2. Gespräch und Unterhaltung.

[86] 1. Drei Forderungen sind es, welche ein für allemal die Grundbedingungen für die Unterhaltung sind und sein sollen:

a) Schweigen und Zuhören.[86]

b) Genaues Ueberlegen dessen, was man sagen will.

c) Aufrichtigkeit und Offenheit.

2. »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold,« sagt ein Sprichwort, und die Heilige Schrift sagt: »Ein jeglicher Mensch sei schnell zum Hören, aber langsam zum Reden.« Diese Lebensweisheit soll sich jedermann, der in die Welt eintritt, und sich in der guten Gesellschaft bewegen will, zum Grundsatz und zur Richtschnur seines Handelns machen.

3. Daher rede wenig, denke viel. Die Rede eines Menschen verrät nicht nur sein Inneres (»Aus der Fülle des Herzens überläuft der Mund« Matth. 12, 34), sondern der Geschwätzige schadet sich oft sehr und meistens ist das Unheil nicht zu berechnen, welches eine böse Zunge bei anderen stiftet. Sehr zu beherzigen sind in dieser Beziehung die Worte der Heiligen Schrift: »Die Zunge, obschon sie ein kleines Glied ist, richtet große Dinge an, wie ein kleines Feuer oft einen ganzen Wald anzündet« (Br. Jak. 3, 5); »viele sind gefallen durch die Schärfe des Schwertes, aber nicht so viele, als durch ihre Zunge zu Grunde gingen« (Pred. Salom. 28, 22) und »viel Reden geht nicht ohne Sünde ab, wer aber seine Lippen mäßigt, ist sehr weise« (Sprichw. 10, 19).

4. Ueberlege, bevor Du sprichst, was Du sagen willst; »Der Mensch muß ein jedes seiner Worte verantworten« (Matth. 12, 36).

5. Sprich nicht über Dinge, die Du nicht verstehst, oder die Du nicht ändern kannst.[87]

6. Deine Reden sollen ferner jederzeit Bescheidenheit, Demut, Aufrichtigkeit, Liebe, Teilnahme, Aufmerksamkeit und Achtung gegen andere verraten; jede Spur von Eitelkeit, Frechheit, Roheit, Unsittlichkeit, Ungezogenheit, Gleichgültigkeit und Falschheit bleibe ferne.

7. Der Grundton aller Deiner Reden sei Wahrheit, Aufrichtigkeit und Offenheit. Daraus folgt aber nicht, daß man alles sagt, was man denkt, sondern es heißt nur: Alles, was Du sagst, muß wahr sein, doch darfst Du nicht alles sagen, was wahr ist.

8. Mußt Du irgend jemand etwas Unangenehmes sagen, so mußt Du auf Zeit, Ort und Umstände Rücksicht nehmen, auf daß Du nicht mehr verderbest, als Du gut machst.

9. Sage nie etwas, was die christliche Nächstenliebe verletzt.

10. Beleidige niemand, betrübe niemand, namentlich keinen Anwesenden. Sei vorsichtig, damit Du nie etwas sagest, was entweder die ganze Gesellschaft oder eine einzelne Person in derselben übel aufnehmen könnte.

11. Gib daher wohl acht, daß Du nichts erzählst, was jemand in der Gesellschaft beleidigen, betrüben oder beschämen könnte.

12. Suche in der Unterhaltung auch sorgfältig zu vermeiden, daß Du irgend einen Umstand zur Sprache bringst, der anderen unangenehm ist. Sprich demnach nicht vor dürftigen Leuten von kostbaren Vergnügungen, vor Schwachen nicht von Gesundheit und Stärke, vor Unglücklichen[88] nicht von Deinem eignen Glücke. Es ist dies nicht nur unhöflich, sondern grausam, denn der Vergleich, welcher dadurch zwischen unserem Zustande und dem der Person, mit welcher man spricht, veranlaßt wird, ist für diese peinlich.

