Unser Haus und Heim.

(Auszug aus einem Brief an Jungverlobte.)


Mit vieler Freude und innigem Entzücken werdet Ihr an die Beschaffung Eurer Ausstattung, an die Einrichtung des eigenen Hauses gehen. Könnte ich Euch doch so recht den Grundsatz einprägen: Beschafft alles in Uebereinstimmung mit der Art und Weise, in der Ihr in Zukunft Euer Hauswesen zu führen beabsichtigt. Eine luxuriöse Einrichtung, kunstvolle, schwer zu bewegende Möbel, kostbare Kunstwerke und nur ein Dienstbote, der all den Reichtum an Dingen nur ungeübt und ungenügend reinigen kann – das ist ein Mißklang in Euerer Lebenssymphonie.

Heutzutage wird so unendlich viel dem Dämon Schein geopfert! Frau A. muß unbedingt seidene Uebergardinen im Salon haben, weil Frau B. auch welche hat und Frau C. denken könnte, sie, Frau A., wäre pekuniär so ungünstig gestellt, daß sie sich keine leisten könne. Das Vorspiegeln falscher Thatsachen wird bestraft, aber das Sand in die Augen streuen, wie es so viele Menschen thun, indem sie im innersten Innern des Hauses die äußerste Sparsamkeit, um nicht zu sagen Aermlichkeit, herrschen lassen, damit sie nur nach außen glänzend repräsentieren können, gilt, obgleich es eine Art von Betrug ist – unter Umständen auch ein Selbstbetrug – für erlaubt! Macht es Euch zur Aufgabe, meine Lieben, Harmonie, diese Göttin einer andern Welt, in Euer Haus einzuladen. Euere Lebensführung entspreche Euerer Umgebung, Euerem Geldbeutel, Euerer Erziehung, Eueren Neigungen. Ein harmonisches Leben im Hause ist das vollkommenste Glück auf Erden. Es schließt Zufriedenheit und Freudigkeit in sich. Seinem Zauber wird sich keiner entziehen. Jedermann empfindet den Reiz einer solchen Häuslichkeit.

Der wahre gute Ton verlangt, daß wir unsere Lebensführung auf der soliden Basis der Wahrheit gründen und so leben, wie es die Mittel gestatten. Wer über seine Verhältnisse hinaus lebt, wer vornehm thun will um jeden Preis, auch um den der häuslichen Gemütlichkeit, wer ein geziertes, affektiertes Gebahren annimmt, sobald er mit andern in Berührung kommt, verrät den unsichern, ja den feigen Menschen, der nicht den Mut der Wahrheit, der eigenen Persönlichkeit hat.

Was verlangt der gute Ton von Euerem Haus und Heim aber weiter nächst dieser Forderung der Wahrheit in Euerem Thun und Lassen? Au was sollt Ihr besonders Euer Augenmerk richten? Sorget zuerst für blitzende Sauberkeit im Hause. Unordnung und Unreinlichkeit verstoßen direkt gegen die Gesetze der verfeinerten Lebenskunst.[2]

Aber in wie vielen Familien, auch solchen, die sich vornehm dünken, wird gegen dieses Gebot gesündigt! Da giebt es einen Salon, der aufgeräumt, gesäubert und für das Auge des Gastes gefällig hergerichtet ist. Wie aber sieht es im Eß- und Wohnzimmer aus! Da lugt die Nachlässigkeit aus allen Ecken, Unordnung herrscht auf Tischen und Stühlen, und ängstlich hütet man sich, den Gast in diese Räume zu führen. Und doch sollten alle Räume täglich so weit gereinigt und auch aufgeräumt sein, daß sie sich fremden Augen präsentieren können.

Die Mode des Salons, eines nur für den Empfang von Besuchen und Gästen bestimmten Zimmers, ist von den Franzosen zu uns herübergekommen. Weit behaglicher dünkt uns die englische Sitte, die das Drawing-room zum Versammlungsplatz der Familie macht. Der Gast fühlt sich doch ungleich wohler in einem Zimmer, das den Stempel des Bewohntseins trägt, als in jener ungemütlichen guten Stube, welche sogar oft der des Nachbars verzweifelt ähnlich sieht, wenn die Familien ungefähr zu derselben Zeit geheiratet haben, und nur Tapezierergeschmack dokumentiert.

Richtet Euch daher lieber keinen Empfangssalon ein, sondern ein großes, behagliches Wohnzimmer. Aber achtet bei Eueren Einkäufen darauf, daß alles harmonisch zu einander paßt. Wählt nur geschmackvolle Sachen. Gar oft werden die Bewohner eines Hauses nach dessen Einrichtung beurteilt. Ueberladener Prunk, aufdringlicher Putz verstimmt, beleidigt das gebildete Auge, hat sogar schon abgestoßen und entfremdet. Die Harmonie[3] unserer Umgebung ist für manchen ein unverstandenes und unslösliches Rätsel. Guter Geschmack ist zwar meist angeboren, ein sechster Sinn, der uns instinktmäßig leitet, dies zu thun, jenes zu lassen, aber er kann auch durch die Erziehung geweckt und gebildet werden, und auch dem schon gereiften Menschen wird es gelingen, durch Studium von Kunstgeschichte, Betrachten von Gemälden und andern Kunstwerken seinen Geschmack zu läutern, ihn der herrschenden Geschmacksrichtung der Zeit zu nähern.

Der gute Ton verlangt, daß wir jedem Raum seinen Zweck lassen. Das Eßzimmer ist zum Speisen da, das Herrenzimmer zur besonderen Benutzung durch den Hausherrn, im Schlafzimmer soll nicht gearbeitet werden.

Unter der Harmonie, die wir für unsere Umgebung fordern, sollt Ihr jedoch nicht die sogenannte Stilgerechtigkeit, mit der so viel Unfug getrieben wird, verstehen. Selbstverständlich ist es reizvoll, wenn man ein Zimmer mit eingehendem Kunstverständnis in irgend einer Stilart ausstatten kann. Was für ein Zauber liegt in einem lichten, kosigen, eleganten Rokokosalon mit seinen heitere Lebensfarben atmenden Farben und Formen! Wie traulich einladend winkt das Eßzimmer mit seinen gediegenen, schwer-massiven Renaissancemöbeln, den weit ausladenden Sesseln, den Glasfenstern mit ihren bunten, gebrochenen, alles verschönernden Lichtstrahlen! Gewiß, das ist Harmonie! Doch auch die heterogensten Stilarten lassen sich zu einem geschmackvollen Ganzen zusammenstellen, wenn man die Farben berücksichtigt, hier[4] Kontraste schafft, dort durch Pflanzenarrangements vermittelnd wirkt. Merkt Euch das, meine Lieben: nie dürft Ihr zu Sklaven Euerer Möbel werden!

Es ist wenig angebracht, der Gesellschaft dadurch ein Opfer zu bringen, daß man die besten Räume für sie reserviert, selbst aber zum Wohnen und Schlafen mit den bescheidensten Stübchen fürlieb nimmt. Wohl ist die Pflege der Geselligkeit mit das Schönste, was unser Alltagsleben verklärt, aber sie darf uns nicht zu einer Knechtschaft werden, unter der wir und unser ganzes Haus leiden.

Und nun noch einige Kleinigkeiten auf die Gefahr hin, daß Ihr über die Endlosigkeit dieses Briefes entrüstet seid.

Der gute Ton verlangt von Euch, daß Ihr stets und in jeder Lage des Lebens ein Zimmer in Bereitschaft habt, um Besuch zu empfangen. Dasselbe muß immer fix und fertig und in tadelloser Ordnung sein. Wie unangenehm berührt es den Besuch, wenn er endlos im Vorzimmer warten muß, bis die Staubkappen von den Möbeln entfernt sind! Wie peinlich für den Besucher, wenn er sieht, wie Wirt und Wirtin im ungeheizten Zimmer frieren! Er selbst ist geschützt durch Mantel und Muff, aber die Hausfrau wird blaß, fröstelt und gähnt wohl gar vor Kälte. Also sorgt für ein geheiztes Empfangszimmer!

Daß neben der Sauberkeit, auf welche ich oben hingewiesen habe, in den Zimmern gute Luft herrschen soll, ist eigentlich selbstverständlich. Aber auf unseren Besuchsreisen haben wir schon oft die reine Luft in[5] Zimmer und Korridor vermißt. Im Salon die rauchdurchschwängerte Atmosphäre vom Abend vorher, auf dem Vorplatz die aus Bratenpfanne und Waschtopf entströmenden Düfte lieblich gemischt.

Das Parfümieren der Zimmer ist gänzlich veraltet. Man stellt einige, wohlverstanden wenige (denn der Blumen Rache erzeugt bei vielen unerträgliche Kopfschmerzen) wohlriechende Blumen ins Zimmer. Ist das Unglück passiert, daß kurz vor dem Kommen der Gäste die Lampe flammt oder der Ofen raucht, so kann man kölnisch Wasser in silberner Schale verbrennen lassen oder eine Platinlampe anzünden, welche die Luft verbessert, indem sie den Rauch verzehrt.

Wer den Anspruch erhebt, zur guten Gesellschaft gezählt zu werden, muß sein Haus auch in den Stand setzen und es darin erhalten, daß fremde Augen es unerwartet beschauen können. Der Salon darf nicht als Stapelplatz aller Arten von Einkäufen benutzt werden. Am Amerikaner des Eßzimmers darf nichts zum Trocknen hängen, im Vorzimmer darf nicht, so verlockend es auch sein mag, geplättet werden. Man tröste sich nicht mit dem Gedanken: »Heute wird wohl niemand kommen!« Gerade an solchen Tagen – ich möchte sie als Tage bezeichnen, wo die Hausfrau das Gefühl hat, eine große häusliche Schlacht zu schlagen – pflegen tückische Kobolde uns lieben, manchmal auch – gefürchteten Besuch ins Haus zu führen.

Daß Ihr Euere Zimmer nicht mit wertlosen Oeldrucken ausschmücken sollt, brauche ich bei Euch Kunstverständigen wohl gar nicht zu erwähnen. Der Wandschmuck,[6] den wir in den Zimmern des Hauses finden, gestattet meist einen richtigen Schluß auf die Bildung der Bewohner. Hat man keine guten Kupferstiche oder Oelbilder, so wähle man Photographien. Statt der jetzt so beliebten Wanddekorationen aus allerlei verkleideten Kleinigkeiten des täglichen Gebrauchs – der Kochlöffel als Schlüsselhalter, die Wäscheklammer als Kleiderhaken – hängt lieber ein paar schöne alte Porzellan- oder originelle Bauernteller aus Steingut an die Wand. Sie sind wenigstens keine Staubfänger und von längerer Lebensdauer.

Du wirst im Laufe der Jahre merken, liebe junge Braut, daß auch die dauerhaftesten Sachen schadhaft werden können. Bemühe dich sofort, jeden kleinen Schaden gut und dauerhaft zu reparieren. Dies ist der einzige Weg, um die Sachen zu erhalten und größere Ausgaben und Neuanschaffungen zu vermeiden. Wer diesen Grundsatz mit Konsequenz befolgt, wird die Freude haben, seine gesamten Sachen zu einer Zeit noch tadellos zu sehen, wo andere Ehepaare des gleichen Jahrganges sich bereits nach einer neuen Einrichtung umsehen müssen. Menschen, die ein Loch in der Gardine, abgetretene Posamenten, abgerissene Quasten am Sessel, eine zerbrochene Armlehne in ihrem Zimmer dulden, verraten grobe Nachlässigkeit und den Mangel an Schönheitsgefühl.

Doch Ihr werdet schon lange das Ende dieser Epistel herbeigesehnt haben, vorausgesetzt daß Ihr mir überhaupt bis hierher gefolgt seid. Darum für heute genug. Beherzigt ein wenig meine auf langer Erfahrung[7] beruhenden Winke, wenn Ihr wollt und könnt. Ihre Richtigkeit werdet Ihr mit der Zeit einsehen lernen. Meine besten Wünsche für Haus und Heim!1 Und Dir, liebes Bräutchen, noch einen besonderen Rat ganz im Geheimen! Du brauchst ihn Deinen Herrn und Gebieter gar nicht lesen zu lassen: das Zimmer des Hausherrn bleibe stets unberührt von allen Vorgängen des häuslichen Lebens. Es sei Deine Lielingspslicht, es stets freundlich auszuschmücken. Ueberlasse die Sorge für den Schreibtisch und das Ausleeren des Papierkorbes nie fremden Händen und – wenn Du Deinem Manne einen Gefallen thun willst, so krame nie unter seinen Papieren, Briefen und Büchern.

Fußnoten

1 Wir wollen es nicht unterlassen, an dieser Stelle auf das vorzügliche, einzig in seiner Art dastehende Werk von J. von Wedell »Mein Haus, mein Stolz. Ein praktischer Ratgeber für alle, welche ihr Heim zeitgemäß einrichten und Geselligkeit pflegen wollen« (Preis brosch. M. 3. 60, eleg. geb. M. 4. 50), aufmerksam zu machen. Wem daran gelegen ist, in allen seinen Räumen die eigene Individualität in geschmackvoller und künstlerischer Weise zur Geltung zu bringen und dadurch jenen wohlthuenden Zauber über alles auszugießen, der selbst eine einfache Einrichtung behaglich und gemütlich erscheinen läßt, der wird in diesem Buche reichste Anregung und Belehrung finden. Ebenso wertvoll sind die zahlreichen Ratschläge, welche für die Pflege der im Leben so unentbehrlichen Geselligkeit, überhaupt für das Leben in der Familie und in der Gesellschaft, gegeben werden. Was dem Buche, das als Pendant zu dem vorliegenden angesehen werden kann, in den Augen der großen Schar von Kunstdilettanten, die gern ihr eigenes Können bei der Einrichtung ihres Heims bethätigen, noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der Umstand, daß darin gelegentlich alle diejenigen Gegenstände aufgeführt sind, an die sie sich mit ihrem Fleiß und ihrer Geschicklichkeit heranwagen können.

(Anm. d. Verl.)


Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.].
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