Ein Kapitel vom Grüßen.

[276] »Morgen, Bob, alter Freund! Freut mich, Dich zu sehen!« Die Herren schütteln sich die Hand. »Rauchst Du?«

»Danke! Warum ich Dich schon zum Frühstück überfalle? Ja, (mit einem kleinen verlegenen Lächeln) ja, siehst Du, um mir von Dir alten Freunde Rat zu holen. Wenn man wie ich zehn Jahre im Far wild West zugebracht hat in der einzigen Gesellschaft eines Kaffern, dessen sprichwörtliche Höflichkeit Dir ja bekannt ist, so verbauert man selbst, ohne es zu wollen, vielleicht ohne es zu merken. Man verlernt aus Mangel an Uebung so manche Höflichkeitsform, wirst wohl auch gar manche als unnötigen Ballast über Bord. Jedoch hier in unserem guten Europa – weißt Du, ich möchte nicht gern auffallen, umsoweniger – –«

»Als Du Dir hier eine Herrin für Dein kleines Königreich im Westen zu holen beabsichtigst und darum Dich von der besten Seite zeigen möchtest!«

»Erraten! Also, wenn Du mir helfen wolltest –«[276]

»Selbstverständlich und mit dem Recht unserer Kinderfreundschaft! Also frage nur zu. Was möchtest Du zuerst wissen?«

»Sag mir, wie begrüße ich hier die Menschen? Wie weit darf ich in meiner Begrüßung gehen?«

»Du grüßt Bekannte auf der Straße durch Abnehmen des Hutes mit der Rechten, indem Du den oder die Betreffende gleichzeitig ansiehst. Du hältst den Hut wagrecht in Kopfhöhe vom Kopfe entfernt, solange Du an dem Betreffenden vorbeigehst. Fange daher nicht zu früh mit dem Gruße an, damit ihr nicht beide schon fertig seid, ehe ihr aneinander vorbeigeht. Die Cigarre hast Du natürlich aus dem Munde genommen. Auch wäre es unpassend, behieltest Du beim Gruße die andere Hand in der Tasche. Eine Verbeugung des Oberkörpers unterbleibt. Nur der Gruß im Hause verlangt eine solche. Gehst Du mit andern, so unterbrichst Du auf einen Augenblick die Konversation, wendest den Kopf nach dem zu Grüßenden und widmest ihm Deine Aufmerksamkeit. Du hast ferner jeden mitzugrüßen, den Dein Begleiter grüßt. Begegnest Du einem Herrn, der mit einer Dame geht, und wäre derselbe auch jünger wie Du und müßte Dich, wäre er allein, füglich zuerst grüßen, so mußt Du jetzt zuerst grüßen. Fährt der Herr eine Dame am Arm – er grüßt alsdann mit der linken Hand – so grüßest Du als Einzelgehender die Dame, indem Du, selbst wenn Du sie nicht persönlich kennst, bei Deinem Gruße erst sie, alsdann den Herrn ansiehst. Es ist dies ein Akt der Höflichkeit gegenüber dem Dir bekannten Begleiter der Dame.[277]

Die Dame dankt selbstverständlich für den Gruß, nur wenn ihr Gatte von Untergebenen dienstlich gegrüßt wird, grüßt sie nicht mit.

Begegnest Du nach kurzer Pause derselben Persönlichkeit wieder, z.B. beim Auf- und Abpromenieren bei der Musik, im Foyer des Theaters, so grüßest Du nicht wieder. Anders liegt der Fall, wenn Du dem Betreffenden zwar nach kurzer Frist, aber an einem andern Orte wieder begegnest. Freund G. und Du, Ihr seid zusammen in der Straßenbahn gefahren. Nach 10 Minuten trefft Ihr Euch wieder. In diesem Fall fällt die obenerteilte Erlaubnis, den Gruß zu unterlassen, weg.

Bleibt Dein Begleiter auf der Straße stehen, um mit einem Bekannten einige Worte zu wechseln, so gehst Du langsam voran und wartest, bis die beiden sich trennen.

