Einkäufe.

Frau H. tritt in ein großes Kleiderstoffmagazin in der Französischen Straße. Dienstbeflissen stürzt der nächste Commis herbei: »Gnädige Frau befehlen?«

Fr. H. »Ich möchte etwas Hübsches in modernen Gesellschaftsstoffen sehen.«

Commis. »Sehr wohl! Haben gnädige Frau darin spezielle Wünsche hinsichtlich Farbe, Stoff, Preislage?«

Fr. H. »Bis jetzt nicht! Zeigen Sie mir, was Sie haben.« Der Commis holt einen Stuhl, sucht den Platz, wo das günstigste Licht auf den Ladentisch fällt, und beginnt die Kartons mit den Gesellschaftsstoffen herbeizuholen. Mit Eleganz entfaltet er ein weißes Seidengewebe.

Fr. H. »Das ist mir zu hell; auch scheint der Stoff recht dünn zu sein.«

»Durchaus nicht! Wollen sich gnädige Frau überzeugen? (Damen, die alles bemängeln, sind sein besonderer Schreck.) Aber vielleicht gefällt Ihnen dieses[348] Rosa? Nicht? – Wie finden Sie hier dies Seegrün? Neueste Nuance von hervorragender Schönheit!«

Fr. H. »Nein, das gefällt mir alles nicht. Vielleicht haben Sie etwas in Samt, ja?«

»Gewiß, wir haben ein großes Lager in Samten. Wenn gnädige Frau sich einen Augenblick gedulden wollen...« Er eilt in die hinteren Ladenräume: »O, über diese Damen, die, ohne zu wissen, was sie wollen, in den Laden kommen!«

Fr. H. hat unterdessen Umschau unter den hochgetürmten Stapeln von Kleiderstoffen rechts und links gehalten. »Was kostet hiervon das Meter?« 4 Mark. »Das ist aber teuer für den Stoff! Und dieser hier?«0 3 Mk. »Das geht schon eher. Hätten Sie vielleicht einen gemusterten Besatzstoff dazu?« Während sie also einen zweiten Commis beschäftigt, kehrt der erste zurück.

»Hier, gnädige Frau, Mattblau, eine ganz neue Farbe!« In weichen Falten liegt das schöne Gewebe mit seinen weißen Lichtern verlockend da.

Fr. H. »Könnte ich es vielleicht bei Licht sehen?«

»Ganz wie Sie wünschen, gnädige Frau! Wollen Sie sich nur nach dem Lichtzimmer bemühen!«

Aber die Farbe muß Frau H. doch nicht recht zusagen. Neue Kartons werden nach dem künstlich erhellten Dunkelzimmer beordert. Selbst das unbewegliche Maskengesicht des Ladenbesitzers, der, an die Thür des Comptoirs gelehnt, dem Verkehrstreiben zusieht, zeigt einen Zug leiser Ungeduld. Daß die Damen auch immer so schwer von Entschluß sind![349]

Doch da kommt Frau H. endlich nach Verlauf von mindestens einer halben Stunde aus dem elektrisch erleuchteten Zimmer heraus. »Die Stoffe gefallen mir nicht genügend, daß ich mich heute entscheiden könnte. Wollen Sie mir dieselben zur Auswahl nach Hause senden?«

Der Commis verbeugt sich schweigend. Er kennt diese Auswahlsendungen, motiviert mit den Worten: »Weil die Schneiderin gerade im Hause ist,« und kennt ihr Schicksal.

Mit unmerklichem Gruß erwidert Frau H. im Heraustreten aus dem Laden die höfliche Abschiedsverbeugung der Verkäufer. Sie gehört, wie mir scheint, auch zu denen, die da glauben, sie setzen sich herab und vergeben sich etwas, wenn sie ein freundliches: »Guten Morgen!« oder »Adieu!« beim Betreten und Verlassen eines Ladens aussprechen. Verkäufer sind doch auch Menschen! Das Kaufgeschäft ist ein auf Gegenseitigkeit beruhender Handel. Frau H. aber handelt einseitig; sie fordert in krassem Egoismus Opfer an Zeit und Zeit ist mehr wie bei jedem andern gerade beim Geschäftsmann Geld und verweigert die geringe Gegenleistung, die die Höflichkeit erheischt.

Wem von uns sind solche Käufer, männliche und weibliche, nicht schon begegnet?

Die gute Sitte verlangt von uns gleichmäßige Höflichkeit im Verkehr mit Geschäftsleuten und Handwerkern, gleich entfernt von kordialer Vertraulichkeit, die durch Ueberredung etwas billiger zu erhandeln versucht, wie von hochmütiger und prahlerischer Ueberhebung, der nichts gut und passend genug ist, die kein[350] anerkennendes Wort für tagelange Mühen und sorgsame Ausführung findet.

Eine Hauptforderung des guten Tons hinsichtlich des Geschäftsverkehrs besteht in der Pünktlichkeit, was die Zahlung des Gekauften betrifft. Leider hält eine ganze Menge Menschen gerade das Wartenlassen auf Begleichung der Rechnung, eine gewisse Lässigkeit in Geldangelegenheiten für vornehm, ja, die elegante Frau, die von Vergnügen zu Vergnügen fährt, hält es durchaus nicht für nötig, den warmen Pelz, der sie dabei so treulich schützend umhüllt, vor Ende des Jahres zu bezahlen. Wir können solches Gebahren nur für gänzlich falsch erklären; es zeugt von geringem Gefühl für die Verpflichtung, die der einzelne der Allgemeinheit gegenüber hat. Bar zahlen, keinen Einkauf machen, für den wir nicht die Deckung bereits in Aussicht wissen, entspricht nicht allein der guten Sitte, sondern auch der Sittlichkeit, der Humanität. Denn wie kann der Handwerker oder der Geschäftsmann bestehen, wenn er Monate lang auf Bezahlung warten muß? Ob sich wohl alle lässigen Zahler klar machen, daß sie am Zusammenbruch eines Geschäftes, am Bankerott eines Handwerkers, an der Vernichtung seines eigenen Glücks und dem seiner Familie mit schuld sind und dereinst zur Verantwortung gezogen werden können?

Wir können diesen Abschnitt nicht ohne die dringende Mahnung an unsere Leser schließen, das Geld im Lande zu lassen. Gottlob ist durch den Aufschwung unserer Industrie und unseres Handels jetzt der Fall vereinzelt, daß eine Dame sich nach Paris, ein Herr[351] nach London wendet, um »einigermaßen gut angezogen« zu erscheinen. Aber viele glauben nur von auswärts beziehen zu können und schädigen dadurch das einheimische Geschäftsleben. Laß darum das Geld da, wo du lebst und wohnst, und laß es der Stadt zukommen, die dir Schutz und Gastrecht gewährt![352]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 348-353.
Lizenz:
Kategorien: