmuck nach Österreich. Ich habe während der Wiener Prozesse noch gegen 15000 fl. aus Berlin, Petersburg und von meiner Familie in Wien erhalten und aufgeopfert; folglich vom Trenck nicht nur nichts geerbt, sondern noch über 120000 fl. von meinem eigenen Gelde und von seines Vaters auf mich übergegangenem Vermögen verloren und zugesetzt.

Nun weiter zur Geschichte.

Bei der ersten Audienz konnte die Monarchin nicht gnädiger sein, als sie zu sein schien. Sie sprach von meinem toten Vetter mit gerührter Achtung, sie versprach mir allen Schutz und Gnade und sagte, daß Graf Bernes mich ihr besonders empfohlen hätte. Sobald ich aber den bestimmten Präsidenten und die Räte kennenlernte, sobald ich 63 wirklich anhängige Prozesse sah, die ich in Wien ausführen sollte, wo ein ehrlicher Mann einer Lebenszeit bedarf, um nur für einen Recht zu finden, beschloß ich sogleich, die ganze Erbschaft abzulehnen, auf das Spielberger Testament zu renuntieren und nur allein meine bona Activa zu fordern. Zu diesem Zwecke begehrte ich copiam vidimatam von dem Leitschauischen alten Trenck'schen Testament; ich erhielt sie. Hiermit erschien ich vor Gericht in Person, erklärte, daß ich vom Franz Trenck nichts verlange, keine Prozesse noch Legata von ihm übernehmen wolle und allein das Vermögen seines Vaters, laut produziertem legalem Testament, von der Masse im Voraus fordere, welches die drei Herrschaften Pakratz, Prestowacz und Plesternitz ohne die Kapitalien und Mobilien betraf. Nichts war billiger, nichts unwidersprechlicher als diese Forderung.

Wie erschrak ich aber, als man mir in entschiedenem Tone im öffentlichen Rate antwortet:

Ihro Majestät, die Kaiserin haben ausdrücklich befohlen:

»Daß, falls Sie nicht alle Bedingungen des Franz Trenck'schen Testaments erfüllen wollen, Sie absolut und entschieden von der[142] ganzen Massa abgewiesen werden und gar nichts zu hoffen haben!«

Was war zu tun? Ich wagte einen Schritt bei Hofe – wurde aber ebenso abgewiesen. Ich war schutz- und hilflos.

Durch ein Geschenk erhielt ich von einem Pfaffen ein Attest, »daß ich mich bekehrt und dem verfluchten Luthertum abgeschworen habe.«

Ich blieb aber, was ich war, und konnte auch für Millionen mich nie entschließen, zu glauben, was der Papst will. Für Geld und Fürstengunst mache ich auch kein Heuchler- noch Gaukelspiel.


Um diese Zeit kam auch der General Bernes von seinem Gesandtschaftsposten aus Petersburg nach Wien zurück. Ich klagte ihm mein bitteres Schicksal; er sprach mit der Monarchin, sie versprach ihm alles. Er hieß mich Geduld haben, indessen alles zu tun, was man wollte, alle Prozesse zu übernehmen. Er mußte eilfertig in Familiendingen nach Turin reisen; bei seiner baldigen Rückkehr würde er mein ganze Sache auf sich nehmen und mich sicher in Österreich glücklich machen. Dieser Mann liebte mich wie sein Kind. Seiner Versicherung gemäß blieb mir viel Hoffnung, von ihm zu erben, da er weder Kinder noch Verwandte hatte. Er reiste fort, umarmte mich noch mit nassen Augen väterlich. Kaum war er 6 Wochen abwesend, so lief die Nachricht ein, daß er in Turin von einem Freunde mit Gift in eine bessere Welt befördert worden sei. –

So spielte das Glück mit mir, so entriß es mir meine Stützen allezeit zu dem Zeitpunkt, wo ich sie am notwendigsten brauchte; welches man in meiner ganzen Lebensgeschichte bei allen Vorfällen bemerken wird.

Auch den Feldmarschall Königseck, Gouverneur von Wien, meinen besten Freund und Protektor, entriß mir der Tod in eben dem Jahr, da er mir helfen wollte. Merkwürdig ist aber dieses gewiß, daß die größten Männer, die Österreich seit dem Jahre 1747 aufzuweisen hat, mich liebten, schätzten und zu fördern suchten; Rechnungsführer, kleine Justizschurken, Fanatiker, Dummköpfe und Pfaffen allein waren und sind noch meine Feinde. Diese allein haben alle meine Hoffnungen vereitelt[143] und mich arm, auch dem Staat untätig gemacht und von allen Geschäften, von Gerechtigkeit und Gnade der Monarchin zu entfernen gewußt. Gnade habe ich zwar nie gesucht, weil ich nie ein Übeltäter noch Betrüger war; Gerechtigkeit hätte ich aber zu verdienen gewußt, wenn sie mir widerfahren wäre. –


Kaum war Bernes von Wien abgereist, so ereignete sich eine Begebenheit, welche mein Unglück vergrößerte. Der preußische Minister zog mich im Hause des pfälzischen Gesandten, Herrn von Beckers, auf die Seite und machte mir den Antrag: Ich solle nach Berlin in mein Vaterland zurückkehren; der König habe alles Vergangene vergessen, ich sei bei ihm gerechtfertigt, er würde mein Glück machen und mir die Trenck'sche Erbschaft und Güter sicher verschaffen, wofür er mir auf Ehrenwort Bürge sein wolle.

Ich antwortete, daß diese Gnade mir nunmehr zu spät widerfahre; ich hätte im Vaterlande zu großes Unrecht erlitten, traue keinem Fürsten auf Erden, dessen Wille alle Rechte der Menschen zunichte machen kann. Mein treues Herz für den König sei zu grob mißhandelt worden, mein Kopf könne in der ganzen Welt das Nötige verdienen, und ich wolle keiner Gefahr eines unverdienten Gefängnisses mehr unterworfen sein.

Er tat alles, um mich zu überreden; da aber nichts fruchtete, sagte er mir:

Mein lieber Trenck! Gott weiß, ich habe es redlich mit Ihnen gemeint. Ich bin Ihnen auch Bürge dafür, daß mein König Sie sicher glücklich machen wird. Sie kennen aber Wien nicht und werden hier nach vielen Prozessen alles verlieren, auch sicher verachtet und verfolgt leben, weil Sie keinen Rosenkranz beten können!

Wieviel tausendmal habe ich in der Folge bedauert, daß ich damals nicht nach Berlin zurückkehrte! Ich wäre dem 10jährigen Magdeburger Gefängnis ausgewichen, hätte die Trenck'sche Erbschaft nicht verloren, meine besten Lebensjahre nicht in Prozessen und Memoralienschreibereien verbraucht und wäre im Vaterlande sicher unter die größten Männer gerechnet worden.

Sicher aber ist es, daß seit diesem Tage, da der preußische Gesandte mit mir sprach, auch nichts in Wien mehr für mich zu[144] hoffen war. Der König weiß die Wege, durch seine Gesandten bei den meisten Höfen Europas zu stürzen oder zu erheben, wen er will. Der Trenck, welcher ihm nicht mehr traute und ihm nicht mehr dienen wollte, sollte auch niemals Gelegenheit finden, gegen ihn zu dienen. Ich bin also durch die dritte Hand bei der Monarchin als ein Erzketzer und zugleich als ein Mensch geschildert worden, welcher dem Hause Österreich nie dienen wolle und nur die große Erbschaft suche, um zum König von Preußen zurückzukehren.

Lesen wird gewiß kein Monarch diese meine wahre Geschichte, folglich auch nie die Wahrheit erkennen noch schützen. Lesen werden mich einige unserer sogenannten Gelehrten und mich in ihren von mir nicht erkauften Rezensionen tadeln, schnarchen und Pasquillen schreiben, aber gewiß meine Galle nicht rege machen, noch meinen bereits erworbenen Ruf weiter als bis Nußdorf, Appoltan und St. Pölten kränken.

Lesen und verfolgen, beschimpfen und bedrohen werden mich aber die gewiß, welche mich plünderten, bei Hofe verleumdeten und für den Staat untätig machten. Ihr Eigennutz, ihre Selbsterhaltung fordert die ewige Unterdrückung aller Tugend und Wahrheit; folglich wird mein Buch sicher zu den gefährlichen gerechnet, vielleicht gar von allen Beichtvätern zu lesen verboten werden.

Lesen wird mich aber das übrige Deutschland; lesen, bewundern und auch bedauern wird mich die Nachwelt, falls meine Geschichte nicht das Unglück hat, unter die unwahrscheinlichsten Romane unserer Zeit deshalb gerechnet zu werden, weil Theresens und Friedrichs Biographieschreiber, aus erheblichen Ursachen, den Trenck'schen Namen nicht einmal genannt haben.


Nun weiter zur Sache.

Ich war nunmehr gezwungen, mich, jedoch allezeit cum reservatione juris mei, niemals aber simpliciter, als Erbe zu erklären; und die Arbeit mit 63 Prozessen wurde übernommen. Man weiß, was einer in Wien kostet, und urteile jetzt, wie es mir ging, da ich aus der ganzen Trenck'schen Vermögensmasse binnen 3 Jahren nur 3600 fl., folglich kaum so viel erhielt, wie die Neujahrsgeschenke an Kanzleien und Sollicitatoren forderten.[145] Wieviel Ballen Papier habe ich nicht in Prozeßakten und Memoralien unwirksam verschrieben! Mein aus Rußland mitgebrachtes Geld war also bald geschmolzen. Meine Familie in Preußen unterstützte mich; die Gräfin Bestuchew schickte die 4000 Rubel, die ich in Petersburg nicht annehmen wollte; aus Berlin erhielt ich Hilfe von meiner alten Freundin; und dennoch mußte in Wien bei Wucherern Geld gesucht werden, wobei ich oft nach Wiener Brauch 60% verlor. Verwebt in einem Irrgarten von Advokaten-und Räuberränken, forderte mein Ehrgeiz, sich durchzuarbeiten. Alles wurde durch meine Herkulesarbeit möglich gemacht, mein eigenes Vermögen aber dabei aufgeopfert, wofür ich am Ende ein elendes Fideikommiß erhielt, welches ich eigentlich nicht erbte, sondern vor der Habsucht rettete. Meine edle Zeit ging dabei verloren, die ich angenehmer durchleben, auch rühmlicher und fruchtbarer hätte genießen können. Niemand aber kann sich vorstellen, was meine erhabene Seele dabei empfand, wenn ich bei boshaften, dummen Menschen deshalb, weil sie Minister hießen oder Hofräte und Richter waren, um Justiz betteln mußte; und das bei einer Art von Menschen, die nicht einmal einen Begriff von Tugend und Rechtschaffenheit besitzen, auch alles in die allerhöchste Gnade des Hofes und seiner Kammerdienerinnen, Ofenheizer und Seelsorger zurückleiten.


Meine anhängigen 63 Prozesse wurden nun alle innerhalb von drei Jahren auf eine Art geendet, die nach mir gewiß niemand mehr in Wien, auch nicht in 50 Jahren, bewerkstelligen wird. Wie es aber eigentlich geschehen, dies muß für diese Blätter ein ewiges Geheimnis bleiben. Genug, ich lernte Menschen und Richter so kennen, wie ich sie gern, anderen zum Vorteil, schildern möchte.

Der Kammerdiener des Präsidenten öffnete mir für etliche Dukaten allezeit das Kabinett des Fürsten, wo ich durch eine Öffnung in der Tür alles so gut sah und hörte, als wenn ich selbst im Rate mitgesessen hätte.

Endlich kam es zur Hauptsache, an die ich ewig mit Schauder und Abscheu denken werde.

