I. Gatte und Gattin.

[9] »Guten Tag, Liebe! Wie geht's? Keine Antwort – nur ein unterdrücktes Schluchzen! Was ist denn passiert? Auf der Treppe begegnet mir Dein sonst so galanter Gatte und eilt mit flüchtigem Gruß finsteren Antlitzes an mir vorbei, und hier finde ich Dich keinen Deut unterhaltender. Kind, Kind, mir scheint, es hat so etwas gegeben, was einer Scene verzweifelt ähnlich sieht!«

»Ja, unsere erste!«

»In vier Wochen die erste! (für sich:) Nun, sie wird nicht die letzte bleiben! (laut:) Herz, vor allem nimm Dich zusammen, daß die Dienstboten nichts merken! Nie, unter keinen Umständen dürfen dieselben von einer augenblicklichen Meinungsverschiedenheit zwischen Euch Kenntnis haben, noch weniger Zeugen davon sein. Ueberhaupt, zürnst Du Deinem Manne noch so sehr, und glaubst Du sogar Grund dazu zu haben, zeigen darfst Du Deine Gefühle nicht! Vor der Welt mußt [9] Du zu Deinem Manne halten, einerlei ob Du ihm Unrecht giebst oder Dich noch so sehr beleidigt fühlst. Die Dienstboten wählen gar zu gern die Verhältnisse ihrer Herrschaft zum Gesprächsstoff. Hast Du ihnen verraten, merken sie, daß Mann und Frau nicht einer Meinung sind, so gerät ihr Gehorsam sofort ins Schwanken.«

»Aber mein Mann ist als Gatte so ganz anders wie als Bräutigam,« schluchzte Frau Eva.

Ueber das Gesicht der andern huschte ein verständnisvolles, etwas wehmütiges Lächeln.

»Hast Du Dich vielleicht nicht auch zu Deinem Nachteil verändert? Warst Du als Braut nicht auch freundlicher, heiterer, anregender wie jetzt?

Im Brautstand ist glücklich zu sein gar leicht. Glücklich zu bleiben ist eine Kunst, die von beiden Ehegatten gelernt sein will. Beide müssen ihren Teil zu dem Bau der glücklichen Ehe beitragen: der Mann, indem er der Gattin die gleiche Höflichkeit und Rücksicht auch im intimen täglichen Verkehr entgegenbringt, die er jeder fremden Dame erweisen würde, die Frau, indem sie ihren Mann mit der Erzählung der Hausstandssorgen verschont. Mögen diese noch so einschneidend für ihr eigenes Wohlbefinden, für ihre Stimmung sein, der Mann, der im Leben des Tages steht, wird sie immer klein und kleinlich finden. Die Gebiete des Wirkens von Mann und Frau sind getrennt:


Mag immer der Mann aus stolzen Gesteinen

Mit Treue, mit Sorgfalt, mit Mühe im Kleinen

Die Steine zu kitten, das bleibt der Frau.

(Frida Schanz.)
[10]

Ein glückliches Eheleben verlangt Aufgabe der eigenen Person, des Egoismus auf beiden Seiten. Der Mann wird seiner Frau zuliebe auf manches, z.B. das allabendliche Wirtshausleben, verzichten, die Frau wiederum soll die Lieblingsneigungen ihres Gatten, z.B. das Rauchen, erlauben, soll ihm seine Lieblingsgerichte bereiten, soll es seinen Freunden behaglich und nett im Hause zu machen verstehen, soll ihn schließlich mit – Thränen verschonen. Selbstbeherrschung imponiert den meisten Männern mehr als alle Lamentationen, sie nötigt ihnen Achtung ab, und sie suchen sie zu belohnen.«

»Nun soll ich mich auch noch ändern, und ich glaubte mir doch solche Mühe zu geben!«

»Wirklich, mein Herz? Bemühst Du Dich ernstlich, Dein Haus zu einer Stätte des Anstandes, der guten Sitte zu machen? Beginnst Du damit auch an Dir? Siehst Du von morgens früh an immer peinlich sauber und hübsch angezogen aus? Hältst Du auf gute Manieren bei den Dienstboten? Verstehst Du es, den Hausstand zu leiten, ohne daß Dich Dein Gatte bei Arbeiten überrascht, die eigentlich nicht für Dich passen, die von Dir verrichtet zu sehen ihm peinlich ist? Findet Dein Mann das ganze Haus immer in jener hübschen, wohnlich ordentlichen Verfassung, die die Hand einer feinfühligen Frau allein verleiht? Du schweigst? Nur wenn Du selbst ein Muster all dieser Tugenden bist, darfst Du von Deinem Manne das Gleiche verlangen. Dich über ihn bei Fremden zu beklagen, hast Du niemals das Recht. Thust Du es doch, so setzest Du Dich selbst herab[11]

»Aber, Ilse, was soll nun werden? Ich will ja gar nicht klagen, wenn nur alles wieder in Ordnung wäre.....«

»In der Hand der Frau liegt es, die Versöhnung mit milder Hand und freundlichem Blick zu suchen. Selbst wenn Du Dich im Recht fühlst, biete Du die Hand zum Ausgleich, Dein Mann wird es Dir hoch anrechnen, wenn auch nicht mit lautem Lob.

