Vom Rauchen.

[361] Rauchst du, lieber Leser, oder bist du geschworener Nichtraucher? In letzterem Falle darfst du dieses Kapitel überschlagen – Damen dürfen es ebenfalls – sonst aber muß ich deine Geduld noch einmal auf die Probe stellen.

Im Kasino des Offiziercorps in J. ist das Liebesmahl beendet. Die Ordonnanzen stellen die brennenden Kerzen in silbernen Leuchtern auf die Tafel – die Erlaubnis zum Rauchen ist gegeben. Man wartet noch einen Augenblick, bis der Kommandierende, der heute im Anschluß an die Besichtigung als Gast im Kasino weilt, sich die Cigarre an einer Kerze, die sein Tischnachbar ihm hinhält, angezündet hat. Dann greift alles zu den geliebten Cigarren. Ganz unten am Tisch saßen die Fähnriche und Avantageure; zwischen ihnen läßt sich jetzt Lieutenant B. nieder, der sich ihrer Erziehung stets ernstlich annimmt. Heute scheint es die Cigarre zu sein, der seine Worte gelten.

»So gut wie gerade jetzt haben Sie es nicht immer,[361] meine Herren, gar oft kommen Situationen vor, wo Sie sich das Rauchen, und thäten Sie es noch so gern, verkneifen müssen, wo Sie Ihre teuere Cigarre, die Trösterin in einsamen oder ärgerlichen Stunden, schnöde verglimmen lassen oder wegwerfen müssen. Sie lächeln überlegen? Nun, warten Sie nur ab, was ich Ihnen über diesen Punkt noch zu sagen habe, dann werden Sie nicht mehr so ungläubig dareinschauen.

Im Verkehr mit Herren unterliegt das Rauchen nur der Einschränkung, daß, falls Höhergestellte dabei sind, wie eben hier, diese den Anfang machen und dadurch die Erlaubnis geben. Anders ist es im Verkehr mit Damen. Ist man in einem Hause eingeladen, so darf man nicht von allein zu rauchen beginnen, auch nicht den Wunsch danach aussprechen. Der Wirt bietet dem Gaste die Eigarre an, die dieser, falls er überhaupt zu rauchen beabsichtigt, unbedingt annehmen muß. Seine eigenen Cigarren zu rauchen, ist mehr wie unartig und könnte nur dann gestattet sein, wenn die Cigarren des Wirtes sehr stark wären und man selbst mit der Motivierung: ›Ich möchte lieber eine ganz leichte Sorte rauchen. Wollen Sie mir erlauben, meine eigene anzuzünden?‹ sich an den Gastgeber wendet. Derselbe wird jedoch stets für eine leichtere und schwerere Sorte gesorgt haben und könnte diese Bitte leicht als Mißtrauensvotum betrachten.

Spricht der Wirt die Aufforderung aus, ihm ins Herrenzimmer zur Cigarre zu folgen, so entspricht man derselben ohne allzu große Haft. Ist man in ein Gespräch mit einer Dame verwickelt, so dankt man mit[362] einer stummen Verneigung für die Einladung, bricht das Gespräch aber nicht sofort ab, sondern beendet es ohne Unruhe und verläßt die Dame nicht, ohne sie zu der übrigen Damenwelt geführt zu haben. Man beurlaubt sich mit einer Verbeugung.

Dem Genuß des Rauchens wird man in einem fremden Hause nie unmäßig frönen. Will man als liebenswürdiger Gesellschafter gelten, so wird man nach einiger Zeit wieder unter den Damen erscheinen und sein Scherflein zur Unterhaltung beitragen.

Trennt sich die Gesellschaft nicht, sondern sind die Damen dabei, wenn die Cigarren angeboten werden, – man bietet sie in den betreffenden geöffneten Kisten an; auf einem kleinen kupfernen oder silbernen Tablett folgen große, lange Schwefelhölzer, Cigarrenabschneider und kleine Aschenbecher – was bei kleinen gemütlichen Abenden vielfach der Fall ist, so wendet sich der Herr mit einer leichten Verbeugung an die Dame des Hauses und spricht: ›Gestatten Sie, gnädige Frau?‹ Diese wird mit einem liebenswürdigen Neigen des Hauptes oder den Worten ›Gern!‹, ›Gewiß!‹, ›Bitte Herr von Z.!‹ natürlich sofort die Erlaubnis erteilen. Man sehe sich beizeiten nach dem Standplatz des Aschenbechers um. Die Cigarre so weit zu rauchen, ohne die Asche abzustreifen, daß diese Kleider, Teppiche und Tisch verunreinigt, ist unfein, ebenso das Abstoßen der Asche auf Teller und ähnliches Geschirr. Ist keine Schale für die Asche vorhanden, so wende man sich aufstehend mit der Bitte: ›Wo darf ich mir einen Aschenbecher holen, Herr X.?‹ an den Wirt.[363]

