Tänze und Tanzordnung.

[192] Die Mode schwingt bekanntlich auf jedem Gebiet ihr Scepter. Die Tänze unserer Großeltern und Eltern haben andern weichen müssen. Augenblicklich setzt sich eine vornehme Tanzordnung wie folgt zusammen:


Größe der Karte: 61/2 : 101/2 Ctm.
Größe der Karte: 61/2 : 101/2 Ctm.

[192] oder


Größe der Karte: 6,5 : 10,2 Ctm. (Die Tanzkarte pflegen recht elegant ausgestattet zu sein. Modern sind Karten mit Rokokoeinfassung.)
Größe der Karte: 6,5 : 10,2 Ctm. (Die Tanzkarte pflegen recht elegant ausgestattet zu sein. Modern sind Karten mit Rokokoeinfassung.)

Die Tanzordnung bei einem Diner dansant ist etwa folgende: Walzer, Quadrille, Polka, Cotillon, Quadrille.

Diejenigen Tänze, deren Kenntnis man von jedem Ballbesucher erwarten darf, sind demnach:

1. Der Walzer. Es ist dies unbestritten der Lieblingstanz unserer Nation. Man tanzt ihn im Königsschloß und in der Bauernstube, in den Zusammenkünften der vornehmen Welt und des Sonntags unter der Dorflinde. Vor einiger Zeit ging ein Ballet über die Bühne,[193] »Wiener Walzer« betitelt. Dasselbe schilderte und zeigte die Entstehung des Walzers aus dem Langaus und dem Ländler, seine Entwicklung unter den verlockenden Melodien, die ein Lanner seinem Rhythmus gab, sowie seine Blüte unter dem Einfluß der auch unsere Ballsäle noch beherrschenden Melodien von Strauß Vater und Sohn.

Man tanzt den Walzer jetzt nicht mehr mit dem pflichtschuldigen Einknicken eins, zwei, drei, auch nicht mit dem langsamen, schleifenden Tempo wie früher, unsere Welt lebt nicht nur rasch, sie tanzt auch rasch. Uebrigens ist der Walzer derjenige Tanz, der auf die verschiedensten Arten getanzt wird, und nicht mit Unrecht mag sich der Herr deshalb bei seiner Dame erkundigen, welche Art Walzer sie bevorzugt, ehe er mit ihr in die Reihe der tanzenden Paare tritt. Der sogenannte Wiener Walzer ist mit der beliebteste; der Hamburger Walzer besteht im langsamsten Schleifen im Zweischritt. Als eine Art gesellschaftlicher Formlosigkeit, welche sehr streng gerügt wird, gilt es, wenn sich ein Paar ununterbrochen unter dem Kronleuchter dreht, als ein Mangel an Rücksicht, wenn ein anderes bei engem Raum plötzlich links tanzt, durch den Saal chassiert und dadurch die übrigen Paare aufhält, ja ernstlich stört. Ganz unpassend ist aber ein überstürzendes Jagen und Hasten, ohne sich an den Takt der Musik zu kehren, ein Bahnbrechen um den Preis von zerbrochenen Fächern und mehr oder minder derben Püffen. Leider ist die Grazie aus unseren Ballsälen fast verschwunden, aber um so mehr sollte man[194] bestrebt sein, wenigstens beim Walzer auf eine graziöse Haltung, ein gefälliges sich Anschmiegen an den wiegenden Rhythmus zu achten.

Die beliebtesten Walzer sind die folgenden: »Grubenlichterwalzer« aus dem »Obersteiger,« »Espanawalzer.« »Fledermauswalzer,« »Berliner Wintergartensterne,« »Rosen aus dem Süden,« »Donauwellen« u.a.

Wir geben die Namen, um bei der Aufstellung des häuslichen Ballprogramms behilflich zu sein, und weil wir aus eigener Erfahrung wissen, wie das Ertönen bekannter und beliebter Melodien die Tanzlust erhöht, die Stimmung beeinflußt. Hier sei auch noch erwähnt, wie geschmacklos das Bestreben mancher zum Tanze Spielender ist, alle möglichen Melodien in den Rhythmus des Walzers zu zwängen.

2. Die Polka oder Schottisch ist ein aus Böhmen stammender Tanz. Er wird im Dreischritt getanzt. Er beginnt seiner hüpfenden Bewegung halber weniger beliebt zu werden, ja es werden oft nur wenige Takte Polka gespielt, und die Musik geht dann in den so viel begehrten Walzer über. Die Polka Parisienne im 2/4-Takt ist eine Abart der Polka, welcher es an Freunden nicht fehlt.

3. Der Galopp. Das Galopptanzen erhitzt übermäßig, und der Anblick eines in der Galoppade dahinfliegenden Paares wirkt unter Umständen direkt unschön. Man tanze ihn daher mäßig schnell, nicht jagend. In der vornehmen Welt tanzt man vielfach Walzer nach dem Rhythmus des Galopp.[195]

4. Die Polka Mazurka ist polnischen Ursprungs, wie ja die Polen und überhaupt alle Slaven geborene Tänzer sind und sich ebensowohl durch die ihnen eigene Grazie wie durch ihr musikalisches Empfinden auszeichnen, das sie in den Stand setzt, in dem Rhythmus des Tanzes aufzugehen. In Polen wird der Mazur gruppenweise immer von einer geraden Anzahl von Paaren ausgeführt. Hübsch und anmutig getanzt, wirkt er auch in unserem Ballsaal originell und schön. Aber nur wenige können und lieben ihn, und die meisten tanzen heute Polka, wenn Polka Mazurka gespielt wird. Er ist auch von der Tanzkarte fast gänzlich verschwunden.

5. Der Rheinländer im 2/4-Takt. Diesem geht es ähnlich wie der Polka Mazurka. Wenige verstehen ihn zu tanzen, und er findet – so sehr er als Abwechslung und seiner charakteristischen Art halber willkommen wäre – bei dem fortwährenden Walzertanzen, wie es heute beliebt wird, wenig Anhänger.

6. Die Polonaise. Früher gehörte zujedem richtigen Ballvergnügen eine kunstreich ausgeführte Polonaise, deren Verschlingungen und Entwirrungen dem Genie des Tanzordners Ehre machten. Heute ist fast überall der Walzer an ihre Stelle getreten und eröffnet den Tanzreigen. Immerhin ist es von hübscher, festlicher Wirkung, besonders in Privatgesellschaften, wenn eine kurze Polonaise, an der sich alle, auch die älteren Herrschaften, beteiligen, gegangen wird. Langsam, feierlich, im graziösen Tempo des Menuetts etwa, bewegt sich die glitzernde, bunte Schlange durch die verschiedenen Räume und zurück zum Tanzsaal. Die[196] Toiletten der Damen gelangen zu schönster Geltung, die Gesellschaft sieht sich und grüßt sich im Vorbeigehen. Jeder weiß, wer alles da ist, und wie jede aussieht – es ist eine amüsante Revue aller Gäste. Herren pflegen bei der Polonaise den Chapeau claque nicht abzulegen, Offiziere gehen mit Säbel und Helm, kurz, der Tanz trägt einen feierlich-ceremoniellen Charakter.

Die gemessen würdige Einleitung ist durch einen doppelten Rundgang gegeben. Nun beginnt die Polonaise in einen Walzer überzugehen. Die Jugend fliegt über das Parkett, und die Mütter suchen sich ein geschütztes Plätzchen auf dem Haut-pas, der sich die Wand des Tanzsaals entlang zieht und, wie man's will, »Engelsburg« oder »Drachenfels« im Munde der losen Jugend heißt, und von dem aus sich so prächtig alles beschauen und – bereden läßt.

7. Contre oder Française. Die Gesellschaftstänze werden von allen gern getanzt, da sie einerseits allen eine Beteiligung erlauben, anderseits nicht so anstrengend sind wie die Rundtänze und durch die Pausen, welche entstehen, wenn die Gegenpartei tanzt, Gelegenheit zur Unterhaltung bieten. Aus letzterem Grunde pflegt die Bitte wie die Gewähr eines Contretanzes als Auszeichnung zu gelten.

Die Française wird im Carré getanzt wie die Lanciers oder die Quadrille à la cour. Während aber bei letzterer lauter kleine Carrés von vier sich gegenüber tanzenden Paaren gebildet werden, stellt sich hier die ganze Tanzgesellschaft zu einem großen Carré auf.[197] Wird in mehreren Räumen getanzt, oder ist die Gesellschaft sehr groß, so werden verschiedene große Carrés gebildet.

Die Kommandos der Française werden französisch gegeben, oft mit teilweisem Ersatz in deutscher Sprache. Wir geben sie am Schluß dieses Abschnittes wieder. Bemerken wollen wir noch, daß leider viele der Ansicht sind, daß exaktes Tanzen nicht elegant sei. Andere wiederum hegen den Glauben, es werde »schon gehen«, und treten, ohne eine Ahnung der Reihenfolge der Touren zu haben, an. Diesen allen möchte ich einmal das Bild eines Ballsaales der unteren Klassen vorführen. Die ganze bunte Gesellschaft tanzt ihre Quadrille dort ohne Kommando so schulgerecht, ihre Bewegungen klappen so mit den Rhythmen der Musik, daß ich mich einigermaßen beschämt der Verwirrung erinnerte, die in unsern Ballsälen mit dem Begriff Française für immer verbunden zu sein scheint. Wer die Touren nicht kennt, lerne sie, denn es stört den Genuß des Tanzes für das vis-à-vis oder nebenstehende Paar nicht wenig, wenn von ihm erwartet wird, daß es sich fortwährend hilfreich anleitend des ungewandten Paares annehmen, ja seine Fehler wieder gut machen muß.

Die Musik zur Française ist meist aus beliebten Opern und Operettenmelodien zusammengestellt. Wir erwähnen eine Française mit Motiven aus »Carmen«, »Bettelstudent«, »Fledermaus«, »Fatinitza«, »Obersteiger« u.s.w.

Wir halten es für angezeigt, den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß ein Kommandieren der[198] Française nur noch auf öffentlichen Bällen stattfindet. In vornehmen Privatgesellschaften tanzt, der Hofsitte folgend, der Arrangeur mit seiner Dame als erstes Paar vor ohne lautes Kommando; von den übrigen Paaren erwartet man, daß sie es nachthun können. Nur die letzte Tour wird kommandiert.


Touren des Contre-danse, der Française.

Vor jeder Tour 8 Takte Vorspiel.


Nr. I.

Le Pantalon.


Chaîne anglaise.

Balancez et tour de main.

Chaîne des dames.

Demi-promenade.

Demi-chaîne anglaise.


Das Gleiche bei den andern Paaren.


II.

L'Été.


(Erster Herr und zweite Dame.)

En avant deux et en arrière.

A droite et à gauche

Traversez.

A droite et à gauche.

Retxaversez.

Balancez et tour de main.


Die andern Paare wiederholen es.


III.

La Poule.


(Erster Herr und zweite Dame.)

La main droite.

La main gauche.[199]

Balancez en ligne.

Demi-promenade.

En avant deux et en arrière.

A droite, à gauche.

En avant quatre et en arrière.

Demi-chaîne anglaise.


Die übrigen Paare desgleichen.


Nr. IV.

La Trénis.


En avant deux et en arrière.

La dame traverse.

Le cavalier en avant et en arrière.

Traversez à trois.

Balancez, à vos places et tour de main.


Die übrigen Paare desgleichen.


Nr. V.

La Pastourelle.


a) En avant deux et en arrière.

Le cavalier traverse.

En avant trois et en arrière. (deux fois.)

La dame seule en avant et en arrière.

Demi-ronde à gauche. (à quatre.)

Demi-chaîne anglaise.

b) En avant deux et en arrière.

La dame traverse.

En avant trois et en arrière. (deux fois.)

Le cavalier seul.

Demi-ronde à gauche. (à quatre.)

Demi-chaîne anglaise.


Die übrigen Paare desgleichen.


(Diese Touren werden oft verschmolzen, indem abwechselnd von einem Paar die Dame, vom folgenden der Herr herübergeht. Dadurch wird eine zu große Fülle auf der einen Seite vermieden.)
[200]

Nr. VI.

Finale.


Demi-grande promenade et tournez.

Balancez et tour de main.

En avant quatre et en arrière,

En avant quatre, changez les dames.

En avant quatre et en arrière,

En avant quatre, reprenez vos dames.

Demi-grande promenade et tournez.

Balancez et tour de main.

Grande ronde à droite et tournez.

Toutes les dames au milieu.

Les dames moulinet la main droite.

Les dames moulinet la main gauche.

Balancez et tour de main.

Grande ronde à gauche et tournez.

Tous les cavaliers au milieu.

Les cavaliers moulinet la main droite.

Les cavaliers moulinet la main gauche.

Balancez, à vos places et tour de main.

Grande chaîne à droite, la main droite.

Tournez.

Balancez, à vos places et tour de main.


Statt der Wiederholung des Moulinet durch die Herren lautet das Kommando öfters Les cavaliers ronde au milieu! Die Herren fassen sich an den Händen, das Gesicht den Damen zugekehrt, die Damen bilden ebenfalls einen (den äußeren) Kreis, grande ronde des dames, die Herren ronde à gauche, die Damen ronde à droite. Balancez, à vos places, sowie man sich seinem Herrn vis-à-vis befindet.

Alle in Tanzbüchern weiter angegebenen Ausschmückungen des Tanzes werden nicht kommandiert. Ebensowenig wie die hier den Touren vorausstehende Bezeichnung, z.B. Le Pantalon u.s.w. Dem Herrn des ersten Paares steht das Recht des Kommandos zu.
[201]

8. Les Lanciers. Dieser Tanz ist außerordentlich anmutig, wenn er korrekt getanzt wird. Er verlangt graziöse, sich dem Rhythmus der Musik anschmiegende Gehweise und Verbeugungen. Dieselben zu unterlassen in dem Gedanken, sie seien überflüssig, verrät, daß man den Charakter des Tanzes nicht erfaßt hat. Es giebt nur eine wirklich echte Musik zu den Lanciers1; sie nach jeder andern Quadrillenmusik tanzen zu wollen, ist grundfalsch und rächt sich durch Unordnung in den Tanzfiguren, für die die ersterwähnte Musik eben geschrieben ist. Die Aufstellung erfolgt, wie schon gesagt, im Carré zu vier Paaren. Die Lanciers werden niemals kommandiert, man setzt ihre Kenntnis voraus.

Hier die Tourenfolge zur Orientierung.


I. Les tiroirs.


Révárence à sa dame.

Révérence à la dame voisine.

Erster Herr und zweite Dame en avant et en arrière.

Tour de main droite.

Erstes u. zweites Paar traversez (1. geschlossen i.d. Mitte).

Retraversez (2. geschlossen in der Mitte).

Tour de main.

Révárence à sa dame.

Révérence à l'autre dame.


Die übrigen Paare desgleichen.
[202]

II. Les lignes.


Erstes Paar en avant et en arrière.

Et avant, la dame tourne.

Chassez à droite, à gauche.

Tour de main.

En avant huit en lignes et en arrière.

Tour de main et révárence.


Die übrigen Paare desgleichen.


III. Les moulinets.


Révérence.

Erster Herr und zweite Dame en avant.

Réverence prolongée (oder grand compliment).

Demi-moulinet des dames par la main droite et

Tour de main (gauche) avec les cavaliers de vis-à-vis.

Demi-moulinet des dames et tour de main (avec leurs cavaliers).


Die übrigen Paare desgleichen.


IV. Les visites.


Révérence.

Erstes Paar visite à droite et révérence, visite à gauche et révérence, chassez, croisez et balancez.

A vos places.

Erstes und zweites Paar chaîne anglaise.


Die übrigen Paare desgleichen.


V. Les lanciers.


Demi-grande chaîne par la main droite et révérence.

Demi-grande chaîne et révérence.

Erstes Paar en avant, tournez (die andern rangieren dahinter und zwar 1, 4, 3, 2, in den folgenden Touren 2, 3, 4, 1, alsdann 3, 1, 2, 4 und 4, 2, 1, 3).

Chassez, croisez, tournez.

[203] Promenade.

En avant huit en ligne et en arrière.

Tour de main, à vos places et révérence. (Auch der Nachbardame.)


Die übrigen Paare desgleichen.


Die Quadrille à la cour unterscheidet sich unwesentlich von den Lanciers und zwar zunächst durch die Bezeichnungen. Die erste Tour heißt alsdann La dorset. die zweite La victoire, die fünfte Finale. In der zweiten Tour heißt es:


Erstes Paar en avant et en arrière.

En avant, la dame vis-à-vis.

Révérence, tour de main droite et gauche,

und dann wie in den Lanciers,

En avant etc., und bei Les visites:

Erstes Paar Visite à droite.

Révérence, ronde à gauche.

Erstes Paar Visite à gauche.

Révárence, ronde à droite et à vos places.


Die Quadrille à la cour wird entweder nach der Lanciers-Musik oder nach den Melodien einer Française getanzt.


9. Das Menuett. Seit den letzten Wintern hat unter dem Einfluß Sr. Majestät Kaiser Wilhelms, der sich für alle historischen, für ihr Zeitalter charakteristischen Bräuche interessiert, das Menuett der Rokokozeit den Eingang in unsern Tanzsaal gefunden und sich einen Platz auf der Tanzkarte erobert. Die Tanzstunden haben es in ihren Lehrplan aufgenommen, und wer es zu »seiner Zeit« nicht lernte, beeilte sich das Versäumte nachzuholen. Es ist deshalb sehr zu empfehlen, ein firmer Menuetttänzer zu werden. Derselbe[204] wird sich z.B. als Aushilfe in der Not den Dank vieler erwerben, wenn, wie es jetzt vielfach üblich ist, ein kleiner Kreis von Bekannten auf einem größeren Balle das Menuett tanzt und einer der Mitwirkenden plötzlich absagt.

Das Menuett ist französischen Ursprungs und gehörte mit der Gavotte am Hofe der französischen Könige im 17. und 18. Jahrhundert zu den Lieblingstänzen. Noch heute tanzen wir das Menuett à la reine – man kennt auch ein Menuett à la cour – nach derselben Musik von Lully, dem Begründer der großen Oper in Paris, nach welcher es im Jahre 1653 zuerst vor Louis XIV. bei einem Hoffest in Versailles getanzt wurde. Charakteristisch für den Tanz ist schon die Aufstellung der Paare.

Während unsere andern Gesellschaftstänze die Carrébildung verlangen, wie wir gesehen haben, wird das Menuett in Kolonne getanzt. Bemerkenswert ist ferner der Menuettschritt, bestehend aus einem Schleifen des einen Fußes nach vorn (dégager), leichter Kniebeuge (plier), Nachziehen des zweiten Fußes, Heben und Senken der Fersen (relever), Besondere Tanzformen sind u.a. Pose: Der Herr und die Dame stehen dos-à-dos, die Dame hat den linken Arm und Fuß, der Herr den rechten Fuß und Arm vorgestreckt und reichen sich die Hand. Demi-pirouette: Drehung aus eben beschriebener Stellung in eine vis-à-vis-Stellung, im Menuettschritt ausgeführt.

Das Menuett wird nicht kommandiert. Es endet mit einer Schlußpolonaise, an welche sich oft der Menuettwalzer[205] anschließt. Er verlangt Grazie, Anmut und Selbsterkenntnis resp. Personenwahl, denn geradezu lächerlich wirkt es, wenn ein riesengroßer Herr oder eine korpulente Dame sich in zierlichem Menuettschritt versucht.

Im Kostüme getanzt, bildet es auf einem Ball oder Maskenfest eine reizende, allseits gern gesehene Abwechslung.

10. Der Cotillon. Und nun zu dem Tanz der Tänze, zu dem schönsten, bedeutungsvollsten von allen, dem Liebling der Jugend, die aus seinen Verschlingungen und merkwürdigen Führungen so gern ein wenig Schicksal herausliest, zum Cotillon! Einige Jahre stiefmütterlich behandelt und zu Gunsten des Blumenwalzers zurückgestellt, beginnt er jetzt wieder in Aufnahme zu kommen. Er verlangt einen gewandten Arrangeur, der die Touren mit Geschick auszusuchen und mit Abwechslung aufzuführen versteht. Die Anfertigung und der Vertrieb von Cotillonbedarfsartikeln bildet heute eine eigene Geschäftsbranche. Bei der Auswahl der Touren muß der Takt der erste Helfershelfer sein. Viele verfallen auch in den Fehler, zu viele Touren einzurichten, die Geduld darf aber nicht auf die Probe gestellt werden. Man thut ferner gut, Touren zu wählen, die möglichst viele Paare zugleich beschäftigen.

Bei Beginn des Cotillons, der teils als Schluß des Balles nach dem Grundsatz: »Das Schönste kommt zuletzt!« getanzt wird, teils unmittelbar vor oder nach dem Souper eingeschoben wird, damit auch solche, die früher aufzubrechen gedenken, daran teilnehmen können,[206] werden die Stühle im Kreise aufgestellt, da es Sitte ist, daß die Paare sich setzen und nur zum Tanze aufstehen. Der Herr setzt sich zur Linken der Dame; ist der Raum so beschränkt, daß zwei Reihen nötig werden so nimmt er hinter seiner Dame Platz. Er wird sich Dank erwerben, wenn er bereits beizeiten für Stühle gesorgt hat. Der Arrangeur sitzt mit seiner Dame vor der Musik oder so, daß er sich leicht mit derselben verständigen kann. Der Beginn des Tanzes pflegt ein sogenanntes Abtanzen der vom Arrangeur abgezählten Paare (jedesmal je nach Raum 6–12 Paare) zu sein. Hierbei sei bemerkt, daß man sich den Anordnungen des Arrangeurs unbedingt fügen muß. Glaubt man sich zurückgesetzt, so kann man ihm in einer Pause eine sachlich gehaltene Mitteilung machen: »Dürfte ich Sie bitten, die Paare an jener Wand etwas mehr zu berücksichtigen?«, nie aber aus Rücksicht für den Wirt wie für die Gesellschaft, in der man sich befindet, sich zu lauten Vorstellungen oder gar eigenmächtigem Handeln hinreißen lassen. Die Musik spielt abwechselnd Walzer und Polka, damit jedem sein Recht werde. Man orientiere sich, sobald man an die Reihe kommt, so rasch und gut es geht, um die Ausführung der Tour nicht aufzuhalten. Im Abschnitt »Im Tanzsaal« ist erwähnt, daß man, falls die Touren uns mit bisher nicht Vorgestellten zusammenführen – was nur auf dem öffentlichen Ball vorkommt, in Privatgesellschaften macht man sich ja gleich zu Anfang mit allen bekannt – ruhig, ohne zu zögern, miteinander zu tanzen hat. Der Herr holt dann sofort die Vorstellung nach. Eine Bitte um Verzeihung,[207] begleitet von den Worten: »Gnädiges Fräulein waren so umringt, daß ich vorhin meinen Vorsatz nicht ausführen konnte,« wird gnädiger aufgenommen werden wie eine Namensnennung, nur von einer Verbeugung gefolgt. Ueberhaupt ist eine gewisse Verbindlichkeit, eine liebenswürdige Höflichkeit – nicht mit leerer Schmeichelei zu verwechseln! – ein im Verkehr mit Damen geschätztes, ja fast unentbehrliches Kleingeld.

Den Beschluß des Cotillons macht die Blumen-und Schleifentour. Die Cotillonbouquets, von denen der Wirt mindestens vier, ist er freigebig, sechs auf jede Dame rechnen sollte – haben die Damen viel, recht viel Bouquets bekommen, so entscheidet dies nicht selten in ihren Augen den Erfolg der Gesellschaft, darum lieber Gastgeber und Arrangeur, bestelle lieber ein paar mehr! – werden auf allerhand künstlichen Stellagen in den Tanzsaal gebracht. Da giebt es einfache Pyramiden, Kissen, eine Windmühle, deren Flügel sich drehen, Pavillons, Etagèren, ja nicht selten kommt das erfinderische Köpfchen des Haustöchterchens noch auf andere hübsche, noch nie dagewesene Gedanken. Die Herren holen sich nach erfolgtem Abtanzen die Sträußchen, um sie den Damen mit einer Verbeugung zu überreichen; diese danken durch die Gewähr einer Extratour. Ist eine Dame ermüdet, so kann sie ablehnen, darf jedoch keine Ausnahme im Abschlagen des Tanzes machen. Bei den Herren gilt es, möglichst viel Sträußchen zur Verteilung zu haben. Gegen dieses Prinzip läßt sich nichts sagen, wohl aber sollte es nicht bis zur wilden Plünderung des betreffenden[208] Ständers kommen. Artig ist es, wenn die Herren der Dame des Hauses gedenken, auch wenn sie nicht mehr tanzt, und ihr ein Bouquet überreichen. Daß die tanzende Tochter des Hauses zu berücksichtigen ist, versteht sich eigentlich von selbst.

Bei der nun folgenden Schleifchenverteilung durch die Damen sollten diese sich von dem Grundsatz leiten lassen, nur Bekannte, in erster Linie solche, die ihnen Blumen brachten, aufzufordern. Ein Entgegenkommen da, wo der Herr sich wenig um die Dame kümmerte, ist mindestens unklug und kann die Dame leicht in ein falsches Licht bringen. Dagegen steht es einer jungen Dame sehr wohl an, dem Hausherrn oder einem andern ältern Herrn, dem gegenüber sie die Verpflichtung der Dankbarkeit hat, eine Schleife oder einen Orden zu überbringen.

Ein Cotillon soll abwechslungsreich, unterhaltend, bunt, reichlich bemessen sein. Ihm ein protzenhaftes Gepräge durch Touren mit kostbaren, den Empfänger verpflichtenden Geschenken – ausgenommen sind Scherzartikel und kleine Gegenstände ohne Wert – verleihen zu wollen, ist unfein und findet stets strenge Verurteilung.

Lieber Leser, bist du Gastgeber oder willst du's werden, so beherzige diesen aus langjähriger Erfahrung hervorgehenden gutgemeinten Wink!

Fußnoten

1 Sie findet sich in The Lancers (Les Lanciers). Nach dem Original zusammengestellt von C. Schubert. Schott's Verlag in Mainz.


Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.].
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