XVI.

Gemeinnützige Bestrebungen.

[214] Des »Königin-Luise-Vereins« in Königsberg habe ich schon gedacht. Er wurde bald nach der am 10. März 1876 erfolgten Feier des hundertsten Geburtstages der Königin, deren Marmorbüste aus den Erträgen im Park zu Luisenwahl aufgestellt werden konnte, von mir und anderen Verehrern der Mutter unseres grossen Kaisers gestiftet und sollte den Zweck haben, besonders begabten Kindern der Volks- und Elementarschulen, die sich eine höhere Bildung anzueignen wünschten, hierzu die nötige Unterstützung zu gewähren; die Mittel dazu hofften wir aus den Jahresbeiträgen der Mitglieder und dem Reingewinn der an jedem folgenden 10. März zu veranstaltenden öffentlichen Geburtstagsfeier zu erzielen. Es gelang uns, für unser Unternehmen Teilnahme zu erwecken und sogar ein kleines Vermögen anzusammeln, das die einzugehenden Verpflichtungen decken konnte. Die »Luisen-Abende«, welche Aufführungen nicht gewöhnlicher Art, Vorlesungen von Dramen mit verteilten Rollen, Vorträge, lebende Bilder brachten und zu denen Felix Dahn und ich gern bezügliche Dichtungen beisteuerten, wurden populär. Wir waren in den Stand gesetzt, eine nicht unerhebliche Zahl von armen Kindern, deren Befähigung nachgewiesen war, zu fördern, wenn auch zu unserm Bedauern nicht immer in dem[215] für den vorgesehenen Zweck erforderlichen Masse. Nach meiner und Dahns Entfernung aus Königsberg wurde es dem Vorstand schwer, die Luisen-Abende fortzusetzen, aber der Verein besteht meines Wissens noch gegenwärtig unter Protektion des Oberbürgermeisters Hoffmann, der ihm schon damals ein warmes Interesse zuwendete. –

Vom 11. Juni 1870 datiert das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, Kompositionen und dramatischen Werken, ursprünglich nur für den Norddeutschen Bund in Wirksamkeit, bald auf das Deutsche Reich ausgedehnt. Es gewährte den dramatischen Autoren endlich den vollen Schutz ihrer Aufführungsrechte wenigstens in Deutschland selbst. Bisher waren diese durch Gesetze der Einzelstaaten und Bundesakte allerdings auch, wennschon nicht so ergiebig, geschützt gewesen, man hatte aber nicht verstanden, durch eine Organisation der deutschen Autoren diese gesetzliche Sicherung, so weit sie reichte, auszunutzen. Es gab nur wenige grosse Hoftheater (darunter das in der Wiener Hofburg), die nach ihren Hausgesetzen eine Tantieme zahlten und durch ihre Kassenführung Garantie dafür boten, dass der Autor wirklich genau nach den Einnahmen und in regelmässigen Terminen honoriert wurde. Ihnen wurden die Stücke persönlich eingereicht. Mit den übrigen Bühnenvorständen musste wegen des Honorars für Überlassung des Aufführungsrechtes verhandelt werden, und man nahm lieber eine feste Summe ein für alle Mal, als dass man sich auf eine Anteilszahlung einliess, deren Betrag nicht kontrolliert werden konnte, wenn es wirklich bekannt wurde, dass eine Aufführung und mit wie viel Wiederholungen stattgefunden hatte. Die Verhandlung wurde nun gewöhnlich durch einen Theateragenten geführt, dem sich der Autor auf Treu und Glauben ergeben musste, da es ihm in den seltensten Fällen gelang, Einsicht in seine Bücher zu erhalten. Es wurden damals von den glaubhaftesten Autoren die unglaublichsten Geschichten von der Nachlässigkeit und Unzuverlässigkeit[216] dieser Herren erzählt, und ich selbst hatte schon die schlimmsten Erfahrungen gemacht, sodass ich die allseitigen Klagen für durchaus berechtigt ansehen musste. Die Konkurrenz der Agenten unter einander bewirkte, dass oft Aufführungsrechte, namentlich die jüngerer Autoren, verschleudert wurden, und auch nur überhaupt eine Abrechnung, richtig oder falsch, herauszubekommen, gehörte für sie zu den schwierigsten Dingen. Da jeder Autor für sich allein stand und nur zufällig erfuhr, unter welchen Bedingungen derselbe Geschäftsmann für einen Kollegen arbeitete, war an eine Regelung der Beziehungen zwischen beiden Teilen nicht zu denken. Wenn der Agent aber auch ganz ehrlich verfuhr, fehlte doch viel, dass er imstande war, die Bühnenvorstände zu einer angemessenen Honorierung der angenommenen Stücke zu nötigen. Es war immer ihr Vorteil, lieber mit ihnen, als mit dem einzelnen Autor, der etwa geschädigt wurde, in gutem Einvernehmen zu bleiben, und einen Tantiemenvertrag abzuschliessen, war auch für ihn gewagt, da er kein wirksames Mittel hatte, die Aufführungen und Einnahmen namentlich der vielen kleineren Theater in Erfahrung zu bringen. Stücke, die von einem Direktor erworben waren, wurden auch von seinem Nachfolger ohne weiteres gegeben, als ob sie mit der Theaterpacht übertragen wären, und um ältere Aufführungsrechte kümmerten die Agenten sich überhaupt wenig mehr. So hatte es kommen können, dass selbst Bühnenschriftsteller wie Roderich Benedix und Frau Birch-Pfeiffer, die lange Zeit das Reportoir beherrschten, keine Seide spinnen konnten.

Jedem Einsichtigen musste es klar sein, dass das neue Gesetz für sich allein in diesen Zuständen keine Besserung schaffen könnte. Nur wenn die dramatischen Autoren vollzählig sich vereinigten und gemeinsame Massregeln trafen, ihren Verkehr mit den Bühnen, direkt oder durch einen Vermittler, auf eine andere Basis zu stellen, war eine gerechtere Honorierung durchzusetzen möglich. Warum sollte den[217] deutschen Autoren nicht gelingen, was den französischen in ihrer Association längst gelungen war?

Nun lebte damals in Mainz ein Mann Namens C.W. Batz, der, womit er sich auch sonst beschäftigen mochte (später hat er Agenturgeschäfte betrieben und Aufführungsrechte angekauft), jedenfalls auch einige Stücke geschrieben hatte. Er mochte wohl Gelegenheit gehabt haben, sich mit den französischen Verhältnissen näher bekannt zu machen, und von der Hoffnung geleitet worden sein, sich ein lukratives Amt zu schaffen, was er jedoch in Abrede stellte; richtig ist, dass er die erste praktische Anregung zu einer Vereinigung der deutschen dramatischen Autoren nach Art der französischen gab. Seine allerdings höchst konfusen und oft ganz unverständlichen Schreiben veranlassten mich und den Präsidenten v. Hillern in Freiburg, welcher die von ihm verwalteten Aufführungsrechte seiner verstorbenen Schwiegermutter, der Frau Birch-Pfeiffer, gewinnbringender auszunutzen wünschte, dabei ein sehr geschäftskundiger und klarschauender Jurist war, mit ihm in Korrespondenz zu treten und dann auch unter einander zu verhandeln. Wir vereinbarten schliesslich ein Statut, das einer grösseren Zahl von Kollegen zur Begutachtung vorgelegt werden könnte. Es war mir gelungen, Paul Heyse für die Sache zu interessieren, und Batz rührte nun wirklich die Trommel. Bald behauptete er, so viel Zustimmung gefunden zu haben, dass im Frühjahr 1871 an die Einberufung einer konstituierenden Versammlung gedacht werden konnte. Nürnberg, recht in der Mitte Deutschlands gelegen und auch den Österreichern nicht allzu fern, wurde als Versammlungsort, der 16. Mai als Tag der Zusammenkunft bestimmt. Batz übernahm es, die Einladungen ergehen zu lassen und für einen guten Empfang der deutschen dramatischen Autoren in der alten Reichsstadt zu sorgen. Er hatte sich sicher auch alle Mühe gegeben, aber der Erfolg blieb in der Hauptsache weit hinter den bescheidensten Erwartungen zurück. Viele waren gerufen, aber wenige gekommen;[218] die Vorbereitungen in Nürnberg zur Aufnahme der Gäste standen im schreiendsten Missverhältnis zu der Beteiligung. Das hatte Batz, als er sich zu den Beratungen den grossen Rathaussaal erbat und an alle Strassenecken Zettel mit der Aufschrift: »Generalversammlung der dramatischen Autoren« ankleben liess, freilich kaum voraussehen können.