Beim Weggang aus Gesellschaften pflegt der Hausherr seinen Gästen noch eine Cigarre für den Heimweg anzubieten. Diese Sitte zu unterlassen, ist nicht ratsam. Wer von dem Anerbieten Gebrauch macht und in die Cigarrenkiste greift, nehme in der That auch nur eine und erwecke nicht den Anschein, als bestreite er seinen Cigarrenbedarf aus fremden Kisten.

Im Gasthaus ist die Freiheit des Rauchens wenig eingeschränkt. Außer in Konditoreien, wo das Rauchverbot wegen der ausliegenden Waren nötig ist, wird in Cafés wie in Restaurants überall geraucht. Ist man in Begleitung von Damen, oder setzt man sich an einen Tisch, an dem Damen Platz genommen haben, so hat man um Erlaubnis zu fragen, ehe man seine Cigarre anzündet. Eine Dame wird dieselbe an einem öffentlichen Orte, wo überhaupt geraucht wird, nicht verweigern. Das Fragen bleibt also reine Formsache, aber eine Form, aus der Höflichkeit, Rücksicht spricht, und die deshalb stets angenehm berührt. Im Hotel pflegen besondere Räume für das Rauchen reserviert zu sein. Wie im Privathaus und wie hier im Kasino wird man dort an der Table d'hote mit dem Rauchen warten, bis die brennenden Lichter aufgesetzt sind.

Was nun das Rauchen im Freien angeht, so unterliegt dasselbe wenigen, aber ernst zu nehmenden Gesetzen. Auf der Straße, auf der Promenade, im Gartenkonzert mag man rauchen, so viel man will, wenn man allein ist. In Begleitung einer Dame hat man es dagegen zu unterlassen, und nur auf deren ausdrücklichen Wunsch darf man es thun. Begegnet man einer[364] Dame und begleitet sie alsdann, so hat man die Cigarre wegzuwerfen, eventuell auszutreten. Begegnet man jemandem, den man grüßen muß, so nimmt man vorher die Cigarre aus dem Munde; auch solange man mit jemandem im Gespräch steht, unterläßt man das Rauchen. Tritt man in ein Haus, um einen Besuch zu machen, so werfe man die Cigarre fort. Sie auf Treppenabsätzen oder Flurtoiletten sorgsam zu späterem Gebrauch aufzuheben, überlasse man Hausknechten und Briefträgern. Findet man einen Bekannten bei der Cigarre, so wird er sie fortlegen, um uns entgegenzugehen, wird seine Cigarrentasche ziehen und uns eine anbieten, und erst wenn wir angenommen haben, wird er nach der seinigen greifen. Lehnen wir ab, so ist es an uns, ihn durch ein höfliches: ›Aber bitte, lassen Sie sich durchaus nicht stören!‹ zur Fortsetzung des Rauchens aufzufordern.

Jeder hört das Kraut gern loben, das er raucht. Falls sich unsere Meinung in der Hauptsache mit dem erwarteten Lobe deckt, so verschweige man seinem Wirt diese freundliche Bemerkung nicht, hüte sich aber, nach dem Preise zu fragen. Das Fragen nach der Bezugsquelle und den Kosten des dem Gaste Vorgesetzten halten manche für einen artigen Beweis von Interesse. Dem Wirt sind aber solche Fragen oft mehr wie peinlich. Er will und mag nicht eingestehen, wie billig er einzukaufen verstanden, er hält die Frage wohl auch für Neugierde, kurz, die Antwort wird ihm schwer. Daher vermeide man als Gast, über das Gebotene eingehende Erkundigungen einzuziehen, als Wirt aber den Wert des Dargereichten in die Höhe zu schrauben durch die Worte:[365] ›Wie hoch taxieren Sie diesen Rüdesheimer?‹ ›Raten Sie mal, was die Cigarre kostet?‹ Solche Fragen bringen den Gast wiederum in den peinlichen Zwiespalt zwischen seinem Renommee als Kenner und seiner Höflichkeitspflicht als Gast.