Wirst Du von der Persönlichkeit, die Du grüßest, angeredet Du selbst darfst nur Gleichgestellte, nie aber Höherstehende ansprechen und sie giebt Dir die Hand, so nimmst Du, während Du den Händedruck austauschest, den Hut wieder ab (Offiziere fassen nochmals an die Mütze), behältst ihn in der linken Hand und setzest ihn erst wieder auf, wenn Eure Hände sich trennen. Bei Vorgesetzten, Respektspersonen und Damen wartest Du auf das Wort: ›Bitte, bedecken Sie sich doch!‹ ehe Du den Hut wieder aufsetzest. Damen sollten mit diesem Wort zur Winterszeit nicht geizig sein!«

»Bei Damen muß ich doch die Initiative zur Anrede ergreifen?«

»Gewiß, Damen werden nie einen Herrn auf der Straße anreden. Gesetzt den Fall, eine Dame hätte[278] einem ihr begegnenden Herrn eine eilige Mitteilung über irgend eine Verabredung, Aufforderung zu einer gemeinschaftlichen Partie zu machen, so verlangsamt sie ihren Schritt, ohne stehen zu bleiben, hebt vielleicht auch den Muff, die Hand ein wenig, um sich bemerkbar zu machen. Der aufmerksame Herr wird sie verstehen, seinerseits mit dem Hute in der Hand stehen bleiben und, merkt er, daß ein Stillstehen im Straßengewühl nicht angängig ist, mit den Worten: ›Wollen Sie mir gestatten, ein paar Schritte mitzugehen?‹ die linke Seite der Dame zu gewinnen trachten. Hat er die Erlaubnis erhalten, so bedeckt er sich. Die Dame hat nun ihrerseits, sobald das zu Besprechende erledigt ist, unter einem schicklichen Vorwand sich von dem Herrn zu trennen. Liese der Herr fort, so wäre dies eine große Unart gegen die Dame. Die Dame wiederum kann bei uns – ein wesentlicher Unterschied gegen die Dir bekannten amerikanischen Verhältnisse – nicht längere Zeit in der Begleitung eines Herrn gesehen werden, ohne daß sich der Klatsch, die liebe Nächstenliebe mit Interesse des Falles an nimmt.«

»Aber giebt es nicht geradezu Fälle, wo ich eine Dame anreden muß, will ich nicht in den Ruf eines unhöflichen Mannes kommen? Ich habe z.B. in dem Hause der betreffenden Dame am Abend vorher verkehrt, sehe sie am andern Tage und kann nun doch nicht an ihr vorbeigehen ohne die Frage, wie ihr die Gesellschaft bekommen sei.«

»Ist es eine verheiratete Frau, so kannst Du sie, auch wenn sie allein geht, daraufhin anreden, vorausgesetzt,[279] daß Deine Bekanntschaft keine allzu oberflächliche ist. Ein junges Mädchen, das allein geht, anzureden, hieße es in Verlegenheit bringen, ihm vielleicht sogar in den Augen anderer schaden. Ist die junge Dame in Begleitung ihrer Mutter oder eines andern Dir bekannten Schutzes, so kannst Du es wagen, sie anzureden, d.h. Du wirst Dich selbstverständlich erst der Mutter zuwenden und diese mit ausgezeichneter Höflichkeit begrüßen und dann erst die Tochter anreden, und zieht Dein Herz Dich noch so sehr an die Seite Deiner heimlich Verehrten, Du mußt zur linken Seite der Mutter gehen, falls sie Dir auf Deine Frage gestattet, sie zu begleiten.«

»Unter welchem Vorwand – Du sprachst schon davon, glaube ich – kann denn eine Dame die ihr nicht genehme Begleitung eines Herrn ablehnen?«

