X. Benehmen im Wirtshaus, Restaurant usw.

[147] Man wird es gewiß keinem Menschen verübeln können und wollen, wenn er nach des Tages Last und Hitze sich in das Gasthaus begibt, um in anständiger Gesellschaft ein Glas Bier oder Wein zu trinken und gemütliche Unterhaltung zu pflegen. Gar viele Leute glauben aber, im Wirtshaus dürfen sie sich mehr als anderswo erlauben, weil[147] sie um ihr eignes Geld und zu ihrem Vergnügen da seien; sie sind der Meinung, die Räume eines Gasthofes seien eine Freistätte der Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit. Das ist eine ganz irrige Ansicht. Der Anstand ist an allen Orten, also auch im Gasthof, im Wirtshaus zu beobachten. Grund und Quelle des Anstandes und der Höflichkeit ist ja die christliche Nächstenliebe und diese darf nirgends verletzt werden. Zudem ist es das Zeichen eines wohlerzogenen Mannes, auch beim Genusse des Vergnügens nie die Herrschaft über sich selbst zu verlieren und die anderen schuldigen Rücksichten nicht außer acht zu lassen, und ein solcher wird deshalb auch im Wirtshause niemals die Grenzen überschreiten, welche ihm durch die Regeln des Anstandes und der Höflichkeit gezogen sind. Ueberdies ist man im Wirtshause infolge des Genusses geistiger Getränke und belebterer Unterhaltung mehr als anderswo der Gefahr ausgesetzt, sich unüberlegte Reden und Handlungen zu schulden kommen zu lassen, die man hernach bitter zu bereuen hat. Es dürfte deshalb nicht unangezeigt sein, in einem Anstandsbüchlein auch von dem Benehmen im Wirtshaus zu sprechen. Wir geben hierüber folgendes:

1. Beim Betreten eines Gasthauses nimm die Kopfbedeckung ab. Es scheint das zwar selbstverständlich zu sein, aber viele beachten es nicht.

2. Ueberzieher, Hut und Stock oder Schirm werden ohne viel Geräusch an einem hierzu bestimmten Nagel oder an dem Kleiderständer untergebracht.[148]

3. Ordnen der Kleidung und Aufkämmen des Haares in einem öffentlichen Lokal ist unanständig. Hat man wirklich eine Auffrischung des äußeren Menschen nötig, so geschehe dies in einem Nebenzimmer.

4. Durchbrich nicht schroff die Reihen der bereits sitzenden Gäste behufs Auffindung eines geeigneten Platzes. Suche mit den Augen und nimm dann den gefundenen Platz anständig und ruhig ein. Mußt Du, um zu ihm zu gelangen, jemand belästigen, so lasse es nie an einer höflichen Entschuldigung fehlen, besonders Damen gegenüber.

5. Willst Du an einem Tische Platz nehmen an dem bereits andere Personen sitzen, so frage zuvor, ob Du die anderen nicht störest. Es genügt dafür ein einfaches »Gestatten Sie?« oder: »Ist es erlaubt?« vollständig. Willst Du eine Zeitung von einem bereits besetzten Tische nehmen, so bitte ebenfalls um Erlaubnis. Häufe aber nicht eine Anzahl Zeitungen bei Dir an, so daß andere nichts zu lesen bekommen.

6. Speisen und Getränke bestelle nicht in protzigem Tone. Teile Deine Wünsche in kurzem und höflichem Tone, in gelassener und freundlicher Weise mit, ohne in ein herrisches Wesen oder in eine ebenso unpassende Vertraulichkeit zu verfallen. Laute Rufe nach dem Kellner oder der Kellnerin sind unschicklich. Weiblicher Bedienung gegenüber hüte Dich vor plumpen Scherzen und sonstigen Unziemlichkeiten.

7. Beim Essen und Trinken betrage Dich so,[149] daß die Anwesenden nichts Unanständiges und Unverträgliches sehen. Was wir an anderer Stelle über das Essen gesagt haben, gilt auch für das Essen im Gasthause. Speist man in einem Gasthause an der Table d'hôte, so sind gegenseitige Vorstellungen unter Unbekannten nicht notwendig.

8. Räsonniere nicht über Bedienung und über Speisen und Getränke. Berechtigte Klagen und Ausstellungen hierüber bringe beim Wirt an.

9. Halte Maß und Zeit im Trinken und dehne den Wirtshausbesuch nicht zu lange aus. Wer bei Trunk und Spiel gern lange und lieber im Wirtshaus bleibt, als im Kreise seiner Familie, und diese und sein Hauswesen dadurch vernachlässigt, der zeigt, daß er weder vor göttlichem noch menschlichem Gebot Achtung hat und für sein und der Seinigen zeitliches Wohl und ewiges Wohlergehen gänzlich abgestumpft ist.

10. Bezüglich der Unterhaltung im Wirtshause gilt im allgemeinen dasselbe, was weiter oben über die Unterhaltung gesagt wurde.

11. Wo Gesellschaften in gemeine Zechgelage sich verwandeln, da ist für den Gebildeten keine Erholung mehr, weshalb er sie sorgfältig meiden wird, um sich und seinem Charakter nichts zu vergeben und kein Aergernis zu erregen.

12. Auch ein Spiel ist erlaubt, sofern es gewisse Grenzen nicht überschreitet und Du es nur treibst aus vernünftigen Gründen, z.B., um Erholung und Zerstreuung nach anstrengender Berufsarbeit zu haben, zum Zweck der Gesundheitsbeförderung, wie z.B. das Kegelspiel, und[150] sofern es die Anforderungen der Sittlichkeit und des Anstands nicht verletzt. Näherhin merke:

a) Spiele nicht hoch und um des Gewinnes willen.

b) Benimm Dich beim Spielen so, daß Du niemand beleidigst oder kränkst. Beim Spiele zeigt sich genau der Charakter des Menschen, ob er ein ruhiges oder aufbrausendes Temperament habe, ob er eigennützig oder uneigennützig, friedliebend oder rechthaberisch und streitsüchtig, bescheiden und mitfühlend oder anmaßend und lieblos sei.

c) Aeußere über Gewinn nicht helle Freude und zeige nicht Mißvergnügen über den Verlust. Das zeigt von Mangel an Gleichmut und Noblesse des Charakters.

d) Mache aus Habsucht nicht gleichsam Jagd auf das Geld und laß die häuslichen Verhältnisse der Mitspieler nicht außer acht, ob sie durch Verlust nicht in eine unangenehme Lage versetzt werden. Dies offenbart ein eigennütziges Herz und ein rohes Gemüt, das schließlich auch vor Betrug und unerlaubten Vorteilen nicht zurückschreckt.

e) Schaue anderen nicht ins Spiel oder gib ihnen Ratschläge. Das ist peinlich und aufregend für sie.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 147-151.
Lizenz:
Kategorien: