III. Kinder im Verkehr mit Eltern und Fremden.

[18] In früheren Zeiten, wo die Kinder ihre Eltern noch mit »Sie« anredeten, kannte man den Mangel an Ehrerbietung, in dem sich die moderne Jugend leider oft gefällt, nicht. Heute sprechen die Kinder pietätlos von »meinem Alten« und »der Alten zu Hause«. Wie wenig das dem guten Ton entspricht, brauchen wir wohl nicht anzuführen.

Die Eltern, denen du alles dankst, was du bist, haben Anspruch auf deine größte Hochachtung, die sich in einem bescheidenen, artigen, zuvorkommenden Wesen äußern soll. Widerspruch dürfen sich Kinder ihren Eltern gegenüber nie erlauben. Der erwachsene Sohn, der sich in politischer Hinsicht mit dem Vater nicht eins fühlt, er schweige, statt den Vater zu reizen. Eine Tochter, die ihre Eltern belehren will und die Gouvernante der Mutter spielt, ist ein abstoßender Anblick.

Der Sohn des Hauses begegnet seiner Mutter und Schwester mit ritterlicher Höflichkeit und Rücksicht; er raucht nicht, ohne ihre Erlaubnis einzuholen, er setzt sich nicht auf das Sofa, wenn seine Mutter auf einem Stuhle sitzt, er bleibt so lange stehen, bis die Eltern Platz genommen haben, kurz, er erweist ihnen jede Rücksicht, die er Fremden bezeigen würde. Wir verweisen ihn hier auf die Abschnitte »Vom Grüßen«, »Auf der Straße«, »Aeußerlichkeiten und Gewohnheiten«, »Bei Tisch«, »Im Theater« u.s.w.

Dem Vater gegenüber ist die größte Ehrerbietung am Platz. Hilf ihm, wo du kannst, indem du ihm[18] Wege und Besorgungen abnimmst, sei seine Stütze, wenn er leidend und alt ist. Füge dich seinen Eigenheiten, laß ihn nie merken, daß du von dieser oder jener Wissenschaft mehr verstehst wie er. Die Ehre der Familie, deiner Eltern halte hoch.

Sprich andern gegenüber nie über Familienangelegenheiten. Allen Freunden und Bekannten deiner Eltern gegenüber befleißige dich größter Zuvorkommenheit und Höflichkeit. Begleite den Besuch bis an den Wagen, hilf ihm einsteigen, hilf beim Anziehen des Paletots, halte den Hut und Stock, bis der Betreffende danach greift. Dränge deine Person nie in die erste Reihe; vergiß nicht, daß du nach den Eltern kommst. Im Verkehr mit Damen gelten folgende


Gebote für jeden jungen Mann:


1. Rede mit Damen nicht über Politik, Geschäftliches oder Dienst. Die Dame will unterhalten, amüsiert, nicht belehrt werden.

2. Schmeichle nicht unverschleiert. Eine deutliche Schmeichelei, deren Absichtlichkeit auf der Hand liegt, ist eine Beleidigung für eine feingebildete Dame, während eine zarte, kaum ausgesprochene huldigende Bemerkung, ein bereitwilliges Eingehen auf geäußerte Ansichten u. dergl. fast immer gefällt.

3. Mache niemals so auffällig den Hof, daß die Welt aufmerksam wird. Du bringst sonst den Gegenstand deiner Huldigung ins Gerede.

4. Erwecke in keiner Dame Illusionen und Hoffnungen, die du nicht erfüllen willst. Ein Mann, der[19] von einer Dame an der Nase herumgeführt wurde, verdient gewiß unser Bedauern, ein junges. Mädchen aber, das derartig angeführt wurde, unser ganzes Mitleid. Die Dame handelte herzlos, der Herr ehrlos.

5. Schone die Eitelkeit deines Gesprächspartners. Sprich nicht »von weiblicher Logik«, vom »schwachen Geschlecht«, von »weiblichen Schwächen«.

6. Frage nie eine Dame nach ihrem Alter. Wirst du aber von ihr gefragt, wie hoch du dieses schätzest, so sei nicht zu aufrichtig. Eine Unwahrheit, ein willkürliches Subtrahieren von der Zahl der Jahre ist hier erlaubt, ja geboten!

7. Gieb den Damen nicht in der Oeffentlichkeit Spitznamen. Sprich nicht von »jungem Geflügel«, »Lämmersprung«, u.s.w.

8. Sieh die »Dame« auch in der Frau, die sich in Abhängigkeit begiebt, oder die einen Beruf er greift, arbeitet oder verdient.