13. Von Abwesenden sprich womöglich gar nicht, wenn aber, dann nur Gutes, nie von ihren Fehlern. Reden andere über Abwesende Böses, so muß die Klugheit entscheiden, wie Du Dich zu verhalten hast. Auf jeden Fall gebietet Dir die christliche Nächstenliebe, mit Liebe zu urteilen, die Fehler des Nächsten, soweit sie sich entschuldigen lassen, zu entschuldigen und seine Ehre zu retten, um so mehr, da sich der Abwesende nicht verteidigen kann. Ist die Sache keiner Entschuldigung oder Verteidigung fähig, so schweige lieber still.

14. Werden Abwesende in einer Gesellschaft gelobt, so laß kein »aber« einfließen und deute nicht durch halbe oder geheimnisvolle Reden, durch hämisches Achselzucken an, daß Du über Deinen Nächsten etwas weißt.

15. So darfst Du auch vor einer Gesellschaft keinen Verdacht äußern, wenn Du glaubst, es sei Dir etwas abhanden gekommen; das wäre für die Anwesenden höchst beleidigend.

16. Hüte Dich überhaupt ver Verleumdung, diesem ansteckenden Gifte in der Gesellschaft. Der Verleumder zieht sich allgemeine Verachtung zu; die Leute werden seine Gesellschaft meiden, da sie annehmen dürfen, daß er bei nächster Gelegenheit in ihrer Abwesenheit ebenso übel von ihnen[89] sprechen werde. Vor dem, der sich ein Geschäft daraus macht, andere zu schmähen, zu verhöhnen, zu lästern und zu verleumden, hüte Dich wie vor der Pest, und verweile, womöglich, nicht in seiner Gesellschaft.

17. Hüte Dich vor Eigenlob und Großsprecherei; Eigenlob ist ein Zeichen von Stolz und eitler Einbildung und macht verächtlich. Der weise Salomo sagt: »Dein eigner Mund soll Dich nie loben; andere müssen es thun, nicht Deine eignen Lippen.« Mußt Du je einmal von Dir selbst sprechen, so thue es mit bescheidener Anspruchslosigkeit und nicht so, daß es den Anschein gewinnt, als ob es Dir um Beifall zu thun wäre. Suche kein Lob, aber suche Dich des Lobes würdig zu machen.

18. Rede nichts, was gegen die Ehrbarkeit und die Sittsamkeit geht, keine Zoten, keine unflätigen Dinge, meide alle zweideutigen Worte, überhaupt alles, was das Scham- und Zartgefühl verletzt, namentlich dem weiblichen Geschlechte gegenüber.

19. Gebrauchen andere in Deiner Gegenwart sittenlose, schlüpfrige und wollüstige Reden, so zeige, daß Du damit nicht einverstanden bist, durch Schweigen oder dadurch, daß Du Dich entfernst.

20. Redet jemand etwas wider Gott, Religion und religiöse Dinge, so gib ohne Menschenfurcht Dein volles Mißfallen zu erkennen.

21. Hast Du von Dingen zu sprechen, die man nicht gerne in den Mund nimmt, und die, gerade ausgedrückt, reine Ohren beleidigen oder[90] Ekel erregen oder garstige Bilder in der Seele hervorrufen, so umschreibe mit Schamhaftigkeit, Bescheidenheit und in einer guten Art. Vermeide aber, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, von solchen Dingen zu sprechen; auch die Redensart, »mit Respekt zu sagen« oder »mit Achtung zu sagen«, ist für derartige Reden keine Entschuldigung.

22. Laß nicht Flüche und ähnliche Ausdrücke von Dir hören, wie »Donnerwetter!« »Teufel!« »Jesus, Maria, Joseph!« »Mein Gott« usw., wie sie so gerne gebraucht werden, denn »Du sollst den Namen deines Gottes nicht vergeblich führen«. Mische in Deine Reden auch keine nichtssagenden Formeln und Beteuerungen, z.B. »Warum nicht gar!« »Ei der Tausend!«. »Hören Sie nur!« »Ich will nicht ehrlich sein!« usw.