Ich kam mit Heyse am 15. Mai nachmittags von Leipzig über Bamberg, wo wir die Nacht geblieben waren und die alte interessante Bischofsstadt genau in Augenschein genommen hatten, angereist und fragten in dem Hotel, das Batz bezeichnet hatte, sogleich nach, wo »die Herren« seien. Es verwunderte uns schon ein wenig, dass der Kellner antwortete: »Er ist ausgegangen«, von einer Mehrzahl der dort Einquartierten aber durchaus nichts wissen wollte. Es ermittelte sich, dass überhaupt nur noch Eduard Mauthner aus Wien als Vertreter der dortigen Autoren und Präsident v. Hillern eingetroffen seien. Wir liessen uns dadurch den Humor nicht verderben. Abends in den »Katakomben« ein feierlicher Empfang seitens des Stadthauptes und anderer Würdenträger statt; es wurden Gedichte auf das wichtige Unternehmen bezüglich und Lieder vorgetragen. Das wirkte bei der kleinen Schaar der Gefeierten recht komisch, aber man fand sich leicht in die Situation und tröstete sich damit, dass wohl der Hauptstrom der deutschen dramatischen Autoren erst am Haupttage eintreffen werde.

Aber als wir am 16. in den prächtigen Rathaussaal eintraten, war er wüst und leer. Es hatte sich nur noch ein Postbeamter Namens Wilferth aus irgend einer süddeutschen Stadt eingefunden, der sich in aller Bescheidenheit als einen dramatischen Kollegen, mehr in spe als nach bisherigen Erfolgen, zu erkennen gab. Zu unserer nicht geringen Verwunderung traten aber zwei Stenographen, mit grossen Mappen unter dem Arm, ein, die Batz in Erwartung der parlamentarischen Debatten bestellt hatte. Sie wurden mit[219] Protest abgelehnt. Wir baten um ein ganz kleines Beratungszimmer und erhielten es vom Herrn Bürgermeister bereitwilligst angewiesen. Auch da fühlten wir uns noch unheimlich. Schon am Nachmittag siedelten wir in unsern Gasthof zum roten Ross über und arbeiteten dort, keineswegs mutlos gemacht, fleissig bis zum späten Abend, um dann unsere Beratungen ebenso eifrig am folgenden und nächstfolgenden Tage fortzusetzen. Die Wenigen hielten Stand und wurden mit der Aufgabe, ein Genossenschafts-Statut zu entwerfen, fertig. Um den Konfusionarius Batz von dem Posten des Direktors auszuschliessen, wurde in dasselbe ein Paragraph aufgenommen, Inhalts dessen niemand dieses Amt bekleiden dürfe, der selbst Stücke zu vertreiben habe. Das war ihm freilich sehr schmerzlich, und wir beraubten uns jedenfalls einer sehr willigen Arbeitskraft.

