V.

Dichterische Versuche.

[82] Es blieb mir Zeit, meine dichterischen Bemühungen fortzusetzen. Ich nannte schon das Trauerspiel »Kaiser Otto III.«. Ich beschäftigte mich mit ihm eifrigst und völlig unbekümmert darum, dass schon zwanzig und mehr Ottone vergeblich dem deutschen Theater angeboten waren. Dieser historische Stoff ist einer der anziehendsten für junge dramatische Autoren, und das erklärt sich leicht aus ihm selbst. Gerade die politische Unreife dieses kaiserlichen Jünglings, der den phantastischen Plan, Rom seinen alten Glanz wiederzugeben, mit leidenschaftlichem Eifer zu seinem Verderben verfolgt, bietet der dichterischen Einbildungskraft eine Fülle von Nebelbildern ungewöhnlicher Grösse, aus denen die für die Bühne brauchbare Gestalt zu verdichten wohl lockend erscheinen kann. Der Stoff enthält aber in der That auch einige sehr starke dramatische Momente, wenn die Sage zu Hilfe genommen wird. Da steht denn im Vordergrunde die Witwe des durch den jungen Kaiser zum Tode verurteilten nnd auf der Engelsburg hingerichteten Crescentius. In meinem Stück ist die Exposition dadurch gegeben, dass sie im Lager vor der Stadt erscheint, um den Kaiser zu bitten, die Leiche ihres Gemahls an geweihter Stätte begraben zu dürfen, zugleich in der Absicht, ihm bei Gelegenheit des Fussfalls den[83] Dolch ins Herz zu stossen. Der Anblick des schönen Jünglings, seine edle Haltung und seine Schwärmerei für Rom entwaffnen sie aber. Otto, von heftiger Leidenschaft für sie entflammt, verzeiht ihr und erklärt Rom in diesem Weibe erobert. Wie er hier unbedacht seiner Todfeindin vertraut, so verletzt er bald darauf seinen treuesten Freund, den Baiernherzog Heinrich, durch schroffe Zurückweisung der deutschen Ansprüche und beraubt sich seines Schutzes. Die Römer, denen er sich völlig verblendet ganz hingegeben, verraten ihn, und nun beweist in grossmütiger Weise Heinrich im Augenblick höchster Not seine Treue, indem er ihn mit seinen tapferen Mannen aus der Schar der Aufständischen heraushaut, ohne freilich dafür Dank zu ernten. Im letzten Akte erkennt der Kaiser seine unzeitige Schwäche gegen Rom, ermannt sich noch einmal und befiehlt den Angriff, erliegt nun aber dem Gift der Crescentia, die sich dafür rächt, dass er sich von ihrem Einfluss befreite. Ich halte den Aufbau des Stückes noch heute, wo ich ganz unbefangen darüber zu urteilen vermag, für wohl geglückt, wie gross auch sonst seine Fehler sein mögen. Es wurde mehrere Jahre später mit dem Haupttitel »Das Grab der Deutschen« (so wurde bekanntlich Italien genannt), in den »Unterhaltungen des literarischen Kränzchens zu Königsberg« abgedruckt. Separatabzüge versendete ich an die Theater, erhielt aber, soweit ich mich erinnere, von keinem einzigen eine Antwort. Erst lange darauf, als bereits eine Reihe anderer Stücke von mir über die Bühne gegangen war, wagte Direktor Woltersdorff in Königsberg auch eine Aufführung dieses Dramas. Auswärts hat sich nur noch der alte Hoftheaterdirektor Schütze in Braunschweig seiner angenommen. Stücke dieser Art erringen bekanntlich stets höchstens »Achtungserfolge«.

Der junge Hohenstaufe Konradin lockte mich (wen hätte er nicht gelockt?), liess mich aber bald wieder los. Dagegen brachte mich im Herbst 1855 die Beschäftigung mit dem[84] Nibelungenliede auf den Gedanken einer dramatischen Bearbeitung der Rüdeger-Episode. Im nächsten Winter wurde die Tragödie in fünf Akten: »Markgraf Rüdeger von Bechelaren« im ersten Entwurf fertig.

Das Nibelungenlied schien mir überhaupt nur zwei dramatische Stoffe zu enthalten: Brunhild und Rüdeger. Brunhild ist der mächtigere Stoff; seiner praktischen Verwertbarkeit steht aber der Umstand entgegen, dass die durch List und mit Hilfe der Tarnkappe herbeigeführte Vergewaltigung der Frau durch Siegfried, der doch heldenhaft erscheinen und Kriemhilds Liebe würdig bleiben soll, unserem Gefühl widerwärtig ist. Auch darf das Übermenschliche der Hauptfiguren nicht ausser Rechnung bleiben, erschwert uns aber die Teilnahme an ihrem Schicksal. Die Handlung, in deren Mittelpunkt Markgraf Rüdeger steht, hält sich durchaus in den Grenzen menschlichen Geschehens. Es ist seine tragische Verschuldung, dass er in reinster Absicht und Gesinnung ahnungslos, welches Geschick den Freunden von seiner Herrin vorbedacht ist, sein Wort verpfändet, sie schützen zu wollen, es dann aber nicht zu halten vermag, weil eine ältere Pflicht, eine unverbrüchliche, den Kampf gegen sie fordert. Der Konflikt zwischen dem Freundschaftsgelöbnis und der Mannentreue bedurfte nur Voraussetzungen, die in der realen Welt beruhen konnten, und liess sich im Wesentlichen rein dialogisch zum Austrag bringen. Der Schwertkampf auf der Bühne, stets eine sehr bedenkliche Aktion, wurde entbehrlich, wenn die eigentliche Handlung sich in dem Gemüt des Helden vollzog, und konnte hinter die Koulissen verlegt werden. Ehe ich das Drama einer Bühne anbot, wünschte ich das Gutachten eines Sachverständigen zu haben. Ich schickte deshalb Ernst Kossack das sauber kopierte Manuskript mit der Bitte um sein Urteil und – sah es niemals wieder. Ich habe auch nicht einmal eine Antwort erhalten. Der verehrte Herr mag wohl durch ähnliche Zusendungen allzuhäufig heimgesucht[85] worden sein und Besseres zu thun gehabt haben, als Privatkritiken zu schreiben und Pakete zur Post zu befördern. Ich habs auch bald eingesehen und nicht lange mit ihm gegrollt. Ein paar Jahre danach, als mir das Stück wieder unter die Hände kam, ging mir ein Licht auf, dass die ersten vier Akte eigentlich nur Exposition seien und sich ganz entbehren liessen, der eigentliche dramatische Stoff aber in einem einzigen Akt völlig zu erschöpfen wäre. Ich schnitt demgemäss mein Drama unbarmherziger zusammen, als der schneidigste Regisseur dies übers Herz hätte bringen können, und liess die kleine Tragödie in dem »ost-und westpreussischen Musen-Almanach« für 1858 abdrucken, wo sie nur 42 kleine Seiten füllt. Ich bin noch heute stolz auf sie, obgleich sie niemand kennt. Sie beginnt am Morgen nach der Schreckensnacht, in der Feuer an den Schlafsaal der Burgunden gelegt ist, auf dem Schlosshof mit einem Monolog Kriemhilds, die ihr Rachewerk vollbracht glaubt; da hört sie Volkher innen sein Morgenlied singen; Hagen höhnt sie und König Etzel: Ihr lockt keinen mehr, von Siegfrieds Schwert die Grabe sich zu holen. Warum kämpft Rüdeger nicht für euch? Nun bitten die Brüder vergebens, selbst Giselher, den sie liebt und an Siegfrieds Tod unschuldig weiss. Sie verlangt von Etzel, dass er Rüdeger, seinen Dienstmann, zum Kampf aufrufe. Er weigert sich, da er weiss, dass der treue Mann mit den Burgunden Gastfreundschaft geschlossen und Giselher seine Tochter Dietlinde verlobt hat, giebt aber endlich doch ihren Bitten nach, weil er einsehen muss, dass die letzte Hoffnung des Sieges auf diesem einzigen steht. Nun erscheint Rüdeger mit seinen Mannen, um die Freunde vor weiterer Unbill zu schützen, wird aber von Etzel an seine Dienstpflicht erinnert und in den Kampf gegen sie geschickt. Er widersetzt sich diesem unheiligen und unmenschlichen Gebot, bleibt aber unerhört. König und Königin entfernen sich. Dietlinde sucht ihn auf, um zu erfahren, ob Giselher gerettet sei: Rüdeger sieht ein,[86] dass er als des Königs Eigenmann die Freunde nicht schützen dürfe, glaubt aber auch nicht gezwungen zu sein, sie zu bekämpfen, wenn er dem König sein Lehn zurückgiebt und bettelarm auszieht; er geht, ihm diese Entscheidung zu bringen. Nun gesellt Kriemhild sich zu Dietlinde und wird von ihr um Gnade für die Brüder angegangen. Die Königin giebt zuletzt so weit nach, dass sie eine Sühne als Preis des Friedens fordern will. Zeigen sie sich willig, so sollen sie des Lebens sich erfreuen. Dietlinde holt Giselher zur Unterredung dieserhalb vom Saal. Nun fordert Kriemhild in Gegenwart Rüdegers, dessen Entsagung von Etzel verworfen ist, die Auslieferung Hagens, des Mörders Siegfrieds. Diese Bedingung glaubt Giselher verwerfen zu müssen. Von Dietlinde gedrängt, giebt er die Entscheidung Rüdeger anheim, und dieser muss sie dahin treffen: Treu als Eigenmann hat er euch den Eid gehalten – drum Treue um Treue. Damit hat er aber auch sich selbst das Urteil gesprochen. Da die Königin fussfällig ihre Bitte wiederholt, ihm das schwere Unrecht vorhaltend, das sie erlitten, widersteht er nicht länger und geht für seine Mannenpflicht in den Tod. Ein Sterbender wird er aus dem Saal getragen. Es gelingt ihm, Giselher zu retten und mit Dietlinde zu vereinigen. Dietrich von Bern rächt ihn. So das nicht ungeschickte Szenarium, die Sprache könnte markiger sein. Eine Aufführung hat das kleine Drama nicht erlebt.

Auch die Vorarbeiten und Anfänge anderer Dramen, von denen jedoch später gesprochen werden soll, fallen in diese Zeit.

Quelle:
Wichert, Ernst: Richter und Dichter. Ein Lebensausweis, Berlin und Leipzig 1899, S. 82-87.
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