Die Tochter soll der Sonnenschein des Hauses sein. Sie soll der Mutter rechte Hand und des Vaters Gehilfe sein. Ihre kleinen Talente stelle sie bereitwillig in den Dienst des Hauses. Ordentlich und sauber im Aeußeren und in der Toilette, sei sie eine Augenweide für die Eltern. Nie erlaube sie sich eine Nachlässigkeit, wie das Erscheinen zum Frühstück mit unfrisiertem Kopf und in Pantoffeln oder stundenlanges Schmökern auf dem Sofa u. dergl. Wie auf ihr Aeußeres, so halte sie auch auf ihr Betragen. Derbe, burschikose Reden verunstalten den zarten Mädchenmund, schlechte Manieren, schnippische Antworten, absprechendes[20] Wesen und Großthuerei sind Züge, die das reizendste Mädchenbild verunstalten.

Für ihr Benehmen seien nachstehende Regeln maßgebend.


Gebote für junge Mädchen.


1. Lege nicht jedem Wort von Männerlippen, jedem Blick eine Bedeutung bei. Sieh nicht in jeder selbstverständlichen Aufmerksamkeit eine Huldigung, in jeder zufälligen Höflichkeit eine Werbung.

2. Halte Maß in allen Dingen. Maßlose Vergnügungssucht wirkt abstoßend, maßlose Eitelkeit befremdend, maßloses Lachen unanständig. Schmerz ohne Maß beweist schwachen Charakter, Liebenswürdigkeit ohne Maß wirkt wie kriechende Schmeichelei.

3. Führe niemals selbst eine Annäherung zwischen einem Herrn und dir herbei. Du verlierst dadurch in den Augen des Betreffenden wie in deinen eigenen.

4. Benimm dich so, daß dir nie eine Ungehörigkeit seitens eines Herrn passieren kann. Herren erlauben sich meist da Unpassendes, wo sie durch das Benehmen der Dame ermutigt werden, oder wo sie wenigstens schnell Verzeihung voraussetzen.

5. Danke höflich für jeden Ritterdienst, den dir ein Herr leistet; betrachte es nicht als seine Pflicht und Schuldigkeit, dir solchen zu erweisen.

6. Gieb dir Mühe, das Gespräch, in das dein Partner dich zu verwickeln bestrebt ist, fortzuführen. Damen, die nur Ja und Nein auf alle Bemühungen ihres Herrn zu erwidern wissen, sind nicht allein der Schrecken der Herren, sondern machen sich gegen die[21] ganze Gesellschaft und die Wirte unliebenswürdig, denn die Gesellschaft verlangt von jedem einzelnen, daß er seinen Teil zur Unterhaltung beitrage.

7. Ziere dich nicht. Affektierte Bescheidenheit, gekünsteltes Benehmen unterscheidet sich von wahrer Natürlichkeit ebenso auffällig wie ein gemaltes Antlitz von einem jugendfrischen Gesicht.

8. Unterlasse gefährliches Kokettieren. Gar manches einsame verbitterte Herz möchte gern ungeschehen machen, was es in eitler Selbstgefälligkeit gethan hat. Wer mit den Herzen spielt, sie wissentlich anzieht und dann abstößt, verdient ein gleiches Schicksal.

9. Sei nicht putzsüchtig. Eine aufgedonnerte Mädchenerscheinung und daneben womöglich eine bescheiden und einfach gekleidete Mutter wirkt abstoßend.

10. Jedes unpassende Gespräch hast du sofort abzubrechen. Hast du dir einmal einen häßlichen Gesprächsstoff gefallen lassen, so ist es zur Abwehr bereits zu spät, und deine Entrüstung wird nicht für echt gehalten.

11. Strebe nicht nach Lob und Komplimenten. Ein Selbstherabsetzen eigener Vorzüge, damit der andere sie voll Widerspruch lobend erhebt, ist unpassend und wird zudem belacht. Man erweckt auf diese Weise nicht, wie man hoffte, Bewunderung, sondern Abneigung.

12. Habe nie ein noch so unschuldiges Geheimnis mit einem jungen Herrn; vertraue ihm nichts an. Neunundneunzig sind taktvoll und würdigen dein Vertrauen, du kannst aber an den Hundertsten kommen und viel Aerger und Verdruß davon haben.[22]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 18-23.
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