Anredeformen.

[258] In Frankreich herrschen bekanntlich republikanisch einfache Anredeformen. Man redet den Herrn »Monsieur«,die Dame »Madame« an ohne Hinzufügung eines Titels. Wir Deutschen hängen noch an dem Brauch, der jedem den ihm zustehenden Titel bei der jedesmaligen Namensnennung giebt. So redet man den Professor A. nicht »Herr A.«, sondern »Herr Professor«, einen Inspektor E. nicht »Herr E.«, sondern »Herr Inspektor« an.

Daß sich auch Herren untereinander, falls sie nicht intim genug bekannt sind, um sich mit dem Zunamen allein anzureden, dieses Vorrechts nicht begeben, liegt in den Klassenverhältnissen. Auf die Anreden der Frau jedoch sollten die Titel des Mannes nicht von Einfluß sein. Die Frau eines Majors »Frau Major« zu nennen, hat keinen Sinn. Die Frau teilt Namen und Stellung, aber nicht die Würde des Mannes.

Leider ist jedoch diese unglückselige Titelsucht, die zur größten Lächerlichkeit werden kann – wir erwähnen nur die »Frau Katasterkontroleurhilfsarbeiter« – noch fest eingewurzelt und hat gar viele Verfechterinnen[258] unter den Frauen, obgleich es nicht an einsichtsvollen weiblichen Federn mangelt, welche die Haltlosigkeit des Titelanspruchs darthun. In höheren Kreisen ist es gang und gäbe, daß die Damen untereinander sich »gnädige Frau« anreden. Junge Damen sagen zu der Frau eines viel Höherstehenden wohl auch »gnädigste Frau«. Den Titel des Mannes erwähnt man ausschließlich bei Vorstellungen, wo er zum Verständnis unentbehrlich ist. »Frau Hauptmann B.«, »Frau Geheimrat F.« Man ist orientiert, während »Frau B.«, »Frau F.« Anlaß zu beiderseitigen Nachfragen an die liebenswürdige Wirtin geben würde.

Der Geburtstitel muß selbstverständlich streng beachtet werden. Eine Gräfin »gnädige Frau« zu nennen, ist falsch. Sie wird von Damen »Frau Gräfin«, von gleichstehenden Damen »liebe Gräfin«, von Herren dagegen »gnädigste Gräfin« angeredet. Eine unverheiratete Gräfin wird »Comtesse« (nicht Fräulein Comtesse!) und von Herren »gnädige« oder »gnädigste Comtesse« angeredet. Auf der Visitenkarte würde sie dagegen später schreiben:


Anredeformen

Ein Graf wird »Herr Graf«, von gleichstehenden »Graf« angeredet. Ist er gleichzeitig Oberst oder Regierungspräsident,[259] so geht der Geburtsrang in diesem Fall über den Titel. Einzig das Prädikat »Excellenz« steht über dem Grafentitel. B. von York behauptet zwar in seinem trefflichen Buch »Lebenskunst« das Gegenteil, wir stehen jedoch besagten Kreisen so nahe, daß man uns schon erlauben muß, ihn dahin zu korrigieren, daß z.B. ein kommandierender General, der gleichzeitig Graf ist, »Excellenz« anzureden ist. Seine Frau, obgleich der Sprachgebrauch den Gattinnen einer Excellenz den gleichen Titel zugesteht, wird »gnädigste Gräfin« genannt. (Der Titel »Excellenz« kann auch an Damen allein verliehen werden).

Ein Freiherr wird in mündlicher Anrede, »Herr Baron« oder einfach »Herr von M.« genannt, nie »Herr Freiherr«, eine Freifrau »Frau Baronin«, »gnädigste Frau« oder »Frau von M.« (dies nur von Damen!). Bei Vorstellungen sagt man: »Erlauben Sie, daß ich Ihnen Freiherrn und Freifrau von M. vorstelle,« oder »Herr und Frau Baron von M.« Die Tochter eines Freiherrn – Freiin – wird nie »Freiin« angeredet. Man nennt sie »Baronesse« oder »gnädigstes Fräulein«. Auf der Besuchskarte heißt es dagegen


Anredeformen

[260] Den Häuptern der gräflichen Häuser der vormals reichsständischen Familien gebührt der Titel »Erlaucht«, den Häuptern der fürstlichen Häuser das Prädikat »Durchlaucht«.

Herzöge und ihre Gemahlinnen, soweit diesen nicht durch ihre Geburt ein höherer Rang zusteht, werden »Hoheit«, Prinzen aus herzoglichen Häusern werden »Durchlaucht« angeredet. Großherzöge, Prinzen und Prinzessinnen aus königlichen Häusern heißen »Königliche Hoheit«, Kaiser und Könige »Majestät«, die Prinzen und Prinzessinnen aus Kaiserfamilien »Kaiserliche Hoheit«. Der Rektor einer Universität und die regierenden Bürgermeister der Hansastädte werden »Ew. Magnificenz«, der Papst »Ew. Heiligkeit« angeredet.

Die direkte Anrede vermeidet man im verbindlichen Verkehr. So wird man nicht sagen: »Hoheit, was befehlen Sie?«, sondern »Hoheit befehlen?« »Herr Präsident sagten?« Herren wenden aus Höflichkeit im Verkehr mit Damen ebenfalls die dritte Person an: »Wenn gnädige Frau gestatten, werde ich mir erlauben, vorzusprechen,« »gnädiges Fräulein verlieren eine Nadel«.

Auch junge Mädchen halten es ähnlich im Gespräch mit würdigen alten Damen. »Erlauben gnädige Frau, daß ich mich hierher setze?«

Daß Dienstboten sich ebenfalls der Anrede in der dritten Person bedienen sollten, wurde im Abschnitt »Herrschaft und Dienstboten« erwähnt.

Sehr viele Damen sind im Unklaren, wie sie die Herren anzureden haben. In militärischen Kreisen ist es Sitte, daß der Titel gänzlich fortgelassen wird. So[261] nennt die Frau eines Lieutenants den Obersten von B. »Herr von B.«, den Major von T. »Herr von T.«. In richtiger Konsequenz sollte sie nun aber auch den bürgerlichen Hauptmann M. »Herr M.« nennen. Leider stolpert hier noch oft die Zunge, und es kommt zu einem »Herr Hauptmann«, was unsäglich nach Kommiß klingt. Der Betreffende, dem man durch das »Herr Hauptmann« ein Pflaster auf seinen bürgerlichen Namen zu legen bestrebt war, empfindet völlig klar, daß man mit ihm einen Unterschied macht, und das kränkt ihn. Also nur ja ein offenes »Herr Schubert«, »Herr von Waner«, da hat keiner etwas vor dem andern voraus, als was die Geburt ihm gab. Den Titel sollen Damen nur dann erwähnen, wenn sie von dem Betreffenden reden oder ihn vorstellen.

Daß im freundschaftlichen Verkehr wohl auch manche Schranken fallen, ist selbstverständlich. Herren werden sich bloß mit dem Familiennamen, Damen bloß »Frau B.« oder »Frau v. Z.« statt »gnädige Frau« anreden.

Aus solcher Gesinnung und Neigung erwächst auch die Duzfreundschaft.

Jugendfreunde pflegen sich ihr Leben lang zu duzen. Junge Mädchen behalten das »Du« aus ihrer Mädchen- und Schulzeit als Frauen und Mütter bei. Hat man den oder die Betreffende lange nicht gesehen und ist im Zweifel, ob man »Sie« oder »Du« sagen soll, so warte man, ist der andere der Höhergestellte, die Anrede von seiner Seite ab und richte sich danach, auch wenn sie anders ausfällt, als nach Wunsch und geheimem Hoffen.[262]

Ist man jedoch selbst der Aeltere und Höherstehende, so folge man dem alten Jugendbrauch und mache dem Zögern durch ein freundliches »Wie geht es Dir?« oder »Hast Du auch das Du nicht vergessen?« ein Ende. Wenn sich Menschen so nahe treten, daß ihnen der Ausdruck »Du« für ihre gegenseitige Zuneigung das einzig Richtige erscheint – wir fühlen uns verpflichtet einzuschalten, daß es auch treue, zuverlässige und eng verbundene Freunde giebt, die ruhig bei dem »Sie« bleiben – dann werden sie mit einer Umarmung und einem Kuß das »Du« besiegeln.

Nie darf das »Du« aber ein Deckmantel für vernachlässigte Formen, Nonchalance im Betragen und Rücksichtslosigkeit werden.

Dein Duzfreund hat wohl Anspruch auf Vertrauen, auf Vertraulichkeit, aber nie darfst du den ungezwungenen Verkehr, den seine Liebe dir erlaubt, zu einem ungebundenen werden lassen.

Bei Familienfesten, wie Hochzeiten, Taufen etc., wird häufig in der Weinlaune das Duzen verabredet, oft von Menschen, die wenig Sympathie vereinigt, die sich eben erst kennen gelernt haben. Am andern Morgen möchte der eine oder der andere Geschehenes gern ungeschehen machen. Dies ist jedoch unmöglich, und es gilt gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Darum Vorsicht, wem du das, »Du« anbietest!

Gar oft erleben wir es, daß uns die Kinder unserer Bekannten über den Kopf wachsen. Noch vergangenes Jahr zog man Mieze neckend am blonden Zopf; und heute steht die fix und fertige junge Dame,[263] aus der Pension zurückgekehrt, vor uns. Vor noch gar nicht langer Zeit sahen wir einen gewissen jungen Mann mit Vorliebe auf unserm Kirschbaum seine turnerischen Uebungen machen, und heute belehrt uns ein Blick in das hübsche Jünglingsgesicht mit dem leisen Schatten unter der Unterlippe, daß wir alt werden. Wir greifen in beiden Fällen zum »Sie« bei unserer nächsten Begegnung. Das junge Mädchen wie der junge Mann werden sich beeilen, falls wir zu den nächsten Bekannten gehören, uns um die sie ehrende Fortsetzung des »Du« zu bitten.

Von Fernerstehenden, Untergebenen, Dienstboten, werden sie es sich aber ohne Widerrede und wohl nicht ganz ungern gefallen lassen.[264]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 258-265.
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