»Sie wird sich bei der nächsten Straßenecke mit der Bemerkung, daß ihr Weg sie jetzt zu einer hier wohnenden Freundin oder in diesen Laden führe, verabschieden. Thut sie aber nichts dergleichen, und ersiehst Du aus ihrem lebhaften Geplauder – sie läßt keine längere Pause, die sogenannte Verabschiedungspause eintreten – daß ihr Deine Begleitung nicht unangenehm ist, so hast Du die junge Dame so lange zu begleiten, eventuell bis an ihr Haus, als sie es Dir erlaubt, und wenn Du weit über Dein sonstiges Ziel hinaus müßtest. Es liegt eine große Unart darin, sich von der Dame zu trennen, wenn man den Ort seiner eigenen Bestimmung erreicht hat. Es sieht in diesem Falle so aus, als ob die Dame uns, nicht wir sie begleitet hätten.«[280]

»Wie lange ist es denn erlaubt, Damen zu grüßen? Bis Eintritt der Dunkelheit, nicht wahr?«

»Ja, so war es früher allgemein gebräuchlich und ist da noch Sitte, wo die Straßen im Halbdunkel liegen. Auf den tageshell erleuchteten Straßen der Großstadt, wo das elektrische Licht Dich die Züge der Begegnenden genau erkennen läßt, hast Du auch abends genau wie am Tage zu grüßen. Das Unterlassen des Grußes bei einer Begegnung im Dunkel ist eine Rücksichtnahme für die Dame. Es giebt noch andere Situationen, wo es Dir nur gut ausgelegt wird, wenn Du den Gruß unterläßt: z.B. überraschest Du die Dame, wie sie frühmorgens im Morgenhäubchen das Staubtuch aus dem Fenster schüttelt, ein andermal begegnest Du ihr mit ihrem laut schreienden Töchterchen, das sich unartig an ihr Kleid klammert. Du fühlst in beiden Fällen, es wäre ihr sehr unangenehm, von Dir erkannt zu werden, sie möchte ungesehen bleiben. Du übst die Rücksicht und thust, als ob Du sie nicht sähest. Aber Du mußt mit Geschick den Zerstreuten spielen. Ganz vereinzelt sind diese Fälle. Ich kann sie Dir auch nicht weiter aufzählen, sondern kann Dich nur auf Dein Taktgefühl verweisen. Im allgemeinen gilt die Unterlassung eines Grußes als Beleidigung. Sei deshalb aufmerksam und bei der Sache, solange Du auf der Straße bist.«

»Aber es kann doch der Fall eintreten, daß ich eine Dame nicht wiedererkenne. Kann dieselbe mich denn nicht in diesem Fall durch ihren Gruß auf mein Versehen aufmerksam machen? In England...«[281] »Ja, da ist es freilich Sitte, daß die Dame dem Herrn durch ihren Gruß die Erlaubnis giebt, sie zu grüßen. Bei uns pflegen nur fürstliche Damen das Gleiche zu thun. Unsere Damenwelt wartet auf unsern Gruß. Weiß jedoch eine Dame, daß einer ihrer näheren älteren Bekannten, namentlich Respektspersonen, zerstreut oder kurzsichtig ist, so darf sie seinem Gruß zuvorkommen. Jungen Mädchen steht es sehr wohl an, den Geistlichen, der sie konfirmierte, oder ihre Lehrer zuerst zu grüßen.

Eine Kardinaluntugend besteht darin, jemanden einmal zu grüßen, ein andermal nicht. Bei Dir habe ich keine Sorge, Du bist viel zu ehrlich und geradeaus dazu, aber es giebt gewisse Herren, welche eine Dame kennen, wenn sie ihr z.B. allein auf ziemlich menschenleerer Straße begegnen. Begegnen sie ihr aber den nächsten Tag und sind selbst die Begleiter irgend einer vornehmen oder hochgestellten Person, oder die Begleitung der Dame erscheint ihnen unscheinbar und unansehnlich, so sehen sie über sie hinweg, als wäre sie Luft.«

»Nun da sollte und müßte sie die Dame ein andermal auch nicht wiedererkennen.«

»Gewiß, aber die Nichterwiderung eines noch so unangenehmen Grußes, das Abbrechen einer Grußbekanntschaft, mag sie uns noch so lästig sein, ist und bleibt ein gefährliches, weil außerordentlich beleidigendes Unternehmen, das sich außerdem durch die Ironie des Schicksals oft rächt.«

»Noch eins, Bester, darf ich in die Pferdebahn hinein grüßen?«

»Prinzipiell nicht! Es giebt Ausnahmen bei nahen Bekannten, aber in das Fenster eines Wagens – eine[282] Ausnahme bildet der Wagen einer Fürstlichkeit, vor dem man Front macht – oder in den Garten hinein grüßt man nicht; nur bei ganz nahen Bekannten ist dies statthaft. Eine Dame stellt sich z.B. auch nie an das Fenster, um die etwaigen Grüße vorübergehender Herren als Tribut einzuheimsen. Thut sie es dennoch, so möchte ich wohl wünschen, sie möchte einmal das Urteil der Herren darüber hören! Zwar, da hier keine Vertreterinnen des schönen Geschlechts anwesend sind, kann ich ihnen nur ungehört eine kleine Standrede halten, aber wie oft habe ich mich nicht schon geärgert über die Art, wie eine Dame den Gruß von uns Herren erwidert! Ein Gruß ist und bleibt eine huldigende Aufmerksamkeit und verlangt einen verbindlichen Dank. Viele Damen halten es aber für vornehm, nur so oberflächlich, so obenhinaus zu danken. Die hübsche, kleine Nasenspitze senkt sich nur ein paar Millimeter! Andere thun, als ob sie das Herankommen des Herrn nicht bemerken, und erschweren ihm das Grüßen durch konsequentes Geradeaussehen oder Fortblicken. Ein ungezogener Gegengruß gar ist schlimmer als gar keiner.«

»Armer Freund, hier nimm einen Schluck, das Thema scheint Dich aufzuregen.«

»Ganz und gar nicht! – Danke, auf gut Glück beim Grüßen! Aber noch etwas Geduld! Noch ist das Thema des Grüßens nicht erschöpft. Du batest mich, Dein Lehrmeister zu sein, und Du wirst die Geister, die Du beschworst, nicht eher los, als bis sie das Kapitel vom Grüßen nach allen Seiten genügend beleuchtet haben. Was ich noch sagen wollte: Du bist[283] verpflichtet, den Hut zu lüften, wenn Du in und aus einem Laden trittst, wenn Du auf einer Treppe an jemandem vorbeieilst – ist es eine Dame oder Respektsperson, so wartest Du auf dem nächsten Treppenabsatz ihr Herabkommen ab –, wenn Du Dich um Auskunft bittend an einen Vorübergehenden wendest, oder wenn Du jemanden um Feuer bittest. Du lüstest den Hut, wenn Du an einem Tisch Platz nehmen willst, an dem andere bereits sitzen. Hast Du Dich niedergelassen und siehst Bekannte, so erhebst Du Dich, sie zu grüßen. Damen verneigen sich im Sitzen. Sei mit Deinem Gruße in öffentlichen Lokalen nicht zu verschwenderisch, damit Du nicht auffällst. Es giebt Menschen, die mit ihrem Grüßen renommieren.

Der Gruß innerhalb des Hauses besteht in der Verbeugung des Oberkörpers unter unhörbarem Zusammenziehen der Hacken. Je nach der Persönlichkeit des zu Grüßenden verbeugst Du Dich tief oder mindertief.

Eine Grußform, die jetzt ungleich mehr in Aufnahme gekommen ist als in früheren Jahren, ist der Händedruck. Während in vergangenen Zeiten das Handreichen von seiten der Dame – laß Dir gesagt sein, daß im Verkehr zwischen Herren und Damen dasselbe immer von der Dame ausgehen muß! – schon als Gunstbeweis ausgelegt und geschätzt wurde, legt man demselben heute nicht mehr diese Bedeutung bei. Eine verheiratete Dame reicht beim Empfange ihrer Gäste allen, auch Herren, die Hand. Auch in dem Hause anderer tauscht sie einen Händedruck mit den in ihrem Hause verkehrenden[284] oder ihr doch gut bekannten Herren aus. Junge Mädchen geben näheren Bekannten ebenfalls beim Kommen und Gehen die Hand. Fernerstehenden gegenüber wird einige Zurückhaltung am Platze sein.

