1. Brief einer Gouvernante.

[369] Liebe Schwester!


Du fragst in Deinem letzten Briefe, wie ich mich in die veränderte Lebensstellung gefunden habe, wie ich die Abhängigkeit trage. Ich kann Dir darauf nur antworten, daß ich mich bemühe, den Worten meines Vaters gerecht zu werden. Er faßte mein Benehmen in folgende Sätze zusammen: »Wer in ein Dienstverhältnis tritt, übernimmt eine Reihe von Pflichten, deren tadellose Verrichtung sein Stolz sein soll. Hochmut und Unbescheidenheit eignen sich nicht als Begleiter in die neue Thätigkeit, aber Geduld, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung sind Hilfsgeister, die den Weg in die neuen Verhältnisse zuverlässig ebnen. Vergiß die eigene Persönlichkeit, die eigenen Ansprüche, gehe ganz auf in Deiner Thätigkeit, alsdann wirst Du Deine Herrschaft befriedigen und selbst glücklich sein in dem Gefühl, richtig gehandelt zu haben. Du wirst mit Dir selbst zufrieden sein, und ein Gefühl, das diesem gleich[369] kommt, kann uns auch das Lob aus anderem Munde nicht erhöhen, kann uns der Tadel nicht verbittern. Der Ueberhebung seitens Deiner Herrschaft setze ruhige Würde entgegen. Ignoriere kleine Nadelstiche, aber wahre Deine Stellung entschieden, falls Dir etwas zugemutet wird, was nicht in den Kreis Deiner übernommenen Pflichten hineinpaßt.

Sei freundlich und voll Interesse für alles, was die Familie betrifft, aber warte, bis man Dir Mitteilung macht, frage nicht selbst. – Halte auf Dein Benehmen, werde nie vertraulich mit den Dienstboten. Stelle Dich in jedem Fall auf die Seite der Herrschaft, in deren Kreis Du durch Deine Bildung gehörst. – Bedenke, daß es von Deinem Benehmen abhängt, ob man Dir mit Hochachtung begegnet, oder ob sich z.B. jüngere Herren Dir gegenüber Freiheiten herausnehmen dürfen. Ist solches der Fall, so gehe sofort zur Frau des Hauses, welche Dir ihren Schutz nie verweigern wird. – Halte auch Deine Autorität den Kindern gegenüber aufrecht. Verlange von ihnen gute Manieren und dieselbe Höflichkeit, die sie Gästen des Hauses erweisen würden. Du gehst ihnen vor beim Servieren, Eintreten, bei Ausfahrten u.s.w. Würdige Deine Stellung nicht herab, indem Du ihnen aus falscher Gutmütigkeit in solchen Dingen nachgiebst. – Du kannst nicht den Anspruch machen, daß man Dich, ohne Dich zu kennen, alsbald in den Kreis der Familie, der Bekannten aufnimmt. Vertrauen und Zuneigung lassen sich nicht im Handumdrehen erwerben. Sei zu Anfang zurückhaltend, setze Deinen Ehrgeiz darein, Dich so taktvoll,[370] so richtig zu benehmen, daß Du allmählich von der Familie zugezogen und mit zu der Gesellschaft gerechnet wirst.«

Eingedenk dieser goldenen Worte, die ich in Gedanken daran, daß auch Du unter Fremde gehen willst, so ausführlich niederschrieb, bemühe ich mich, meine Pflicht zu thun, und fühle mich durch die Erfolge, die ich erreiche, sehr glücklich. Aber daß ich mich so wohl fühle, liegt auch an der gütigen Herrschaft, die ich gefunden. Das Benehmen von Herr und Frau B. verdiente so mancher andern Dame als Beispiel vorgehalten zu werden. Du weißt, daß ich in meiner ersten Stelle sehr unter der Anmaßung der Hausfrau zu leiden hatte. Sie gönnte mir keinerlei Selbständigkeit im Unterrichten und mischte sich in jede meiner Anordnungen. Dadurch untergrub sie meine Autorität meinen Zöglingen gegenüber, denn nichts schadet dem Ansehen des Hauslehrers oder der Erzieherin mehr, als wenn dieselbe in Gegenwart der Kinder von den Eltern gescholten oder gemaßregelt wird. Dies lähmt zudem das Interesse des Lehrers an seiner Thätigkeit. Sie betrachtete mich als ein Geschöpf aus so niedriger Sphäre, daß sie hochmütig mein Anerbieten, ihr hier und da am Theetisch oder sonst wo zu helfen, übersah und mich durch die Gleichstellung mit den besseren Dienstboten, in der sie sich gefiel, täglich kränkte.

Frau B. ist das Gegenteil von Frau H. Sie thut alles, um mir die Abhängigkeit weniger fühlbar zu machen. Daran erkennt man die wahrhaft vornehme Natur. Die niedrigdenkende erinnert uns stets an die[371] bestehende Kluft, pocht auf ihr Recht und läßt uns das Uebergewicht ihrer Stellung fühlen, die edle sucht den Unterschied zu überbrücken. Frau B. hat mir einen herzlichen Empfang bereitet – und wie wohl thut der! – hat mich in die Familie aufgenommen, rechnet mich als dazu gehörig und betrachtet mich als in der Bildung gleichstehend. Daß ich mich für all diese Güte erkenntlich zeige, indem ich mich, so oft es mir nötig erscheint, früher zurückziehe, um sie im Gespräch mit ihrem Gatten nicht durch meine Anwesenheit zu stören, daß ich ihr meine Hilfe bei Ausnahmefällen, die außerhalb meiner übernommenen Pflichten stehen, anbiete, versteht sich von selbst.

Du fragst mich noch um Rat bei der Suche und der Annahme von Stellen.

Findest Du eine Annonce in der Zeitung, so beantworte sie umgehend und unter genauer Angabe dessen, was Du leisten kannst und übernehmen willst, und Deiner Gehaltsforderungen. Vergiß nicht, Deine genaue Adresse anzuführen, eventuell diejenige von Personen, die Dir erlaubt haben, sie als Referenzengebende zu nennen. Ein klarer, sachlich gehaltener Brief in höflich verbindlicher Form ist eine gute Empfehlung.

Falls Du Zeugnisse vorweisen sollst, so lege beglaubigte Abschriften, aber keine Originale bei. Erhältst Du eine zusagende Antwort, so schreibe wieder, daß Du Dich als engagiert betrachtest und an dem und dem Tage eintreffen würdest. Daß Du nicht ohne weiteres von dieser Verpflichtung zurücktreten kannst, ist Dir bekannt. Tritt die Herrschaft zurück, so hast Du[372] den Anspruch an eine Entschädigung, die sich nach den Verhältnissen richtet.

Stellst Du Dich persönlich vor, so erscheine in tadelloser dunkler, aber einfacher Kleidung. Eine Stellungsuchende, die sich in auffallender Toilette präsentiert, macht einen schlechten Eindruck.

Und nun zum Schluß wünsche ich Dir gutes Gelingen zu ernstem Vorsatz!


Deine treue Schwester

Elisabeth.

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 369-373.
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