Laßt nie die Sonne untergehen über Euerem Zorn! Sprich Dich aus mit Deinem Gatten, damit Ruhe, Zufriedenheit und Seelenharmonie schnell zurückkehre in Euer Haus.«

»Du schiltst mich ja förmlich aus.«

»Zu Deinem Besten, meine Eva! Später wirst Du mir danken. Ein kleiner Riß in der Liebe heilt rasch, aber ist er erst ein paar Tage alt, so wird er zur Kluft, in der die guten Geister des Hauses und vielleicht sogar das ganze Eheglück versinken. – So, ade, mein Kind! Ich muß heim. Geh schnell Deinem Gatten entgegen! Er kommt gerade den mittleren Laubengang herauf auf das Haus zu: ich entschlüpfe derweil durch die Balkonthür. Viel Glück auf den Weg, Du Liebe! Morgen macht Ihr mir einen Besuch als Wiedergefundene.«

Die Thüre hat sich hinter Frau Ilse geschlossen. Mit einem Seufzer steigt sie die Treppe hinab: »Die arme, kleine Frau! Ich habe so zu ihr gesprochen, wie ich es mußte. Wie traurig es ist, wenn der Mann allmählich alle Formen beiseite legt, wie hart es für die Frau ist, wenn er nachlässig, übellaunig wird und[12] das Haus für den Ort hält, wo er sich ungestört gehen lassen kann – warum solch häßliches Bild vor ihren Augen entrollen?«

Es giebt zehn Gebote für den Mann. Möchten sie nicht nur hier, sondern auch im Herzen der Leser einen Platz finden!

1. Sieh in deiner Frau stets die Dame. Erweise ihr alle ritterlichen Dienste und Handreichungen, wie Thüröffnen, die kleinen Aufmerksamkeiten bei Tisch u.s.w., wie du sie einer Fremden bezeigen würdest. Das thut deiner Frau wohl und bringt sie in eine liebenswürdige Stimmung. Das allmähliche Unterlassen dieser Formen dagegen schmerzt sie tiefer, als du annimmst.

2. Vernachlässige deine äußere Erscheinung nicht.

3. Häßliche kleine Angewohnheiten, wie sie Krankheit oder Alter mit sich bringen, bekämpfe bei zeiten, damit du deiner Frau nicht unangenehm wirst.

4. Vergiß nicht eueren Verlobungs- und Hochzeitstag, den Geburtstag deiner Frau. Frauen hängen zäh an der Erinnerung an schöne Tage und feiern sie gern.

5. Mache nie in Gegenwart der Kinder oder Dienstboten eine Bemerkung über ihre Befehle und Anordnungen. Du untergräbst dadurch die Autorität deiner Frau, abgesehen davon, daß du sie ernstlich verletzest, und giebst den Dienstboten Anlaß zu Klatsch. »Aha! Hat der Herr ihr's aber gegeben!«

6. Dulde nicht, daß sich Kinder oder Dienstboten ungehorsam oder unbotmäßig gegen deine Frau betragen.

7. Bereite deiner Frau hie und da eine wirkliche kleine Ueberraschung, einen guten Tag. Frauen, die in[13] dem täglichen Einerlei dahinleben, bedürfen einer Aufmunterung und Anregung durch eine frohe Stunde.

8. Zieh deine Frau in Geldangelegenheiten in dein Vertrauen. Du erweiterst dadurch ihre Kenntnisse. Die Frau fühlt sich geehrt durch dein Vertrauen und wird geneigter sein, dich bei deinem Bestreben, das Budget einzuhalten, zu unterstützen, als auf den bloßen Befehl hin.

9. Wenn du deiner Frau das Wirtschaftsgeld giebst, so thue es nicht mit der Miene eines Fürsten, der einen Unterthan beschenkt. Es ist ihr gutes Recht und keine Wohlthat.

10. Nimm deine Rede in acht. Kränke ihr Zartgefühl nicht durch das Erzählen von Späßen, die nur für die Ohren der Herren bestimmt sind. Hüte dich aber vor allem vor jedem harten Wort. Ein wirkliches Schimpfwort wirst du ja nie gebrauchen, aber manche Wörter werden durch die Betonung zum Schimpfwort. Eine Frau leidet schwer darunter, nicht zum wenigsten durch die Entdeckung, daß ihr Mann, den sie als Ideal verehrte, nun nicht besser wie alle andern ist.

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 9-14.
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