A. Gegen unsere Vorgesetzten (Eltern und Lehrer).

[50] 1. Nach Gott haben wir als unsere nächsten Vorgesetzten zu betrachten und zu ehren unsere Eltern, geistliche und weltliche Erzieher (Lehrer) und Lehrherren.

2. Die Vorgesetzten vertreten die Stelle Gottes, weshalb wir ihnen immer und überall Ehrfurcht und Gehorsam schuldig sind, auch dann, wenn sie mit allerlei Fehlern und Mängeln behaftet sind.

3. Unsere natürlichsten Vorgesetzten sind die Eltern, ihnen müssen wir in erster Linie Liebe und Ehrfurcht erweisen. Es gibt keinen besseren Maßstab für den guten Ton, als die Art und Weise, wie die Kinder ihren Eltern gegenüberstehen und gehorchen. Die hingebende Ehrerbietung der Kinder gegen ihre Eltern ist der Prüfstein einer guten Erziehung und ein größerer Beweis des Anstands und der Wohlerzogenheit, als die äußere Glätte des Benehmens im gesellschaftlichen Verkehr. Ohne Ehrerbietung gegen Eltern gibt es keine wahre Bildung. Merke daher:

4. Ehre und achte Deine Eltern als Deine größten Wohlthäter, denen Du nach Gott alles verdankst, und sei ihnen in Wort und That von Herzen dankbar für alles, was sie an Dir gethan haben oder thun.

5. Gehorche ohne Widerrede, sofort, unbedingt und freudig ihren Befehlen und Anordnungen.

6. Vergiß nie, auch wenn Du noch so alt[50] bist, die Ergebenheit gegen die Eltern. Begegne ihnen nur mit bescheidenem und unterwürfigem Aeußeren, antworte bescheiden und ehrerbietig auf ihre Fragen, sei nie barsch und trotzig gegen sie, widersprich ihnen nicht, reize sie nicht durch Widerspruch zum Zorn, murre nicht, wenn sie Dich tadeln oder zurechtweisen, bitte sie um Verzeihung, wenn Du gefehlt hast, befleißige Dich überhaupt im Wort und in der That der Achtung vor ihnen.

7. Höre gerne ihren Rat. Haben sie veraltete Grundsätze und Ansichten, so lache und spotte nicht darüber; bedenke immer, daß Du den Eltern alles verdankst und daß sie eine sichere Lebenserfahrung vor Dir voraushaben.

8. Haben sie Fehler an sich, so habe Geduld mit ihnen, suche die Achtung gegen sie durch Erinnerung an ihre guten Seiten und an all das, was Du ihnen verdankst, zu erhalten, entschuldige und verteidige sie nötigenfalls vor anderen.

9. Nächst den Eltern sind des Menschen größte Wohlthäter die Lehrer. Auch ihnen ist man Liebe und Achtung schuldig, denn sie üben eine Art heiligenden Amtes aus, indem sie bemüht sind, Herz und Geist der Kinder zu bilden. Erleichtere daher Deinen Lehrern durch freundliches und ehrfurchtsvolles Entgegenkommen die große Verantwortlichkeit, die ihr Amt in sich schließt, sei ihnen gehorsam und dankbar. Dankbarkeit ist das Merkmal eines edlen Herzens und das Kennzeichen echter Bildung und rechtschaffener Gesinnung.[51]

10. Deinem Lehrherrn, Prinzipal usw. erzeige ebenfalls die schuldige Ehrfurcht, Dankbarkeit und Folgsamkeit; verletze nie gegen ihn die Formen der Höflichkeit; sei nicht gleichgültig gegen seine Ermahnungen, nicht unempfindlich gegen gerechten Tadel, nicht trotzig und rechthaberisch, mache vielmehr jede Dir übertragene Arbeit zur rechten Zeit, mit aller Sorgfalt und Pünktlichkeit, möglichst vollkommen.

11. Beweise Deinen Vorgesetzten unter allen Umständen Ehrfurcht. Haben sie sonderbare Charaktereigenschaften oder gewisse Eigenheiten in ihrem Benehmen an sich, so mache Dich ja nicht über sie lustig, sondern sei gerade deshalb doppelt höflich und aufmerksam gegen sie. Gib ihnen deshalb auch keine Spott- oder sogenannte Spitznamen; ist es schließlich auch nicht so ernst gemeint, so ehrt es doch das Herz nicht, namentlich den verdienstvollen, wohlmeinenden Vorgesetzten zu verspotten.

12. Sprich von Vorgesetzten und hohen Personen mit jener Ehrfurcht, die ihrem Stande und Amte gebührt, selbst dann, wenn sie Fehler an sich haben; denn Du mußt das Amt und die Würde, welche sie bekleiden, als eine Einrichtung Gottes achten; wenn uns die Fehler der Mitmenschen berechtigten, ihnen die schuldige Ehre und Achtung zu versagen, wer in aller Welt hätte da noch Anspruch auf Ehre und Achtung, da kein Mensch ohne Fehler ist?

13. Daher rede auch nicht von den Fehlern und Schwächen Vorgesetzter und hoher Personen[52] in ihrer Abwesenheit, besonders nicht vor jungen Leuten; mache sie nicht offenbar, wenn sie noch nicht bekannt sind, oder vergrößere sie. Hörst Du von solchen Fehlern sprechen, so suche sie zu entschuldigen oder suche ein anderes Gespräch anzufangen. Wer dies unterläßt, verletzt die Pflicht der christlichen Nächstenliebe und macht sich des Lasters der Verleumdung und Ehrabschneidung schuldig.

14. Ehre und achte ganz besonders Deine geistlichen Vorgesetzten, halte sie für die von Jesus bestellten Hirten Seiner teuer erkauften Schafe, für die Ausspender der von Ihm eingesetzten Geheimnisse, für die Träger jener Rechte und jener Gewalt, die Christus Seinen Aposteln zurückgelassen hat. Beachte das Wort des Heilandes: »Wer euch hört, der höret Mich, und wer euch verachtet, der verachtet Mich; wer aber Mich verachtet, der verachtet den, der Mich gesandt hat, den Vater im Himmel.«


Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 50-53.
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