Am letzten Tage redigierte ich dann noch einen Aufruf, der mit dem Statutenentwurf an alle namhaften dramatischen Autoren versendet werden sollte. Und dann trennten wir uns sehr befriedigt über unser Werk und voll Hoffnung, dass es die besten Früchte tragen werde. Eine nach Leipzig einzuberufende Versammlung war bestimmt, den Verein endgültig zu konstituieren.

Wirklich liefen in kurzer Zeit mehr als fünfzig zustimmende Erklärungen ein. Die Zahl der Mitglieder wuchs auf über zweihundert. Rudolf v. Gottschall wurde erster Präsident, ich selbst in den Vorstand gewählt, dem ich dann dauernd bis jetzt angehört habe.

Die Prinzipien der neuen Gründung waren die folgenden. Die deutschen (auch österreichischen) dramatischen Autoren traten zu einer Genossenschaft mit bestimmten jährlichen Beiträgen zusammen. Der Vorstand hatte für eine wirksame Kontrolle sämmtlicher Aufführungen an deutschen Theatern zu sorgen und zu diesem Zweck die Theaterzettel einzufordern. Jedes Mitglied übertrug durch den Beitritt alle seine Klagerechte aus unerlaubten Aufführungen auf die Genossenschaft,[220] welche unter Übernahme der Kosten durch den bestellten Syndikus prozessierte. So konnte ein durchgreifender Rechtsschutz hergestellt werden. Zugleich wurde, um die Mitglieder gegen Übervorteilung durch gewissenlose Agenten zu sichern, eine Genossenschaftsagentur eingerichtet, die beim Abschluss von Verträgen nach festgestellten Grundsätzen zu verfahren und unter Aufsicht des Vorstandes regelmässig abzurechnen hatte. Ein Direktor stand derselben vor, der auch die Bureaugeschäfte des Vorstandes zu führen verpflichtet war. Aus den Einnahmen der Agentur und den Jahresbeiträgen sollten die Kosten bestritten werden.

Um diese Aufgaben erfüllen zu können, musste die Genossenschaft die Rechte einer juristischen Person haben. Nun gab es damals aber in Deutschland nur einen einzigen Staat, nach dessen Gesetzen sie für einen Verein dieser Art durch gerichtliche Eintragung ohne weiteres zu erlangen waren: Sachsen. In Preussen wurden die Rechte der juristischen Person landesherrlich verliehen und diese Verleihung von dem Nachweis eines nicht unbeträchtlichen Vermögens abhängig gemacht. Damit ergab sich als Sitz der Genossenschaft Dresden oder Leipzig von selbst. Der letztere Ort wurde als bequem in der Mitte Deutschlands gelegen und durch seinen Buchhandel schon zu einem literarischen Zentrum ausgebildet, gewählt.

Daraus erwuchs nun freilich der Genossenschaft sogleich eine gefährliche Gegnerschaft. Berlin war schon damals die eigentliche deutsche Theaterstadt und gewann als solche mehr und mehr Bedeutung. Hier lebten namentlich diejenigen dramatischen Autoren, welche über leichte und sehr gangbare Ware verfügten. Sie meinten, ihre Agentur bei Hand haben zu müssen, und fanden es unbequem, mit Leipzig schriftlich zu verhandeln. Sie traten also von Anfang an nicht ein. Auch andere hielten sich zurück, weil sie glaubten, von Berlin aus besser bedient werden zu können. So wiederholte sich auch seitens vieler Mitglieder immer wieder der[221] Antrag, den Sitz der Genossenschaft nach Berlin zu verlegen, und der Hinderungsgrund, so oft er in Erinnerung gebracht wurde, war immer bald wieder vergessen.

Dazu kam, dass andere Dramatiker sich nicht den geringsten Zwang auflegen wollten, auch wenn ohne solchen für die Gesamtheit, und so auch für sie, nichts zu erreichen war. Bei der Gründung der Genossenschaft wurde uns sofort klar, dass wir von ihr die Vorteile der gleichartigen französischen Vereinigung nur unter der Bedingung würden teilen können, wenn sich die grosse Mehrzahl aller namhaften und zugkräftigen Autoren einreihte und, vorbehaltlich des Rechts zu persönlichem Vertragsabschluss, die Genossenschafts-Agentur als für sich obligatorisch anerkannte. Nur wenn sie unter einem Hut waren, konnten die Autoren einen bestimmenden Einfluss auf die Entschliessungen der Bühnenvorstände gewinnen; nur so war es möglich, ein Theater, welches sich beharrlich billigen Forderungen nicht fügte, durch Vorenthaltung von Novitäten zur Nachgiebigkeit zu nötigen; nur so liessen sich bei allen grösseren Bühnen angemessene Tantiemen statt der beliebten einmaligen Zahlungen durchsetzen. Nur wenn das ganze »Geschäft« in einer Hand war, konnten für jeden die günstigsten Einnahmen herausgewirtschaftet werden. Bald aber zeigte sich's, dass da eine Einigung nicht zu erzielen war. Nicht nur blieben viele Bühnenschriftsteller, die den Theatern unentbehrlich waren, fern, weil ihnen jedes Gemeingefühl abging oder gerade das Aussenstehen Vorteil zu versprechen schien; was vielleicht noch bedauerlicher war: auch innerhalb der Genossenschaft fanden sich unter den von den Bühnen und Agenten gesuchten Autoren Wankelmütige, die sich der statutarischen Verpflichtung entzogen, indem sie Stücke »verkauften« oder Mitarbeiter annahmen, die der Genossenschaft nicht angehörten, oder auch geradezu ihre Pflicht verletzten, ohne nur ihren Austritt zu erklären. Andere traten wirklich aus, als sie merkten, dass doch nicht alle zu vereinigen seien.[222] Um weiterer Fahnenflucht vorzubeugen und die Genossenschaft wenigstens als Schutzverein möglichst kräftig zu erhalten, musste man sich dazu verstehen, den Fundamentalsatz ihres Statuts, die obligatorische Agentur aufzugeben. Fortan lag es nun in dem freien Willen der Mitglieder, ob sie die Genossenschaftsagentur benutzen wollten, und diese wurde dadurch nichts als eine von mehreren Agenturen. Lange nicht einmal die stärkste!

Denn inzwischen hatten andere sich die Bewegung zu Nutzen gemacht, ihr Rechnungswesen besser geordnet, ebenfalls eine wirksamere Kontrolle der Aufführungen hergestellt. Sie boten den Autoren, welche zugkräftige Stücke lieferten, Vorteile, die ihnen von der Genossenschaftsagentur nach deren Geschäftsprinzipien nicht geboten werden konnten. Hatte hier jedes Mitglied Anspruch auf gleiche Behandlung und war es jedenfalls dem Direktor nur in beschränktem Masse möglich, die Aufmerksamkeit der Bühnenvorstände auf hervorragende Novitäten zu lenken, so konnte der Agent für seinen Vollmachtgeber in beliebiger Weise persönlich einzuwirken versuchen, und jeder hoffte, so bevorzugt zu werden. Der Agent trat auch nur mit Autoren in Verbindung, von deren Werken er sich einen Erfolg versprach, und gab, was manchem nicht geringe Bedeutung hatte, auf Verlangen Vorschüsse.

So konnte die Genossenschaft schliesslich auch als Schutzverein nicht mehr leisten, was sie versprochen hatte. Sie ist von denen im Stich gelassen, für die sie geplant war. Die Entschuldigungsgründe kann ich als massgebend nicht anerkennen. Es ist richtig, dass die Nichtbeschränkung des Eintritts auch vielen Dilettanten die Mitgliedschaft ermöglichte; aber sie würden ganz unschädlich geblieben sein, wenn die Meister vom Fach vollzählig mitthätig gewesen wären. Unter derselben Voraussetzung stand der Begründung einer Agenturfiliale in Berlin und selbst der Übersiedelung der ganzen Genossenschaftsagentur dorthin nichts im Wege.[223] Die oft als Hinderungsgrund des Beitritts vorgegebene Beschwerde der Bühnenvorstände, dass ihnen haufenweise unbrauchbares Zeug zugeschickt werde, halte ich für nicht ernst gemeint, denn es ist nur zu bekannt, dass die meisten fast ausschliesslich nur aufführen, was sich in Berlin bereits bewährt hat, sodass es ihnen recht gleichgiltig sein kann, ob sonst noch zehn oder fünfzig Druck-Manuskripte auf dem Tisch liegen.

Ich habe der Genossenschaft, die jetzt den Beschluss gefasst hat, sich aufzulösen und zu liquidieren, viel Zeit und Mühe – ohne Dank und ohne Erfolg – geopfert, von Königsberg aus mehrere ihrer Generalversammlungen besucht, Artikel für ihr Blatt geschrieben, Gutachten abgegeben, mit dem Syndikat korrespondiert. Ich habe ihrer Agentur immer wieder meine Stücke zugeführt, auch als dies schon für recht unklug erachtet werden konnte. Ich bedauere, dass ein Institut, dem sich die günstigsten Aussichten zu öffnen schienen, durch einen gewissen Mangel an Gemeinsinn und Disziplin um seine Bedeutung gebracht wurde, aber ich kann trotz dieses Misserfolges nicht bedauern, für dasselbe mit Wärme eingetreten und in weitem Umfange thätig gewesen zu sein. Von ihm ist jedenfalls die Anregung zu einer Besserung der versumpften Zustände im Agenturwesen ausgegangen und bis zuletzt sind ältere Aufführungsrechte, die den Inhabern sonst keinen Ertrag mehr gebracht hätten, bei der Genossenschaft am besten bewahrt gewesen. –

Viel schwieriger noch, als für die dramatischen Autoren, ist es für die übrigen Schriftsteller, durch genossenschaftliche Vereinigungen ihre Lage zu verbessern. Hier kommt das Verhältnis des Autors zum Verleger oder zur Redaktion von Zeitungen und Zeitschriften inbetracht. Da sich in den Kreisen der (übrigens im Leipziger Börsenverein trefflich organisierten) Verleger immer mehr die kapitalistische Tendenz merkbar macht, scheint auch der Zusammenschluss der Schriftsteller zur Wahrung gemeinsamer Interessen und zum Schutz[224] des einzelnen gegen Ausbeutung dringendes Bedürfnis zu sein. Aber hier handelt es sich um mehr Tausende als bei den dramatischen Autoren Hunderte, und die Neigung der Bessersituierten, für die Gesamtheit Opfer zu bringen, ist noch weit geringer. An Versuchen, Stützpunkte zu schaffen, hat es nicht gefehlt, und ich bin auch da gern bereit gewesen, mit meinen juristischen Kenntnissen und schriftstellerischen Erfahrungen thätig Beistand zu leisten. Die Ergebnisse sind freilich wenig ermutigend gewesen. Im Oktober 1878 wurde der allgemeine deutsche Schriftstellerverband ins Leben gerufen, dessen Statut ich entworfen habe und dem ich von Anfang an als Vorstandsmitglied angehörte. Die Beteiligung war vielversprechend, aber einige der besten Namen fehlten, und die Verbandstage wurden gerade von den Genossen, die am einflussreichsten waren, stets am schwächsten besucht. Ich habe die in Dresden (1879), Braunschweig (1882, auch eine im Frühjahr vorangehende Vorstandssitzung in Leipzig), Darmstadt (1883) und in Schandau (1884) mitgemacht. Den Beteiligten werden die Vergnügungsfahrten zu Dampfboot von Dresden nach Meissen, von Braunschweig zu Eisenbahn nach Harzburg nebst der Rückkehr in die festlich beleuchtete Stadt, von Darmstadt zu Wagen nach dem reizenden Auerbachschlösschen, wo uns junge Damen in Nationaltracht den Wein einschenkten, von Schandau nach Prag, dessen deutsche Bewohnerschaft uns mit hellem Jubel empfing, in freundlichster Erinnerung bleiben. Hier aber schon zeigten sich Zerwürfnisse innerhalb des Verbandes. Ein Teil der Mitglieder, unzufrieden mit der Haltung des Vorsitzenden (Dr. Friedrich Friedrich, der jedenfalls den besten Willen hatte und nach Kräften thätig war,) mit den geringen praktischen Erfolgen, mit der Verausgabung von Verbandsmitteln zu Vergnügungszwecken, sonderte sich ab. Es kam zu hässlichen Streitigkeiten persönlicher Natur, die mich anfangs 1885 veranlassten, mein Amt als Mitglied des Vorstandes niederzulegen, dessen Massregeln[225] ich nicht billigen konnte. Die Opposition gründete bald darauf den deutschen Schriftstellerverein, in den dann der Verband aufging. Ich habe in ihm nur mitgewirkt, wenn meine Hilfe bei Beratungen über Petitionen an den Reichskanzler und Reichstag in Beziehung zum Urheberrecht, oder über eine Verlagsordnung in Anspruch genommen wurde. Nennenswerte Erfolge sind auch von diesem Verein, der wiederholt seine Organisation änderte und sich jetzt aus einer grösseren Zahl von Landesverbänden zusammensetzt, nicht erzielt. Auch hier gab es wieder Unzufriedene, die austraten und eine Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht gründeten, deren ganz gesunde Basis doch den raschen Verfall nicht hinderte, da die vorhandenen Mittel ausser Verhältnis zu den Unternehmungen standen. Ich bin bei ihr nicht beteiligt gewesen.

