22. Besuch am Krankenbett

[132] Wer als Kranker das Bett hüten muß, hat oft Stunden der Langweile, in denen er sich nach nettem Besuch sehnt, um ein wenig plaudern zu können. Ein andrer Kranker, der mit hohem Fieber darniederliegt und vielleicht einer ernsten Krise entgegensieht, möchte möglichst allein sein, denn er will nichts hören und vor allem nicht sprechen.

Daraus erhellt, daß es für den Besuch am Krankenbett keine einheitlichen Verhaltungsmaßregeln geben kann.

Nehmen wir einmal einen leichten Fall an.

Horst Günter hat sich beim Fußballspielen einen Knöchel gebrochen und der Arzt hat für die Dauer von zwei bis drei Wochen strenge Bettruhe angeordnet. Am zweiten Tag besucht ihn gegen Abend sein Freund Udo, der den Kranken quietschvergnügt antrifft. Horst Günter hat weder Schmerzen noch sonstige Beschwerden. Neben seinem Bett hat er einen Stapel Bücher und der Inhalt des Aschenbechers gibt Aufschluß darüber, daß der Kranke in der Zigarette einen guten Tröster gefunden hat.

Udo sitzt fast zwei Stunden am Bett des Kranken, hilft ihm, den Rest Zigaretten zu vertilgen und beide unterhalten sich sehr lustig. Es wird über Sport, über Tanz und ähnliche Dinge geplaudert. Udo verspricht schließlich beim Abschied, recht bald wiederzukommen. –[132]

Wesentlich anders liegen die Dinge bei einem ernsten Krankheitsfall, beispielsweise nach einer schweren Operation. – Apathisch liegt dann die Kranke da – hin und wieder hallen vom Flur der Klinik her Schritte an ihr Ohr, die bald wieder verschwinden. Sonst ist kaum ein Laut zu hören.

Da öffnet sich fast lautlos die Tür und die Schwester der Kranken nähert sich unhörbaren Schritts dem Bett der Patientin. Sie selbst hat vor zwei Jahren eine ähnliche Operation durchgemacht und kann wohl ermessen, wie der Kranken jetzt zumute ist.

»Den obligaten Blumenstrauß, den ich dir zugedacht habe, bekommst du erst in einigen Tagen,« erklärt die Schwester, die weiß, daß duftende Blumen im allgemeinen nicht ins Zimmer einer Schwerkranken gehören. Sie weiß auch, daß man einer Kranken keine weißen Blumen schenken soll, denn etwaiger Aberglaube ist in solchen Tagen besonders stark. Die Patientin soll nicht an den Tod erinnert werden.

Jeden Krankenbesuch soll man so gestalten, daß er erfreut und keinen Schaden anrichtet. Schwerkranke sollte man keinesfalls noch nach sechs Uhr abends aufsuchen, weil später die Möglichkeit einer Aufregung größer ist. Völlige Ruhe ist immer ein wichtiger Heilfaktor.

Wie und wovon soll man nun am Krankenbett reden? –

Das »Wie« ist so zu beantworten: nicht zu laut, nicht zu schnell, nicht zu viel! – Es muß ein gedämpftes, halblautes Plaudern sein. Der oder die Kranke darf nicht veranlaßt werden, scharf nachzudenken, das würde eine zu große Anstrengung bedeuten. Darum soll man auch nicht zu viele Fragen an den Kranken richten.

Wenn der Kranke selbst Neigung zum Plaudern hat, lassen wir ihn plaudern. Wird er zu lebhaft, dann versuchen wir, ihn freundlich abzulenken.

Und nun die Frage: Wovon soll man am Krankenbett sprechen? – Nun, zunächst wird die Krankheit selbst, gegebenenfalls der Eingriff, im Mittelpunkt der Unterhaltung stehn. Der oder die Kranke wird wohl das Bedürfnis haben, zu klagen und über die einzelnen Beschwerden – oft sehr eingehend – zu sprechen. Da muß man schon recht geduldig zuhören und trösten. Man wird dem Kranken vor allem Mut zusprechen und hinzufügen, daß diese Beschwerden unerläßlich[133] seien, daß sie die Heilung förderten und bald verschwinden würden.

Wer am Krankenbett eines andern sitzt, soll nicht mit seiner eigenen Gesundheit renommieren und auch nicht zu viel von dem bunten, vielgestaltigen, sonnigen Leben da draußen sprechen. Man muß eben versuchen, sich in den seelischen Zustand des Kranken zu versetzen, dessen ganzes Denken nur um den einen Punkt kreist: Wie werde ich meine Beschwerden los und wann werde ich wieder gesund sein?

Daß man am Krankenbett nicht rauchen darf, ist wohl selbstverständlich. Der Arzt oder die Schwestern würden entsetzt sein. – Die Frau, die eine Schwerkranke besucht, sollte vorher jedes Parfüm meiden, denn auch dieser Duft gehört nicht in ein Krankenzimmer. Wenn man der Kranken dagegen ein Fläschchen Kölnisch Wasser zur Erfrischung überreicht, wird sie dafür dankbar sein.


22. Besuch am Krankenbett

Damit kommen wir zu der Frage, was man sonst noch mitbringen kann. Von Blumensprachen wir bereits. Hat der Kranke schon Eßlust, so sind saftige Früchte angebracht, weniger geeignet für Bettlägerige ist Schokolade. Ist dem Kranken bereits das Lesen gestattet, so wird er sich über ein Buch freuen, dessen Inhalt nicht aufregend ist. – Nicht dringend genug kann davor gewarnt werden, dem Kranken, der in ärztlicher Behandlung ist, ein Heilmittel mitzubringen, das »bei Tante Eulalie, die dasselbe hatte, fabelhaft geholfen hat«. Man könnte damit viel Unheil anrichten. Wer sich in Betreuung des Arztes befindet, soll sich nur seinen Anordnungen fügen, jeden andern Rat aber zurückweisen. Das ist wohl selbstverständlich.

Und nun einen letzten Rat: besuchst du einen Schwerkranken, bleib' nicht lange! Du mußt fühlen, daß deine Anwesenheit dem Kranken Unruhe bringt. Sobald die leiseste Spur der Ermüdung erkennbar wird, muß dir das ein Signal sein, dich zurückzuziehen. Die aus dem Krankenbett[134] vielleicht kommende Bitte, doch noch zu bleiben, kann eine Geste der Höflichkeit aber auch eine Unterschätzung der Nervenbelastung sein.

Beim Abschied wird man dem Kranken Mut zusprechen und der Überzeugung Ausdruck geben, daß man ihn beim nächsten Besuch in einem viel besseren Zustand antreffen werde.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 132-135.
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