23. Sei mit dem Scherz vorsichtig, denn die Schranken des echten Scherzes sind sehr enge und es gehört ein seines Gefühl dazu, dieselben nicht zu üb erschreiten. Der Scherz setzt meistens eine gewisse Vertraulichkeit und eine gewisse Gleichheit und Aehnlichkeit der Verhältnisse voraus, wenn er schicklich sein soll. In Bezug auf den Scherz merke daher folgendes:

a) Du darfst beim Scherze nie persönlich werden, d.h. nicht über eine anwesende Person scherzen; es ist nicht jeder gleich gelaunt, und mancher nimmt einen Scherz übel auf, obgleich der Scherzende selbst es nicht bös gemeint hat. Mache deshalb nur Sachen zum Gegenstand Deiner Scherze.[91]

b) Zum Gegenstand eines sogenannten Spasses darfst Du nie machen, was andere beleidigt, dem Gelächter aussetzt, beschämt, beschädigt, betrübt oder in Verlegenheit bringt.

c) Du darfst nie über etwas Ehrwürdiges scherzen; also z.B. nie über Religion und Glaubenslehren. Auch darfst Du nicht Stellen der Heiligen Schrift zum Scherzen benützen.

d) Scherze dürfen nie Anspielungen auf Dinge enthalten, die der Sittlichkeit entgegen sind.

e) Du darfst nicht mit jedermann scherzen. Scherz mit Vorgesetzten ist Mangel an schuldiger Achtung, Scherz mit Untergebenen ist nicht edelmütig. So bleibt nur der Scherz mit Seinesgleichen, und auch hier darf er selbstverständlich nie beleidigend werden.

24. Gib anderen keine Spott- und Uebernamen, dies verrät Unvernunft und Lieblosigkeit. Ueberhaupt spotte nicht über andere, besonders nicht über etwaige körperliche Gebrechen derselben. »Was du nicht willst, daß man Dir thu', das füg' auch keinem andern zu.«

25. Meide sorgfältig, von Deinen eignen Verhältnissen zu sprechen; stelle Dich einerseits nicht als Muster hin für diese oder jene Fälle, das verrät Eitelkeit und Selbstüberhebung; anderseits sprich nicht zu viel von häuslichem Unglück und unangenehmen Familienangelegenheiten, dadurch werden die geselligen Freuden gestört und Du machst Dich bei der Gesellschaft unangenehm.

26. Sei nicht tadelsüchtig. Hast Du an anderen etwas zu tadeln, so thue es nicht in bitterer[92] oder beleidigender Form; suche durch liebreichen Ausdruck gleichsam das Bittere des Vorwurfs und Tadels zu versüßen; Du wirkst dadurch mehr als durch Bitterkeit.

27. Sei behutsam und haushälterisch in Erteilung Deines Rates an andere; besonders gib ihn nicht, ohne darum gebeten oder gefragt worden zu sein. Einerseits gibst Du Dir durch ungebetenes Raterteilen den Anschein, als wissest Du alles besser als andere, anderseits wirst Du schließlich, wenn eine Sache, zu der oder in der Du geraten hast, schlimm ausfällt, für den schlimmen Ausgang verantwortlich gemacht; geht sie gut aus, so erntest Du vielleicht noch Undank. Es kommt auch viel darauf an, wer Du bist, und wer der andere ist. Es wäre z.B. unschicklich, wenn ein unerfahrener Jüngling dem gereiften, erfahrenen Greise einen Rat erteilen würde.

28. Verbirg in der Gesellschaft möglichst Mißvergnügen und üble Laune, um nicht das Vergnügen und die Zufriedenheit anderer zu stören. Jeder hat die Pflicht, das Seinige zu den gesellschaftlichen Freuden beizutragen.

29. Für den Katholiken sind vom Gespräch durchaus ausgeschlossen:

a) Reden gegen die Kirche und ihren Einrichtungen, gegen den Papst, die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute, Spottreden über die Heiligen, die Wunder, den Gottesdienst, kirchliche Gebräuche und fromme Uebungen;

b) sittenlose und unziemliche Reden, die ein keusches Ohr verletzen und schlüpferige Vorstellungen[93] in der Einbildung erwecken, wie zweideutige Ausdrücke, Zoten, Skandalgeschichten;

c) selbstverständlich alles, was nur irgendwie die christliche Nächstenliebe verletzt.

30. Soll ein Gespräch wirklich gut sein, so müssen folgende Anforderungen erfüllt werden:

a) Sei im Gespräch anständig;

b) sei zart und gewissenhaft;

c) diskret und behutsam;

d) bescheiden und liebevoll;

e) interessant und friedliebend.

31. Uebrigens habe im Umgang und in der Gesellschaft, im Handeln und Reden immer das Bild eines Mannes von guter und seiner Lebensart vor Augen. Ihn charakterisiert hauptsächlich das natürliche Wesen, die Abwesenheit alles Zwanges wie aller Spuren von Verlegenheit, die Leichtigkeit, mit der er ein Gespräch anzufangen weiß, die anscheinende Gelassenheit und Ruhe, auch bei der sorgfältigsten Achtsamkeit auf seine Worte, Geberden und Handlungen, die mit Ehrerbietung verbundene Freimütigkeit gegen Höhere, die Höflichkeit gegen Niedere, welche der Würde nichts vergibt, der vertrauliche Ton mit Seinesgleichen, der doch nie aus den Schranken des Anstands tritt, das Talent, mitten im Geräusche und unter den Großen, selbst höchsten Personen, in einem ebenso behaglichen Zustande zu sein oder doch zu scheinen, als wenn er allein oder unter seinen vertrautesten Freunden wäre.
[94]

Es sei uns gestattet, hier noch einige Worte über das Rauchen zu sagen.

1. Vor dem zwanzigsten Lebensjahre sollte niemand rauchen.

2. Rauche nie an einem Orte, wo man nicht zu rauchen pflegt, oder in einer Gesellschaft, wo kein anderer raucht.

3. In Gegenwart einer Dame soll man nie rauchen, es sei denn, daß dieselbe die Erlaubnis hierzu erteilt. Klüger ist es aber, gar nicht um diese Erlaubnis zu fragen, damit man sich keiner Abweisung aussetzt.

4. Bist Du eingeladen, so warte, bis man Dir eine Zigarre anbietet, frage dann aber erst die Dame des Hauses um Erlaubnis. In den meisten Fällen wirst Du, wenn Damen anwesend sind, gut daran thun, gleich von vorneherein das Anerbieten abzulehnen.

5. Rauchst Du, so rauche nicht zu stark, damit andere nicht belästigt werden; blase niemand, am wenigsten aber einer Dame, den Rauch ins Gesicht.

6. Nimm, solange jemand mit Dir spricht, die Zigarre aus dem Munde.

7. Gehst Du in ein fremdes Haus, so muß die Zigarre vor dem Eintritt weggelegt werden.

8. Rauche nie im Postwagen oder im Eisenbahncoupé, wenn es anderen lästig ist. Es ist deshalb zu vermeiden, weil es gar vielen, besonders Damen lästig ist und zwar auch bei geöffnetem Fenster wegen des entstehenden Luftzuges und der Belästigung durch den Rauch.

9. Im allgemeinen thue auch im Rauchen[95] nicht zu viel, sondern nimm jede mögliche Rücksicht auf andere, wenn anders Du als ein wohlerzogener, anständiger und höflicher Mensch gelten und Dir die Zuneigung und Achtung Deiner Mitmenschen erringen und sichern willst.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 86-96.
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