Die Gründe, weshalb alle Bemühungen, die deutschen Schriftsteller zu einem leistungskräftigen Verbande zu vereinigen, immer wieder scheitern oder mindestens nur schwachen Erfolg haben, liegen grösstenteils in Verhältnissen, gegen welche anzukämpfen den meisten hoffnungslos scheint. Eine verhältnismässig geringe Minderzahl verschafft sich Einnahmen, die zu einer mehr oder weniger behaglichen Existenz hinreichen, nur einzelne bringen es darüber hinaus zu einem Erwerb im grösseren Stil. Diesen gegenüber steht ein sehr grosses Schriftsteller-Proletariat, Männer und Frauen, vielleicht noch mehr Frauen als Männer, den Markt überschwemmend mit Erzeugnissen aller Art, die wenig Wert haben und vollends entwertet werden durch das Massenangebot und die Notlage der Anbietenden. Sie treten in Scharen den Vereinen bei in der Hoffnung, sich als Mitglieder besser zu empfehlen oder eine Anlehnung, eine Unterstützung zu erhalten, bleiben bald den Beitrag schuldig, belasten die literarischen Bureaus mit schriftstellerischen Arbeiten, die schon überall vergeblich herumgeschickt sind oder die geringste Aussicht auf Annahme haben, und ziehen[226] sich empört zurück, wenn ihnen nicht geholfen wird, weil ihnen garnicht geholfen werden kann. Was dazwischen schriftstellerisch thätig ist, verdient in vielen Fällen freundlichste Berücksichtigung. Es handelt sich da um Schriftsteller und Schriftstellerinnen von vielleicht oft nur mässigem Talent, aber wirklichem Beruf, gut vorgebildet, geschult und meist bereits bewährt. Ihnen könnte ein Verein von Nutzen sein, der – womöglich einziger Zweck seines Bestehens – Angebot und Nachfrage zu regeln und das Herabdrücken der Honorare aufzuhalten mit Ernst und Eifer bemüht wäre. Privatunternehmer (literarische Agenturen), nicht einmal immer persönlich zuverlässig, können den gleichen Zweck nicht erfüllen, weil sie das Geschäft in viel zu geringem Umfang treiben und vor allem darauf ausgehen, aus dem Handel mit literarischer Ware für sich einen lohnenden Gewinn zu erzielen. Dieser Handel muss nach Möglichkeit in der Association zentralisiert werden, damit sich jederzeit übersehen lässt, was bei Verlegern und Zeitungen gebraucht wird und was vorhanden ist. Es werden dadurch schon die Kosten der vielfach nutzlosen Einsendung für den Autor wesentlich vermindert. Es können so aber auch die Preise reguliert werden. Gegenwärtig bewirkt die Konkurrenz der Schriftsteller und der Agenturen mit ihnen und unter einander einen so starken Druck, dass in vielen Fällen nicht einmal die mechanische Schreibearbeit ausreichend gelohnt erscheint. Übersetzungen aus allen Sprachen werden für ein wahres Spottgeld angeboten und angenommen und Originalarbeiten müssen folgen, um überhaupt Platz zu finden. Die sogenannten Feuilleton-Korrespondenzen überlassen ihren ganzen Inhalt den Zeitungen für das blosse Abonnement; sie honorieren die von ihnen verbreiteten Artikel aber nur einmal und so niedrig als möglich. Kein Wunder, dass die tausende von Blättchen, welche überhaupt nur mit der Schere redigiert werden, hier ihren Bedarf decken oder Arbeiten direkt vom Schriftsteller ebenso billig haben wollen. Die[227] Verleger endlich finden fast nur bei den Leihbibliotheken Absatz, da das deutsche Publikum trotz des wachsenden Wohlstandes bekanntlich im allgemeinen nicht Bücher kauft, geben diesen bis 50 Prozent Rabatt und werden doch selten selbst mässige Auflagen los, weil die Leihbibliotheken infolge der Konkurrenz den Abonnementspreis auf ein Minimum herabsetzen, also nicht genügend kaufkräftig sind und selbst von den augenblicklich begehrtesten Werken nur eine geringe Zahl von Exemplaren zur Verfügung halten. (Die seltenen Ausnahmen rechnen nicht mit.) Hier bleibt der Vereinsthätigkeit ein weites Feld; sie wird aber nur dann etwas erreichen, wenn sie aus ganz praktischen Gesichtspunkten im Grossen eingreift und sich das Vertrauen einer Mehrzahl tüchtiger und talentierter Schriftsteller erwirbt.

Leichter ist die Aufgabe der lokalen Schriftsteller-und Journalistenvereine, die durch ein strenges Aufnahmeverfahren unlautere Elemente ausschliessen und durch öffentliche von der Presse empfohlene Veranstaltungen von Bällen, Theatervorstellungen etc. ihr Vermögen kräftigen können. Sie wirken höchst segensreich durch ihre Begräbnis- sowie Unterstützungskassen für Witwen, Waisen und Invaliden der Arbeit. Auch haben sie eine Einwirkung auf öffentliche, die Presse betreffende Angelegenheiten, besonders seitdem sie sich zu einem Verbande der deutschen Schriftsteller- und Journalistenvereine für diesen Zweck zusammengeschlossen haben. Dem Verein »Berliner Presse« bin ich sofort nach meiner Übersiedelung nach Berlin beigetreten und habe zu meiner grossen Freude vielfach Gelegenheit gehabt, ihm als Jurist nützlich zu sein.

Es bliebe noch kurz zu erwähnen, dass ich auch im Vorstande des Königsberger Zweigvereins der »Schillerstiftung« thätig gewesen bin und »die literarische Gesellschaft« zu Berlin habe gründen helfen, die sich die gesellige Vereinigung der Berufsgenossen an einer monatlichen Tafelrunde zum löblichen Zweck setzt und sich seit 1888 bestens bewährt.

Quelle:
Wichert, Ernst: Richter und Dichter. Ein Lebensausweis, Berlin und Leipzig 1899, S. 214-228.
Lizenz:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon