XX. Der Verräter.

[107] Hier begab ich mich zunächst in ein der »Neuen Wache« nahegelegenes Café, denn ich war selbst begierig, zu erfahren, welchen Verlauf die Dinge in Berlin nehmen würden. Ich sah von hier aus mit an, wie die Wagen in Berlin eintrafen.

Als ich nach dem Eintreffen des Bürgermeisters vor der »Neuen Wache« erkannt hatte, daß meine Befehle pünktlich ausgeführt waren, verschaffte ich mir einen Zivilanzug und kleidete mich dann sofort um, so daß ich unbemerkt in der späteren Abendstunde meine Wohnung wieder erreichen konnte.

Ich hatte keine Veranlassung zu glauben, daß meine Entdeckung durch die Ermittlungen der Polizei erfolgen würde, denn ich war den Personen, mit denen ich in Berührung gekommen war, persönlich unbekannt. Selbst meine Hausgenossen konnten keine Ahnung davon haben, daß ich in irgendeiner Beziehung zu der Köpenicker Affäre gestanden hätte.

Ich bin wiederholt an den Litfaßsäulen gewesen und habe dem Publikum Proklamationen der Behörde vorgelesen.


Die Behörde würde auch den »Hauptmann von Köpenick« noch heute vergeblich suchen, wenn sich nicht ein »Judas« gefunden hätte,


der den ausgesetzten Lohn von dreitausend Mark sich verdienen wollte.[108]

Vor etwa sieben Jahren hatte ich im Gespräch mit Gefangenen, die sich darüber unterhielten, wie schwer es sei, mal ein ordentliches Geschäft zu machen, weil man so selten genügend Leute zusammenbekommen könnte, auf die wirklich Verlaß wäre, geäußert:

»Ihr Einfaltspinsel, wenn ich mich zu derartigen Sachen hergeben wollte, dann würde ich mir einfach Soldaten von der Straße holen!«

Diese hingeworfene Bemerkung hatte sich mein lieber Freund Kallenberg gemerkt. Jetzt war eine derartige Sache wirklich ausgeführt worden, und da entsann er sich sofort unserer damaligen Unterredung.

Er machte von diesem seinen Wissen der Behörde Mitteilung. Da ich stets angemeldet gewohnt habe und auch der Arbeitsplatz, auf dem ich beschäftigt war, den Behörden bekannt war, so war es leicht, meinen Aufenthaltsort festzustellen.

Daß der Streich von der Seite kommen würde, daran dachte ich nicht. Mit diesem Mann hatte ich achtzehn Jahre lang Freud und Leid geteilt, und niemand anders als er war schuld daran, daß ich damals zu einer so fürchterlichen Strafe verurteilt worden war.

War es wirklich so schlimm, wie die Staatsanwaltschaft im ersten Augenblick glaubte, so blühten mir wieder fünfzehn Jahre. Hatte das jener Mensch bedacht, als er mich um einer doch verhältnismäßig geringfügigen Summe willen verriet?!..

Die Polizeibehörde war, als sie mich in meiner Wohnung aufsuchte, noch keineswegs davon überzeugt, daß ich wirklich[109] der Hauptmann von Köpenick wäre. Ich wurde deshalb in freundlicher Weise gebeten, zwecks einer Unterredung mit nach dem Polizeipräsidium zu fahren. Von einer Verhaftung in meiner Wohnung ist nie die Rede gewesen, sie konnte auch nicht stattfinden, bevor festgestellt war, daß ich wirklich der Täter war.

Der Ruhm, den sich die Polizeibehörde aus meiner Entdeckung holen wollte, gebührt ihr in diesem Falle keineswegs. Auf dem Polizeibureau gestand ich sofort zu, daß ich der Hauptmann wäre.

Der Chef der Kriminalpolizei verhandelte in der freundlichsten Weise mit mir. Nur als die Herren in etwas freier Weise sich über die Köpenicker lustig machen wollten, erklärte ich ihnen mit dürren Worten,


daß es den Herren von der Polizei genau ebenso ergangen wäre, wenn es mir gefallen hätte, auf das Berliner Polizeipräsidium zu kommen!


Und als sie das in Abrede stellten und sich auf ihr besseres Wissen und ihre größere Einsicht in solchen Fällen bewiesen, da machte ich es ihnen gleich in drastischer Weise vor, wie es ihnen etwa ergangen wäre, und ich glaube, sie gestanden stillschweigend ein, daß sie keinen Grund hatten, andre zu belächeln.

Bei der in meiner Gegenwart unter den Beamten stattfindenden Konferenz über die weitere Führung der polizeilichen Untersuchung bemerkte ich, daß sie in ihrem Diensteifer soviel wie möglich Beweismaterial herbeischaffen wollten und beabsichtigten, die Untersuchung noch auf andere Personen, meine vermeintlichen Helfer, auszudehnen.[110]

Um ihnen nun in dieser Beziehung den Paß zu verhauen, band ich ihnen manchen hübschen Bären auf; auch wurden sie in dem Bestreben, sich meiner Uniformstücke zu bemächtigen, von mir an der Nase herumgeführt. Sie haben hinterher den ganzen Kreuzberg umgegraben, in der Hoffnung, doch meine Kleidung zu finden.

Daß mir dies bei allem Unbehagen einen gewissen Genuß gewährte – wer wird es mir verargen?

Quelle:
Voigt, Wilhelm: Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde: mein Lebensbild. Leipzig; Berlin 1909, S. 107-111.
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