Derjenige, dem die Hand geboten wird, erfaßt dieselbe mit Bestimmtheit. Die Finger steif und unbeugsam in die gebotene Hand hineinzulegen, ist ungezogen. Eine gebotene Hand absichtlich zu übersehen, ist eine große Beleidigung.

Reicht Dir nun eine Dame die Hand, so wirst Du sie, falls Du enragierter Feind des Handkusses bist – es giebt nämlich solche, die es mit ihrer freien Männerwürde nicht vereinen zu können glauben, einer Frau die Hand zu küssen! – mit einer Verbeugung ergreifen und nach geringem Druck langsam wieder loslassen. Ein sofortiges Fallenlassen ist ungezogen, ein bedeutungsvolles, festes Drücken anderseits ist ganz und gar unpassend. In der vornehmen Gesellschaft führt der Herr, den die Dame mit der Handreichung ehrt, diese Hand respektvoll und ritterlich an die Lippen. Die Dame muß zu diesem Zweck ihre Hand ganz locker und lose dem Herrn überlassen, der Herr kommt der Hand mit einer Verbeugung entgegen. Der Handkuß darf nie laut werden, auch nie deutlich fühlbar sein oder gar Spuren hinterlassen, wie es bei dieser Begrüßungsform ungewandten Herren manchmal passiert. Der Kuß soll mehr markiert und lautlos sein, die Lippen berühren nur eben die Handoberfläche. Wollte die Dame, wenn auch aus Bescheidenheit, die Hand zurückziehen und die Absicht vereiteln, so wäre dies nicht passend.[285]

Eine Fürstlichkeit reicht die Hand zum Kusse. Dieselbe nicht zu küssen, wäre ein arger Verstoß.

Der Handkuß ist auf den geschlossenen Raum beschränkt. Ausnahmen giebt es bei Respektspersonen, die man z.B. am Wagen empfängt. Auch als Begrüßungsform des jungen Mädchens gegenüber der Dame des Hauses und älteren Damen ist der Handkuß geboten und beliebt. Derselbe wird hierbei immer von einer mehr oder minder tiefen Verbeugung begleitet.

Von der letzten und intimsten Begrüßungsform, dem Kuß, brauche ich wohl nichts zu sagen.«

»Du meinst, da ich mich dieser Form bis jetzt noch nicht bedient –«

»Eben, aber für die Zukunft, wenn Du glücklicher Bräutigam sein wirst, laß Dir gesagt sein: der Kuß ist die innigste und intimste Begrüßung und gehört als solche nicht vor die Augen der Oeffentlichkeit. Es heißt seine Bedeutung herabsetzen, wenn z.B. Damen sich nach oberflächlicher Bekanntschaft nicht begrüßen, nicht verabschieden können, ohne sich zu küssen. Für den Unbeteiligten hat dies Küssen immer einen mehr oder weniger verlegenen unbehaglichen oder gar lächerlichen Beigeschmack. Darum – der Kuß nur unter vier Augen!«

»Werde ich mir merken.«

»Profit! Auf Deine Zukünftige!«

»Danke! Aber sage mir, wie und wann lasse ich mich nach dem Gruße vorstellen?«

»Ja, das ist leichter gefragt wie beantwortet. Dein angeborener Takt wird des öfteren Dein Ratgeber sein müssen. Merke Dir vor allem, daß Du Dich als jüngerer,[286] neu hierher gekommener Herr zuerst vorstellen mußt und diese Höflichkeit nicht von andern erwarten darfst. An ein paar Beispielen will ich Dir schildern, wann der gute Ton verlangt, daß Du Dich vorstellst. Du sitzest an der Gasthaustafel nun schon zwei Tage neben denselben Herren. Du hast Dich nach ihnen erkundigt und gehört, daß es einheimische, Deinem Stand angehörende Leute sind. Da verlangt es die Höflichkeit, daß Du, falls Du beabsichtigst, weiter da zu speisen, Dich den Herren vorstellst. Du thust das, wenn Du das nächste Mal an Deinem Platze angelangt bist, indem Du Dich verbeugst und sagst: ›Gestatten die Herren, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist so und so.‹ Die Herren werden Dir darauf, sich von ihren Sitzen erhebend, ihre Namen nennen. Die Vorstellung ist die Eröffnung des geselligen Verkehrs. Willst Dr Dich mit jemandem unterhalten, der Dir gefällt, so stellst Du Dich ihm vor. Auf Reisen ist eine Vorstellung nicht Vorbedingung zum Konversieren, ergiebt sich aber durch das Gespräch sehr oft von selbst. Mit Damen darfst Du Dich aber nicht zu unterhalten versuchen, ohne Dich vorzustellen. Erst die Nennung Deines Namens, woran sie den gesellschaftlich gebildeten Menschen erkennen, wird sie Deinen Anknüpfungsversuchen zugänglicher machen.

Du darfst ferner nie eine Dame zum Tanz auffordern, der Du nicht vorgestellt bist.«

»Aber da muß ich mir ja ein famoses Gedächtnis anschaffen! Wie kann ich das behalten!«

»In Privatgesellschaft läßt Du Dich eben allen[287] anwesenden Damen vorstellen. Du wendest Dich mit dieser Bitte an den Hausherrn oder, falls dieser in Anspruch genommen ist, an einen andern Herrn. Auch die Dame des Hauses oder eine andere Dir schon bekannte Dame darfst Du darum ersuchen.

Triffst Du am dritten Orte, nehmen wir an im Restaurant, einen Bekannten, der wiederum andere Bekannte bei sich hat, und er winkt Dir, Dich zu ihm zu setzen, so bittest Du, ehe Du Dich niederläßt, Dich bekannt zu machen. Setzest Du Dich aber an einen Tisch neben Fremde, so brauchst Du Dich nicht vorzustellen.

Betrittst Du im Theater eine Loge, in welcher eine Dir befreundete Familie sitzt im Gespräch mit einer Dir fremden Dame, so bittest Du, falls Du Dich an dem Gespräch beteiligen möchtest, der Dame vorgestellt zu werden. Logiergästen Deiner Freunde gegenüber hast Du die gleiche Verpflichtung. Sind dies hingegen junge Herren, so lassen sie sich durch ihren Gastfreund zuerst vorstellen.

Hast Du Dich Herren vorgestellt, was Du thust, indem Du auf sie zugehst, Dich verbeugst, resp. den Hut abnimmst und sagst: ›Regierungsassessor Jürgens‹, wobei der andere unter gleichen Formalitäten ebenfalls seinen Namen nennt – und diese bitten Dich wiederum, sie bekannt zu machen, so vergewissere Dich nochmals ihres Namens, indem Du sie bittest: ›Darf ich nochmals um Ihren Namen bitten?‹ Niemand nimmt dies übel, im Gegenteil, es wäre ihnen unangenehm, würdest Du sie mit arg verstümmeltem Namen vorstellen. Da viele im Moment des Vorstellens verlegen sind, der Name des Betreffenden, auch wenn sie ihn gut kennen, ihnen plötzlich[288] entfallen zu sein scheint, so ist es angebracht, ihnen denselben gleichzeitig mit der Bitte um Vorstellung unaufgefordert anzugeben. ›Bitte, machen Sie mich mit jener Dame in Rosa bekannt. Richter.‹ ›Jene Dame in Rosa‹ enthebt den Betreffenden der Rückfrage: ›Wem?‹, falls er den Namen der Dame nicht kennen sollte.«

»Genug, genug!«

»Also Glückauf in unserer europäischen Gesellschaft! Möchte es Dir gut gehen! Und wenn Du noch irgend etwas wissen willst – Du weißt, wo Dein alter Freund wohnt, der Dir gern hilft und rät, wo er kann.«[289]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 276-290.
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