Das Hauptvermögen des Trenck bestand in den slavonischen[146] Gütern, genannt die Herrschaften Pakratz, Prestowacz und Pleternitz, die er von seinem Vater ererbt hatte; und dann in Velika und Nustak, welche er selbst gekauft hatte, die aber zusammen über 60000 fl. jährliche Einkünfte ihren gegenwärtigen Besitzern eintragen, und außerdem eine Strecke von mehr als 200 Dörfern und Höfen.

Ohne weitere Umstände nahm nun der ungarische Kammerpräsident, Graf Grassalkowitz, im Namen des Fiskus von allen Trenck'schen Gütern Besitz. Der Braten war fett, nicht nur wegen der Güter selbst, als vielmehr wegen der Beute, die dabei zu machen war; denn mein Vetter hatte aus Bayern, Elsaß und Schlesien verschiedene Schiffsladungen mit Kaufmannsgütern, Leinwand, Gold und Silber, in Stangen gegossen, auf seine Güter geschickt. Dabei war die prächtige Gewehrkammer, die Sattelkammer und das große silberne Service Kaiser Karls VII., welches er alles in München fortgeschleppt hatte; auch das große silberne Tafelservice des Königs von Preußen war dabei.

Man sagt wirklich, daß der Trenck'sche Schatz in Slavonien weit mehr im Wert, als die Güter selbst, betragen habe. Einer der ehrwürdigsten Männer in der Armee, ein großer General, hat mir noch unlängst erzählt, daß aus dem Trenck'schen Schatz zu Mihalefze etliche schwere Wagen, mit Silber und Pretiosen beladen, weggeführt wurden. Er kann noch als Augenzeuge sprechen, er kennt die beiden Panduren, welche des Trencks Vertraute und Schatzbewacher waren. Diese nahmen bei der allgemeinen Plünderung ein jeder eine Schachtel mit Perlen, flüchteten damit in das türkische Gebiet und wurden daselbst reiche Kaufleute. Meine prächtigen Gestüte, sogar das Vieh aus den Meierhöfen, wurde forgetrieben. Die Gewehrkammer bestand allein aus 3000 Stück der seltensten Sammlung. Der Trenck hat selbst gesagt, daß er von Dannhausen und Gersdorf im Glatzischen allein im Werte mehr als für 50000 fl. an Leinwand weggenommen und in Kisten auf seine Güter geschickt hatte.

Kurz gesagt, alles wurde gestohlen, weggeführt und geplündert. Und da Befehl vom Hofe erfolgte, man solle alle Trenck'schen Mobilien nach Wien für den Universalerben liefern, war nichts mehr übrig als Kleinigkeiten, die niemand mehr haben wollte, und zwei alte preußische Kommisgewehre. Ich selbst[147] habe in einem ungarischen Palast einige kostbare Gewehre gesehen, die ich positiv erkannte, daß sie mir gestohlen waren. Ich kaufte auch in Essek wirklich einige silberne Teller mit dem preußischen Wappen, die Herr Hofrat D ... m verkauft hatte, welcher zur Besitznehmung der Güter bevollmächtigt war und hierdurch reich wurde. Ich schrie in Wien laut, klagte, erhielt aber Befehl vom Hof: Ich sollte gar nichts von dieser Sache bei allerhöchster Ungnade sprechen, auch nicht mehr nach Slavonien reisen.

Nun wollte ich die Sache wegen der Güter auf Anraten einiger rechtschaffener Ungarn gern zum ordentlichen Prozeß in Ungarn einleiten und forderte in einer Bittschrift mein Recht von der Monarchin demütig, erhielt aber Befehl, absolut auch nicht nach Ungarn zu reisen; und die Sache wurde dem judicio delegato Trenckiano in Wien übergeben.

Man untersuchte mein Recht und der Monarchin wurde die Wahrheit für mein Recht referiert. Auf ein mal erschien aber folgender Machtspruch vom Hofe; die Monarchin schrieb eigenhändig:

»Der Kammerpräsident, Graf Grassalkowitz, nimmt es auf sein Gewissen, daß dem Trenck die Güter in Slavonien nicht in natura gebühren. Man soll ihm also die summa in emtitiam und inscriptiam bar herauszahlen und alle erweislichen Meliorationen gut machen; und die Güter bleiben der Kammer!«

Hiermit hatte auf einmal der Prozeß und alle Hoffnung ein Ende. Ich hatte in Wien 63 kleine Prozesse mit Aufopferung meines eigenen Vermögens durchgearbeitet, und verlor die ganze Erbschaftmasse ohne Prozeß.

Noch eins dieser Art.

Man hatte bei der Arrestierung des Trenck in öffentlicher Zeitung bekanntgegeben, daß alle, die von ihm etwas zu fordern oder gegen ihn zu klagen hätten, sich melden und tägliche Unterhaltsdiäten empfangen sollten. Man kann leicht urteilen, was sich für Leute einfanden und wie ihre Zahl anwuchs. Wirklich sind gegen 15000 fl. dergleichen Diätgelder ausgezahlt und mir in Rechnung gebracht worden. Da nun im Revisionsprozeß alle diese erkauften Kläger erkannt und schimpflich abgewiesen, auch in Schaden und Kosten verurteilt wurden, hat mir der[148] erste Richter kein illegal angewiesenes Geld zurückbezahlt. Ich verlor mein Geld, und niemand wurde bestraft. Sogar das sogenannte Fräulein Schwerin, die im Trenck'schen Kriminalprozeß als falsche Zeugin vom Richter selbst bestochen war, wie ich bereits erzählt habe, hatte 2000 fl. Diäten empfangen, die aber nie berechnet wurden. So verfuhr man mit Trenck und seinem Gelde.


*


Mißvergnügt mit meiner Lage, mit meinem ganzen hiesigen Schicksal, verließ ich Wien und reiste nach Ungarn zum Regiment, um daselbst ein besseres abzuwarten.

Die slavonischen Güter blieben aber dennoch verloren, und meine Einkünfte waren nie hinlänglich, die Prozesse in Wien zu bestreiten. Wer jemals in Ketschkemet und an der Theiße oder im karpathischen Gebirge in Quartier gestanden hat, der kann leicht urteilen, wie ein Mann meiner Gattung zufrieden leben konnte, welcher in Berlin und Petersburg mit den größten Männern in der großen Welt zu leben gewohnt war; der nur lebt, um seine Einsichten zu erweitern und in einem Lande, mit dem allgemeinen Haufen vermischt, seine besten Jahre verbrauchen mußte, ohne etwas zu lernen, ohne sogar ein gutes Buch zu finden, wo die Zensur gar keine gestattete. Der Diensteifer reizte mich gleichfalls nicht, um materiell zu arbeiten, weil der ganze Verlust meines Vermögens, mein Wohlstand in Rußland und die verächtliche Begegnungsart in Wien mir stündlich vor dem Auge schwebte.


Im Jahre 1754 starb meine Mutter in Preußen im Monat März. Ich forderte vom Hofkriegsrat Erlaubnis, auf sechs Monate nach Danzig zu reisen, um meine Familienangelegenheiten mit meinen Geschwistern zu regeln, weil in Preußen mein Vermögen, folglich auch alle möglichen Erbschaften, konfisziert waren.

Diese Erlaubnis erfolgte, und ich reiste im Mai nach Danzig, wo der zweite Auftritt meiner Lebensgeschichte anfängt, bei deren Durchlesung jeder fühlende Mensch zurückschaudern, auch sicher einen Mann bedauern wird, welcher seine erlittenen auch[149] rühmlich ausgestandenen Drangsale treu erzählt; der sie trocken deutsch vorzutragen wagen darf, und jetzt bei grauen Haaren zwar die Gelegenheit hat, seine Feinde zu entlarven, zu beschämen, aber bis zum Grabe ohnmächtig bleibt um das, was ihm gewaltsam entrissen wurde, für die Rechte seiner Kinder zurückzufordern.

Quelle:
Trenck, Friedrich Freiherr von der: Des Friedrich Freiherrn von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte. In: Eberhard Cyran, Trenck, Memoiren und Kommentar, Berlin: Haude & Spener, 1966, S. 7–283., S. 96-150.
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