Will man im Wagen rauchen, so bittet man zunächst um Erlaubnis und richtet es so ein, daß man den andern nicht mit dem Rauch der Cigarre belästigt. Damen sind in diesem Punkte besonders empfindlich und nicht mit Unrecht, da sie das Rauchen ja nur passiv kennen.

Geht unterwegs die Cigarre aus, so darf man in diesem Fall auch einen Fremden mit höflichem Gruß resp. Hutabnehmen anreden: ›Dürfte ich Sie um Feuer bitten?‹ Der Betreffende kann diese Aufforderung nicht abschlagen; er reicht seine Cigarre hin, die man in der Mitte anzufassen hat, und man entzündet die seine. Nachdem man sie vorsichtig zurückgegeben, so daß sich der andere nicht verbrennt, verabschiedet man sich mit höflichem: ›Besten Dank, mein Herr!‹ und erneutem Hutabnehmen. Diese Sitte ist jedoch sehr im Abnehmen begriffen, und ich rate Ihnen auch, stets eine Schachtel Streichhölzer bei sich zu führen. Wer es vermeiden kann, einen andern, vielleicht Eilenden, derart aufzuhalten, der thue es.«

»Und auf der Eisenbahn, wie verhält man sich da?«

»Im Rauchcoupé hat man die Freiheit, so viel und ungefragt zu rauchen, wie man will.

Steigt eine Dame in ein Raucherabteil, so muß sie sich klar sein, was ihrer harrt, und darf nicht den[366] Anspruch machen, daß ihretwegen alle Insassen mit Rauchen aufhören. Ein Mann von guter Erziehung wird jedoch von selbst die Cigarre weglegen, vielleicht auch das Fenster etwas aufmachen, kurz, sich bemüht zeigen, der Dame den unfreiwilligen Aufenthalt erträglich zu machen.

In Coupés ohne besondere Bezeichnung wird der Herr stets sich zuerst fragend an die Dame zu wenden haben, ehe er die Cigarre in Brand setzt. Raucht ein Herr aus Versehen in einem Wagen oder überhaupt an einem Orte, wo das Rauchen verboten ist, so wendet sich der Begleiter der Damen oder ein anderer sich im gleichen Raum befindliche Herr mit den Worten an den unfreiwilligen Missethäter: ›Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, mein Herr, Sie befinden sich in einem Coupé für Nichtraucher!‹ oder ›Das Rauchen ist hier nicht erlaubt!‹ Die Dame selbst macht diese Ausstellung nicht; im Notfall wendet sie sich an den Schaffner oder Portier.«

»Gestatten, Herr Lieutenant, daß ich mich empfehle? Ich bin zu 9 Uhr zu einem Rout bei meinem Onkel, dem Präsidenten von Becker, eingeladen.«

»Na, dann versäumen Sie aber nicht, gründlich Ihre Toilette zu wechseln. Ein Herr, der Cigarrengeruch an sich trägt, ist nicht gesellschaftsfähig und bei Damen unbeliebt.«

»Ich denke, die müßten den Genuß des Rauchens doch zu würdigen und zu entschuldigen wissen, rauchen sie selbst doch wohl – –«

»Mein Bester, ich will Ihrer Unerfahrenheit das zuletzt Gesagte zu gute halten! Es giebt allerdings[367] emanzipierte Damen, die es dem Manne aus Prinzip in allem, also auch im Rauchen, gleich thun wollen. Eine ganze Menge Damen glaubt auch, es sei vornehm zu rauchen; haben sie doch in diesem oder jenem Roman gelesen: ›Komtesse Erika hielt eine Cigarre zwischen den blühenden Lippen,‹ und möchten sehen, wie es bei ihnen aussieht. Aber eine wirklich, echt vornehme deutsche Frau werden Sie nie mit einer Cigarre sehen oder treffen.

Lassen Sie uns unser Glas darauf leeren, meine jungen Kameraden, daß es immer so der Fall sein möge. Auf das Wohl der Damen!«[368]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 361-369.
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